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„Offenes Design“!
Schon vor 40 Jahren wurden in einer Wiener Ausstellung negative Auswirkungen auf Umwelt und Mensch thematisiert. Seither ist unser ökologischer Fußabdruck noch deutlich größer geworden. Und jetzt? Hoffnungsträger „offenes Design“.
15. April 2017 - Harald Gründl
Vor 40 Jahren fand im Bauzentrum im Garten des Palais Liechtenstein die Ausstellung „Schluss mit der ewiggestrigen Zukunft. Umdenken – Umschwenken“ statt. Organisiert wurde die Ausstellung von der Arbeitsgruppe Alternative (AGA), einem Verein, der von Studierenden und Assistenten Wiener Hochschulen sowie an der Umwelt Interessierter ins Leben gerufen worden war. Der Verein sollte als Plattform für alternative Ideen dienen und der Öffentlichkeit einen Anstoß zu einem Umdenken geben. In der Kritik standen zerstörerische Lebensformen, die negative Auswirkungen auf Umwelt und Mensch haben. Der Blick zurück lohnt, da viele gute Ideen noch immer nicht umgesetzt sind. Auch muss das appellative „Umdenken – Umschwenken“ mit Nachdruck wiederholt werden. Unser ökologischer Fußabdruck ist seit damals um 50 Prozent angestiegen und beträgt die eineinhalbfache Biokapazität – Tendenz steigend.
Die Ausstellung, die 143 Beiträge aus Österreich, Deutschland und der Schweiz umfasste, war Statement für eine alternative Designauffassung der späten 1970er-Jahre. Staffeleien aus Dachlatten für die Beiträge, Kaffeesäcke als Bodenbelag und Ziegel als organische Wegführung demonstrierten die Wichtigkeit von Recycling, aber auch einfachere Adaptierbarkeit der als Wanderausstellung konzipierten Schau. Die rohe Materialverwendung diente wohl auch zur Abgrenzung gegenüber dem Plastikenthusiasmus einiger Zeitgenossen in Kunst, Architektur und Design dieser Jahre. Damals wie heute trägt diese wenig zum Entkräften ästhetischer Vorurteile gegenüber Weltverbesserungsalternativen bei. Die AGA beauftragte Maria Auböck, heute emeritierte Professorin für Gestalten im Freiraum, mit der Durchführung der Ausstellung und Karl-Heinz Marenke mit dem Katalog und der Umsetzung eines Symposiums. Den Inhalt des mehr als 200 Seiten starken Ausstellungskatalogs verantwortete Christian Thalhammer; dieser lässt an den zur selben Zeit erscheinenden einflussreichen „Whole Earth Catalogue“ denken. Robert Jungk, Pionier der Umwelt- und Friedensbewegung, Gründer des Instituts für Zukunftsfragen und später Präsidentschaftskandidat der Grünen, war Starredner eines vierwöchigen begleitenden Symposiums.
Die Ausstellung umfasste fünf Bereiche: Bauen, Wohnen, Siedeln – Energie, Technik, Arbeit – Gesundheit, Heilkunde, Vorsorge – Gesellschaft, Erziehung, Verwaltung – Landbau, Ernährung, Landleben. Der umfangreichste Bereich war der Architektur gewidmet. Roland Gnaiger, heute Professor für Architekturentwurf in Linz, machte die Art des Bauens und Wohnens mitschuldig für die Umweltkrise, die Energiekrise und die sozialen und politischen Krisen der Zeit. Er zeigte Beispiele alternativer Architektur und forderte „Anti-Monokultur“ und Dezentralisierung. Roland Hagmüller stellte das mit alternativen Technologien (Wind, Biogas, Solar, Wärmepumpe) ausgestattete autarke Haus vor. Mitbestimmung, Beteiligungsprozesse, Bürgerversammlungen, prozesshafte Architektur und die Gegenkultur der Selbstbaudome in den USA sind andere Themen. Einen umfangreichen Katalogbeitrag gibt es von Friedensreich Hundertwasser.
Das „Verschimmelungs-Manifest gegen den Rationalismus in der Architektur“ (1958) findet Beispielgebendes in den Gebäuden von Gaudi, in Elendsvierteln und Schandflecken, Schrebergartenhäusern, „primitiver“ Architektur und in den Wandbearbeitungen von Klosetts. In der „Verwaldung der Städte“ (1971) fordert er die Stadt als Wald in der Vogelperspektive und Fabriken, deren „Schornsteine dreimal so viel reinen Sauerstoff ausstoßen wie verbrauchte Luft, von Giftstoffen gar nicht zu reden“. Die kreislauffähige Humustoilette (1975) preist er mit „Scheiße wird zu Gold“, die Wassertoilette verteufelt er als Irrweg der Zivilisation. Im Bereich Bildung schlug der Architekt Robert Maria Stieg Schultische in Dreiecksform vor, um eine dynamischere Kommunikation zu ermöglichen, Lehrerinitiativen forderten eine einheitliche Ganztagsschule und fortschrittlichen Unterricht. Inklusion, Feminismus und Biolandwirtschaft sind weitere Themen des umfangreichen Kompendiums.
40 Jahre später haben wir Biolebensmittel im Supermarktregal, Normen für Barrierefreiheit, wir diskutieren den geringen Prozentsatz an Frauen in Vorstandsposten und die „Flüchtlingskrise“. Über die Ganztagsschule wird, wie über neue Formen von Unterricht, noch immer ideologisiert, anstatt radikale Alternativen für eine Zukunft der Wissensgesellschaft auszuprobieren. Die polygonalen Tische von PPAG im Bildungscampus Sonnwendviertel in Wien haben es nicht zum selbstverständlichen Schulinventar geschafft, das Kreativität und Zusammenarbeit der Schulkinder unterstützt. Wassertoiletten sind noch immer die vorherrschende Lösung unserer Zivilisation, obwohl Stofftrennung (Urin, Fäkalien, Wasser) in der Toilette eine sinnvolle Kreislaufwirtschaft ermöglichen würde. Giftstoffe in Luft und Wasser sind gesetzlich tolerierbar. Auf die Verbesserung der Atemluft durch Autos, wie von den Begründern der „Cradle to Cradle“-Philosophie, Michael Braungart und William McDonough, vorgeschlagen, müssen wir wohl noch warten. In der Zwischenzeit lassen wir Pflanzen auf Rigipswänden im Innenraum hochwachsen und diskutieren Passivhäuser kontrovers.
Doch eine junge Generation belebt heute das Kapitel der Gebäude- und Energietechnik mit Initiativen wie dem Innovationscamp „POC21“, bei dem mehr als 100 Aktivisten aus der Selbstbauszene, Design, Wissenschaft und Engineering fünf Wochen lang an zwölf Zukunftstechnologien arbeiteten. Herausgekommen sind beispielsweise ein Update der vertikalen Windturbine um 30 Dollar, eine computergesteuerte Dusche mit Wasserkreislauf und mehrere Solargeneratoren mit selbst gebautem digitalem Energiemonitor. Alle Projekte sind „offenes Design“, das heißt, sie können frei nachgebaut und verbessert werden. Durch die digitale Revolution vernetzen sich Akteure weltweit und können lokal die Design-Gemeingüter kommerziell umsetzen – dezentral und selbstbestimmt. Offene Technologie bringt die Menschen zusammen und lässt sie kooperieren, so wie bei POC21, wo neue Formen der kollaborativen, selbstbestimmten Arbeit erprobt wurden. Coole Humustoiletten wie „Goldeimer“ finden sich heute versuchsweise auf großen Musikfestivals, mit wilden Graffitis besprüht und dem Slogan „Wir schließen Nährstoffkreisläufe und machen aus Scheiße Gold“. Eine neue Generation hat die Agenden des Wandels übernommen.
Das Schlusswort haben die Aktivisten von damals: „Zum Wesen dieser Alternativen zählen die notwendige Dezentralisierung und Vielfalt der Lösungen, ihre Gewaltlosigkeit gegenüber Mensch und Umwelt, ihre Überschaubarkeit. (. . .) Denn die freie Entfaltung der Menschen ist wichtiger als die unbeschränkte Entwicklung der Warenproduktion.“
Die Ausstellung, die 143 Beiträge aus Österreich, Deutschland und der Schweiz umfasste, war Statement für eine alternative Designauffassung der späten 1970er-Jahre. Staffeleien aus Dachlatten für die Beiträge, Kaffeesäcke als Bodenbelag und Ziegel als organische Wegführung demonstrierten die Wichtigkeit von Recycling, aber auch einfachere Adaptierbarkeit der als Wanderausstellung konzipierten Schau. Die rohe Materialverwendung diente wohl auch zur Abgrenzung gegenüber dem Plastikenthusiasmus einiger Zeitgenossen in Kunst, Architektur und Design dieser Jahre. Damals wie heute trägt diese wenig zum Entkräften ästhetischer Vorurteile gegenüber Weltverbesserungsalternativen bei. Die AGA beauftragte Maria Auböck, heute emeritierte Professorin für Gestalten im Freiraum, mit der Durchführung der Ausstellung und Karl-Heinz Marenke mit dem Katalog und der Umsetzung eines Symposiums. Den Inhalt des mehr als 200 Seiten starken Ausstellungskatalogs verantwortete Christian Thalhammer; dieser lässt an den zur selben Zeit erscheinenden einflussreichen „Whole Earth Catalogue“ denken. Robert Jungk, Pionier der Umwelt- und Friedensbewegung, Gründer des Instituts für Zukunftsfragen und später Präsidentschaftskandidat der Grünen, war Starredner eines vierwöchigen begleitenden Symposiums.
Die Ausstellung umfasste fünf Bereiche: Bauen, Wohnen, Siedeln – Energie, Technik, Arbeit – Gesundheit, Heilkunde, Vorsorge – Gesellschaft, Erziehung, Verwaltung – Landbau, Ernährung, Landleben. Der umfangreichste Bereich war der Architektur gewidmet. Roland Gnaiger, heute Professor für Architekturentwurf in Linz, machte die Art des Bauens und Wohnens mitschuldig für die Umweltkrise, die Energiekrise und die sozialen und politischen Krisen der Zeit. Er zeigte Beispiele alternativer Architektur und forderte „Anti-Monokultur“ und Dezentralisierung. Roland Hagmüller stellte das mit alternativen Technologien (Wind, Biogas, Solar, Wärmepumpe) ausgestattete autarke Haus vor. Mitbestimmung, Beteiligungsprozesse, Bürgerversammlungen, prozesshafte Architektur und die Gegenkultur der Selbstbaudome in den USA sind andere Themen. Einen umfangreichen Katalogbeitrag gibt es von Friedensreich Hundertwasser.
Das „Verschimmelungs-Manifest gegen den Rationalismus in der Architektur“ (1958) findet Beispielgebendes in den Gebäuden von Gaudi, in Elendsvierteln und Schandflecken, Schrebergartenhäusern, „primitiver“ Architektur und in den Wandbearbeitungen von Klosetts. In der „Verwaldung der Städte“ (1971) fordert er die Stadt als Wald in der Vogelperspektive und Fabriken, deren „Schornsteine dreimal so viel reinen Sauerstoff ausstoßen wie verbrauchte Luft, von Giftstoffen gar nicht zu reden“. Die kreislauffähige Humustoilette (1975) preist er mit „Scheiße wird zu Gold“, die Wassertoilette verteufelt er als Irrweg der Zivilisation. Im Bereich Bildung schlug der Architekt Robert Maria Stieg Schultische in Dreiecksform vor, um eine dynamischere Kommunikation zu ermöglichen, Lehrerinitiativen forderten eine einheitliche Ganztagsschule und fortschrittlichen Unterricht. Inklusion, Feminismus und Biolandwirtschaft sind weitere Themen des umfangreichen Kompendiums.
40 Jahre später haben wir Biolebensmittel im Supermarktregal, Normen für Barrierefreiheit, wir diskutieren den geringen Prozentsatz an Frauen in Vorstandsposten und die „Flüchtlingskrise“. Über die Ganztagsschule wird, wie über neue Formen von Unterricht, noch immer ideologisiert, anstatt radikale Alternativen für eine Zukunft der Wissensgesellschaft auszuprobieren. Die polygonalen Tische von PPAG im Bildungscampus Sonnwendviertel in Wien haben es nicht zum selbstverständlichen Schulinventar geschafft, das Kreativität und Zusammenarbeit der Schulkinder unterstützt. Wassertoiletten sind noch immer die vorherrschende Lösung unserer Zivilisation, obwohl Stofftrennung (Urin, Fäkalien, Wasser) in der Toilette eine sinnvolle Kreislaufwirtschaft ermöglichen würde. Giftstoffe in Luft und Wasser sind gesetzlich tolerierbar. Auf die Verbesserung der Atemluft durch Autos, wie von den Begründern der „Cradle to Cradle“-Philosophie, Michael Braungart und William McDonough, vorgeschlagen, müssen wir wohl noch warten. In der Zwischenzeit lassen wir Pflanzen auf Rigipswänden im Innenraum hochwachsen und diskutieren Passivhäuser kontrovers.
Doch eine junge Generation belebt heute das Kapitel der Gebäude- und Energietechnik mit Initiativen wie dem Innovationscamp „POC21“, bei dem mehr als 100 Aktivisten aus der Selbstbauszene, Design, Wissenschaft und Engineering fünf Wochen lang an zwölf Zukunftstechnologien arbeiteten. Herausgekommen sind beispielsweise ein Update der vertikalen Windturbine um 30 Dollar, eine computergesteuerte Dusche mit Wasserkreislauf und mehrere Solargeneratoren mit selbst gebautem digitalem Energiemonitor. Alle Projekte sind „offenes Design“, das heißt, sie können frei nachgebaut und verbessert werden. Durch die digitale Revolution vernetzen sich Akteure weltweit und können lokal die Design-Gemeingüter kommerziell umsetzen – dezentral und selbstbestimmt. Offene Technologie bringt die Menschen zusammen und lässt sie kooperieren, so wie bei POC21, wo neue Formen der kollaborativen, selbstbestimmten Arbeit erprobt wurden. Coole Humustoiletten wie „Goldeimer“ finden sich heute versuchsweise auf großen Musikfestivals, mit wilden Graffitis besprüht und dem Slogan „Wir schließen Nährstoffkreisläufe und machen aus Scheiße Gold“. Eine neue Generation hat die Agenden des Wandels übernommen.
Das Schlusswort haben die Aktivisten von damals: „Zum Wesen dieser Alternativen zählen die notwendige Dezentralisierung und Vielfalt der Lösungen, ihre Gewaltlosigkeit gegenüber Mensch und Umwelt, ihre Überschaubarkeit. (. . .) Denn die freie Entfaltung der Menschen ist wichtiger als die unbeschränkte Entwicklung der Warenproduktion.“
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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