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HAL bellt
Von 1968 – mit „Odyssee im Weltall“ – ins private Wohnzimmer 2018: Die Automatisierung des Haushalts ist demokratisiert, die Haussteuerung ein kleines Gerät am Stromnetz – Allmacht gibt es heute zum Dumpingpreis. Geschichten aus dem Smart Home.
17. Februar 2018 - Harald Gründl
Heute steuern wir unsere Häuser so, wie im Film „2001: Odyssee im Weltall“ (1968) von Stanley Kubrick das Raumschiff „Discovery“ gesteuert wird. Das Buch ist von Arthur C. Clarke, von dem auch das berühmte dritte Clark'sche Gesetz stammt: „Jede hinreichend fortschrittliche Technologie ist von Magie nicht zu unterscheiden.“ Die künstliche Intelligenz des Bordcomputers HAL 9000 leitet in dem Science-Fiction-Klassiker die Weltraummission zum Planeten Jupiter. Das Design von HAL könnte auch dem aktuellen Produktkatalog eines der großen Konsumelektronikherstellers entstammen: Aluminiumrahmen, Aluminium-Lautsprechergitter und ein schwarzes Kameraauge mit rot glühender Iris. Nur die Produktgrafik wäre dem heutigen Zeitgeschmack anzupassen.
HAL hat eine männliche Stimme, mit der er freundlich, kompetent und bestimmt mit den Menschen interagiert. Als das Raumschiff seine Mission startet, wird der Bordcomputer von einem Journalisten interviewt: „Guten Tag, HAL. Wie läuft es bei Ihnen?“ HAL antwortet dem Journalisten ebenfalls mit einem freundlichen Gruß und meldet, dass alles nach Wunsch läuft. Die nächste Frage, die uns im Umgang mit künstlicher Intelligenz heute wie damals interessiert, ist, ob der Bordcomputer nicht fürchtet, Fehler zu machen. Immerhin hängen das Überleben der Crew und das Gelingen der Mission am Geschick des Elektronenhirns. Der Rechner weicht der Frage aus und führt einige Fakten ins Treffen, die uns von seiner Unfehlbarkeit überzeugen sollen: Computer der Serie 9000 sind die besten, die je gebaut wurden, kein Computer dieser Serie hat je Fehler gemacht oder unklare Antworten gegeben, und zudem sind sie hundertprozentig zuverlässig und narrensicher. HAL irrt sich nie.
Dann wendet sich der Reporter an die Crew, die den Computer als gleichwertiges Crewmitglied sieht und sich darüber freut, dass man mit HAL wie mit einem Menschen sprechen kann. Ob er echte Gefühle hat? Das kann man nie wissen. Hinter vorgehaltener Hand jedoch fühlt sich die Crew als Handlangerin der künstlichen Intelligenz. Anstatt eines Roboters führen die Menschen an Bord die Dinge aus, die von HAL angeschafft werden, etwa Reparaturen an der Hardware des Raumschiffs vorzunehmen. Und dabei kommt es auch zu der berühmten Szene, wo sich HAL seiner menschlichen Crew entledigt und das Reparaturraumschiff nicht mehr zurück ins Mutterschiff lässt. „Mach die Schleuse auf, HAL!“ – „Es tut mir leid, Dave, aber das kann ich nicht machen.“ – „Öffne die Tür!“ – „Das Gespräch hat keinen Zweck mehr, lebe wohl.“ Der letzte Überlebende an Board steht vor der verschlossenen Tür des Raumschiffs.
Nun, ein halbes Jahrhundert später steht HAL 9000 in Zigtausenden von Wohnungen und Häusern: ein Lautsprecher mit Sprachsteuerung und Lichtinterface, verbunden mit den leistungsfähigsten Computern und Programmen. Alles, was das Gerät hört, wird über das Internet an die Rechenzentren der Großkonzerne weitergeleitet, analysiert und die Antwort über eine menschliche Stimme wieder ausgegeben. Durch diese neue Generation von Geräten wird die Automatisierung des Hauses plötzlich demokratisiert. Bisher mussten aufwendig Kabel zur Haussteuerung gelegt werden. Die Elektroinstallateure konnten so auch einen großen Teil der Wertschöpfung der Hausautomatisierung lukrieren, das passiert heute kabellos, und die Haussteuerung ist ein kleines billiges Gerät, das in die nächstbeste Steckdose gesteckt wird. Heute können Jalousien, Türen, Licht und Klima bequem über Sprachsteuerung kontrolliert werden. Die Technologiekonzerne stellen uns diese Allmacht zum Dumpingpreis zur Verfügung.
Wie die Könige und Königinnen fühlen wir uns, wenn wir HAL befehlen, für Entspannung zu sorgen: Fenster werden verdunkelt, eine vorher definierte Lichtstimmung wird aus farbveränderbaren LED-Lampen aufgerufen, aus dem Musikabonnement mit 40 Millionen Liedern das richtige ausgesucht und abgespielt. Sollten wegen des einnehmenden Berufs keine Haustiere infrage kommen, dann wendet man sich einfach an HAL: „HAL, wie macht der Hund?“ – „Hunde machen wuff, wuff, wuff!“ Dabei wird ein Hundeoriginaltondokument eingespielt. HAL sorgt für uns, wir können jetzt entspannt einkaufen und dem Ding, das auf dem Couchtisch steht, verschiedenste Einkäufe diktieren. „Wenn Sie den Premiumservice in Anspruch nehmen wollen, dann antworten Sie mit Ja“ – „Ja.“ Die Lichtanzeige, die wie ein Heiligenschein das Objekt an der Oberseite umrahmt, weist mit einem hellen Farbfleck immer in unserer Richtung, egal, wie laut die Entspannungsmusik aus dem Zylinder dringt. Das Aktivierungswort „HAL“ wird von zahlreichen Mikrofonen im Inneren des Objekts geortet und umgehend die Kommunikation gestartet.
Während wir im Büro sitzen, steuert HAL unseren Haushalt selbst, so wie er auch Raumschiffe mühelos durchs All pilotiert. Der Saugroboter wird unter den Esstisch geschickt und die Kaffeemaschine deaktiviert. Die Paketzustellerin, die unseren sprachgesteuerten Einkauf ausliefert, steht vor unserer versperrten Wohnungstür. HAL öffnet ihr die Tür und aktiviert die Kamera im Vorzimmer. Die Paketzustellerin bückt sich und schiebt das Paket in den Vorraum, sodass die Kamera nur ihre Hand sieht. Dann zieht sie sich wieder zurück und schließt die Tür. Die Videosequenz der Zustellung wird archiviert und ist bei Reklamationen wieder abrufbar, so wie unsere Stimmeingaben auch. Zu Hause angekommen, ist es wie Weihnachten: Das Paket steht da, und niemand hat Santa Claus mit seinem Rentierschlitten gesehen.
Gerade eben schreibt HAL-Nutzer PETO ,Besitzer eines HAL mit anthrazitgrauer Stoffbespannung, in den Herstellerblog: „Nach einiger Skepsis, ob die CIA mithört oder nicht, habe ich mich entschlossen, es zu kaufen. Es ist ein lustiges Gimmick, das einem per Sprachbefehl die Infos wiedergibt, wo man sonst auf dem Smartphone schauen würde. Es muss noch einiges lernen, aber ist auf dem besten Weg dorthin.“ Vielleicht hat PETO auf seinem Gerät auch die „Empfangsdame“ aktiviert. Gemeinsam mit ihr können wir für Partyspaß sorgen und die Gäste launig empfangen. „Darf ich dir Paola vorstellen?“ – „Herzlich willkommen, Paola. Wer andern eine Grube gräbt, bekommt Besuch von Paola mit dem Grubengrabgerät!“ Oder: „Das ist Freda!“ –„Herzlich willkommen, Freda! Mahlzeit! Wenn du Hunger hast, dann bring nächstes Mal was Gutes mit!“ Und zum Höhepunkt des Abends: „HAL, einen Trommelwirbel!“ –„Trrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrr.“
In der Programmierung von HAL ist heute auch ein sogenanntes Osterei, ein Geheimlevel, versteckt. Ruft man HAL zu, die Schleusen zu öffnen, dann belehrt uns die Shoppingintelligenz, dass wir uns hier nicht im Weltall befinden und wir auch nicht Dave Bowman, der Captain der „Discovery“ sind. Das erdet uns.
HAL hat eine männliche Stimme, mit der er freundlich, kompetent und bestimmt mit den Menschen interagiert. Als das Raumschiff seine Mission startet, wird der Bordcomputer von einem Journalisten interviewt: „Guten Tag, HAL. Wie läuft es bei Ihnen?“ HAL antwortet dem Journalisten ebenfalls mit einem freundlichen Gruß und meldet, dass alles nach Wunsch läuft. Die nächste Frage, die uns im Umgang mit künstlicher Intelligenz heute wie damals interessiert, ist, ob der Bordcomputer nicht fürchtet, Fehler zu machen. Immerhin hängen das Überleben der Crew und das Gelingen der Mission am Geschick des Elektronenhirns. Der Rechner weicht der Frage aus und führt einige Fakten ins Treffen, die uns von seiner Unfehlbarkeit überzeugen sollen: Computer der Serie 9000 sind die besten, die je gebaut wurden, kein Computer dieser Serie hat je Fehler gemacht oder unklare Antworten gegeben, und zudem sind sie hundertprozentig zuverlässig und narrensicher. HAL irrt sich nie.
Dann wendet sich der Reporter an die Crew, die den Computer als gleichwertiges Crewmitglied sieht und sich darüber freut, dass man mit HAL wie mit einem Menschen sprechen kann. Ob er echte Gefühle hat? Das kann man nie wissen. Hinter vorgehaltener Hand jedoch fühlt sich die Crew als Handlangerin der künstlichen Intelligenz. Anstatt eines Roboters führen die Menschen an Bord die Dinge aus, die von HAL angeschafft werden, etwa Reparaturen an der Hardware des Raumschiffs vorzunehmen. Und dabei kommt es auch zu der berühmten Szene, wo sich HAL seiner menschlichen Crew entledigt und das Reparaturraumschiff nicht mehr zurück ins Mutterschiff lässt. „Mach die Schleuse auf, HAL!“ – „Es tut mir leid, Dave, aber das kann ich nicht machen.“ – „Öffne die Tür!“ – „Das Gespräch hat keinen Zweck mehr, lebe wohl.“ Der letzte Überlebende an Board steht vor der verschlossenen Tür des Raumschiffs.
Nun, ein halbes Jahrhundert später steht HAL 9000 in Zigtausenden von Wohnungen und Häusern: ein Lautsprecher mit Sprachsteuerung und Lichtinterface, verbunden mit den leistungsfähigsten Computern und Programmen. Alles, was das Gerät hört, wird über das Internet an die Rechenzentren der Großkonzerne weitergeleitet, analysiert und die Antwort über eine menschliche Stimme wieder ausgegeben. Durch diese neue Generation von Geräten wird die Automatisierung des Hauses plötzlich demokratisiert. Bisher mussten aufwendig Kabel zur Haussteuerung gelegt werden. Die Elektroinstallateure konnten so auch einen großen Teil der Wertschöpfung der Hausautomatisierung lukrieren, das passiert heute kabellos, und die Haussteuerung ist ein kleines billiges Gerät, das in die nächstbeste Steckdose gesteckt wird. Heute können Jalousien, Türen, Licht und Klima bequem über Sprachsteuerung kontrolliert werden. Die Technologiekonzerne stellen uns diese Allmacht zum Dumpingpreis zur Verfügung.
Wie die Könige und Königinnen fühlen wir uns, wenn wir HAL befehlen, für Entspannung zu sorgen: Fenster werden verdunkelt, eine vorher definierte Lichtstimmung wird aus farbveränderbaren LED-Lampen aufgerufen, aus dem Musikabonnement mit 40 Millionen Liedern das richtige ausgesucht und abgespielt. Sollten wegen des einnehmenden Berufs keine Haustiere infrage kommen, dann wendet man sich einfach an HAL: „HAL, wie macht der Hund?“ – „Hunde machen wuff, wuff, wuff!“ Dabei wird ein Hundeoriginaltondokument eingespielt. HAL sorgt für uns, wir können jetzt entspannt einkaufen und dem Ding, das auf dem Couchtisch steht, verschiedenste Einkäufe diktieren. „Wenn Sie den Premiumservice in Anspruch nehmen wollen, dann antworten Sie mit Ja“ – „Ja.“ Die Lichtanzeige, die wie ein Heiligenschein das Objekt an der Oberseite umrahmt, weist mit einem hellen Farbfleck immer in unserer Richtung, egal, wie laut die Entspannungsmusik aus dem Zylinder dringt. Das Aktivierungswort „HAL“ wird von zahlreichen Mikrofonen im Inneren des Objekts geortet und umgehend die Kommunikation gestartet.
Während wir im Büro sitzen, steuert HAL unseren Haushalt selbst, so wie er auch Raumschiffe mühelos durchs All pilotiert. Der Saugroboter wird unter den Esstisch geschickt und die Kaffeemaschine deaktiviert. Die Paketzustellerin, die unseren sprachgesteuerten Einkauf ausliefert, steht vor unserer versperrten Wohnungstür. HAL öffnet ihr die Tür und aktiviert die Kamera im Vorzimmer. Die Paketzustellerin bückt sich und schiebt das Paket in den Vorraum, sodass die Kamera nur ihre Hand sieht. Dann zieht sie sich wieder zurück und schließt die Tür. Die Videosequenz der Zustellung wird archiviert und ist bei Reklamationen wieder abrufbar, so wie unsere Stimmeingaben auch. Zu Hause angekommen, ist es wie Weihnachten: Das Paket steht da, und niemand hat Santa Claus mit seinem Rentierschlitten gesehen.
Gerade eben schreibt HAL-Nutzer PETO ,Besitzer eines HAL mit anthrazitgrauer Stoffbespannung, in den Herstellerblog: „Nach einiger Skepsis, ob die CIA mithört oder nicht, habe ich mich entschlossen, es zu kaufen. Es ist ein lustiges Gimmick, das einem per Sprachbefehl die Infos wiedergibt, wo man sonst auf dem Smartphone schauen würde. Es muss noch einiges lernen, aber ist auf dem besten Weg dorthin.“ Vielleicht hat PETO auf seinem Gerät auch die „Empfangsdame“ aktiviert. Gemeinsam mit ihr können wir für Partyspaß sorgen und die Gäste launig empfangen. „Darf ich dir Paola vorstellen?“ – „Herzlich willkommen, Paola. Wer andern eine Grube gräbt, bekommt Besuch von Paola mit dem Grubengrabgerät!“ Oder: „Das ist Freda!“ –„Herzlich willkommen, Freda! Mahlzeit! Wenn du Hunger hast, dann bring nächstes Mal was Gutes mit!“ Und zum Höhepunkt des Abends: „HAL, einen Trommelwirbel!“ –„Trrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrr.“
In der Programmierung von HAL ist heute auch ein sogenanntes Osterei, ein Geheimlevel, versteckt. Ruft man HAL zu, die Schleusen zu öffnen, dann belehrt uns die Shoppingintelligenz, dass wir uns hier nicht im Weltall befinden und wir auch nicht Dave Bowman, der Captain der „Discovery“ sind. Das erdet uns.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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