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Friedensreich Hundertwasser: Revolte gegen die Käfige
Auch ohne Architekturdiplom soll jeder bauen können. Und: Mieter sollen die Fassade umgestalten dürfen, so weit ihr Arm aus dem Fenster reicht. Friedensreich Hundertwasser (1928 bis 2000): über die Selbstgefälligkeit der Architektur und die Entfremdung der Handwerkskunst.
15. Dezember 2019 - Harald Gründl
ielleicht ist über die Aufregungen zu Hundertwassers Bauten schon das Gras gewachsen. Sein „Hundertwasserhaus“ in Wien ist auch mehr als 30 Jahre nach seiner Errichtung ein Touristenziel erster Rangordnung und wird im selben Atemzug wie das Schloss Schönbrunn, das Belvedere oder der Prater genannt. Vor allem für Reisegruppen ist ein Besuch dieses „außergewöhnlichen, fast eigenwillig anmutenden Hauses“ Pflicht. Pflicht war es auch lange, dass die Architektur- und Kulturkritik über Hundertwassers Bauten wenig wertschätzende Artikel publizierte.
Eine Auswahl an Zuschreibungen, die in der „Presse“ zu seinen Bauten erschienen: „Ornamentale Zwangsbeglückung, Ökologiebarock, Beulenpest, Spielzeugburg, Anarchie und Verrücktheit, Austoben der kindlichen Phantasie, Kitsch, Amateurarchitektur eines Postbeamten oder Zöllners, Öko-Trend, bequeme Behübschung der Dächer und Fassaden“. Hundertwasser, der Hofnarr und Naturapostel. Die breite Resonanz seiner Bauten wurde als „auffällige Zustimmung von der Straße, die gerade in der bildenden Kunst noch nie was Gutes bedeutet hat“, abgetan. „Die Presse“ berichtete am 9. September 1985 von Besucherschlangen vor dem neu eröffneten „Hundertwasserhaus“ und 70.000 Neugierigen an einem Wochenende. Das ist wohl als eindrucksvolle Bestätigung des schlechten Architekturgeschmacks der Wiener zu lesen.
Hundertwasser musste nicht nur einstecken, er konnte auch austeilen. Schon 1958 stellt er in einer Rede seinen programmatischen Text „Verschimmelungsmanifest gegen den Rationalismus in der Architektur“ vor. Jeder soll bauen können, auch ohne Architekturdiplom, und die Verantwortung für sein selbst gebautes Gebilde übernehmen. Mieter sollen die Freiheit haben, sich aus dem Fenster zu lehnen, und so weit ihr Arm reicht die Fassade umgestalten dürfen. Hundertwasser ruft zur Revolte gegen die Käfigkonstruktionen, gegen die Selbstgefälligkeit der Architekturmeisterwerke und gegen die Entfremdung der Handwerkskunst auf. Das Manifest ist vor allem auch ein Feldzug gegen die geometrisch gerade Linie: „Das Lineal ist das Symptom der neuen Krankheit des Zerfalls. Wir leben heute in einem Chaos der geraden Linien, in einem Dschungel der geraden Linien.“ Daraus wird sich viele Jahre später seine Rolle als Architekturdoktor bilden, wo er, viel kritisiert, wie ein archaischer Schamane versucht, die von ihm verhasste Architektur zu heilen. Das Manifest endet mit dem Satz: „Und erst nach der schöpferischen Verschimmelung, von der wir viel zu lernen haben, wird eine neue und wunderbare Architektur entstehen.“ Auf dem Weg dahin setzt es zunächst 1967 bei der „Nacktrede für das Anrecht auf die dritte Haut“ weitere Prügel für die Architekten: „Wir leben in Gebäuden, die verbrecherisch sind, und die von Architekten gebaut sind, die wirklich Verbrecher sind.“
Grasdach in „Wünsch Dir was“
Hundertwasser fordert eine Architektur, die auch nach dem Einzug der Menschen weiterwachsen kann. 1972 nützt Hundertwasser eine Einladung zur populären Fernsehsendung „Wünsch Dir was“, um seinen Architekturzugang einer breiten Öffentlichkeit zu vermitteln. Am Modell einer grauen Zinskaserne demonstriert er seine Vision. Er nimmt das Satteldach ab und stellt stattdessen eine Struktur mit Grasdach und Bäumen über das Haus. Wortreich erklärt er, wie das funktionieren kann, und fügt dem Haus noch einen ebenfalls mit Gras überwachsenen Säulengang vor.
Als in den 1970er-Jahren die erfolgreiche Welttournee seiner künstlerischen Arbeiten beginnt, sind neben seiner bildnerischen Kunst auch Architekturmodelle vertreten. Gebaut wurden sie unter anderem von dem Filmarchitekten Peter Manhardt, der für den ORF, aber auch für den Architekten Karl Schwanzer arbeitete. Joram Harel, Hundertwassers Förderer und Manager, hatte seine Studioarchitektur für eine Sendung von Arik Brauer gesehen. Manhardt hat für Hundertwasser Machbarkeitsstudien seiner Architekturtypologien entwickelt, wie zum Beispiel das Augenschlitzhaus, das Spiralhaus, das Terrassenhaus oder das Grubenhaus. Als Hundertwasser in Neuseeland eine Farm mit weitläufiger, von Abholzung gezeichneter Landschaft erwirbt, ergibt sich die Möglichkeit, das erste Haus zu realisieren. Ein bestehender Kuhstall bekommt ein Humusdach und Wände, in die gebrauchte Flaschen eingesetzt sind. Das 1979 errichtete „Bottle House“ entsteht aus vorgefundenen, lokalen Materialien und gab der Natur den Platz des Bauwerks zurück. Über viele Jahre forstet Hundertwasser die kahlen Wiesen mit Tausenden Bäumen wieder zu einem Mischwald auf. Für den urbanen Kontext entwickelt er ab 1973 die schräg aus dem Haus ragenden „Baummieter“. Sie bezahlen ihre Miete mit Sauerstoff und sollten den Humus von Hundertwassers Humustoilette nutzen. Auch dazu gibt es ein Manifest, aus dem die bekannte Formulierung „Scheiße ist Gold“ stammt, sowie eine Gebrauchsanleitung zum Selbstbau und die Frage: „Warum urinieren wir und scheißen wir in einen einzigen Behälter, wo unser Verdauungssystem vorher beides sorgfältig trennt? Diese Trennung muss doch einen Sinn haben?“ Für den Urin erdachte er gemeinsam mit seinem Freund, dem Biologen Bernd Lötsch, eine Pflanzenkläranlage. Dass diese künstlerisch/wissenschaftliche Forschung keine Spinnerei war, zeigt sich heute, mehr als 40 Jahre später, am Interesse von Paris, die Stadterweiterungsgebiete zukünftig mit Urinseparation zu konzipieren. Der Grund ist die Überdüngung der Meereseinmündung der Seine durch Stickstoff im Abwasser. Europa hat ungefähr 60 solcher Todeszonen in Küstennähe. Die Zeit der Humustoiletten wird auch noch kommen.
Hundertwasser sah seine Arbeit als eine Vorleistung für Massenkreativität und Befreiung von der Industriegesellschaft. Er träumte von einer abfallfreien Zukunft und demonstrierte lautstark für das Recht der Natur. Den von ihm geforderten „Friedensvertrag mit der Natur“ hat die Weltgemeinschaft bislang nicht unterschrieben, noch immer dominieren kurzfristige wirtschaftliche Interessen der reichen Länder über das Wohl des Planeten. Für die Natur zu kämpfen und für eine natur- und menschengerechte Gestaltung einzutreten ist Friedensreich Hundertwassers philosophisches Vermächtnis an Design und Architektur.
Eine Auswahl an Zuschreibungen, die in der „Presse“ zu seinen Bauten erschienen: „Ornamentale Zwangsbeglückung, Ökologiebarock, Beulenpest, Spielzeugburg, Anarchie und Verrücktheit, Austoben der kindlichen Phantasie, Kitsch, Amateurarchitektur eines Postbeamten oder Zöllners, Öko-Trend, bequeme Behübschung der Dächer und Fassaden“. Hundertwasser, der Hofnarr und Naturapostel. Die breite Resonanz seiner Bauten wurde als „auffällige Zustimmung von der Straße, die gerade in der bildenden Kunst noch nie was Gutes bedeutet hat“, abgetan. „Die Presse“ berichtete am 9. September 1985 von Besucherschlangen vor dem neu eröffneten „Hundertwasserhaus“ und 70.000 Neugierigen an einem Wochenende. Das ist wohl als eindrucksvolle Bestätigung des schlechten Architekturgeschmacks der Wiener zu lesen.
Hundertwasser musste nicht nur einstecken, er konnte auch austeilen. Schon 1958 stellt er in einer Rede seinen programmatischen Text „Verschimmelungsmanifest gegen den Rationalismus in der Architektur“ vor. Jeder soll bauen können, auch ohne Architekturdiplom, und die Verantwortung für sein selbst gebautes Gebilde übernehmen. Mieter sollen die Freiheit haben, sich aus dem Fenster zu lehnen, und so weit ihr Arm reicht die Fassade umgestalten dürfen. Hundertwasser ruft zur Revolte gegen die Käfigkonstruktionen, gegen die Selbstgefälligkeit der Architekturmeisterwerke und gegen die Entfremdung der Handwerkskunst auf. Das Manifest ist vor allem auch ein Feldzug gegen die geometrisch gerade Linie: „Das Lineal ist das Symptom der neuen Krankheit des Zerfalls. Wir leben heute in einem Chaos der geraden Linien, in einem Dschungel der geraden Linien.“ Daraus wird sich viele Jahre später seine Rolle als Architekturdoktor bilden, wo er, viel kritisiert, wie ein archaischer Schamane versucht, die von ihm verhasste Architektur zu heilen. Das Manifest endet mit dem Satz: „Und erst nach der schöpferischen Verschimmelung, von der wir viel zu lernen haben, wird eine neue und wunderbare Architektur entstehen.“ Auf dem Weg dahin setzt es zunächst 1967 bei der „Nacktrede für das Anrecht auf die dritte Haut“ weitere Prügel für die Architekten: „Wir leben in Gebäuden, die verbrecherisch sind, und die von Architekten gebaut sind, die wirklich Verbrecher sind.“
Grasdach in „Wünsch Dir was“
Hundertwasser fordert eine Architektur, die auch nach dem Einzug der Menschen weiterwachsen kann. 1972 nützt Hundertwasser eine Einladung zur populären Fernsehsendung „Wünsch Dir was“, um seinen Architekturzugang einer breiten Öffentlichkeit zu vermitteln. Am Modell einer grauen Zinskaserne demonstriert er seine Vision. Er nimmt das Satteldach ab und stellt stattdessen eine Struktur mit Grasdach und Bäumen über das Haus. Wortreich erklärt er, wie das funktionieren kann, und fügt dem Haus noch einen ebenfalls mit Gras überwachsenen Säulengang vor.
Als in den 1970er-Jahren die erfolgreiche Welttournee seiner künstlerischen Arbeiten beginnt, sind neben seiner bildnerischen Kunst auch Architekturmodelle vertreten. Gebaut wurden sie unter anderem von dem Filmarchitekten Peter Manhardt, der für den ORF, aber auch für den Architekten Karl Schwanzer arbeitete. Joram Harel, Hundertwassers Förderer und Manager, hatte seine Studioarchitektur für eine Sendung von Arik Brauer gesehen. Manhardt hat für Hundertwasser Machbarkeitsstudien seiner Architekturtypologien entwickelt, wie zum Beispiel das Augenschlitzhaus, das Spiralhaus, das Terrassenhaus oder das Grubenhaus. Als Hundertwasser in Neuseeland eine Farm mit weitläufiger, von Abholzung gezeichneter Landschaft erwirbt, ergibt sich die Möglichkeit, das erste Haus zu realisieren. Ein bestehender Kuhstall bekommt ein Humusdach und Wände, in die gebrauchte Flaschen eingesetzt sind. Das 1979 errichtete „Bottle House“ entsteht aus vorgefundenen, lokalen Materialien und gab der Natur den Platz des Bauwerks zurück. Über viele Jahre forstet Hundertwasser die kahlen Wiesen mit Tausenden Bäumen wieder zu einem Mischwald auf. Für den urbanen Kontext entwickelt er ab 1973 die schräg aus dem Haus ragenden „Baummieter“. Sie bezahlen ihre Miete mit Sauerstoff und sollten den Humus von Hundertwassers Humustoilette nutzen. Auch dazu gibt es ein Manifest, aus dem die bekannte Formulierung „Scheiße ist Gold“ stammt, sowie eine Gebrauchsanleitung zum Selbstbau und die Frage: „Warum urinieren wir und scheißen wir in einen einzigen Behälter, wo unser Verdauungssystem vorher beides sorgfältig trennt? Diese Trennung muss doch einen Sinn haben?“ Für den Urin erdachte er gemeinsam mit seinem Freund, dem Biologen Bernd Lötsch, eine Pflanzenkläranlage. Dass diese künstlerisch/wissenschaftliche Forschung keine Spinnerei war, zeigt sich heute, mehr als 40 Jahre später, am Interesse von Paris, die Stadterweiterungsgebiete zukünftig mit Urinseparation zu konzipieren. Der Grund ist die Überdüngung der Meereseinmündung der Seine durch Stickstoff im Abwasser. Europa hat ungefähr 60 solcher Todeszonen in Küstennähe. Die Zeit der Humustoiletten wird auch noch kommen.
Hundertwasser sah seine Arbeit als eine Vorleistung für Massenkreativität und Befreiung von der Industriegesellschaft. Er träumte von einer abfallfreien Zukunft und demonstrierte lautstark für das Recht der Natur. Den von ihm geforderten „Friedensvertrag mit der Natur“ hat die Weltgemeinschaft bislang nicht unterschrieben, noch immer dominieren kurzfristige wirtschaftliche Interessen der reichen Länder über das Wohl des Planeten. Für die Natur zu kämpfen und für eine natur- und menschengerechte Gestaltung einzutreten ist Friedensreich Hundertwassers philosophisches Vermächtnis an Design und Architektur.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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