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Das Glück ist (k)ein Auto
Spectrum

Auf dem Weg zu einer kohlenstoffneutralen Gesellschaft halten wir am alten Mythos der Freiheit fest. In Peking ist das Recht auf individuelle Mobilität Glückssache: Autokennzeichen werden verlost oder versteigert. Elektrische Lasten- und Dreiräder, Fahrradtaxis, Rikschas: die Zukunft?

14. September 2019 - Harald Gründl
Peking ist nicht unbedingt die Stadt, die einem sofort einfällt, wenn es um zukunftsweisende Mobilitätslösungen geht. Eher dann schon Städte wie Kopenhagen, in denen beispielsweise der Fahrradverkehr eine hohe Priorität haben. Peking ist bekannt für den Smog, der manchmal so extrem ist, dass die gegenüberliegende Straßenseite nicht mehr erkennbar ist. Oder für die Verkehrsstaus auf den mehrspurigen Verkehrsadern in den Hauptverkehrszeiten. Als Ultima Ratio muss in Peking die Hälfte der Verkehrsteilnehmer auf Mobilität verzichten, um den Smog auf ein erträgliches Maß zu reduzieren. Das Recht auf individuelle Mobilität in Form eines Autokennzeichens ist ebenfalls Glückssache, diese werden verlost oder versteigert. Das Fahrradfahren wurde von privaten Verleihfirmen zum großen Geschäft erklärt, als Kollateralschaden liegen Berge von Fahrradleichen in der Stadt herum. Teil des Problems und leider nicht der Lösung sind die Autoexporte der europäischen Autoindustrie: schwer, ressourcenintensiv und fossil angetrieben. Es sind Statusobjekte und nicht taugliche zukunftsweisende Mobilitätslösungen.

Der Standard beim Luxuswagen sind mittlerweile vier Auspuffrohre – vor nicht allzu langer Zeit galt noch das Doppelrohr als ausreichend sportlich. Eine kleine Gruppe von Enthusiasten packte früher zu große Räder mit Aluminium-Sportfelgen in die zu kleinen Radkästen, verzierte die Auspuffenden mit Chromeinfassungen, motzte den Motor auf und entfernte den Schriftzug des Fahrzeugs. Auf der Wiese traf man sich dann einmal im Jahr und ließ sich für die Kreativität am Mittelklassewagen bewundern. Heute ist die Aufwertung des Fahrzeugs im digitalen Konfigurator beim Kauf schon ausgepreist. Erstaunlich oft erblickt man im Straßenverkehr in allen Fahrzeugklassen das rote „R“ auf dem Heck, auf dem Frontgrill oder auf der Seite: „R“ wie „Racing“.

Natürlich muss so viel Sportlichkeit von den Designabteilungen auch visuell in Szene gesetzt werden. Mit viel Liebe und Leidenschaft werden die Öffnungen, wo die klimaschädlichen Emissionen wie Kohlendioxid oder Feinstaub emittiert werden, wie wahre Designkunstwerke inszeniert. Man könnte die Schmuckstücke, die den Auspuff krönen, auch um die Handgelenke tragen. Die Autozulieferindustrie ermöglicht diese Verzierungen mit hoch entwickelter Logistik. Man muss das Auto nach dem Kauf nicht mehr zum Karosserieschneider bringen. Alles passiert schon im Fertigungstakt und just in time. Die Stoßfänger eines Autos sind in Zeiten von Sensoren und Digitali–sierung sowieso der ursprünglichen Funktion enthoben und dienen ausschließlich als in Wagenfarbe mitlackiertes Designelement, das bei funktionsgerechter ursprünglicher Benutzung zum Nachlackieren in die Werkstatt muss.

Design in Zeiten der Klimakrise sollte sich anderen Themen widmen. Die Auspuffverschönerung ist allerdings symptomatisch für unsere Zeit, in der wir den Übergang zu einer kohlenstoffneutralen Gesellschaft noch nicht ausreichend eingeleitet haben und anstatt neuer Bilder und Geschichten am alten Mythos festhalten.

Die Werbung inszeniert unsere Mobilitätsbedürfnisse als das Recht auf Dominanz, Sportlichkeit und Status. Die Politik unterstützt diese zweifelhaften Konsumbedürfnisse und bewahrt die Berufspendler vor einer CO2-Steuer. Nicht einmal der Betrug bei den gefälschten Abgaswerten hat unseren Glauben an diese Mobilitätsreligion erschüttert. Die falschen Prediger werben weiterhin ganzseitig auf den Hochglanzseiten und appellieren an unsere falschen Triebe. Während bei Alkohol und Zigaretten zur Vernunft und mit den Auswirkungen gemahnt wird, darf Autowerbung weiter ohne einen Warnhinweis wie diesen werben: „Die Produktion dieses Autos verursacht zehn Tonnen Kohlenstoffdioxid. Das ist ihr persönliches CO2-Budget für die nächsten zehn Jahre“. Oder unter der Autowerbung wäre ein Schockbild von Peking im Smog mit dem Warnhinweis platziert: „Autofahren verursacht Umweltschäden und Asthma.“ Zurück in Peking. Wir wünschen uns in Europa sicherlich keine Öko-Diktatur, doch das Verbot von umweltschädlichen Zweitaktmotoren hat eine Vielzahl alternativer Elektrofahrzeuge auf die Straßen Pekings gebracht, zum größten Teil Dreiräder. Auf großen Durchzugsstraßen gibt es auch einen durch Beton- oder Metallsperren eingerichteten Fahrstreifen, auf dem man vor den Autos geschützt mit Fahrrädern oder Elektrodreirädern gut vorankommt. Den Fahrstreifen nutzen vor allem Elektro-Dreiräder, die zum Teil ganz beachtliche Mengen an Lasten transportieren.

Die „letzte Meile“ ist auch bei uns ein Thema, und Lastenfahrräder sind schon ein gewohntes Bild im Straßenverkehr. Zumeist sitzen aber Kinder vorne drinnen und keine Kühlschränke oder andere Güter, die sonst im Lastwagen ausgeliefert werden. Vereinzelt verwenden auch Paketdienste, Biokistenlieferanten und Essenszusteller Lastenräder. Die geringe Anzahl lässt entweder auf Greenwashing oder Pilotprojekte schließen. Wenn der digitale Einkauf jedes Mal einen Fahrradboten mit Lastenrad aktiviert, dann müssen wir jedenfalls auch über unsere zukünftigen Einkaufsgewohnheiten nachdenken. Eventuell wäre es besser – so wie das in Wien-Aspern schon der Fall ist –, ein Lastenrad selbst auszuleihen und zu verwenden. Ein klug etabliertes Servicekonzept wäre hier eher die Lösung als der individuelle Kauf eines recht teuren und nicht immer benötigten Lastendrahtesels.

Dreiräder gehören mittlerweile auch zum touristischen Stadtbild als Fahrradtaxi. Sie dürfen selbst in Zonen ihre Dienste anbieten, in denen andere Verkehrsteilnehmer auf Rädern ausgeschlossen bleiben. Die Möglichkeit, zusätzlich Identität für den Ort zu stiften, wird hier nicht genutzt, zumeist stehen dieselben Modelle in den größeren Tourismusdestinationen herum und sind vor allem eine Fläche für Werbung, wo sonst Werbung keinen Platz hätte.

In der Prater Hauptallee in Wien können sich Erholungssuchende Fahrradrikschas ausborgen. Während im Auto die Menschen meist griesgrämig und allein herumkutschieren, sind die Vehikel ein Spaß für die ganze Familie oder für Freundesgruppen. Lachen und gute Laune statt Verkehrsstau und Aggression. Warum fahren die nicht auch sonst in der Stadt herum? Es bedarf keiner großen Fantasie, dass leichte, einfache und ressourcenschonende Vehikel die Zukunft des Verkehrs in der Stadt wären. Dann braucht es noch eine gesellschaftliche Dynamik, die zukunftsweisenden Mobilitätskonzepten einen sicheren Platz im Straßenverkehr verschafft. Denn die oft engen Radspuren werden nicht ausreichen, um auch die Herausforderung des Waren- und Personenverkehrs in der Stadt zu lösen. Ein generelles Tempolimit von dreißig Kilometer pro Stunde sollte in der Stadt der Zukunft ausreichen, um überall und schnell mit den Elektroleichtfahrzeugen hinzukommen.

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