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„Häuser befreien und bewohnen“
Gemeinwohl in der Architektur? Mittels geborgten Gelds werden Wohnprojekte vom Markt freigekauft. Eine reelle Alternative zu Kommunalbau und Immobilienspekulationen: das erste Wiener Neubauprojekt des Mietshäuser Syndikats „Habitat“.
3. November 2019 - Harald Gründl
An dieser Stelle steht oft der Bericht einer fertiggestellten Architekturaufgabe. An dieser Stelle steht nun ein Bericht über die gelungene Finanzierung eines Gebäudes, das gerade in Bau ist. Es sticht durch eine alternative Haltung und Finanzierungstaktik heraus, die dem Paradigma des Immobilieninvestments aus Gewinnstreben diametral entgegensteht. So richtete sich die Baugruppe in einem Inserat an private Investoren, um ein Großprojekt zu realisieren, für das eine Teilnahme auch ohne individuelles Vermögen möglich sein sollte: „Borg uns dein Geld! Die Baugruppe Bikes and Rails errichtet das erste Neubauprojekt im ,Habitat‘, dem Mietshäuser Syndikat in Österreich. Am Wiener Hauptbahnhof entsteht ein Passivhaus mit 18 Mietwohnungen, Flüchtlinge-Willkommen-WG, Gemeinschaftsdachterrasse, Veranstaltungsraum, Radwerkstatt, Proberaum und Grätzelcafé. Das Mietshaus wird der Verwertung auf dem Immobilienmarkt entzogen und sichert selbstverwalteten und bezahlbaren Wohn-, Arbeits- und Kulturraum für viele Generationen.“
Würden Sie diesem Projekt zwischen 500 und 50.000 Euro borgen? Würden Sie auf Zinsen verzichten oder das Maximum von versprochenen zwei Prozent Zinsen ohne Zinseszinsen eingehen? Wäre Ihnen das Risiko für einen Totalausfall des geborgten Geldes zu hoch? Was halten Sie von einer Gruppe, die den Wohnbau mit folgenden Aussagen herausfordert? „Wir finden, Wohnen ist ein Menschenrecht und keine Ware. Daher soll unser Haus dem Immobilienmarkt für alle Zeiten entzogen und als bezahlbarer Freiraum abgesichert werden.“ Es fanden sich ausreichend Menschen, die das Projekt mit Direktkrediten in Höhe von 1,5 Millionen Euro unterstützt haben. Über dem gefüllten Finanzierungsbalken prangt der Slogan: „Solidarität schafft Raum!“
Mit diesem „Eigenkapitalanteil“ von 30 Prozent konnten die 50 Prozent Bankdarlehen und weitere 20 Prozent städtische Wohnbaudarlehen beschafft werden, insgesamt über fünf Millionen Euro. Das Haus ist in Bau, die Dachgleiche gefeiert, es wird Anfang nächsten Jahres bezogen. Einiges Geld kommt aus dem Umfeld der Baugruppe, aber eben nicht nur. Workshops, Vorträge, Inserate, Social-Media-Arbeit, Podiumsteilnahmen und Infostände bei Straßenfesten und öffentlichen Veranstaltungen haben das Projekt bekannt gemacht. Mehr als die Hälfte des Geldes wurde so lukriert.
Das Know-how dieses alternativen Finanzierungsprojektes kommt aus Deutschland. Dort zeigt das Mietshäuser Syndikat seit fast 30 Jahren und in rund 150 Hausprojekten, dass es Alternativen zu herkömmlichen Realisierungsformen von Mietobjekten gibt. Häuser „befreien und bewohnen“ ist das Motto. In dieser von Gemeinwohl und Solidarität getragenen Grundstimmung borgen Menschen für eine selbst gewählte Zeitdauer einem Wohnprojekt Geld, um es vom Markt freizukaufen. Für das Projekt in Wien kann das geborgte Geld jederzeit zurückverlangt werden. Mit einer Verzögerung von maximal sechs Monaten hat man es wieder auf dem Konto. Um einen „Bankensturm“ zu vermeiden, bei dem zu viele Direktkreditgeber gleichzeitig ihr Geld zurückwollen, gibt es eine Vertragsklausel, mit der die Rückzahlung zeitlich angepasst werden kann, um das Projekt vor einer Insolvenz zu schützen.
Der österreichische Ableger des deutschen Mietshäuser Syndikats, dessen Wurzeln in der Hausbesetzerszene in Freiburg liegen, heißt „Habitat“. Die Linzer Baugruppe „Willy-Fred“ hat das Modell nach Österreich gebracht. In nur drei Monaten war eine Million Euro gesammelt, um ein Objekt in zentraler Lage in Linz dem Immobilienmarkt zu entziehen. Das Modell setzt sich aus dem Dachverein „Habitat“ und einem Hausverein, in dem das Bauprojekt selbst organisiert wird, zusammen. Gemeinsam gründen sie die jeweilige Haus-GmbH. Der Dachverein hat 49 Prozent an der Haus-GmbH und fungiert als Wächterorganisation, der Rest der Anteile gehört dem Hausverein. Ein Vetorecht von „Habitat“ gegen einen Verkauf der Immobilie sichert die Idee der Bewegung für die Zukunft. Die Finanzierung wird mit internen und externen Unterstützern kollektiv und solidarisch organisiert. Die Initiatoren eines solchen Mietprojektes können, müssen aber also keinen Eigenkapitalanteil einbringen. Was sie einbringen, sind der Wunsch nach Selbstbestimmung im Wohnen und der Verzicht auf Privateigentum im Abtausch mit dem Recht auf leistbaren Wohnraum und umfassende Gestaltungsfreiheit im Nutzungseigentum. Was sie auch einbringen, ist der Wille, leistbares Wohnen nicht dem Markt oder der Kommunalpolitik allein zu überlassen, sondern selbst tätig zu werden und den gewünschten Wohnraum in der gewünschten Qualität selbst zu verantworten.
Ein Werteverständnis eint die „Habitat“-Projekte, das sich auf Inklusion, Selbstverwaltung und Solidarität gründet. Das Nutzungseigentum wird über den Wunsch nach dem Eigenheim gestellt. Das Gemeinwohl in der Architektur mutet utopisch an. Und doch stellt es eine gangbare Alternative zu paternalistischem Kommunalbau und Immobilienspekulationen dar. Damit die Zukunft gelingt, braucht es Alternativen. Das Modell des Mietshäuser Syndikats stellt eine dar, die das kapitalistische System nutzt, um seine Gegenhaltung dazu zu realisieren: „The basic idea of ,Habitat‘ – this is about acting in a capitalist system and how to abuse its methods.“
Damit so ein Pilotprojekt gelingt, braucht es nicht nur eine avancierte Baugruppe, der in dem Fall auch die Stadtforscher Elke Rauth und Christoph Laimer angehören, sondern auch die Kommunalpolitik, die auf dem Hauptbahnhofgelände in Wien vier Bauplätze mit einem leistbaren Grundpreis an Baugruppen vergeben hat. Dann braucht es eine Gruppe von neuen, privaten Investoren, die nicht nur aus der Zielgruppe von „Freunden und Familie“ stammt, sondern Alternativen für die Stadt im Sinne des Gemeinwohls mit einem Direktkredit unterstützt. Und schließlich musste eine Bank gefunden werden, die das antikapitalistische Unterfangen mit einem langfristigen Kredit zu angemessenen Konditionen unterstützt hat. Keine leichte Aufgabe in einem Land, in dem das Projekt „Bank für Gemeinwohl“ nicht in dem projektierten Umfang umgesetzt werden konnte und die Banklizenz nicht erteilt wurde. Gefunden wurde eine Bank, die einen Geschäftsbereich besitzt, der mit gemeinwohlorientierten Vereinen und der Finanzierung von Projekten der Kirche Erfahrung hat.
Die anfängliche Skepsis konnte in vielen Gesprächen ausgeräumt werden, das Bankdarlehen wurde gegeben, bei der Dachgleichenfeier standen auch die Banker stolz auf dem Dach und stießen mit den Initiatoren auf das Modellprojekt an. Ein positiver Wandel gegen die Immobilienspekulation kann gelingen: mit Banken, die Gemeinwohl unterstützen, einer Zivilgesellschaft, die ihr Geld für im Schnitt ein Prozent herleiht, und Menschen, die sich in Baugruppen und als Mieter organisieren.
Würden Sie diesem Projekt zwischen 500 und 50.000 Euro borgen? Würden Sie auf Zinsen verzichten oder das Maximum von versprochenen zwei Prozent Zinsen ohne Zinseszinsen eingehen? Wäre Ihnen das Risiko für einen Totalausfall des geborgten Geldes zu hoch? Was halten Sie von einer Gruppe, die den Wohnbau mit folgenden Aussagen herausfordert? „Wir finden, Wohnen ist ein Menschenrecht und keine Ware. Daher soll unser Haus dem Immobilienmarkt für alle Zeiten entzogen und als bezahlbarer Freiraum abgesichert werden.“ Es fanden sich ausreichend Menschen, die das Projekt mit Direktkrediten in Höhe von 1,5 Millionen Euro unterstützt haben. Über dem gefüllten Finanzierungsbalken prangt der Slogan: „Solidarität schafft Raum!“
Mit diesem „Eigenkapitalanteil“ von 30 Prozent konnten die 50 Prozent Bankdarlehen und weitere 20 Prozent städtische Wohnbaudarlehen beschafft werden, insgesamt über fünf Millionen Euro. Das Haus ist in Bau, die Dachgleiche gefeiert, es wird Anfang nächsten Jahres bezogen. Einiges Geld kommt aus dem Umfeld der Baugruppe, aber eben nicht nur. Workshops, Vorträge, Inserate, Social-Media-Arbeit, Podiumsteilnahmen und Infostände bei Straßenfesten und öffentlichen Veranstaltungen haben das Projekt bekannt gemacht. Mehr als die Hälfte des Geldes wurde so lukriert.
Das Know-how dieses alternativen Finanzierungsprojektes kommt aus Deutschland. Dort zeigt das Mietshäuser Syndikat seit fast 30 Jahren und in rund 150 Hausprojekten, dass es Alternativen zu herkömmlichen Realisierungsformen von Mietobjekten gibt. Häuser „befreien und bewohnen“ ist das Motto. In dieser von Gemeinwohl und Solidarität getragenen Grundstimmung borgen Menschen für eine selbst gewählte Zeitdauer einem Wohnprojekt Geld, um es vom Markt freizukaufen. Für das Projekt in Wien kann das geborgte Geld jederzeit zurückverlangt werden. Mit einer Verzögerung von maximal sechs Monaten hat man es wieder auf dem Konto. Um einen „Bankensturm“ zu vermeiden, bei dem zu viele Direktkreditgeber gleichzeitig ihr Geld zurückwollen, gibt es eine Vertragsklausel, mit der die Rückzahlung zeitlich angepasst werden kann, um das Projekt vor einer Insolvenz zu schützen.
Der österreichische Ableger des deutschen Mietshäuser Syndikats, dessen Wurzeln in der Hausbesetzerszene in Freiburg liegen, heißt „Habitat“. Die Linzer Baugruppe „Willy-Fred“ hat das Modell nach Österreich gebracht. In nur drei Monaten war eine Million Euro gesammelt, um ein Objekt in zentraler Lage in Linz dem Immobilienmarkt zu entziehen. Das Modell setzt sich aus dem Dachverein „Habitat“ und einem Hausverein, in dem das Bauprojekt selbst organisiert wird, zusammen. Gemeinsam gründen sie die jeweilige Haus-GmbH. Der Dachverein hat 49 Prozent an der Haus-GmbH und fungiert als Wächterorganisation, der Rest der Anteile gehört dem Hausverein. Ein Vetorecht von „Habitat“ gegen einen Verkauf der Immobilie sichert die Idee der Bewegung für die Zukunft. Die Finanzierung wird mit internen und externen Unterstützern kollektiv und solidarisch organisiert. Die Initiatoren eines solchen Mietprojektes können, müssen aber also keinen Eigenkapitalanteil einbringen. Was sie einbringen, sind der Wunsch nach Selbstbestimmung im Wohnen und der Verzicht auf Privateigentum im Abtausch mit dem Recht auf leistbaren Wohnraum und umfassende Gestaltungsfreiheit im Nutzungseigentum. Was sie auch einbringen, ist der Wille, leistbares Wohnen nicht dem Markt oder der Kommunalpolitik allein zu überlassen, sondern selbst tätig zu werden und den gewünschten Wohnraum in der gewünschten Qualität selbst zu verantworten.
Ein Werteverständnis eint die „Habitat“-Projekte, das sich auf Inklusion, Selbstverwaltung und Solidarität gründet. Das Nutzungseigentum wird über den Wunsch nach dem Eigenheim gestellt. Das Gemeinwohl in der Architektur mutet utopisch an. Und doch stellt es eine gangbare Alternative zu paternalistischem Kommunalbau und Immobilienspekulationen dar. Damit die Zukunft gelingt, braucht es Alternativen. Das Modell des Mietshäuser Syndikats stellt eine dar, die das kapitalistische System nutzt, um seine Gegenhaltung dazu zu realisieren: „The basic idea of ,Habitat‘ – this is about acting in a capitalist system and how to abuse its methods.“
Damit so ein Pilotprojekt gelingt, braucht es nicht nur eine avancierte Baugruppe, der in dem Fall auch die Stadtforscher Elke Rauth und Christoph Laimer angehören, sondern auch die Kommunalpolitik, die auf dem Hauptbahnhofgelände in Wien vier Bauplätze mit einem leistbaren Grundpreis an Baugruppen vergeben hat. Dann braucht es eine Gruppe von neuen, privaten Investoren, die nicht nur aus der Zielgruppe von „Freunden und Familie“ stammt, sondern Alternativen für die Stadt im Sinne des Gemeinwohls mit einem Direktkredit unterstützt. Und schließlich musste eine Bank gefunden werden, die das antikapitalistische Unterfangen mit einem langfristigen Kredit zu angemessenen Konditionen unterstützt hat. Keine leichte Aufgabe in einem Land, in dem das Projekt „Bank für Gemeinwohl“ nicht in dem projektierten Umfang umgesetzt werden konnte und die Banklizenz nicht erteilt wurde. Gefunden wurde eine Bank, die einen Geschäftsbereich besitzt, der mit gemeinwohlorientierten Vereinen und der Finanzierung von Projekten der Kirche Erfahrung hat.
Die anfängliche Skepsis konnte in vielen Gesprächen ausgeräumt werden, das Bankdarlehen wurde gegeben, bei der Dachgleichenfeier standen auch die Banker stolz auf dem Dach und stießen mit den Initiatoren auf das Modellprojekt an. Ein positiver Wandel gegen die Immobilienspekulation kann gelingen: mit Banken, die Gemeinwohl unterstützen, einer Zivilgesellschaft, die ihr Geld für im Schnitt ein Prozent herleiht, und Menschen, die sich in Baugruppen und als Mieter organisieren.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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