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Was heißt da „Design“?
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Design ist in Österreich ein freies Gewerbe. Es ist jedoch so wenig attraktiv, dass zahlreiche Industrial Designer ihr Geschäft lieber als Werbeagentur ausweisen. Eine Umschau.

19. September 2020 - Harald Gründl
„Es gibt Berufe, die mehr Schaden anrichten als der des Industriedesigners, aber viele sind es nicht.“ So fängt das Buch „Design for the Real World“ (1970) von Viktor Papanek an, eine visionäre Rhetorik zum notwendigen sozialen Wandel und zu der sich daraus verändernden Rolle von Designschaffenden. Heute, 50 Jahre später, ist unser Ressourcenverbrauch durch unseren Lebensstil derart angewachsen, dass der „World Overshoot Day“ für Österreich heuer auf den 8. April gefallen ist. Wir leben so, als hätten wir drei Erden, von denen wir Ressourcen beziehen können, und deren Wälder und Meere unsere CO2-Eskapaden in Biomasse umwandeln würden. Unser Lebensstil ist nicht zukunftsfähig, und eigentlich wäre es eine lohnende Aufgabe, einfach alle Aspekte unseres Lebens neu zu entwerfen.

So wie das Design der 1970er inspiriert war durch den neuen Werkstoff Plastik, der die Designikonen des neuen Lebensgefühls ermöglichte, so müssten wir heute ein neues Lebensgefühl gestalten, das ohne fossile Werkstoffe und Energien auskommt. Eine Wirtschaft, die nicht linear ist, sondern in biologischen und technischen Kreisläufen funktioniert. Dazu braucht es gänzlich andere Konzeptionen von Produkten und auch eine Veränderung der Geschäftsmodelle in der Wirtschaft. Design ist ein wichtiger Begleiter und Ideengeber dieser kommenden industriellen Revolution, die die Europäische Union als „Green Deal“ ausgerufen hat. CO2-Neutralität bis 2050 als Designherausforderung einer letzten Designgeneration vor dem Klimakollaps.

Design ist in Österreich ein freies Gewerbe. Es ist so wenig attraktiv, dass zahlreiche österreichische Staatspreisträger für Design lieber als „Werbeagentur“ ihre wirtschaftliche Tätigkeit legitimieren. Das entbehrt nicht einer gewissen Komik, denn für Papanek war nur noch die Werbung schlimmer als das Industrial Design. Warum ist das Designgewerbe für die führenden Designstudios des Landes nicht attraktiv? Die Antwort liegt wohl in der von Partikularinteressen getriebenen Formulierung im Gewerberecht: „Entwurf der äußeren Form von Produkten nach rein optischen und geschmacklichen Gesichtspunkten ohne konstruktive Planungstätigkeit unter Ausschluss jeder einem reglementierten Gewerbe, insbesondere den Ingenieurbüros (beratende Ingenieure), vorbehaltene Tätigkeit (Design).“ Auf Nachfrage, was man damit tun kann, habe ich folgende Erklärung bekommen: „Damit können Sie Krawattenmuster designen.“ Nicht gerade ein Weltrettungsgewerbe. Der vollständige Gewerbewortlaut von Werbeagenturen lautet: „Werbeagentur“ – Punkt. Keine Restriktionen auf Geschmack und Optik. Keine Drohungen von der Ingenieurskammer. Es ist ein Metier, in dem Branding, Markenentwicklung, Strategiebildung, Recherche und Innovation selbstverständlicher Teil der Aufgabenstellungen sind.

Österreichs Kunstuniversitäten in Linz und Wien bilden gemeinsam mit der Fachhochschule in Graz seit Jahrzehnten die Akteure des Industrial Designs aus. Industrial Design ist in Wien und Linz ein ingenieurwissenschaftliches Studium, in Graz ein Kunststudium. Den schönsten Titel bekommt man in Wien: „Magistra designationis industrialis“ beziehungsweise „Magister designationis industrialis“, abgekürzt jeweils „Mag. des. ind.“, in Linz wird man Diplomingenieur oder -ingenieurin (DI), in Graz Master of Arts and Design. Alle Studien heißen „Industrial Design“, die Professoren haben einen unterschiedlichen Zugang zur gewerberechtlichen Frage. Ganz im Sinne von Papanek meint der Grazer Professor Thomas Feichtner: „Grundsätzlich soll jeder, der sich dazu berufen fühlt, auch Produkte gestalten können. Ich kenne kaum Industrial Designer, die nicht studiert haben. Daraus folgere ich, dass die Berufsbezeichnung Industrial Designer nicht missbräuchlich verwendet wird.“

Thomas Feichtner ist Staatspreisträger für Design (Geschmacksgüter); im gleichen Jahr (2011) hat sein Professorenkollege in Linz ebenfalls einen Staatspreis (Konsumgüter) mit seinem Designstudio Formquadrat erhalten. Mario Zeppetzauer sieht die Situation kritisch: „Die Wahlmöglichkeiten, die für eine Gewerbeanmeldung seitens der WKO bestehen, sind unzureichend. Es wird somit individuell das Gewerbe mit der geringsten Abweichung gewählt. Es passt daher weder für Industrial Designer noch für die Orientierung der Kunden.“ Die beiden Professoren sind als Werbegrafikdesigner und Werbeagentur bei der Wirtschaftskammer registriert. Dabei gäbe es für die höchst anspruchsvollen Studienabschlüsse im Industrial Design auch die Möglichkeit, als Ingenieurbüro für Industriedesign ein reglementiertes Gewerbe auszuüben. In Österreich sind nur 27 solcher Büros tätig. Designer berechnen eher nicht die Schönheit und möchten für Produkthaftungsfragen nicht belangt werden. Das ist auch nicht, was die Industrie von Designstudios abfragt.

Bleibt noch die Kunst. Der Vorteil: keine Zwangsmitgliedschaft, die Kunst ist frei. Die Kreativwirtschaft Austria (KAT) hat mit dem Ratgeber „Das Handwerk der Kreativen“ die selbst verschuldete Misere gut beschrieben: „Viele Tätigkeiten in der Kreativwirtschaft sind an eine Gewerbeberechtigung gebunden, wobei die Zuordnung besonders bei neuen Geschäftsmodellen nicht immer eindeutig ist und Graubereiche existieren. Produktdesign ist so ein Fall.“ Wie wäre es, wenn sich die Interessensvertretungen der Kreativen, und hier ist auch Designaustria, der Berufsverband der Designer, gemeint, endlich um eine zeitgemäße und zukunftsorientierte Formulierung von Industrial Design kümmern würde?

Laut dem Ministerium für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort wird mit dem Staatspreis Design „der hohen gesellschaftspolitischen und kulturellen Relevanz von Design Rechnung getragen“. Der Gewerbeschein für Design verhöhnt diese Behauptung als Lizenz zum Behübschen. Professor Stefan Diez leitet das Studium Industrial Design (ID1) in Wien. Er möchte das Thema Kreislaufwirtschaft langfristig im Fachbereich verankern. „Der Umbau der linearen hin zu einer Kreislaufwirtschaft ist zweifelsfrei eine der größten Herausforderung unserer Generation: Gleichzeitig haben Designer heute gerade wegen einer überwiegend outgesourcten Produktion einen so großen Einfluss wie nie zuvor darauf, wie Produkte konzipiert, wo, mit was und wie diese hergestellt werden.“ In Graz wird dem Paradigmenwechsel in der Wirtschaft durch die Vertiefung „Eco-Innovative Design“ schon Rechnung getragen. Der Schwerpunkt wird von Ursula Tischner, einer Pionierin des Eco-Designs, betreut.

Im Vorwort zur bundeseinheitlichen Liste der freien Gewerbe gibt es noch einen versöhnlichen Ratschlag für alle Designrebellen: Wenn nichts Passendes zu finden ist, dann kann man auch neue Wortlaute bilden. Das wird auch nötig sein!

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