Bauwerk
Einfamilienhaus Rüscher
Dietrich | Untertrifaller - Schnepfau (A) - 1998
Da eine Ecke, dort ein Prisma
Einheitliche Gestaltung: Diese fixe Idee verhinderte Jahrzehnte hindurch eine rationale Auseinandersetzung mit dem Thema „Ortsbild“. Einen nicht zu übergehenden Beitrag zur nun laufenden Diskussion stellt Helmut Dietrichs Wohnhaus in Schnepfau dar.
15. April 2000 - Walter Zschokke
Mobilisierung und elektronische Medien haben im vergangenen Jahrzehnt den Gegensatz Stadt-Land relativiert. Das Bildungsprivileg der Stadt vor dem Land ist schon früher gefallen. „Land“ ist also nicht mehr eine rein landwirtschaftlich bestimmte Gegend, auch wenn im Sommer weiterhin Kornfelder wogen und schattige Wälder rauschen. Romantischen Projektionen stehen neue Realitäten gegenüber, und so ist es auch vorbei mit schematisch-starren Vorstellungen, wie so ein Ortsbild auszusehen habe oder angestückelt werden soll.
Die im Rhythmus von fünf bis zehn Jahren wechselnden Moden äußerer Gestaltung von Häusern haben die Versuche, mittels detaillierter Bestimmungen in Bebauungsplänen ein einheitliches Bild zu erzwingen, allesamt scheitern lassen. Denn fixe Regeln, von noch so gescheiten Analytikern aufgestellt, können nicht garantieren, daß andere, die sie anwenden, auch vernünftige Produkte zustande bringen. Eine diesbezügliche falsche Hoffnung hat jahrzehntelang die Köpfe beherrscht. Im Kulturbereich - das gilt auch für die Architektur - ist das Anstreben von Qualität nicht delegierbar.
Das normale Bauen böte wenig Probleme, wenn keine falschen Ansprüche erhoben würden. Aber der oder die Entwerfer müßten wissen, in welcher Liga mitzuspielen sie Rüstzeug und Erfahrung mitbringen.
Beim Vorstoßen in den Bereich der Architektur, die wir als die Kunstform des Bauens ansprechen wollen, gilt eine Aussage von Klaus-Jürgen Bauer, der als Architekt mit Qualifikationen in Architekturtheorie in Eisenstadt ein Atelier führt: „Architektur unterliegt heute überall, ob Kapitale oder Provinz, denselben Qualitätsmaßstäben“, beschied er vom Podium einer Veranstaltung in Krems, organisiert von den „ländlichen“ Architekturhäusern Burgenlands, Kärntens und Niederösterreichs zum Thema Ortsbild.
Das heißt, es gibt keinen Peripheriebonus mehr. Das entbindet die jeweils Beteiligten dümmlich tümelnder Bauweisen. Aber es zwingt zu einem Anheben der Bestellqualität auf Bauherrenseite.
Schnepfau, ein Dorf im Bregenzerwald. Locker liegt es hingestreut am südexponierten Rand des Talbodens, einer nutzbar gemachten Au der Bregenzer Ach. Im Süden ragt die Kanisfluh mächtig in den Himmel. Der kleine Dorfkern befindet sich bei der Kirche, wo das Sträßchen über die Schnepfegg nach Bizau abzweigt. Am Fuß des dahinter ansteigenden Hanges fließt der Dorfbach. Auch wenn das behäbige Bauwerk des klassizistischen Pfarrhauses mit seinem altersgrauen Schindelschirm schon bessere Tage gesehen haben mag, bestimmt es mit seinem ruhigen Äußeren heute noch den Ort.
Westlich davor steht nun seit kurzem ein kleines Haus mit Holzfassade und Satteldach. Sein primäres Volumen besteht aus einem länglichen Quader. Das Dach weist eine Neigung von nur 20 Grad auf, der daher wenig betonte First verläuft in Längsrichtung.
Aber aus dem Volumen sind größere Teile ausgeschnitten: da eine Ecke, dort ein Prisma über die gesamte Länge. Und die verglasten Öffnungen bilden meist Fortsetzungen der Ausschnitte oder schließen diese als zurückgesetzte Trennebene klimatisch ab. Ins Auge fällt jedoch die äußere Hülle, deren Feingliedrigkeit ins Textile changiert. - Nun möchten wir natürlich wissen, wer das Bauwerk entworfen hat. Es ist dies Helmut Dietrich, geboren in Mellau, zwei Dörfer unterhalb Schnepfau, der zusammen mit Much Untertrifaller in Bregenz ein Architekturbüro führt. Von den beiden stammen die spektakuläre Erweiterung des Bregenzer Festspielhauses, einige Wohnanlagen, mehrere Kindergärten und zahlreiche Ein- und Zweifamilienhäuser. Von Dietrich sind auch feinsinnige Möbelentwürfe und Innenraumgestaltungen bekannt.
Das unter Mitarbeit von Marina Hämmerle entstandene neue Haus dient einem Ehepaar als Alterswohnsitz. Auf dem benachbarten Grundstück befindet sich das gut zehn Jahre früher entstandene erste Einfamilienhaus aus der Hand Helmut Dietrichs, das prototypisch für die damalige Entwicklung der Vorarlberger Baukultur steht. Die von ländlichen Nutzbauten übernommene, nobilitierte Vertikalschalung; die von leichten Irritationen aufgelockerte Symmetrie der Fassaden; die Elemente regionaler Baukultur, wie Satteldach und „Schopf“ - ein loggienartig eingezogener Außenraum, der oft dem Eingang vorgeschaltet wird -, all das stand und steht für ein kollektives Produkt der „Baukünstler“, das Vorarlberg über den Kreis Architekturinteressierter hinaus in der Welt bekannt gemacht hat.
Nun also ein weiteres Haus an demselben Ort nach einer ganzen Reihe von Häusern, die auf das Unterland und den Bregenzerwald verteilt sind. Seine äußerste Fassadenschicht besteht aus zahlreichen, extrem feinen, horizontal befestigten Leisten, die mattenartig unter dem knappen Dachüberstand herabzuhängen scheinen. Damit wird jeglicher Eindruck von Masse sublimiert; und auch das Holzige, wie es manchen Lamellenfassaden oder vertikalen Verbretterungen anhaftet, wird neutralisiert.
Der neuartige Effekt liegt irgendwo zwischen grobem Stoff und Rutengeflecht und ist durchaus vergleichbar dem eines Schindelschirms. Formale Zuspitzung und Verfeinerung zeichnen diese Hülle aus. Die reine Symmetrie bezieht sich nur mehr auf die prinzipielle Großform. Die Ansichten mit ausgeschnittenen Teilvolumen sind überhaupt nicht axialsymmetrisch.
Was jedoch durch sorgfältiges Abstimmen von Proportionen erreicht wurde, ist Ausgewogenheit. Und zwar eine Ausgewogenheit des Verhältnisses von offenen und geschlossenen Flächen, wobei es sich bei ersteren immer um Anschnitte handelt und letztere, ungelocht, jeweils von einem Polygonzug umschrieben werden können.
Diese Flächen sind ein Ganzes, Öffnungen bilden das „Andere“, ja zählen zum Umraum. Damit gelingt es, eine Identität von Fassadenwirkung und Raumgefüge zu erzielen, die nicht primär funktional, sondern zuerst architektonisch ist. Und das alles bleibt angenehm unaufgeregt.
Damit liegt Schnepfau nahe bei Bregenz, bei Vals, bei Luzern und anderswo, wo immer Architektur mit hohem Anspruch realisiert wurde und wird. Ganz nebenbei wurde das Ortsbild perfekt gepflegt und nachhaltig angereichert.
Die im Rhythmus von fünf bis zehn Jahren wechselnden Moden äußerer Gestaltung von Häusern haben die Versuche, mittels detaillierter Bestimmungen in Bebauungsplänen ein einheitliches Bild zu erzwingen, allesamt scheitern lassen. Denn fixe Regeln, von noch so gescheiten Analytikern aufgestellt, können nicht garantieren, daß andere, die sie anwenden, auch vernünftige Produkte zustande bringen. Eine diesbezügliche falsche Hoffnung hat jahrzehntelang die Köpfe beherrscht. Im Kulturbereich - das gilt auch für die Architektur - ist das Anstreben von Qualität nicht delegierbar.
Das normale Bauen böte wenig Probleme, wenn keine falschen Ansprüche erhoben würden. Aber der oder die Entwerfer müßten wissen, in welcher Liga mitzuspielen sie Rüstzeug und Erfahrung mitbringen.
Beim Vorstoßen in den Bereich der Architektur, die wir als die Kunstform des Bauens ansprechen wollen, gilt eine Aussage von Klaus-Jürgen Bauer, der als Architekt mit Qualifikationen in Architekturtheorie in Eisenstadt ein Atelier führt: „Architektur unterliegt heute überall, ob Kapitale oder Provinz, denselben Qualitätsmaßstäben“, beschied er vom Podium einer Veranstaltung in Krems, organisiert von den „ländlichen“ Architekturhäusern Burgenlands, Kärntens und Niederösterreichs zum Thema Ortsbild.
Das heißt, es gibt keinen Peripheriebonus mehr. Das entbindet die jeweils Beteiligten dümmlich tümelnder Bauweisen. Aber es zwingt zu einem Anheben der Bestellqualität auf Bauherrenseite.
Schnepfau, ein Dorf im Bregenzerwald. Locker liegt es hingestreut am südexponierten Rand des Talbodens, einer nutzbar gemachten Au der Bregenzer Ach. Im Süden ragt die Kanisfluh mächtig in den Himmel. Der kleine Dorfkern befindet sich bei der Kirche, wo das Sträßchen über die Schnepfegg nach Bizau abzweigt. Am Fuß des dahinter ansteigenden Hanges fließt der Dorfbach. Auch wenn das behäbige Bauwerk des klassizistischen Pfarrhauses mit seinem altersgrauen Schindelschirm schon bessere Tage gesehen haben mag, bestimmt es mit seinem ruhigen Äußeren heute noch den Ort.
Westlich davor steht nun seit kurzem ein kleines Haus mit Holzfassade und Satteldach. Sein primäres Volumen besteht aus einem länglichen Quader. Das Dach weist eine Neigung von nur 20 Grad auf, der daher wenig betonte First verläuft in Längsrichtung.
Aber aus dem Volumen sind größere Teile ausgeschnitten: da eine Ecke, dort ein Prisma über die gesamte Länge. Und die verglasten Öffnungen bilden meist Fortsetzungen der Ausschnitte oder schließen diese als zurückgesetzte Trennebene klimatisch ab. Ins Auge fällt jedoch die äußere Hülle, deren Feingliedrigkeit ins Textile changiert. - Nun möchten wir natürlich wissen, wer das Bauwerk entworfen hat. Es ist dies Helmut Dietrich, geboren in Mellau, zwei Dörfer unterhalb Schnepfau, der zusammen mit Much Untertrifaller in Bregenz ein Architekturbüro führt. Von den beiden stammen die spektakuläre Erweiterung des Bregenzer Festspielhauses, einige Wohnanlagen, mehrere Kindergärten und zahlreiche Ein- und Zweifamilienhäuser. Von Dietrich sind auch feinsinnige Möbelentwürfe und Innenraumgestaltungen bekannt.
Das unter Mitarbeit von Marina Hämmerle entstandene neue Haus dient einem Ehepaar als Alterswohnsitz. Auf dem benachbarten Grundstück befindet sich das gut zehn Jahre früher entstandene erste Einfamilienhaus aus der Hand Helmut Dietrichs, das prototypisch für die damalige Entwicklung der Vorarlberger Baukultur steht. Die von ländlichen Nutzbauten übernommene, nobilitierte Vertikalschalung; die von leichten Irritationen aufgelockerte Symmetrie der Fassaden; die Elemente regionaler Baukultur, wie Satteldach und „Schopf“ - ein loggienartig eingezogener Außenraum, der oft dem Eingang vorgeschaltet wird -, all das stand und steht für ein kollektives Produkt der „Baukünstler“, das Vorarlberg über den Kreis Architekturinteressierter hinaus in der Welt bekannt gemacht hat.
Nun also ein weiteres Haus an demselben Ort nach einer ganzen Reihe von Häusern, die auf das Unterland und den Bregenzerwald verteilt sind. Seine äußerste Fassadenschicht besteht aus zahlreichen, extrem feinen, horizontal befestigten Leisten, die mattenartig unter dem knappen Dachüberstand herabzuhängen scheinen. Damit wird jeglicher Eindruck von Masse sublimiert; und auch das Holzige, wie es manchen Lamellenfassaden oder vertikalen Verbretterungen anhaftet, wird neutralisiert.
Der neuartige Effekt liegt irgendwo zwischen grobem Stoff und Rutengeflecht und ist durchaus vergleichbar dem eines Schindelschirms. Formale Zuspitzung und Verfeinerung zeichnen diese Hülle aus. Die reine Symmetrie bezieht sich nur mehr auf die prinzipielle Großform. Die Ansichten mit ausgeschnittenen Teilvolumen sind überhaupt nicht axialsymmetrisch.
Was jedoch durch sorgfältiges Abstimmen von Proportionen erreicht wurde, ist Ausgewogenheit. Und zwar eine Ausgewogenheit des Verhältnisses von offenen und geschlossenen Flächen, wobei es sich bei ersteren immer um Anschnitte handelt und letztere, ungelocht, jeweils von einem Polygonzug umschrieben werden können.
Diese Flächen sind ein Ganzes, Öffnungen bilden das „Andere“, ja zählen zum Umraum. Damit gelingt es, eine Identität von Fassadenwirkung und Raumgefüge zu erzielen, die nicht primär funktional, sondern zuerst architektonisch ist. Und das alles bleibt angenehm unaufgeregt.
Damit liegt Schnepfau nahe bei Bregenz, bei Vals, bei Luzern und anderswo, wo immer Architektur mit hohem Anspruch realisiert wurde und wird. Ganz nebenbei wurde das Ortsbild perfekt gepflegt und nachhaltig angereichert.
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