Bauwerk

Neugestaltung eines Stadtviertels
Argent Group, St. George - Bloomsbury (GB) - 2015

Britanniens neues Tor nach Europa

Die Zugsanbindung an den Channel Tunnel ist nicht nur das erste große Bahnprojekt in Britannien seit mehr als einem Jahrhundert.

14. Juli 2001 - Brigitte Voykowitsch
An der Europaskepsis der Briten hat sich wenig geändert. Einen Beitritt zum Euro lehnen nach den während des jüngsten Wahlkampfes veröffentlichten Umfragen weiterhin zwei Drittel der Inselbewohner ab. Und auch vom „Kontinent“ jenseits des Ärmelkanals sprechen viele Briten gerne weiterhin so, als gehörten sie nicht dazu. Sie tun es dennoch und werden, unabhängig aller Identitätsdebatten, zumindest verkehrsmäßig bald noch enger mit diesem Europa verbunden sein. Binnen zwei Stunden und zwanzig Minuten wird Paris, in nur zwei Stunden Brüssel zu erreichen sein, wenn in einigen Jahren die Eurostarzüge vom Londoner Bahnhof St. Pancras aus ihre Fahrt antreten können.

Die Zugsanbindung an den Channel Tunnel ist nicht nur das erste große Bahnprojekt in Britannien seit mehr als einem Jahrhundert. Im Zuge seiner lange umstrittenen und 1996 schließlich vom Parlament per Gesetz genehmigten Realisierung wird es im Umfeld von St. Pancras und des gleich nebenan gelegenen Bahnhofs von King's Cross zu einer der seit langem weitreichendsten städtebaulichen Veränderungen in der britischen Hauptstadt kommen. Insgesamt sind Kosten von fünf Milliarden Pfund während der nächsten vierzehn Jahre veranschlagt.

Masterpläne für die Neugestaltung des Viertels im Nordosten von Bloomsbury hat es schon eine ganze Reihe gegeben, der bekannteste stammte von Stararchitekt Sir Norman Foster aus den 80er-Jahren. Doch der zog sich angesichts der damals end- und auch aussichtslos scheinenden Debatten um das Für und Wider des Projekts schließlich zurück. Als im Vorjahr dann die Argent Group und St. George den definitiven Auftrag für das Stadtprojekt erhielten, hatten sich die Anforderungen gegenüber jenen für Foster and Partners radikal verändert. Sollten die Hochgeschwindigkeitszüge ursprünglich unterirdisch in King's Cross ankommen, so ist der Zielbahnhof laut dem endgültigen Plan nun St. Pancras, und die Trasse soll oberirdisch verlaufen.

Unverändert aber sind gewisse Grundbedingungen geblieben, wie Robert Gordon Clark von der zuständigen PR-Agentur London Communication Agency erklärt. „Da gibt es zum einen die Strukturen, die wir als gegeben nehmen müssen, wie den Regent's Canal oder das weitläufige und dichte U-Bahn-Netz bei King's Cross, das nun für eine bessere Anbindung an den Eurostar und auch aus Sicherheitsgründen nach dem Brand vor einigen Jahren erweitert wird. Zum anderen haben wir es hier mit einer Reihe von denkmalgeschützten Bauten wie den Gasometern und dem St.-Pancras-Bahnhofsgebäude zu tun.“

Der Startschuss für die Verwirklichung des städtebaulichen Projekts von Argent St. George soll dagegen erst im Jahr 2006 oder 2007 fallen, wenn der Eurostarbetrieb aufgenommen ist, im Jahr 2015 soll es dann abgeschlossen sein. Mehr als den Titel ihres gerade fertig gestellten Masterplan-Entwurfs will Evans daher auch nicht verraten. „Prinzipien einer Stadt für den Menschen“ nennt sich das Dokument, das man noch in diesem Sommer veröffentlichen will. Nur so viel sei vorerst dazu gesagt: Kommerz-, Büro und Wohnbauten sollen gemeinsam mit Freizeiteinrichtungen ein lebendiges, vibrierendes Viertel ergeben, das sich gut in die umliegenden Bezirke einfügt. Bürgermeister Ken Livingstone will, wie es heißt, auch sicherstellen, dass genügend Sozialbauten errichtet werden und ein Viertel nicht nur für die Elite entsteht.

Noch nicht geklärt ist die künftige Nutzung der Gasometer. Die älteren drei, die in die Denkmalschutzkategorie 2 fallen, werden nur für die Dauer der Bauarbeiten im Umfeld von St. Pancras und King's Cross abgetragen, sollen dann aber wieder an ihrem ursprünglichen Platz aufgestellt werden.

Sehr weit fortgeschritten sind dagegen die Pläne für den St.-Pancras-Bahnhof selbst, der ab Anfang kommenden Jahres umgestaltet wird, denn die jetzige Halle ist nicht groß genug für die Eurostarzüge und muss um mehr als das Doppelte verlängert werden. Zumindest für dieses Projekt ist, wenn schon der übrige Masterplan von Foster seine Gültigkeit verloren hat, dessen Design mit nur geringfügigen Änderungen von den heute zuständigen Architekten übernommen worden.

Das Gesamtdesign lässt sich seiner Ansicht nach am besten mit den Worten „eine Übung in Zurückhaltung“ beschreiben. Der Anbau soll das alte Gebäude weder übertrumpfen noch die Aufmerksamkeit von diesem ablenken. Klarheit und Funktionalität sind die obersten Gebote, denn „wie oft wird denn so ein Gebäude schon generalgereinigt? Viele Probleme kann man schon von vornherein mit dem Design eliminieren“, betont Lansley.

Der Architekt und sein Team arbeiten in einem eng vorgegebenen Rahmen. Der in den 60er-Jahren des 19. Jahrhunderts errichtete Bahnhof gilt als eines der Meisterwerke viktorianischer Gotik. Seine Halle zählt zu den großen Errungenschaften unter den damaligen Eisenkonstruktionen, wurde doch hier ein mehr als 200 Meter langer und 70 Meter breiter Innenraum in einem großen Bogen ohne jegliche Stützen überdacht. Als denkmalgeschütztes Gebäude der Kategorie 1 besitzt der Bahnhof den gleichen architektonischen Wert wie etwa die St.-Paul-Kathedrale und darf somit kaum angegriffen werden.

Da die Bahnsteige in St. Pancras wegen des nahen Regent's Canal aber sechs Meter über dem Boden angelegt wurden, können die darunter einst als Lagerhallen genutzten Räume nun in Kassenhallen sowie für die übrige Infrastruktur wie Cafés, Geschäfte und Wartesäle umgebaut werden. Das gesamte Projekt muss dabei verwirklicht werden, ohne dass der bisherige Betrieb in St. Pancras, von wo die Züge in die britischen Midlands starten, auch nur für einen einzigen Tag eingestellt wird.

Viele Skeptiker, die zumal die enormen Kosten der Bahnanbindung an den Channel Tunnel und des damit verbundenen Städtebauprojekts kritisieren, werden nicht von dessen Sinnhaftigkeit zu überzeugen sein. Doch Lansley und andere Befürworter schwärmen davon, dass man im nächsten Jahr bereits die ersten Veränderungen in St. Pancras bestaunen wird können, und sprechen von Britanniens neuem „Tor nach Europa“.

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