Bauwerk

Umspannwerk Mitte
UNStudio - Innsbruck (A) - 2000
Umspannwerk Mitte, Foto: Gert Walden
Umspannwerk Mitte, Foto: Gert Walden
Umspannwerk Mitte, Foto: Gert Walden
Umspannwerk Mitte, Foto: Gert Walden

Markenzeichen: unsichtbare Details

Das Amsterdamer UN Studio präsentiert ein Buch und das erste Gebäude außerhalb der Niederlande.

17. August 2002 - Franziska Leeb
Samtig wie die Haut eines frisch gepflückten Pfirsichs fühlt sich das weiße Umschlagpapier der Publikation „UN Studio - UN fold“ an, die schwarze Schrift darauf glatt wie Schleiflack. Das Buch im Magazin-Format präsentiert die jüngsten Arbeiten des von Ben van Berkel und Caroline Bos gegründeten UN Studio. Auf den ersten Blick unspektakulär erscheinend, erschließen sich bei genauerer Betrachtung und Lektüre zahlreiche Details, die über gewohnte Formen der Architekturbetrachtung hinausgehen.

Trendforscherin Li Edelkoort kommt ebenso zu Wort wie der Architekturhistoriker Mark Wigley („Architekten sind zu aller erst Intellektuelle. Architekten sind keine Erbauer.“) Caroline Bos verfasste Geschichten, die um die und in den neun vorgestellten Projekten ablaufen. Da ist zum Beispiel der gottesfürchtige Mesner in der reformierten Kirche in Hilversum, der an einen Scherz denkt, als ihm die junge Vikarin eröffnet, dass ein schwules Pärchen seine Hochzeit in ihrer Kirche zu feiern gedenkt („Faith, Dutch-Style“) oder die als Putzfrau arbeitende Diouma Baaba Ouagadougou auf der Suche nach ihrer verlorenen Lederjacke in der Tiefgarage von Arnhem Central („Precious“). Im Grunde ist die Handlung der Geschichte Nebensache, die Hauptrolle spielen die Gebäude, deren Raumstimmungen, Oberflächen oder Lichtverhältnisse Bos lyrisch und anschaulich zugleich vermittelt. Die Beschreibung der Bauten erfolgt außerhalb des gewohnten Kanons und vermittelt Architektur als sinnliches Erlebnis.

Nicht gleich auf den ersten Blick sichtbare Details und eine für die Bauaufgabe erstaunliche Sinnlichkeit zeichnen auch das erste außerhalb der Niederlande fertiggestellte Bauprojekt des UN Studio aus. Dieses „internationale Erstlingswerk“ wie es Ben van Berkel - der längst zu den international erfolgreichen Jetsettern im Architekturzirkus gehört - kokett bescheiden bezeichnet, ist das Umspannwerk Mitte in Innsbruck.

Van Berkel gewann den 1996 abgehaltenen Architektenwettbewerb mit einem engagierten Programm. Das Gebäude des Umspannwerkes war Teil einer kohärenten Oberfläche, einer verdichteten Stadtlandschaft, die sich in Faltungen über den Bauplatz legt und in die Umgebung ausgreift. Den parallel dazu abgehaltenen Wettbewerb gewann Gerold Wiederin, der jedoch nie zum Zug kam. Denn in der Zwischenzeit änderten sich Besitzverhältnisse und Nutzungswünsche für das angrenzende Areal, sodass 2001 ein neuer Wettbewerb für ein neues Tiroler Landhaus abgehalten wurde, der zu Gunsten des Münchener Teams Tom Frank und Tilman Probst entschieden wurden. In dieser über die gesamte Planungszeit hinweg ungeklärten Situation blieb dem UN Studio nichts anderes übrig, als das Umspannwerk mehr oder weniger als Solitär zu behandeln, die Behandlung des Umfeldes war nur noch eingeschränkt möglich.

Eine äußere Hülle aus schwarzer Basaltlava umgibt die Betonstruktur des dreigeschossigen Zweckbaues. Das schwere Ergussgestein - erstarrte Lava aus dem Eifelgebiet - wurde als Metapher für gefrorene Energie eingesetzt. Es verleiht dem Block eine mächtige Massivität von furchterregender Schönheit ähnlich dem Gebirgszug der Nordkette, die den Stadtraum im Hintergrund begrenzt: die Schöne und das Ungeheuer in Personalunion. Beton, Glas und Stahl sind die weiteren Materialien, die eingesetzt wurden, verhalten sie sich in ihrem Herstellungsprozess schließlich ähnlich wie die erstarrte Lava. Holz oder Ziegel sucht man deshalb vergeblich.

Sanft geschwungene Fassadenfluchten und bewegte - ebenfalls mit Basaltlava überzogene - Dachlandschaft bringen behäbige Bewegung in das schlafende Monster. Die Umsetzung der Idee einer gefalteten Landschaft mit flexibler Haut, aus der das Umspannwerk als Buckel emporragt, gelang durch eine farbliche annähernd gleiche Platzoberfläche aus schwarzem Beton. Die Außenwände des Gebäudes scheinen das Plateau nicht zu berühren, sondern verschwinden im Schatten der zurückgesetzten Hohlkehlen. An Süd- und Westfassade setzten schmale horizontale Fensterbänder grafische Akzente. Innen ist diesen Wandsegmenten eine blaugetönte Glashaut vorgeblendet, die für Farb- und Lichteffekte sorgt. Bei den Türen in Knallgelb und Wandflächen in zartem Hellblau trifft man auf die Logofarben des UN Studio, teilweise reagiert das Farbkonzept im Inneren auf die Farbigkeit der technischen Geräte, wie zum Beispiel im rundum gelb gefärbelten Schaltraum. In den Genuss dieser attraktiven Innenraumstimmungen kommen allerdings nur wenige Auserwählte, denn außer zu Kontrollgängen und im Gebrechensfall arbeiten keine Menschen im schwarzen Koloss.

Die Kosten von 11,7 Mio. Euro flossen zum größeren Teil in die technische Ausrüstung. Das Baubudget wurde eingehalten. Um den Preis eines Zweckbaus bekam die Stadt Innsbruck - wo zur Zeit der Sprungschanze von Zaha Hadid und der Rathauspassage von Dominique Perrault zwei weitere Promibauten kurz vor der Fertigstellung stehen - ein Stück Baukunst mit Strahlkraft. Der fantasievolle Umgang mit funktionellen Erfordernissen führte zu einem Gebäude, bei dem rationale Details in Summe ein durchaus dekoratives Ganzes ergeben.

Die Chancen, dass sich die Öffentlichkeit mit dem Alien anfreundet, dürften gut stehen. Skater schätzen das sachte abfallende Gelände und nachts wird durch nach außen strahlende Innenbeleuchtung der Platz in einen Ort von geheimnisvoller Schönheit getaucht.


[Ausstellungstipp: UN Studio - UN fold bis 29.9.2002 im Niederländischen Architekturinstitut (NAi) in Rotterdam, www.nai.nl

Buchtipp: Ben van Berkel & Caroline Bos, UN Studio - UN fold,
NAi Publishers, Rotterdam 2002, 40.]

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