Bauwerk

Museum der Phantasie
Behnisch Architekten - Bernried (D) - 2001

Ein Schiff für vieles

Lothar-Günther Buchheims «Museum der Phantasie»

26. Juni 2001 - Birgit Sonna
Die Lage ist einfach phänomenal. Welcher Architekt würde sich nicht glücklich schätzen, den womöglich schönsten Part eines Schlossparks über dem Ufer des Starnberger Sees mit einem Museumskomplex bebauen zu können? Das sogenannte «Museum der Phantasie» des Expressionistensammlers Lothar-Günther Buchheim ist in Bernried wie ein Ozeandampfer auf dem Hang des zum See hin steil abfallenden Landschaftsparks angedockt. Urheber Günter Behnisch wusste seinen ursprünglich für die Nachbarvillenkolonie Feldafing vorgesehenen Bau auf die hügelige, in den dreissiger Jahren entstandene Landschaftsarchitektur mit ihren alten Baumgruppen und märchenhaften Teichen hin masszuschneidern. Ob das Stuttgarter Büro Behnisch & Behnisch allerdings noch grosse Freude an dem in mehrere deckartige Ebenen geschichteten architektonischen Konstrukt hat, ist eher zu bezweifeln. Bereits geraume Zeit vor der Einweihung beschäftigte ein Disput mit dem Hausherrn Buchheim die Öffentlichkeit.

Der umstrittene Sammler, Verleger, Künstler und Autor («Das Boot») hatte Detailänderungen an dem grösstenteils vom bayrischen Staat finanzierten Museum (rund 38 Millionen Mark) vornehmen lassen. So bekritzelte Buchheim eigenhändig die türkisfarbene Front des Museums in Kleinkindattitüde mit ein paar neckischen weissen Wellen und Segelbötchen. Von einer «Verunstaltung des Gebäudes» war daraufhin seitens der Architekten die Rede.

Ende einer Odyssee
Das allseits gepriesene Louisiana bei Kopenhagen diente bei der landschaftlichen Einbettung des Museums konkret als Vorbild. Geht man den in Schlangenlinien verlaufenden Weg vom Parkplatz in Richtung Seeufer, so schiebt sich beim Überqueren einer der Graskuppeln unversehens der Behnisch-Bau gleich einem schnittigen Kreuzer ins Blickfeld. Konstruktivistisch ruft das Gebäude mit seinen sandwichartig in den Abhang gestapelten Terrassen, «Kommandobrücken», Balkonen, Flachdächern, Turmbauten, Relings, Fensterbändern, geschwungenen Foyers in Erinnerung, wie sich in den zwanziger Jahren die Architektur an die Schiffsbauweise anlehnte. Die beiden dominanten Senkrechten der wie Sprungtürme aufragenden naturholzverkleideten, mehrstöckigen Pavillonbaukörper würden auch einer nordischen Badeanstalt nicht schlecht anstehen. Eine Assoziation, die vor der Kontrastkulisse der oberbayrischen Seenlandschaft durchaus ihren Reiz hat. Im Innern setzt sich dank den verglasten langen Durchgängen und weissen Geländern wiederum der luftige Strandbad-Charakter durch. Clou des Ensembles ist aber ein Steg, der die Besucher auf zehn Meter hohen Stelzen bis über das Ufer des Sees hinaus entführt. Titanische Schwindelzustände sind hier förmlich vorprogrammiert.

So geht eine groteske Odyssee scheinbar glücklich zu Ende. Die Betonung liegt auf «scheinbar». Buchheim hatte mithin über lange Jahre hinweg schon mit einer Reihe anderer Museumsstandorte wie Duisburg, Chemnitz, München geliebäugelt, immer wieder neu über Bedingungen verhandelt und nach unseligen Querelen meist samt seiner Kunstsammlung das Weite gesucht. Müssig, darüber weiter zu spekulieren, wer im Einzelnen Schuld am Scheitern der vielen Pläne trug. Wirklich euphorisch vermag einen aber die Bernrieder Lösung nicht zu stimmen. Zu stark konkurriert schliesslich die sachliche und doch souveräne Architektur mit den bizarren Vorlieben eines Sammlers, der neben einer beträchtlichen Expressionistensammlung auch seine ureigensten Vorstellungen von volkstümlicher Kunst in das Museum einbringt. Unglaublich manieriert wirkt allein die Ummantelung einiger Kugellaternen vor dem Haus mit surrealem Metallzierrat. Im Park grinst die Besucher ein Fussballteam aus platten, bunt bemalten Holzfiguren an. Dies ist nur der Auftakt für noch grössere skulpturale Missgriffe im Inneren des Museums. An allen Ecken und Enden stellen sich dort die von Buchheim ziemlich einzigartig favorisierten Pappmaché-Matronen des Chemnitzer Plastikers Karl-Heinz Richter in den Weg.

Buchheim wetterte nach notorisch bärbeissiger Manier gegen die angeblichen funktionalen Mängel des Behnisch-Baus. Es mag schon richtig sein, dass die Hängeflächen nicht immer grosszügig genug ausgefallen sind und die extreme Verschachtelung der Räume auch tote Winkel hervorgebracht hat. So wurden in den Oberlichtsaal sperrige Stellwände eingefügt, auf dass noch mehr Papierarbeiten aus dem überbordenden expressionistischen Konvolut Buchheims ans Licht geholt werden konnten. Bereits bei der Präsentation im Münchner Haus der Kunst vor drei Jahren sind die Schwächen der Sammlung Buchheim deutlich zutage getreten. Aus der Flut der Grafiken und Zeichnungen ragen als immer wieder reproduzierte, famose Gemälde vor allem Erich Heckels «Schlafender Pechstein», Kirchners «Akt auf blauem Grund», Schmidt-Rottluffs «Drei Frauen am Meer» hervor. Auf die Idee, Gemälde und Grafik durchgehend zu mischen, kann nur verfallen, wem jede Museumspraxis fremd ist.

Ignoranz als Prinzip
Das Konzept Buchheim besticht in erster Linie durch die Ignoranz gegenüber erprobten Hängegepflogenheiten. Bekanntlich dürfen lichtempfindliche Papierarbeiten nicht zu starken Lux-Werten ausgesetzt werden, so musste generell das Licht heruntergedimmt werden. Die farbgesteigerten Gemälde der Expressionisten wirken in der Schummerbeleuchtung fast stumpf. Buchheim, der bei Nippes schon eine derart undifferenzierte Sammelwut an den Tag legt, dass er 3000 gläserne Briefbeschwerer seiner Sammlung einverleibte, macht sich verdächtig, auch bei Kunstobjekten die Spreu vom Weizen nicht trennen zu können. Tatsächlich kristallisiert sich bei genauerer Ansicht der Papierarbeiten heraus, dass es sich keineswegs um durchwegs lupenreine, sondern oft aus pragmatischen Gründen zusammengekaufte günstige Auktionsware handelt. Buchheim hat viele Blätter einst zur Illustration seiner Publikationen über den Expressionismus erstanden, heute müssen sie als Legitimationsgrundlage für die vorgebliche Geschlossenheit seiner Sammlung herhalten.

Von Beginn an machte Buchheim allen interessierten Kulturbeauftragten unmissverständlich bewusst, dass seine Bilderschätze nur im Paket mit den Reisetrophäen aus Afrika, Asien und der Südsee zu haben wären. Dagegen wäre ja nichts einzuwenden gewesen, wenn der Sammler tatsächlich kuriose oder aufregend rare Volkskunst besässe. Nirgendwo ist aber eine stimmige Verbindung zu den Anleihen der Expressionisten bei der «primitiven Kunst» gegeben. Der Inhalt des Museums der Phantasie erweist sich als reichlich phantasielos aufbereitetes Potpourri aus wenigen brillanten Solitären des Expressionismus, grobschlächtigen Skulpturen belangloser Lokalgrössen, allerlei Tand aus dem privaten Domizil Buchheims. Zur letzten Kategorie gehören auch die Blütenblätter-Collagen der werten Gattin. Und es hat am Ende schon etwas Tragisches an sich, dass der grandiose Max Beckmann mit seiner Interpretation von der Welt als Bühne auf dem gleichen Niveau wie die private Folklore des skurrilen Sammlers verhökert wird.


[Sammlungskatalog: 59 DM. ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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