Bauwerk
Sondica-Flughafenterminal
Santiago Calatrava - Bilbao (E) - 2001
Brückenschlag zwischen Norm und Freiheit
Santiago Calatravas Sondica-Flughafen in Bilbao
4. Mai 2001 - Patrick Barton
Für gewöhnlich gelten Flughäfen nicht gerade als lyrische Orte. Menschen lassen sich dort abfertigen, um von einer Welt in eine andere katapultiert zu werden. Wohin die Reise auch geht: Hallen, Rollbänder, Schalterbarrieren gleichen sich allüberall. Als ob er dies nicht mehr ertragen könnte, hat der von Zürich aus tätige Spanier Santiago Calatrava mit seinem Sondica-Flughafenterminal in Bilbao den erfolgreichen Versuch unternommen, atypisch zu bauen. Von aussen gleicht das Gebäude einem weissen Vogel. Eine Glasfront erstreckt sich über die ganze Spannweite des Gebäudes, an dem grazil die Fingerdocks hängen. Für den Reisenden wird der Ortswechsel hier zum bleibenden Erlebnis.
Bilbao strebt auf
Mit diesem Bauwerk hat Bilbao einen neuen Weg eingeschlagen. Ein Spanier baut einen spanischen Flughafen am zukunftsorientiertesten Ort des Landes - so lautet die Botschaft, mit der sich die Stadt selbst feiert. Mit einer Neuerfindung seiner selbst hat sich Bilbao den zeitgenössischen Bedürfnissen einer auf Freizeit fixierten Gesellschaft gestellt (NZZ 31. 12. 99). Die Stars der Architektenzunft arbeiten am neuen Bilbao: Norman Foster gestaltete die Stationen des U-Bahn-Netzes; Frank O. Gehrys Guggenheim-Museum bedarf kaum noch einer Hervorhebung, so sehr hat es zum Ruhm der Stadt beigetragen. Das alles passt gut zur einst serbelnden Industriestadt, in der sich nun Hochtechnologiefirmen ausbreiten.
Nun besitzt die Metropole des Baskenlandes also auch einen neuen Flughafen - am alten Ort zwar, mit alten Rollbahnen, aber im Gewand eines hochmodernen Terminals. Dass man den Bauauftrag einem Spanier, einem Nichtbasken zumal, anvertraute, zeugt von einem neuen Selbstbewusstsein. Die Wahl traf den Richtigen, denn Calatrava versteht sich auf das Bauen im Dienste der Mobilität. Architekturgeschichte schrieb er mit dem Zürcher Bahnhof Stadelhofen, dessen nackter Walfischbauch einen Höhepunkt der Betonarchitektur des 20. Jahrhunderts markiert. Für Barajas, das Luftkreuz von Madrid (wo er letztlich nicht zum Zuge kam), entwarf Calatrava eine Ansammlung von gewölbten Formen, die an einen Rochen erinnern. In Lyon realisierte er einen Flughafenbahnhof, der beide Verkehrsträger geschmeidig zusammenführt. Die Reihe der Verkehrsbauten in Calatravas Œuvre ist noch länger: Hervorgehoben sei der Oriente-Bahnhof in Lissabon, bei dem die Gleise von eleganten Baldachinen aus Glas und Stahl überspannt werden.
All diese Bauten haben direkt oder indirekt auch mit der Brückenbaukunst zu tun. Mit ihr fing alles an, und sie ist noch immer sein Markenzeichen: Den Vorgang des Brückenschlags lässt Calatrava in abstrakter Weise figürlich werden. Zupass kommt ihm dabei das Ingenieurspatent, das der Architekt an der Eidgenössisch Technischen Hochschule in Zürich erworben hat. Seither blieb Zürich Calatravas Arbeits- und Lebensmittelpunkt, ohne dass er die spanischen Wurzeln abgeschnitten hätte. So zeugen in Valencia, wo er vor 49 Jahren geboren wurde, spektakuläre Kulturbauten von seinem Können. Die Stadt ist so stolz auf ihren Sohn, dass sie nach ihm bereits eine Brücke benannte (die natürlich Calatrava entworfen hat). Ausgangspunkt seiner Projekte sind die Strukturen der Natur, die Anatomie von Mensch und Tier. Die von diesen Naturzitaten ausgehende Gefahr, ins Kitschige abzurutschen, sieht er wohl, zumal sich die Kritik bisweilen zu Äusserungen bemüssigt fühlt wie, Calatrava sei ein Baumeister für «genmanipulierte Gotik».
Ein Flughafen als Kathedrale
Der so zum «Neugoten» abgestempelte Architekt hat sich beim Sondica»-Flughafen teilweise auf das für Madrid-Barajas entwickelte Rochenzitat bezogen, wobei in Bilbao der Fisch ganz offensichtlich mit einer weissen Taube gekreuzt wurde. Eingebettet ist dieses Zwitterwesen in ein Motiv von Halbbogen, das in allen Teilen des Gebäudes aufgenommen wird. Den stärksten Eindruck hinterlässt die zentrale Halle, die sich kathedralenhaft wölbt. Das Dach hätte Calatrava gern verglast. Doch nun hat nur die weite Front Fenster. Wer durch den Eingang in das Innere schreitet, wähnt sich der Sonne dennoch nah: Es strahlen oben die Rippen des Daches und unten die Fächer einer die Schalter überwölbenden Grundstruktur. Dazwischen lässt die weite Glasfront Licht ins Innere. Die Flucht der Innenfront wird leider durchbrochen von einer Empore für die Vorfeldkontrolle, die den Blick des Besuchers beeinträchtigt. So verliert sich das Grandiose etwas. Damit passt sich das Innere aber auch der Intimität dieses eher kleinen Flughafengebäudes an, das eine Fläche von 29 000 Quadratmetern auf vier Ebenen umfasst. - Die an- und abfliegenden Flugzeuge werden von einem Kontrollturm aus dirigiert, der dem Terminal jenseits der Pisten gegenüberliegt. Es ist ein Solitär, der die Architektur des Terminals nicht aufnimmt - ausser in seinem oberen Abschluss, der einmal mehr an einen Vogelkopf erinnert.
Bilbao strebt auf
Mit diesem Bauwerk hat Bilbao einen neuen Weg eingeschlagen. Ein Spanier baut einen spanischen Flughafen am zukunftsorientiertesten Ort des Landes - so lautet die Botschaft, mit der sich die Stadt selbst feiert. Mit einer Neuerfindung seiner selbst hat sich Bilbao den zeitgenössischen Bedürfnissen einer auf Freizeit fixierten Gesellschaft gestellt (NZZ 31. 12. 99). Die Stars der Architektenzunft arbeiten am neuen Bilbao: Norman Foster gestaltete die Stationen des U-Bahn-Netzes; Frank O. Gehrys Guggenheim-Museum bedarf kaum noch einer Hervorhebung, so sehr hat es zum Ruhm der Stadt beigetragen. Das alles passt gut zur einst serbelnden Industriestadt, in der sich nun Hochtechnologiefirmen ausbreiten.
Nun besitzt die Metropole des Baskenlandes also auch einen neuen Flughafen - am alten Ort zwar, mit alten Rollbahnen, aber im Gewand eines hochmodernen Terminals. Dass man den Bauauftrag einem Spanier, einem Nichtbasken zumal, anvertraute, zeugt von einem neuen Selbstbewusstsein. Die Wahl traf den Richtigen, denn Calatrava versteht sich auf das Bauen im Dienste der Mobilität. Architekturgeschichte schrieb er mit dem Zürcher Bahnhof Stadelhofen, dessen nackter Walfischbauch einen Höhepunkt der Betonarchitektur des 20. Jahrhunderts markiert. Für Barajas, das Luftkreuz von Madrid (wo er letztlich nicht zum Zuge kam), entwarf Calatrava eine Ansammlung von gewölbten Formen, die an einen Rochen erinnern. In Lyon realisierte er einen Flughafenbahnhof, der beide Verkehrsträger geschmeidig zusammenführt. Die Reihe der Verkehrsbauten in Calatravas Œuvre ist noch länger: Hervorgehoben sei der Oriente-Bahnhof in Lissabon, bei dem die Gleise von eleganten Baldachinen aus Glas und Stahl überspannt werden.
All diese Bauten haben direkt oder indirekt auch mit der Brückenbaukunst zu tun. Mit ihr fing alles an, und sie ist noch immer sein Markenzeichen: Den Vorgang des Brückenschlags lässt Calatrava in abstrakter Weise figürlich werden. Zupass kommt ihm dabei das Ingenieurspatent, das der Architekt an der Eidgenössisch Technischen Hochschule in Zürich erworben hat. Seither blieb Zürich Calatravas Arbeits- und Lebensmittelpunkt, ohne dass er die spanischen Wurzeln abgeschnitten hätte. So zeugen in Valencia, wo er vor 49 Jahren geboren wurde, spektakuläre Kulturbauten von seinem Können. Die Stadt ist so stolz auf ihren Sohn, dass sie nach ihm bereits eine Brücke benannte (die natürlich Calatrava entworfen hat). Ausgangspunkt seiner Projekte sind die Strukturen der Natur, die Anatomie von Mensch und Tier. Die von diesen Naturzitaten ausgehende Gefahr, ins Kitschige abzurutschen, sieht er wohl, zumal sich die Kritik bisweilen zu Äusserungen bemüssigt fühlt wie, Calatrava sei ein Baumeister für «genmanipulierte Gotik».
Ein Flughafen als Kathedrale
Der so zum «Neugoten» abgestempelte Architekt hat sich beim Sondica»-Flughafen teilweise auf das für Madrid-Barajas entwickelte Rochenzitat bezogen, wobei in Bilbao der Fisch ganz offensichtlich mit einer weissen Taube gekreuzt wurde. Eingebettet ist dieses Zwitterwesen in ein Motiv von Halbbogen, das in allen Teilen des Gebäudes aufgenommen wird. Den stärksten Eindruck hinterlässt die zentrale Halle, die sich kathedralenhaft wölbt. Das Dach hätte Calatrava gern verglast. Doch nun hat nur die weite Front Fenster. Wer durch den Eingang in das Innere schreitet, wähnt sich der Sonne dennoch nah: Es strahlen oben die Rippen des Daches und unten die Fächer einer die Schalter überwölbenden Grundstruktur. Dazwischen lässt die weite Glasfront Licht ins Innere. Die Flucht der Innenfront wird leider durchbrochen von einer Empore für die Vorfeldkontrolle, die den Blick des Besuchers beeinträchtigt. So verliert sich das Grandiose etwas. Damit passt sich das Innere aber auch der Intimität dieses eher kleinen Flughafengebäudes an, das eine Fläche von 29 000 Quadratmetern auf vier Ebenen umfasst. - Die an- und abfliegenden Flugzeuge werden von einem Kontrollturm aus dirigiert, der dem Terminal jenseits der Pisten gegenüberliegt. Es ist ein Solitär, der die Architektur des Terminals nicht aufnimmt - ausser in seinem oberen Abschluss, der einmal mehr an einen Vogelkopf erinnert.
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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