Bauwerk

Siedlung Telefonweg
Hermann & Valentiny - Wien (A) - 2001
Siedlung Telefonweg, Foto: Monique Heintz

Warum auf dem Boden kleben?

Flächenlimits setzen dem gestalterischen Spielraum im geförderten Wohnbau enge Grenzen. Hermann & Valentiny ist es bei Ihren Häuserzeilen am Wiener Telefonweg jedoch gelungen, Puppenheim-Dimensionen in atmosphärische Großzügigkeit auszudehnen.

28. April 2001 - Liesbeth Waechter-Böhm
Im geförderten Wohnbau ist das Kostenkorsett heutzutage sehr eng geschnürt. Denn es will zwar jeder so gut wie möglich wohnen, aber das Budget, das der einzelne bereit ist, in seinen Wohn(t)raum zu investieren, das hat rigorose Grenzen. Wo sparen? Bei den geltenden Ausstattungsstandards geht es noch am ehesten über die Fläche. Daher sind die Wohnungen wieder deutlich kleiner geworden.

Hubert Hermann, die Wiener Dependance des luxemburgisch-österreichischen Architekturbüros Hermann & Valentiny, hat das bei einem Projekt in der Donaustadt hautnah verspürt. Es handelt sich um eine kleine Wohnanlage am Telefonweg, in einer Gegend also, wie sie für den heutigen Wiener Wohnbau nachgerade typisch ist: Peripherie, eigentlich ein Kleingarten-gebiet, Anbindung an die öffentlichen städtischen Verkehrsmittel gleich Null, einfach nur - ein sehr schmales, dafür 300 Meter langes Baugrundstück auf der Wiese. Gerade deswegen: für eine junge Familie mit kleinen Kindern bestimmt interessant.

Aber da sind diese Flächenlimits. Wo man noch vor zehn, 15 Jahren 130-Quadratmeter-Woh- nungen hingestellt hätte, muß der Architekt heute mit 80 Quadratmetern zurechtkommen. Und das bei einem deutlich entwickelteren Wohnbewußtsein. Da ist nicht mehr nur planerische Intelligenz gefragt, da geht es auch um die soziale Verantwortung des Architekten. Und um Strategie: um strategisches Denken im Umgang mit den Förderungsbestimmungen. Und die kleben ja bekanntlich am Boden, auf der (Wohn)Fläche, sie kreuzen also nicht den Raum, das tatsächliche Volumen.
Hermann & Valentiny haben sich diese Tatsache bravourös zunutze gemacht. Die kleinen Häuschen sind im Grund nur als Drei-Zimmer-Wohnungen konzipiert. Sie haben einen - vorgeschriebenen - vier Meter breiten Vorgarten, einen Autoabstellplatz und an der straßenabgewandten Seite auch noch einen - etwa wohnzimmergroßen - Garten, der durch einen schmalen Weg zusätzlich erschlossen ist. Ursprünglich sollten sie größer sein, aber dann wurde ökonomisch geschrumpft, dafür kam eine Einheit hinzu. Frage für den Architekten: Geht ein Hauskonzept unter solchen rigorosen Limits überhaupt noch auf?

Es geht - aber es bedarf einer minuziösen Tüftelei. Konkret: Die Garagen sind halbgeschoßig unter das Haus abgesenkt, der Vorgarten ist dadurch abgeböscht; man parkt längs. Im Haus drückt sich das in einem Split-Level aus, bei dem Küche und Essen über dem Stellplatz liegen, also halbgeschoßig angehoben sind, während der - natürlich zum Garten orientierte - Wohnraum tiefer liegt. Ein Vorteil dieser Lösung: Ein vier Meter breiter Vorgarten ist eigentlich für nichts gut; ein überdachter, dabei gut belüfteter Stellplatz - er kann am verkehrsarmen Telefonweg gegebenenfalls leer bleiben - ist hingegen vielfach nutzbar. Außerdem: Eine große Pergola als vorgelagerte grüne Schicht an der Ostseite (der Eingangsseite) der Häuser stellt sich als wesentlich sinnvollere Abschirmung, auch als schöne Empfangsgeste dar.

Aber weiter zur architektonischen Innenraum-Tüftelei: Man geht also zunächst ein halbes Geschoß hinauf, um das Haus zu betreten. Dort liegen Eingangsbereich und, wie gesagt, Küche und Eßplatz. Von dort geht man dann wieder drei Stufen hinunter, um auf die Ebene des Wohnzimmers zu gelangen, das einen direkten Ausgang in den Garten hat.
Erstens wichtig: Die Höhendifferenzierung zwischen Eß- und Wohnbereich ist nur durch eine Brüstung definiert, es gibt also keinen räumlichen Abschluß - der Blick hinaus auf den Garten ist da, der räumliche Fluß ist nicht unterbrochen.
Zweitens wichtig: die mit sechs Metern „gigantische“ Raumhöhe im Wohnbereich. Die ist vom Architekten als räumliches Potential gedacht, in dem sich der Bewohner entfalten kann, je nachdem, was er braucht. Schlimmstenfalls läßt sich hier auch eine Decke bauen und so ein weiteres Zimmer gewinnen. Immer noch würde die lichte Höhe des Wohnraums darunter 3,05 Meter betragen. Das ist also nicht nur ein Alibi-Angebot. Räumlich spannender ist aber sicher eine offene Galerie, die zwar weniger Zusatzfläche bringt, aber das Spektakel des hohen Wohnraums erhält.
Drittens wichtig: über dem Schlafgeschoß mit Bad ein Dach- boden, der zwar nicht als Wohnraum deklariert, aber isoliert und als solcher nutzbar ist. Platz - etwa für ein Schlafzimmer mit Bad - wäre hier jedenfalls.

Architektonische Kleinigkeiten: Gartenseitig sind den Häusern nur 1,5 Meter tiefe hölzerne „Scheuklappen“ vorgebaut, eine Art Rahmenkonstruktion und ein minimaler Schutz gegenüber dem hautnahen Bewohner nebenan. Selbst auf die Nische für den Rasenmäher oder die Gartenmöbel haben die Architekten nicht vergessen.

Ein Nachtrag zur städtebaulichen Lösung, zum formalen Ausdruck: Da steht nicht einfach eine Wurst, vorne und hinten abgeschnitten, sondern zwei Doppelhäuser am Anfang markieren eine architektonisch dirigistische Empfangsgeste und setzen einen deutlichen Akzent. Das erste der Doppelhäuser ist um 90 Grad gedreht, eigentlich ohne wirklich privaten Garten, dieses Manko wird aber wettgemacht durch eine mit einer Pergola überdachten Dachterrasse. Die Baukörper sind ganz schlicht aneinandergereiht, es gibt dennoch eine Zäsur. Wo ein anderer Weg auf den Telefonweg trifft, an dieser „Kreuzung“, liegt quasi das Herz der Anlage: ein eingeschoßiges Gemeinschaftshaus mit vorgelagertem Platzraum. Die „Reihenhauszeilen“ sind davon fast unmerklich weggedrückt. In den Schnitten zwischen den Baukörpern ein melonengelber Anstrich, das Gefühl von Hinterhof kommt so nicht einmal im entferntesten auf. Vorne weißer Putz - überlagert von der Grünschicht der Pergola -, hinten Holz und Glas, dazwischen - wo es ein Dazwischen gibt, es sind immer zwei Häuser aneinandergelehnt - Melonengelb.
Fazit: Wer da draußen wohnen möchte, wer nicht so wahnsinnig viel Geld hat, wer über ein entwickeltes Wohnbewußtsein verfügt - er kann es nicht besser treffen als am Telefonweg. Ein Vorzeigeprojekt.

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