Bauwerk
Seebad Prora
Clemens Klotz - Rügen (D) - 1935
Kasernen der Vergangenheit
Letzte Ruinen des «Dritten Reichs» unter dem Hammer
Die unvollendete Seebadanlage Prora auf der Insel Rügen sowie die Heeresversuchsanstalt Peenemünde sind gespenstische Relikte des «Dritten Reichs». Sie stehen unter Denkmalschutz und müssen sinnvoll genutzt werden. Doch allein die Erhaltung der Bausubstanz verschlingt horrende Summen. Nun sollen die Anlagen versteigert werden.
1. November 2004 - Irmgard Bernrieder
Ins Gigantische verzerrt wie ihre wahnhafte Ideologie muten die letzten architektonischen Hinterlassenschaften jener deutschen Herrenmenschen an, die das «Dritte Reich» ausriefen und Europa binnen zwölf Jahren in eine Katastrophe unvorstellbaren Ausmasses stürzten. Fast 60 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs lenkten unlängst Versteigerungen des Bundesvermögensamtes (BVA) das Interesse auf das «Kraft durch Freude»-Seebad Prora auf der Insel Rügen und die Heeresversuchsanstalt Peenemünde an der Nordspitze der Insel Usedom. Unvollendetes Prestigeobjekt des «Dritten Reichs» das eine, dessen geheimnisumwittertes Forschungslaboratorium das andere, beides symbolträchtige Ruinen, die politisch gedeutet und mit Fingerspitzengefühl behandelt sein wollen.
Daran mangele es den verantwortlichen Stellen, kritisieren Historiker, Denkmalschützer und Museumsfachleute, die jene brisanten politischen Orte nicht nahtlos Freizeitindustrie und Massentourismus überlassen wollen. Dagegen hält Raymund Karg, Vorsteher des BVA Rostock, dass er einen Verwertungsauftrag umzusetzen habe. Der Denkmalschutz, unter dem die beiden Areale stehen, schreibe ihre Nutzung vor. Und weiter: «Für die blosse Sicherung der Bausubstanz sind horrende Summen nötig. Die Erosion schreitet unaufhaltsam fort, und die Sanierungskosten steigen. Deshalb will der Bund diesen Ballast los werden.»
Unvollendete Monumentalbauten
Für 625 000 Euro wechselte vor kurzem Block VI der Seebadanlage den Besitzer. Ein anonym gebliebenes westdeutsches Immobilienbüro bekam den Zuschlag und nennt nun zudem 60 000 Quadratmeter Wald und Wiesen entlang der schönsten Strandregion sein Eigentum. Freilich gehört der Strand dem Land Mecklenburg- Vorpommern und muss der Allgemeinheit zugänglich bleiben. Die neuen Eigentümer sind verpflichtet, die Ruine zu sichern, dürfen aber, da kein Baurecht besteht, nicht auf dem Gelände bauen, unterstreicht der Binzer Bürgermeister Horst Schaumann, der neugierig ist, wie sich die Kaufsumme angesichts der eingeschränkten Nutzungsmöglichkeiten amortisieren lässt.
15 000 Arbeiter hatten hier von 1936 bis 1939 einen Komplex von zweimal vier sechsstöckigen Hochhäusern als Rohbauten errichtet. Moderne Funktionsbauten als Vorläufer der Bettenburgen im Massentourismus. Ziel der NS-Organisation «Kraft durch Freude» war es, in dem Riesenkomplex 20 000 «Helden der Arbeit» gleichzeitig unterzubringen, die das NS-Regime mit Ferien auf Rügen belohnte und so für seine Kriegs-, Lebensraum- und Rassenpolitik zu gewinnen suchte. Zu Kriegsbeginn wurden die Bauarbeiten eingestellt, die Anlage blieb unvollendet. Nach fehlgeschlagenen Sprengungsversuchen waren die Gebäude 1947 als Kasernen zunächst von der Sowjetarmee und später von der Volksarmee der DDR genutzt worden. Seit 1956 hatten dort für vorbildliche Werktätige ganzjährig 1000 Ferienbetten zur Verfügung gestanden.
Dieser wechselvollen Geschichte nahmen sich nach der Wende verschiedene Initiativen wie das historische Museum Prora und das Dokumentationszentrum Neue Kultur sowie das NVA- Museum an. Ein Kaufangebot der beiden Ersteren wurde mit dem Hinweis auf den Mitbewerber NVA-Museum abschlägig beschieden. Unlängst aber kam ihr Domizil, Block III, erneut unter den Hammer und ging an eine Gruppe mittelständischer westfälischer Unternehmen, an deren Spitze, man höre und staune, NVA-Museums-Chef Kurt Meyer steht. Die Entscheidung liegt nun in den Händen von Finanzministerium, Bundesrat und Bundestag.
Wandeln auf dem Lehrpfad
Uwe Schwartz vom Museum Prora sieht das ganze Verfahren kritisch: «Der Bund hat für über eine Million Euro die Stern-Studie in Auftrag gegeben, die ein Gesamtkonzept empfiehlt. Die Umnutzung von Prora soll aus der Mitte heraus entwickelt, ein Architektur- und Geschichtslehrpfad angelegt werden.» Die Studie legt nahe, einen Block als Zeitfenster im Ruinenzustand zu erhalten, wofür sich der Museums-Block III ideal eigne. Jürgen Rostock vom Dokumentationszentrum fürchtet Schlimmstes: «Die Denkmalschutzbehörde wurde übergangen, deshalb dürften künftig auch die Auflagen des Denkmal-, Landschafts- und Naturschutzes nicht besonders ernst genommen werden.» Gleichzeitig hofft er, dass die Proteste von Landeskonservator, Gemeinde und Land höheren Orts doch noch Gehör finden.
Block V will das Deutsche Jugendherbergswerk erwerben, die Verhandlungen sind nach BVA- Auskunft so gut wie abgeschlossen. Der Leiter des Deutschen Jugendherbergswerks ist zuversichtlich, Mitte bis Ende 2006 mit dem Bau der «grössten Jugendherberge im Ostseeraum» beginnen zu können. Der Bebauungsplan für die Blöcke I und II ist noch nicht rechtskräftig, doch sollen dort zu gleichen Teilen Miet-, Eigentums- und Ferienwohnungen entstehen. Block IV ist laut Raymund Karg «Manövriermasse».
Bei der Produktion der ersten Fernrakete V2 mussten in den Fertigungswerken Peenemünde und Dora nach Historikerschätzungen rund 20 000 Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge ihr Leben lassen. 5000 Menschen kamen bei Angriffen der «Wunderwaffe» in Antwerpen und London ums Leben. Seit 1935 hatte der NS-Staat entgegen den Bestimmungen des Versailler Vertrages offen seine Aufrüstung betrieben. Heer und Luftwaffe hatten im Sommer 1935 beschlossen, ein Entwicklungszentrum für Rückstossantriebe bei Flugzeugen und ballistischen Raketen zu bauen, und Wernher von Braun und seine Wehrmacht- Mitstreiter waren auf der Suche nach geeignetem Gelände auf Usedom fündig geworden.
Heeresversuchsanstalt Peenemünde
Das für die Produktion der Vernichtungswaffe zentrale Sauerstoffwerk im einstigen NS-Versuchsgelände wollte die BVA Rostock zuletzt versteigern. Es fand sich aber kein Interessent, obwohl das Mindestgebot nur 20 000 Euro betrug. Um den Erwerb der seit Kriegsende ungenutzten Ruine, die einem Sprengungsversuch widerstanden hatte, zu versüssen, legte man elf Hektaren weitläufiges Bauerwartungsland «drauf», das freilich mit Altmunition belastet ist. «Weder das Land noch das Dokumentationszentrum wollten das Gebäude erstehen», versichert BVA-Leiter Karg. Demgegenüber beteuert Museumsleiter Dirk Zache das grosse Interesse seiner Einrichtung, jenes Konzept umzusetzen, das vor Jahren eine international besetzte Historikerkommission erarbeitet hatte: das gesamte, 25 Hektaren grosse Gelände der NS-Versuchsanstalt, die ab 1936 im Wolgaster Stadtwald aus dem Boden gestampft worden war, als Denkmal-Landschaft zu erhalten. «Das Sauerstoffwerk ist ein wesentlicher Bestandteil dieser Anlage», so Zache. «Wir sind sehr in Sorge über die Politik der BVA, hoffen aber gerade jetzt wieder, noch eine gemeinsame Strategie zu finden.»
Während das Land Mecklenburg-Vorpommern trotz Finanznot für die Restaurierung des einstigen Kraftwerkes, wo heute das Dokumentationszentrum untergebracht ist, sieben Millionen Euro aufbrachte, verweist der Bund auf die Kulturhoheit der Länder und hält sich aus allem heraus. Dirk Zache erinnert den Bund hingegen an die Verpflichtung, sich um sein nationales Erbe zu kümmern. Allein schon, um zu verhindern, dass durch Ignoranz weiterer Schaden angerichtet wird. Wie etwa 1992, als es beinahe zu einem Skandal gekommen wäre, weil die deutsche Luft- und Raumfahrtindustrie unter der Schirmherrschaft der Bundesregierung den 50. Jahrestag des ersten V2-Fluges «in der Wiege der Raumfahrt» feiern wollte.
Daran mangele es den verantwortlichen Stellen, kritisieren Historiker, Denkmalschützer und Museumsfachleute, die jene brisanten politischen Orte nicht nahtlos Freizeitindustrie und Massentourismus überlassen wollen. Dagegen hält Raymund Karg, Vorsteher des BVA Rostock, dass er einen Verwertungsauftrag umzusetzen habe. Der Denkmalschutz, unter dem die beiden Areale stehen, schreibe ihre Nutzung vor. Und weiter: «Für die blosse Sicherung der Bausubstanz sind horrende Summen nötig. Die Erosion schreitet unaufhaltsam fort, und die Sanierungskosten steigen. Deshalb will der Bund diesen Ballast los werden.»
Unvollendete Monumentalbauten
Für 625 000 Euro wechselte vor kurzem Block VI der Seebadanlage den Besitzer. Ein anonym gebliebenes westdeutsches Immobilienbüro bekam den Zuschlag und nennt nun zudem 60 000 Quadratmeter Wald und Wiesen entlang der schönsten Strandregion sein Eigentum. Freilich gehört der Strand dem Land Mecklenburg- Vorpommern und muss der Allgemeinheit zugänglich bleiben. Die neuen Eigentümer sind verpflichtet, die Ruine zu sichern, dürfen aber, da kein Baurecht besteht, nicht auf dem Gelände bauen, unterstreicht der Binzer Bürgermeister Horst Schaumann, der neugierig ist, wie sich die Kaufsumme angesichts der eingeschränkten Nutzungsmöglichkeiten amortisieren lässt.
15 000 Arbeiter hatten hier von 1936 bis 1939 einen Komplex von zweimal vier sechsstöckigen Hochhäusern als Rohbauten errichtet. Moderne Funktionsbauten als Vorläufer der Bettenburgen im Massentourismus. Ziel der NS-Organisation «Kraft durch Freude» war es, in dem Riesenkomplex 20 000 «Helden der Arbeit» gleichzeitig unterzubringen, die das NS-Regime mit Ferien auf Rügen belohnte und so für seine Kriegs-, Lebensraum- und Rassenpolitik zu gewinnen suchte. Zu Kriegsbeginn wurden die Bauarbeiten eingestellt, die Anlage blieb unvollendet. Nach fehlgeschlagenen Sprengungsversuchen waren die Gebäude 1947 als Kasernen zunächst von der Sowjetarmee und später von der Volksarmee der DDR genutzt worden. Seit 1956 hatten dort für vorbildliche Werktätige ganzjährig 1000 Ferienbetten zur Verfügung gestanden.
Dieser wechselvollen Geschichte nahmen sich nach der Wende verschiedene Initiativen wie das historische Museum Prora und das Dokumentationszentrum Neue Kultur sowie das NVA- Museum an. Ein Kaufangebot der beiden Ersteren wurde mit dem Hinweis auf den Mitbewerber NVA-Museum abschlägig beschieden. Unlängst aber kam ihr Domizil, Block III, erneut unter den Hammer und ging an eine Gruppe mittelständischer westfälischer Unternehmen, an deren Spitze, man höre und staune, NVA-Museums-Chef Kurt Meyer steht. Die Entscheidung liegt nun in den Händen von Finanzministerium, Bundesrat und Bundestag.
Wandeln auf dem Lehrpfad
Uwe Schwartz vom Museum Prora sieht das ganze Verfahren kritisch: «Der Bund hat für über eine Million Euro die Stern-Studie in Auftrag gegeben, die ein Gesamtkonzept empfiehlt. Die Umnutzung von Prora soll aus der Mitte heraus entwickelt, ein Architektur- und Geschichtslehrpfad angelegt werden.» Die Studie legt nahe, einen Block als Zeitfenster im Ruinenzustand zu erhalten, wofür sich der Museums-Block III ideal eigne. Jürgen Rostock vom Dokumentationszentrum fürchtet Schlimmstes: «Die Denkmalschutzbehörde wurde übergangen, deshalb dürften künftig auch die Auflagen des Denkmal-, Landschafts- und Naturschutzes nicht besonders ernst genommen werden.» Gleichzeitig hofft er, dass die Proteste von Landeskonservator, Gemeinde und Land höheren Orts doch noch Gehör finden.
Block V will das Deutsche Jugendherbergswerk erwerben, die Verhandlungen sind nach BVA- Auskunft so gut wie abgeschlossen. Der Leiter des Deutschen Jugendherbergswerks ist zuversichtlich, Mitte bis Ende 2006 mit dem Bau der «grössten Jugendherberge im Ostseeraum» beginnen zu können. Der Bebauungsplan für die Blöcke I und II ist noch nicht rechtskräftig, doch sollen dort zu gleichen Teilen Miet-, Eigentums- und Ferienwohnungen entstehen. Block IV ist laut Raymund Karg «Manövriermasse».
Bei der Produktion der ersten Fernrakete V2 mussten in den Fertigungswerken Peenemünde und Dora nach Historikerschätzungen rund 20 000 Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge ihr Leben lassen. 5000 Menschen kamen bei Angriffen der «Wunderwaffe» in Antwerpen und London ums Leben. Seit 1935 hatte der NS-Staat entgegen den Bestimmungen des Versailler Vertrages offen seine Aufrüstung betrieben. Heer und Luftwaffe hatten im Sommer 1935 beschlossen, ein Entwicklungszentrum für Rückstossantriebe bei Flugzeugen und ballistischen Raketen zu bauen, und Wernher von Braun und seine Wehrmacht- Mitstreiter waren auf der Suche nach geeignetem Gelände auf Usedom fündig geworden.
Heeresversuchsanstalt Peenemünde
Das für die Produktion der Vernichtungswaffe zentrale Sauerstoffwerk im einstigen NS-Versuchsgelände wollte die BVA Rostock zuletzt versteigern. Es fand sich aber kein Interessent, obwohl das Mindestgebot nur 20 000 Euro betrug. Um den Erwerb der seit Kriegsende ungenutzten Ruine, die einem Sprengungsversuch widerstanden hatte, zu versüssen, legte man elf Hektaren weitläufiges Bauerwartungsland «drauf», das freilich mit Altmunition belastet ist. «Weder das Land noch das Dokumentationszentrum wollten das Gebäude erstehen», versichert BVA-Leiter Karg. Demgegenüber beteuert Museumsleiter Dirk Zache das grosse Interesse seiner Einrichtung, jenes Konzept umzusetzen, das vor Jahren eine international besetzte Historikerkommission erarbeitet hatte: das gesamte, 25 Hektaren grosse Gelände der NS-Versuchsanstalt, die ab 1936 im Wolgaster Stadtwald aus dem Boden gestampft worden war, als Denkmal-Landschaft zu erhalten. «Das Sauerstoffwerk ist ein wesentlicher Bestandteil dieser Anlage», so Zache. «Wir sind sehr in Sorge über die Politik der BVA, hoffen aber gerade jetzt wieder, noch eine gemeinsame Strategie zu finden.»
Während das Land Mecklenburg-Vorpommern trotz Finanznot für die Restaurierung des einstigen Kraftwerkes, wo heute das Dokumentationszentrum untergebracht ist, sieben Millionen Euro aufbrachte, verweist der Bund auf die Kulturhoheit der Länder und hält sich aus allem heraus. Dirk Zache erinnert den Bund hingegen an die Verpflichtung, sich um sein nationales Erbe zu kümmern. Allein schon, um zu verhindern, dass durch Ignoranz weiterer Schaden angerichtet wird. Wie etwa 1992, als es beinahe zu einem Skandal gekommen wäre, weil die deutsche Luft- und Raumfahrtindustrie unter der Schirmherrschaft der Bundesregierung den 50. Jahrestag des ersten V2-Fluges «in der Wiege der Raumfahrt» feiern wollte.
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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