Bauwerk

St.-Jakob-Park
Herzog & de Meuron - Basel (CH) - 2001
St.-Jakob-Park, Foto: Hans Ege
St.-Jakob-Park, Foto: Hans Ege

Gedrungener Kristall

Wohn- und Bürogebäude in Basel

Der »St. Jakob-Turm«, eine Art neues Stadttor für Basel, ist nur eines der vielen Steinchen, aus denen sich die »Begegnungsstätte St. Jakob« zusammensetzt – einem eigentümlichen Konglomerat aus Stadion, Altenheim, Veranstaltungshalle, Einkaufszentrum und Autohaus an der Schmalseite eines Sportareals. Doch der Hochhaus-Kristall ist mit Abstand der außergewöhnlichste dieser Steine: ein in Anlehnung an die Urhüttenform gestalteter Turm, der sein Äußeres je nach Blickrichtung den Gegebenheiten des Ortes »anpasst«.

3. November 2009 - Hubertus Adam
Als 2001 in Basel das von Herzog & de Meuron errichtete Stadion St. Jakob-Park eröffnet wurde, war längst nicht sicher, ob sich die ungewöhnliche Kombination von Sportarena, Shopping Center und Seniorenresidenz bewähren würde. Denn das Areal befindet sich städtebaulich in einer problematischen Situation. Im Norden grenzt es an Eisenbahntrasse und Autobahn, im Süden an die vielbefahrene St. Jakob-Straße; im Osten definiert das Flüsschen Birs die Grenze zwischen den Halbkantonen Basel-Stadt und Basel-Landschaft, Sportanlagen und Gewerbeflächen prägen die nähere Umgebung. Tatsächlich aber ist der St. Jakob-Park zum Erfolgsprojekt avanciert. Nicht nur für den FC Basel, der im neuen Stadion einige Triumphe feiern konnte und in der Stadt Kultstatus besitzt. Auch das Einkaufszentrum boomt, und für das Altenwohnheim besteht eine lange Warteliste. Die Strategie, eine städtische Randlage in einen dezidiert urbanen Ort umzuwandeln, hat sich als richtig erwiesen. Die Nachteile der Lage werden durch die Vorteile guter verkehrstechnischer Anbindung und der Nähe zu Grünflächen wie dem Botanischen Garten kompensiert; auch der kanalisierte Lauf der Birs wurde inzwischen renaturiert und fungiert als Naherholungsgebiet.

2004 begann die Planung für eine weitere Verdichtung des St. Jakob-Parks. Ausgangspunkt war der Streifen zwischen der Ostseite des Stadions und der die Birs flankierenden, exakt nord-südlich verlaufenden Birsstraße – ein Gelände, das bislang lediglich von einem Autohaus genutzt wurde. Zur Entwicklung und Bebauung des Gebiets fanden drei Partner zusammen: die Kestenholz AG als bisheriger Eigentümer des Grundstücks, die Miteigentümergesellschaft des Stadions und – als Hauptinvestor – der von der UBS aufgelegte Immobilienfonds »Sima«. Zu realisieren war ein komplexes Programm, nämlich der Neubau des Autohauses samt Werkstatt und Präsentationsflächen, die unterirdische Erweiterung des Einkaufszentrums sowie Erschließungs- und Eventflächen für das Stadion. Vor allem aber ein Hochhaus, das auf dem nördlichen Teil des zur Verfügung stehenden Areals entstehen sollte.

Zuschnitt nach Schattenwurf

Form, Proportion und Höhe dieses Bauwerks waren Gegenstand langwieriger Untersuchungen. Da an dieser Stelle keine Höhenbeschränkungen bestehen, entwickelten Herzog & de Meuron Konzepte für Höhen von bis zu 160 m. Auf Wunsch des Investors beschränkte man sich indes am Ende auf 71 m. Dies hat zur Folge, dass sich der St. Jakob-Turm trotz seiner markanten, kristallinen Gestalt in das Gefüge von Hochhäusern der 60er- und 70er Jahre einschreibt, die sich als ein Ring von Fixpunkten rings um das traditionsreiche Zentrum der Stadt aufspannen: der Turm der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich am Bahnhof SBB, das nahe gelegene Bürohaus Lonza der Architekturfirma Suter & Suter oder – entworfen vom selben Büro – das heutige Novartis-Hochhaus am Unteren Rheinweg. Dank der Lage direkt an den Verkehrsmagistralen, welche Basel mit Zürich und der übrigen Schweiz verbinden, kommt dem St. Jakob-Turm überdies die Funktion eines zeitgenössischen Stadttors zu.

Die Form des Turms, die ihm je nach Perspektive eine andere Gestalt verleiht, erklärt sich aus dem Interesse an polygonalen Baustrukturen, das Herzog & de Meuron zur Zeit der Planung hegten und dessen prominentestes Beispiel Prada Aoyama in Tokio darstellt. Darüber hinaus ist die Form aber auch das Resultat von Optimierungen der Nutzflächen – und von Auflagen, die sich aus der unmittelbaren Nachbarschaft zum Stadion ergaben. Zum einen sollte der Schattenwurf des Turms zu keiner Zeit Teile des Spielfelds tangieren, zum anderen durfte laut Uefa-Richtlinien von keinem Standort aus das Spielfeld als Ganzes einsehbar sein. Wo auch immer man im Hochhaus steht: Der Strafraum der Muttenzer Seite lässt sich nicht überblicken.

Die polygonale Form lässt das Gebäude mal nadelartig, mal eher gedrungen erscheinen; außerdem wechselt es seine Erscheinung mit dem sich verändernden Licht, wirkt also mal gleißend und hell, dann wieder stumpf. Tritt man nahe an den Turm heran, so gerät der zurückfliehende obere Teil aus dem Gesichtsfeld – der Turm wirkt niedriger als er eigentlich ist. Etwas mehr Höhe hätte ihm sicherlich gut getan und seine Selbstständigkeit gegenüber dem Stadion verstärkt. Ein konsequentes Zusammenspiel von Innen und Außen, wie es Prada Aoyama aufweist, ließ sich hier nicht erzielen.

Der Turm umfasst 22 Geschosse – davon zwei Untergeschosse –, die teils Büro-, teils Wohnnutzungen aufweisen. Die Aufteilung erfolgte indes nicht durch einen horizontalen, sondern durch einen vertikalen Schnitt. Die Nähe zur Autobahn und zur Eisenbahntrasse, auf der auch Gefahrgütertransporte verkehren, erlaubte keine Öffnungen zur Nordseite. Daher beanspruchen in den Obergeschossen 5 bis 13 frei einteilbare Bürozonen diesen Teil des Gebäudes, während sich die Wohnungen Richtung Süden orientieren. Nur die Geschosse in der Spitze bleiben rein dem Wohnen vorbehalten.

Die großzügigen und gut geschnittenen Wohnungen variieren zwischen zweieinhalb und sechs Zimmern und sind sämtlich mit Loggien oder Freisitzen versehen. Abgestimmt auf das avisierte Mietersegment ist der Ausbaustandard hoch: versiegeltes Eichenparkett, Chromstahl-Küche, Glasmosaik in hellblau und weiß in den Bädern. Beeindruckend sind die großzügigen, sich aus einem fließenden Raumkontinuum aufbauenden Maisonettewohnungen in den Geschossen 16 und 17, die dank kreuzweiser Verschränkung Ausblicke in sämtliche Richtungen zulassen und somit ein fantastisches Panorama über das zwischen Jura und Schwarzwald sich erstreckende, das Rheinknie umfassende Siedlungsgebiet von Basel bieten.

Separate Eingänge (von der Birsstraße sowie vom Podium aus) und separate Liftanlagen erlauben es, Büro- und Wohnbereiche zu erschließen, ohne deren Publikumsverkehr zu vermischen. Sozusagen als Haus im Haus funktioniert ein autonomer Bereich im Südteil der unteren Geschosse. Ursprünglich als Klinik oder kleines Hotel geplant, wird dieser heute vom FC Basel genutzt.

Von der Spitze aus sich verbreiternd, zieht sich der Turm zum Sockel hin wieder zusammen; die Kräfte werden über Stützen hinter der Fassade zum Kern hin gebündelt und abgetragen. Ein spezieller Aufbau wurde für die Geschossdecken gewählt: Über der unteren Schicht mit der Armierung befindet sich eine zweite, in welche zwecks Gewichtsreduktion kugelförmige Lufteinschlüsse (Cobiax-Hohlkörpersystem) integriert sind. Eine Hülle aus 1 360 in Aluminiumrahmen eingefassten Glaselementen bildet die äußere Fassade des Gebäudes, das wie ein geschliffener Kristall erscheinen will. In den der Sonne ausgesetzten Bereichen sind die Scheiben mit einer Sonnen-/Wärmeschutzbeschichtung versehen, die Decken der Loggien fungieren als Schattenspender. Bei den Wohnungsfassaden kamen geschosshohe Holzfenster zum Einsatz. Unterflurkonvektoren dienen zur Heizung der Räume. Die Energie wird vom Fernwärmenetz Industrielle Werke Basel bezogen, außerdem gibt es eine Wärmerückgewinnungsanlage der Haustechnikinstallationen.

Der Turm wächst aus einem Sockel heraus, der zweierlei Funktionen übernimmt. Zum einen ist er das Dach für die Erweiterung des Shopping Centers im UG. Zum anderen dient er als östlicher Vorplatz für das Stadion – vor und nach dem Spiel kann er als Event- und Partylocation verwendet werden. Große Freitreppen verbinden die Platzfläche mit der St. Jakob- und der Birsstraße. Die Ecke zwischen beiden Straßen schließlich besetzt der Neubau des Autohauses. Das Gebäude entwickelt sich aus einer dreiteiligen, um eine zentrale Stütze gewickelten Rampe und knüpft mit der Faltung seiner Dachlandschaft an den Sockelbereich des bestehenden Stadions an. An der Schnittstelle befinden sich ein Fanshop für den FC Basel – und auch endlich ein attraktiver Abgang in die Unterwelt des um die Hälfte der bestehenden Fläche erweiterten Shopping Centers.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

Archfoto

Hans Ege