Bauwerk

„wohnen im heu“
Martin Scharfetter - Lans (A) - 2004
„wohnen im heu“, Foto: Günter Richard Wett
„wohnen im heu“, Foto: Günter Richard Wett

Von Bestand

Umbau einer Tenne in Lans

20. Dezember 2006 - Karin Triendl
Der Vorwurf, Nachhaltigkeit sei ein mehrdeutiger Begriff, beruht auf einem sprachlichen Missverständnis: Selbstverständlich ist das Adjektiv „nachhaltig“ mehrdeutig, solange nicht angegeben ist, was nachhaltig sein soll ... Daraus entstehende Unklarheiten sind nicht dem Begriff, sondern ausschließlich dessen Benutzern anzulasten.
aus: Petra Stephan, Nachhaltigkeit – ein semantisches Chamäleon

Für viele Spaziergänger scheinen die beiden Gebäude in der Nähe des Lanser Sees bei Innsbruck seit Generationen unverändert. Perfekt im Gelände platziert, wirken das Bauernhaus und die angrenzende Tenne so, als könnte ihnen nichts und niemand etwas anhaben.

Das Leben des Bauherrn hat sich über die Zeit sehr wohl verändert. Er lebt und arbeitet in China, ist dort verheiratet und wollte am elterlichen Grundstück einen Ort für sich und seine Familie schaffen.

Architekt Martin Scharfetter erkannte das Potenzial der seit langem leerstehenden Tenne und schlug dem Bauherrn einen Umbau der etwas anderen Art vor.

Der Bestand, eine Holzkonstruktion mit 13x14 m Grundfläche, sollte als Hülle für das Haus dienen. Balken, Stützen, Schwellen und Pfetten blieben erhalten und formen weiterhin das Traggerüst für die neue Nutzung. Alles andere wurde entfernt, das Dach mit Tonziegeln neu gedeckt.

Als Material für den Neubau, kam aus logistischen Gründen nur Holz in Frage, da alles andere im Inneren schwer manövrierbar gewesen wäre. Das neue Wohnhaus sollte sich innerhalb des Bestandes entwickeln und erst am Ende konnte die äußere Holzschalung der ehemaligen Tenne entsprechend adaptiert werden.

Das Tiroler Raumordnungsgesetz beschränkte die Errichtung zusätzlicher Wohnnutzfläche. Stadt- und Ortsbildschutz erlaubten keine großen Änderungen im Bestand. Zusätzlich wollte man im neuen Haus auf eine gewisse Wohnatmosphäre aus der zweiten Heimat China nicht verzichten. Zu viele Vorgaben für ein so kleines Objekt? Mit sehr viel Leichtigkeit gelang es Martin Scharfetter, die strengen Parameter zu dematerialisieren. Das Projekt gewinnt dadurch an Komplexität und schafft es trotzdem, die Gegenüberstellung zweier Kulturen, zweier Konstruktionen in keinem Punkt banal werden zu lassen. Alt und Neu, Tradition und Moderne werden in Form von vielschichtigen Räumen miteinander in Einklang gebracht. Die Tenne und das neue Wohnhaus bilden eine Symbiose und lassen die Grenzen zwischen Innen und Außen verschwimmen.

Die Konstruktion wurde als zweistöckiges Fachwerk mit stumpfen Stößen und einfachen Dübelverbindungen errichtet. Dabei war es dem Architekten wichtig, das Wohngebäude als eigenständigen Baukörper und im Einklang mit dem Bestand zu bauen. In diesem Sinne wurden alle Vorgaben, wie etwa die Lage der Pfetten oder die Position der alten Treppe, sorgfältig in die Planung integriert.

Im Inneren trifft man auf eine unerwartete Kombination aus hellem Birkenholz für die Deckenuntersichten, Eichenholz für die Stiege und Lärchenholz für die Fenster. Der rustikal anmutende Lehmputz und der helle Steinboden passen sich der asiatischen Raumausstattung an und neutralisieren die bunte Mischung an Einrichtungsgegenständen. Die chinesische Möblierung, Seidentapeten und Tatamis werden vom Gebäude wie selbstverständlich aufgenommen.

Eindeutig modern sind die großen Glasflächen und die Staffelung der Zwischenzonen. Dabei ergeben sich Raumhöhen von nur zwei Metern im japanisch inspirierten Essbereich mit großer Verglasung, fast sechs Meter über der Terrasse. Der Bezug zwischen Innen und Außen, die multifunktionalen Zwischenräume sowie die Balance zwischen Individualität und Unterordnung unter ein allgemeines Prinzip werden zu Grundthemen des Entwurfs.

Die Außenverschalung des Tennengebäudes wurde nach Vorgabe des neuen Inneren partiell entfernt bzw. als Sicht- und Sonnenschutz adaptiert. Nur an wenigen Stellen durchbricht ein Raum die alte Holzschalung und macht auf die neue Nutzung dahinter aufmerksam. In den übrigen Bereichen tritt die neue Hülle elegant in den Hintergrund und sorgt für eine Vielfalt an überdachten Außenräumen. Die gedämmte Fassade wurde mit Fichtenholz beplankt und schwarz gestrichen. Direkte und indirekte Leuchtkörper lassen nachts die Schichtungen im Inneren erkennen und für den Bauherrn wird der äußerst subtile Übergang zwischen Neu und Alt einmal mehr zum Raumerlebnis.

Nicht nur die architektonischen Qualitäten des Umbaus, sondern auch Materialwahl und Flexibilität der Räume lassen die Bezeichnung nachhaltig zu und es liegt nahe, auch die neue Nutzung als eindeutigen Mehrwert darzustellen, ohne den der Weiterbestand des Wirtschaftsgebäudes wohl nicht gesichert gewesen wäre.

Stellt man also die Gleichung nachhaltig = zukunftsfähig an, beweist das Projekt von Martin Scharfetter, dass auch eine Tenne als nachhaltig gelten kann.

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Für den Beitrag verantwortlich: zuschnitt

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