Bauwerk

„Autostadt“
HENN - Wolfsburg (D) - 2000

Vom Pantheon zum Pandämonium

Die «Autostadt» von Volkswagen in Wolfsburg

Direkt neben den traditionsreichen Wolfsburger Werkshallen errichtete die Firma Volkswagen einen Themenpark, auf dem sich alles rund um das Automobil dreht: Die 850 Millionen Mark teure «Autostadt» von Henn Architekten aus München besticht weniger durch herausragende Bauwerke als durch die Totalvermarktung eines Produktes.

28. Juli 2000 - Oliver Herwig
Während der deutsche Expo-Pavillon in Hannover höchstens den Charme eines riesigen Autohauses versprüht, kreierte die Firma Volkswagen im nahen Wolfsburg gleich eine ganze Fahrzeug- Welt. Diese «Autostadt» übersetzt die Faszination der vier Räder in eine Choreographie von Gebäuden und Designstudien. Polarweiss, silbern und nachtschwarz erheben sich die Marken-Pavillons der Töchter Audi, Bentley, Lamborghini, Seat und Skoda inmitten einer 25 Hektar grossen Fjordlandschaft am Mittellandkanal. Diese können Autokäufer und Selbstabholer durchstreifen und sich anregen lassen zum Erwerb des einen oder anderen Extras. Am Ende des Parcours jedenfalls soll der Besuch im «Kundencenter» stehen, einem gläsernen Ellipsoid mit Riesenpylon, wo die Übergabe des Traumautos stattfindet. Es hat etwas von Flughafen und grosser Welt, wenn auf allen Displays der Fahrzeugtyp aufscheint, zusammen mit dem Namen des künftigen Besitzers. Während man in der «Wasserbar» Platz nimmt, ein wenig vom Glas mit Himbeersirup nippt und die Seele baumeln lässt, steht der Wagen in einem der beiden gläsernen Autotürme schon bereit. 800 Fahrzeuge warten dort permanent auf ihre Besitzer. Alle 40 Sekunden rollt ein werksneues Gefährt hinein, über Fahrstühle nach oben, 20 Stockwerke hoch, während ein anderes Richtung Kundencenter verschwindet.

Das weithin sichtbare Herz der «Autostadt» schlägt bisher im Zweizylindertakt. Doch sein Ausbau ist bereits geplant - hin zu 2000 Einheiten am Tag. Vier weitere Glastürme sollen sich einmal am Nordrand erheben, eine Phalanx des Fortschritts, die das dahinter liegende Werkgelände optisch überflügelt, wegdrückt. Mag diese alte Anlage auch noch den bestimmenden architektonischen Akzent setzen und von der Maschinenästhetik vergangener Zeiten künden, von Stahl, Schweiss und Russ, so ist die Autostadt längst weiter. Sie zelebriert nicht nur das Produkt, sondern präsentiert es als Teil einer allumfassenden Lifestyle-Welt. Das Informationszeitalter überrundet die Fertigung. Industrie wird Idyll, wird konsumierbares Lebensgefühl. Aufgabe der Architektur ist es, ebendieses Image zu überhöhen, Präsentations- und Projektionsfläche zu sein für die unter dem Dach von VW versammelten Marken: flexibel und international, doch zugleich aseptisch und leblos.

Insgesamt 850 Millionen Mark investierte VW in die zeitgleich mit der Expo in Hannover eröffnete «Autostadt». Trotz der Bezeichnung «Autostadt» sind die im Landschaftspark verstreuten Pavillons keineswegs urban. Eher gleichen sie barocken Lustschlösschen, ausgefeilten Impressionen inmitten eines gigantischen Spielfeldes. Jeder Pavillon hat seinen eigenen Auftritt. Denn während der Automobilproduzent unter seiner «Plattformstrategie» leidet, welche die gleiche Technik in verschiedenen Marken anbietet, was wiederum Käufer zu den gleichwertigen, aber preiswerteren Töchtern Seat und Skoda abwandern lässt, lieferte das Büro Henn Architekten aus München betont individuelle Pavillons. Die Devise lautete denn auch architektonische Vielfalt. Dabei taten es die Architekten den Konzern- Designern ähnlich, die über gleiche Bodengruppen verschiedenste Hüllen zaubern. Markensymbole sollten in greifbare Bauformen übersetzt werden - aus Audis Ringen entstand etwa ein elliptischer Pavillon mit zentraler Rampe, während Skoda mit der Assoziation «Tschechien - Märchenwelt» spielt. «Eine Botschaft aus einem kleinen Land hinter den Bergen» lautet denn auch der Titel der Begleitbroschüre. Zugleich glitzern in dem radialen Baukörper Tonnen von Bleikristall, was zu einer absurd-beschaulichen Gegeninszenierung zur sonst dominierenden Technik führte.

Seat hingegen probt spanisches Temperament und Lebensfreude. Bereits auf der Rampe zum Pavillon setzt rhythmische Percussion ein. Sie mündet in ein gehauchtes «Sssseat», das beim Überschreiten der Türschwelle erklingt. Wohl weil das durchbrochene S-Logo der Marke zu wenig Stoff für einen Pavillon ergab, griff man zu naturhafter Symbolik: Schnecke und Blatt, die sich zu einer amorphen Form verbinden. - Was bei Skoda nur angedeutet wird, perfektioniert Seat: die Sakralisierung des Fahrzeugs. Nach allerlei Vorhallen führt der Weg hinab ins Herz des Pavillons. Laserlicht empfängt den Besucher, kühles Blau tropft von den Wänden, und man fühlt sich um Tausende von Jahren zurückversetzt. In einem modernen Hypogäum taucht Seats Designkonzeptstudie aus einer kreisrunden Bodenöffnung auf: fliessende Formen, Aerodynamik pur, doch der automobile Gott gibt sich unnahbar hinter Glas.

Bentley entführt einen vollends auf eine mystische Reise: Mit ihrem tief in den künstlichen Hügel eingegrabenen Pavillon wirkt die Traditionsmarke wie in einer gigantischen Nekropole gefangen. Der Besucher schraubt sich in die Erde, vorbei an stampfenden Motoren und Video- Screens. Das Ensemble ist derart mit Symbolik aufgeladen, dass man ein Bersten und Knacken der Mauern zu hören glaubt. Seine Form gewinnt der Hügel in Anlehnung an die Rennstrecke von Le Mans, grüner Granit hingegen verweist auf ewige Markenwerte. Volkswagens «Weltforum der Automobilität» gerinnt hier zu einem Architektursetzkasten. Allein im Schiffsrumpf des «Zeithauses», einem Doppelgebäude mit ständiger Automobilpräsentation, zeigen die Architekten, wozu sie in der Lage sind: freie Formgebung statt symbolbeladener Repräsentationsarchitektur. Durch den langen Riegel des «Konzernforums» verlässt der Besucher ein Gelände, dessen Wunsch nach Bedeutung allerorten spürbar ist. Ein automobiles Pantheon hätte es werden sollen, doch ein architektonisches Pandämonium ist daraus geworden. Der Weg führt an einem gewaltigen Globus vorbei und über den Mittellandkanal, von dem man sich wünschte, er wäre Lethe.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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