Bauwerk
Café Museum - Revitalisierung
- Wien (A) - 2003
Café Gespenst
Als Mythos hat es 100 Jahre überlebt, obwohl kaum eine Schraube vom Original mehr erhalten war: das 1899 von Adolf Loos gestaltete Café Museum. Jetzt ist es rekonstruiert - und doch nicht mehr als eine Kulisse.
3. Januar 2004 - Christian Kühn
Nach einigen trostlosen Monaten, in denen man seinen kleinen Schwarzen anderswo trinken musste, hat das Café Museum am Karlsplatz wieder geöffnet. „Das Museum“ ist eine Institution: Nur Zugereiste und andere Ignoranten dürfen auf die Frage „Treffen wir uns im Museum?“ mit der Gegenfrage „In welchem?“ antworten, denn ohne weitere Bestimmungen wie „kunsthistorisch“ oder „technisch“ kann gar nichts anderes gemeint sein als das Café. Seit 1899 besetzt es einen strategisch wichtigen Punkt in unmittelbarer Nachbarschaft zur Secession mit Blick auf die Karlskirche, kulturgeografisch nicht zum alten Zentrum, sondern zur Vorstadt hin orientiert. Seinen Namen hat das Café von den Hofmuseen mitgebracht, in deren Nähe der erste Besitzer bereits ein Café betrieb, das er - samt Namen - hierher übersiedelte.
Mit der Gestaltung des neuen Lokals wurde ein junger, knapp 30-jähriger Architekt beauftragt, der zwar erst kleinere Umbauten realisiert hatte, aber 1898 durch eine Artikelserie in der „Neuen Freien Presse“ aufgefallen war, in der er anlässlich einer Ausstellung des Österreichischen Kunstgewerbes seine Ideen über zeitgemäßen Lebensstil formuliert hatte: Adolf Loos. Beeinflusst von englischen Vorbildern und von einem dreijährigen Aufenthalt in den USA von 1893 bis 1896, wandte er sich dabei sowohl gegen den damals dominierenden Historismus als auch gegen alle Versuche, mit Hilfe der bildenden Künste einen neuen Stil zu erschaffen. Ein neuer Stil - so Loos - sei schon längst da, in den zweckmäßigen, ornamentlosen und materialgerecht geformten Alltagsgegenständen, die das Handwerk überall dort hervorbringen könne, wo es sich von den bildenden Künstlern nicht bevormunden lasse.
Zu den Bevormundern rechnete Loos zeitlebens auch die Mehrheit der Architekten, nicht nur die historisierenden, sondern auch die modernen. Sein Freund Karl Kraus lieferte dazu in einem Aphorismus die knappste Zusammenfassung: Loos hätte nichts anderes getan, als auf den Unterschied zwischen einer Urne und einem Nachttopf hinzuweisen, während die anderen entweder - im Historismus und bei den Wiener Werkstätten - den Nachttopf zur Urne oder - im Funktionalismus - die Urne zum Nachttopf hätten machen wollen. Loos war bereit, traditionelle Lösungen zu übernehmen, wenn sie ihm für den „Menschen mit den modernen Nerven“ noch verwendbar erschienen. Aber Tradition war für ihn kein Wert an sich. Seine Architektur war radikal gegenwartsbezogen, ohne Sentimentalität für eine angeblich bessere Vergangenheit, aber auch ohne das utopische Erlösungspathos der klassischen Moderne.
Das Café Museum war das erste größere Werk, in dem Loos seine Ideen umsetzen konnte. Auf den historischen Fotografien ist ein Raum ohne Besonderheiten zu erkennen, einfache Thonet-Sessel, dunkle Wandverkleidungen aus Holz bis zur Höhe der Sessellehnen, darüber eine gestreifte Tapete, oben mit einer Messingleiste abgeschlossen. Die gewölbte, weiße Decke ist durch weitere Messingleisten gegliedert, die elektrische Leitungen abdecken. Gruppen von Glühbirnen sind an Kabeln von diesen Leisten abgehängt, weitere Beleuchtungskörper - offensichtlich mit Gas betrieben - befinden sich an den Wänden, wobei die offen geführten Gasrohre zugleich als Garderobestangen verwendet werden. Spiegel kommen mehrfach zum Einsatz, an den Stirnwänden und an der Kasse, um den Blick der über den Eckeingang eintretenden Besucher diagonal in die beiden Haupträume zu lenken.
Die Thonet-Sessel hat Loos nicht selbst entworfen, sondern Elemente aus mehreren verfügbaren Typen zu einem besonders leichten und eleganten Stuhl kombiniert. Das verwendete Bugholz hatte elliptische an Stelle von runden Querschnitten und war - wie sich an erhaltenen Originalen nachweisen lässt - in einem hellen Rot gebeizt.
Loos hat hier nichts neu erfunden, aber vieles weggelassen, was seinen Zeitgenossen als unverzichtbar erschien: Ornament und Plüsch, jede Art von forcierter Gestaltung. Was Karl Kraus über die Kritiker des Hauses am Michaelerplatz schrieb, gilt auch für jene, die schon das „Museum“ als „Café Nihilismus“ denunzierten: „Er hat ihnen dort einen Gedanken hingebaut. Sie aber fühlen sich nur vor den architektonischen Stimmungen wohl.“ Gar nicht gemütlich ist auch die Fassade des Cafés, an der Loos auf alle Zierelemente verzichtete und nur eine weiß verputzte Wand mit großen Fensteröffnungen übrig ließ, auf der in Goldbuchstaben der Schriftzug Café Museum angebracht ist.
Diese Fassade ist das einzige Element des ursprünglichen Lokals, das die Zeit halbwegs unbeschadet überdauert hat. Schon in den 1930er-Jahren wurde das Lokal von Josef Zotti, einem Schüler Josef Hoffmanns, völlig umgebaut. Seither hat es mehrfache Adaptierungen gegeben, die dem Lokal eine unverwechselbare, leicht verwegene Physiognomie verpassten. Als das Lokal im Frühjahr 2003 „wegen Renovierung“ geschlossen wurde, war zuerst davon die Rede, dass Eichinger oder Knechtl eine Sanierung durchführen sollten, und man durfte hoffen, dass den historischen Schichten und Mythen nun neue, aktuelle folgen würden.
Diese Hoffnung hat sich mit der Wiedereröffnung einer anhand der alten Fotografien aus dem Jahr 1899 erstellten Rekonstruktion zerschlagen. Das spekulative Motiv dieser Rekonstruktion, den großen Namen, der so gut ins „Wien-um-1900“-Klischee passt, umsatz- und gewinnbringend auszuschlachten, ist offensichtlich. Wissenschaftlich hat die Rekonstruktion nichts erbracht, was nicht auch bei einer korrekten Bauaufnahme hätte herausgefunden werden können. Farbe und Material der gestreiften Tapeten konnten an zwei Stellen entdeckt werden: gestrichenes Baumwollgewebe und nicht Velourstapeten, wie in einer zeitgenössischen Schilderung zu lesen ist. Bei der Beleuchtung zeigt sich aber die Unmöglichkeit, den historischen Zustand zu rekonstruieren: Die Beleuchtungskörper an Stelle der Gasbeleuchtung mögen in den Abmessungen korrekt sein, wirken aber größer und plumper, von der Lichtcharakteristik gar nicht zu reden. Dasselbe gilt von den die originalen Kohlefaserlampen ersetzenden Glühbirnen. Der Fußboden, der auf den Fotos am ehesten nach dem braunen Linoleum aussieht, das in zeitgenössischen Amtsgebäuden verlegt war, wurde ratlos mit einem Eichenparkett belegt, weil sich im Schichtenaufbau kein Linoleum nachweisen ließ.
Aber das sind Details. Selbst wenn die Fälschung echter wäre als das Original: Das Café Museum von 1899 war ein Schritt nach vorn, das neu-alte Café Museum ist ein Schritt zurück. Dass gerade ein Architekt wie Loos, der wie kein anderer an der Gegenwart interessiert war, bei einer solchen Charade vorgeführt wird, tut besonders weh. Aber Loos scheint geahnt zu haben, dass die Angst der Wiener vor der Gegenwart unheilbar ist: „Mir bangt nicht für mich“, sagt er in einem Vortrag über das Haus am Michaelerplatz aus dem Jahr 1911, in dem er mit seinen Kritikern abrechnet. „Mir bangt für die Baukünstler in 100 Jahren. Wen werden sie davon in 100 Jahren mit dem Haus am Michaelerplatz erschlagen?“
Mit der Gestaltung des neuen Lokals wurde ein junger, knapp 30-jähriger Architekt beauftragt, der zwar erst kleinere Umbauten realisiert hatte, aber 1898 durch eine Artikelserie in der „Neuen Freien Presse“ aufgefallen war, in der er anlässlich einer Ausstellung des Österreichischen Kunstgewerbes seine Ideen über zeitgemäßen Lebensstil formuliert hatte: Adolf Loos. Beeinflusst von englischen Vorbildern und von einem dreijährigen Aufenthalt in den USA von 1893 bis 1896, wandte er sich dabei sowohl gegen den damals dominierenden Historismus als auch gegen alle Versuche, mit Hilfe der bildenden Künste einen neuen Stil zu erschaffen. Ein neuer Stil - so Loos - sei schon längst da, in den zweckmäßigen, ornamentlosen und materialgerecht geformten Alltagsgegenständen, die das Handwerk überall dort hervorbringen könne, wo es sich von den bildenden Künstlern nicht bevormunden lasse.
Zu den Bevormundern rechnete Loos zeitlebens auch die Mehrheit der Architekten, nicht nur die historisierenden, sondern auch die modernen. Sein Freund Karl Kraus lieferte dazu in einem Aphorismus die knappste Zusammenfassung: Loos hätte nichts anderes getan, als auf den Unterschied zwischen einer Urne und einem Nachttopf hinzuweisen, während die anderen entweder - im Historismus und bei den Wiener Werkstätten - den Nachttopf zur Urne oder - im Funktionalismus - die Urne zum Nachttopf hätten machen wollen. Loos war bereit, traditionelle Lösungen zu übernehmen, wenn sie ihm für den „Menschen mit den modernen Nerven“ noch verwendbar erschienen. Aber Tradition war für ihn kein Wert an sich. Seine Architektur war radikal gegenwartsbezogen, ohne Sentimentalität für eine angeblich bessere Vergangenheit, aber auch ohne das utopische Erlösungspathos der klassischen Moderne.
Das Café Museum war das erste größere Werk, in dem Loos seine Ideen umsetzen konnte. Auf den historischen Fotografien ist ein Raum ohne Besonderheiten zu erkennen, einfache Thonet-Sessel, dunkle Wandverkleidungen aus Holz bis zur Höhe der Sessellehnen, darüber eine gestreifte Tapete, oben mit einer Messingleiste abgeschlossen. Die gewölbte, weiße Decke ist durch weitere Messingleisten gegliedert, die elektrische Leitungen abdecken. Gruppen von Glühbirnen sind an Kabeln von diesen Leisten abgehängt, weitere Beleuchtungskörper - offensichtlich mit Gas betrieben - befinden sich an den Wänden, wobei die offen geführten Gasrohre zugleich als Garderobestangen verwendet werden. Spiegel kommen mehrfach zum Einsatz, an den Stirnwänden und an der Kasse, um den Blick der über den Eckeingang eintretenden Besucher diagonal in die beiden Haupträume zu lenken.
Die Thonet-Sessel hat Loos nicht selbst entworfen, sondern Elemente aus mehreren verfügbaren Typen zu einem besonders leichten und eleganten Stuhl kombiniert. Das verwendete Bugholz hatte elliptische an Stelle von runden Querschnitten und war - wie sich an erhaltenen Originalen nachweisen lässt - in einem hellen Rot gebeizt.
Loos hat hier nichts neu erfunden, aber vieles weggelassen, was seinen Zeitgenossen als unverzichtbar erschien: Ornament und Plüsch, jede Art von forcierter Gestaltung. Was Karl Kraus über die Kritiker des Hauses am Michaelerplatz schrieb, gilt auch für jene, die schon das „Museum“ als „Café Nihilismus“ denunzierten: „Er hat ihnen dort einen Gedanken hingebaut. Sie aber fühlen sich nur vor den architektonischen Stimmungen wohl.“ Gar nicht gemütlich ist auch die Fassade des Cafés, an der Loos auf alle Zierelemente verzichtete und nur eine weiß verputzte Wand mit großen Fensteröffnungen übrig ließ, auf der in Goldbuchstaben der Schriftzug Café Museum angebracht ist.
Diese Fassade ist das einzige Element des ursprünglichen Lokals, das die Zeit halbwegs unbeschadet überdauert hat. Schon in den 1930er-Jahren wurde das Lokal von Josef Zotti, einem Schüler Josef Hoffmanns, völlig umgebaut. Seither hat es mehrfache Adaptierungen gegeben, die dem Lokal eine unverwechselbare, leicht verwegene Physiognomie verpassten. Als das Lokal im Frühjahr 2003 „wegen Renovierung“ geschlossen wurde, war zuerst davon die Rede, dass Eichinger oder Knechtl eine Sanierung durchführen sollten, und man durfte hoffen, dass den historischen Schichten und Mythen nun neue, aktuelle folgen würden.
Diese Hoffnung hat sich mit der Wiedereröffnung einer anhand der alten Fotografien aus dem Jahr 1899 erstellten Rekonstruktion zerschlagen. Das spekulative Motiv dieser Rekonstruktion, den großen Namen, der so gut ins „Wien-um-1900“-Klischee passt, umsatz- und gewinnbringend auszuschlachten, ist offensichtlich. Wissenschaftlich hat die Rekonstruktion nichts erbracht, was nicht auch bei einer korrekten Bauaufnahme hätte herausgefunden werden können. Farbe und Material der gestreiften Tapeten konnten an zwei Stellen entdeckt werden: gestrichenes Baumwollgewebe und nicht Velourstapeten, wie in einer zeitgenössischen Schilderung zu lesen ist. Bei der Beleuchtung zeigt sich aber die Unmöglichkeit, den historischen Zustand zu rekonstruieren: Die Beleuchtungskörper an Stelle der Gasbeleuchtung mögen in den Abmessungen korrekt sein, wirken aber größer und plumper, von der Lichtcharakteristik gar nicht zu reden. Dasselbe gilt von den die originalen Kohlefaserlampen ersetzenden Glühbirnen. Der Fußboden, der auf den Fotos am ehesten nach dem braunen Linoleum aussieht, das in zeitgenössischen Amtsgebäuden verlegt war, wurde ratlos mit einem Eichenparkett belegt, weil sich im Schichtenaufbau kein Linoleum nachweisen ließ.
Aber das sind Details. Selbst wenn die Fälschung echter wäre als das Original: Das Café Museum von 1899 war ein Schritt nach vorn, das neu-alte Café Museum ist ein Schritt zurück. Dass gerade ein Architekt wie Loos, der wie kein anderer an der Gegenwart interessiert war, bei einer solchen Charade vorgeführt wird, tut besonders weh. Aber Loos scheint geahnt zu haben, dass die Angst der Wiener vor der Gegenwart unheilbar ist: „Mir bangt nicht für mich“, sagt er in einem Vortrag über das Haus am Michaelerplatz aus dem Jahr 1911, in dem er mit seinen Kritikern abrechnet. „Mir bangt für die Baukünstler in 100 Jahren. Wen werden sie davon in 100 Jahren mit dem Haus am Michaelerplatz erschlagen?“
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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