Bauwerk
Rock Garden
Nek Chand - Chandigarh (IND) - 1976
Der Zaubergarten von Chandigarh
1. März 2000 - Udo Weilacher
«Lasst dies eine neue Stadt sein, ein Symbol für die Freiheit Indiens. Unbeirrt von den Traditionen der Vergangenheit . . . ein Ausdruck für den Glauben der Nation an die Zukunft», so forderte der erste Premierminister des unabhängigen Indien, Jawaharlal Nehru, für die neue Provinzhauptstadt des Punjab. Chandigarh, eine der wenigen realisierten Planstädte des 20. Jahrhunderts, entwickelte sich unter der Federführung von Le Corbusier in den fünfziger und sechziger Jahren wahrhaftig zu einem eindrucksvollen städtebaulichen Monument für das moderne Indien. Im funktional gegliederten Stadtraster mit den Ikonen moderner Stahlbetonarchitektur und den grosszügigen Grünräumen ist das Wesen des traditionellen indischen Lebens nur mit Mühe sichtbar. Und doch existiert es in hochkonzentrierter Form im rätselhaften «Rock Garden» am nordwestlichen Rand der Verwaltungsstadt.
Denn zur gleichen Zeit, wie Le Corbusiers grandiose Visionen gebaute Realität wurden, begann Nek Chand, ein bescheidener Strasseninspektor des Chandigarh Public Works Department, mit der Verwirklichung seines Traumes von einem märchenhaften Königreich im verwilderten Buschwerk der Peripherie. In der Planstadt, wo im Unterschied zu anderen indischen Städten jegliche Baumassnahme der amtlichen Genehmigung bedurfte, war weder die Rodung von Gestrüpp noch der Bau einer kleinen Hütte ohne Bewilligung möglich. So arbeitete Nek Chand im Verborgenen, oft nachts. Seit 1958 sammelte er Steine, Schutt und Material, das beim Abbruch alter Siedlungen und beim Bau der neuen Stadt anfiel, und karrte alles per Fahrrad auf seine Baustelle.
Nach siebenjähriger Sammeltätigkeit begann der eigenwillige Aussenseiter mit der Erschaffung phantasievoller Skulpturen aus Zement, die er mit farbigen Textilresten, Keramikscherben, Glassplittern und anderen Werkstoffen aus seinem Materiallager kunstvoll veredelte. Die Skulpturen- und Steinsammlung beanspruchte mit der Zeit soviel Raum, dass Nek Chand immer mehr Fläche kultivieren musste, um die Wildnis nach Dienstschluss in ein würdiges Zuhause für seine Kreationen zu verwandeln.
Als die Behörden 1972 im Zuge geplanter Baumassnahmen den Busch roden wollten, standen sie unvermittelt einem bunten Volk von etwa zweitausend Skulpturen gegenüber. Die Konfrontation mit dieser illegal erschaffenen Welt löste grosse behördliche Empörung aus. Innerhalb kurzer Zeit wusste aber auch ganz Chandigarh von Nek Chands wundervollem Garten, und mit Unterstützung lokaler Unternehmer, die ihm Transportmittel und Material zur Verfügung stellten, konnte der Bau einer Reihe kleinerer Ausstellungshöfe und damit die erste Phase des Projektes erfolgreich abgeschlossen werden.
Wenige Jahre später beugte sich die Verwaltung dem öffentlichen Druck und eröffnete 1976 den Rock Garden als städtische Einrichtung, für deren Betreuung und Ausbau Nek Chand von nun an offiziell zuständig war. Ausgestattet mit eigenem Budget, fünfzig Arbeitskräften, Baugerät, Wasser- und Stromanschluss, machte sich der frischgebackene «Sub-Divisional Engineer, Rock Garden», mit unbändiger Schaffenskraft an die zweite Ausbauphase seines Gartens. Schliesslich fühlte er sich von Gott berufen, der Menschheit ein Geschenk zu machen und ein Zeichen für Toleranz und Frieden zu setzen. Neue, grössere Ausstellungshöfe wurden errichtet, Gebäude und unzählige Menschen- und Tierskulpturen entstanden, ein labyrinthisches System aus Wegen und Wasserläufen entwickelte sich, und last, not least musste die Materialbeschaffung besser organisiert werden: Ein ausgeklügeltes Recyclingprogramm gewährleistete die effiziente Sammlung und Verwertung von allem, was noch irgendwie hätte von Nutzen sein können, vom Fahrradsattel bis zur Leuchtstoffröhre.
Im Gegensatz zu den Bauplänen der modernen Idealstadt existiert der komplexe Plan des Rock Garden nur im Kopf von Nek Chand. Wer sein Reich das erstemal durch das kleine Eingangsportal in der hohen, von Gänsen bekrönten Gartenmauer betritt, hat nicht die geringste Ahnung, was ihn an der nächsten Biegung des engen Hohlweges, dort drüben hinter dem Gartentor oder im folgenden Hof erwartet. Vielleicht blickt eine ganze Affenherde freundlich auf einen herab, Mädchengestalten tragen in endlosem Zug ihre Wasserkrüge auf dem Kopf zum Brunnen, oder Hunderte von zierlichen Gestalten vollführen ihren rituellen Tanz für eine der zahllosen indischen Gottheiten, die in den Figuren wiederum eine ihrer vielfältigen Inkarnationen finden. So ausufernd wie die altindischen Helden- und Göttersagen Mahabharata und Ramayana, so überbordend ist die Phantasiewelt des Rock Garden.
Etwa zehn Hektaren Fläche umfasst mittlerweile der Garten, den man seit der dritten Ausbauphase ab 1983 getrost als Park bezeichnen kann. Durch eine tiefe, künstlich angelegte Schlucht, vorbei an einem tosenden Wasserfall, im Schatten der Bäume und zahlreicher palastartiger Bauten auf dem Hügel erreicht man eine grosse Lichtung im Park. Mit seinen farbigen Keramikbelägen und einer rustikal zementierten Arkadenkonstruktion erinnert die Szenerie den Europäer fast ein wenig an den Parc Güell in Barcelona. In jedem der fünfzig hohen Bögen ist eine Schaukel aufgehängt, auf der sich die Kinder ausgelassen vergnügen, während Tempel, Amphitheater und Grotten zu neuen Erkundungen locken. Eine Vielzahl meterhoher Skulpturen bevölkert das Bild, und ein hoher, beleuchteter Turm soll demnächst ein weithin sichtbares Signal für Nek Chands Paradies setzen. Wie alle Paradiese ist auch dieses trotz seiner internationalen Bekanntheit bedroht. Nur dem mutigen Widerstand der Anwohner ist es zu verdanken, dass die phantasievolle Gegenwelt zur modernen Idealstadt von den Behörden nicht schon längst einem Strassenbauprojekt weichen musste.
Denn zur gleichen Zeit, wie Le Corbusiers grandiose Visionen gebaute Realität wurden, begann Nek Chand, ein bescheidener Strasseninspektor des Chandigarh Public Works Department, mit der Verwirklichung seines Traumes von einem märchenhaften Königreich im verwilderten Buschwerk der Peripherie. In der Planstadt, wo im Unterschied zu anderen indischen Städten jegliche Baumassnahme der amtlichen Genehmigung bedurfte, war weder die Rodung von Gestrüpp noch der Bau einer kleinen Hütte ohne Bewilligung möglich. So arbeitete Nek Chand im Verborgenen, oft nachts. Seit 1958 sammelte er Steine, Schutt und Material, das beim Abbruch alter Siedlungen und beim Bau der neuen Stadt anfiel, und karrte alles per Fahrrad auf seine Baustelle.
Nach siebenjähriger Sammeltätigkeit begann der eigenwillige Aussenseiter mit der Erschaffung phantasievoller Skulpturen aus Zement, die er mit farbigen Textilresten, Keramikscherben, Glassplittern und anderen Werkstoffen aus seinem Materiallager kunstvoll veredelte. Die Skulpturen- und Steinsammlung beanspruchte mit der Zeit soviel Raum, dass Nek Chand immer mehr Fläche kultivieren musste, um die Wildnis nach Dienstschluss in ein würdiges Zuhause für seine Kreationen zu verwandeln.
Als die Behörden 1972 im Zuge geplanter Baumassnahmen den Busch roden wollten, standen sie unvermittelt einem bunten Volk von etwa zweitausend Skulpturen gegenüber. Die Konfrontation mit dieser illegal erschaffenen Welt löste grosse behördliche Empörung aus. Innerhalb kurzer Zeit wusste aber auch ganz Chandigarh von Nek Chands wundervollem Garten, und mit Unterstützung lokaler Unternehmer, die ihm Transportmittel und Material zur Verfügung stellten, konnte der Bau einer Reihe kleinerer Ausstellungshöfe und damit die erste Phase des Projektes erfolgreich abgeschlossen werden.
Wenige Jahre später beugte sich die Verwaltung dem öffentlichen Druck und eröffnete 1976 den Rock Garden als städtische Einrichtung, für deren Betreuung und Ausbau Nek Chand von nun an offiziell zuständig war. Ausgestattet mit eigenem Budget, fünfzig Arbeitskräften, Baugerät, Wasser- und Stromanschluss, machte sich der frischgebackene «Sub-Divisional Engineer, Rock Garden», mit unbändiger Schaffenskraft an die zweite Ausbauphase seines Gartens. Schliesslich fühlte er sich von Gott berufen, der Menschheit ein Geschenk zu machen und ein Zeichen für Toleranz und Frieden zu setzen. Neue, grössere Ausstellungshöfe wurden errichtet, Gebäude und unzählige Menschen- und Tierskulpturen entstanden, ein labyrinthisches System aus Wegen und Wasserläufen entwickelte sich, und last, not least musste die Materialbeschaffung besser organisiert werden: Ein ausgeklügeltes Recyclingprogramm gewährleistete die effiziente Sammlung und Verwertung von allem, was noch irgendwie hätte von Nutzen sein können, vom Fahrradsattel bis zur Leuchtstoffröhre.
Im Gegensatz zu den Bauplänen der modernen Idealstadt existiert der komplexe Plan des Rock Garden nur im Kopf von Nek Chand. Wer sein Reich das erstemal durch das kleine Eingangsportal in der hohen, von Gänsen bekrönten Gartenmauer betritt, hat nicht die geringste Ahnung, was ihn an der nächsten Biegung des engen Hohlweges, dort drüben hinter dem Gartentor oder im folgenden Hof erwartet. Vielleicht blickt eine ganze Affenherde freundlich auf einen herab, Mädchengestalten tragen in endlosem Zug ihre Wasserkrüge auf dem Kopf zum Brunnen, oder Hunderte von zierlichen Gestalten vollführen ihren rituellen Tanz für eine der zahllosen indischen Gottheiten, die in den Figuren wiederum eine ihrer vielfältigen Inkarnationen finden. So ausufernd wie die altindischen Helden- und Göttersagen Mahabharata und Ramayana, so überbordend ist die Phantasiewelt des Rock Garden.
Etwa zehn Hektaren Fläche umfasst mittlerweile der Garten, den man seit der dritten Ausbauphase ab 1983 getrost als Park bezeichnen kann. Durch eine tiefe, künstlich angelegte Schlucht, vorbei an einem tosenden Wasserfall, im Schatten der Bäume und zahlreicher palastartiger Bauten auf dem Hügel erreicht man eine grosse Lichtung im Park. Mit seinen farbigen Keramikbelägen und einer rustikal zementierten Arkadenkonstruktion erinnert die Szenerie den Europäer fast ein wenig an den Parc Güell in Barcelona. In jedem der fünfzig hohen Bögen ist eine Schaukel aufgehängt, auf der sich die Kinder ausgelassen vergnügen, während Tempel, Amphitheater und Grotten zu neuen Erkundungen locken. Eine Vielzahl meterhoher Skulpturen bevölkert das Bild, und ein hoher, beleuchteter Turm soll demnächst ein weithin sichtbares Signal für Nek Chands Paradies setzen. Wie alle Paradiese ist auch dieses trotz seiner internationalen Bekanntheit bedroht. Nur dem mutigen Widerstand der Anwohner ist es zu verdanken, dass die phantasievolle Gegenwelt zur modernen Idealstadt von den Behörden nicht schon längst einem Strassenbauprojekt weichen musste.
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