Bauwerk

Ground Zero - Überbau des Fernbahnhofs
Santiago Calatrava - New York (USA) - 2003

Flügel über Ground Zero

Santiago Calatravas Projekt für den neuen Umsteigebahnhof in Lower Manhattan

6. Februar 2004 - Roman Hollenstein
Die Terrorattacke vom 11. September 2001 verursachte nicht nur grosses Leid. Durch sie verlor Manhattan auch ein Wahrzeichen und die Hochhausarchitektur ihr minimalistisches Hauptwerk. Ob dafür ebenbürtiger Ersatz geschaffen werden kann, scheint heute ungewisser denn je. Zu widersprüchlich sind die Wünsche von Investoren, Politikern und Hinterbliebenen, als dass die verschiedenen Projekte - Mahnmal, Bürotürme, Grünraum und Verkehrsbauten - zu einem überzeugenden architektonischen Ganzen verschmolzen werden könnten. Der Masterplan von Daniel Libeskind, von vielen als Geniestreich gefeiert, wirkte vor allem durch die Verführungskunst des Modells, das in der Umsetzung - wohl meist durch kommerziell denkende Architekten - viel von seiner Magie einbüssen dürfte. Denn wenn Baukunst und Investoreninteressen aufeinander prallen, kann kaum Grosses entstehen. Das zeigte der Wirbel um den Entwurf des Freedom Tower, den der im Turmbau unerfahrene Libeskind nun in Zusammenarbeit mit dem Hochhausspezialisten David Childs von SOM, der Larry Silversteins Vertrauen geniesst, realisieren muss. Auch beim Mahnmal auf Ground Zero gab es viel Hin und Her. Am Ende eines Wettbewerbs der Superlative wurde schliesslich ein zurückhaltend einfaches, in den Computerbildern durchaus ansprechendes Projekt gekürt. Doch dürfte es dem zuvor gänzlich unbekannten Architekten Michael Arad schwer fallen, diesen unsentimentalen Entwurf durchzusetzen, zumal sein Konzept vom Landschaftsgestalter Peter Walker bereits zum Lieblichen hin verwässert wurde.

So schienen denn bis anhin an Ground Zero alle architektonischen Hoffnungen zu zerschellen. Doch dann kürte die Port Authority in einem Auswahlverfahren für den neuen Umsteigebahnhof mit Santiago Calatrava einen Architekten, in dessen Bauten sich die Aura des Startums mit technischer Virtuosität vereint. Obwohl Calatrava in jüngster Zeit vor allem mit exzentrischen Kulturbauten in Valencia, Milwaukee oder Santa Cruz de Tenerife auf sich aufmerksam machte, sind es (neben den spektakulären Brücken) doch vor allem Bahnhöfe, die seinen Ruf begründeten. Beim Zürcher Bahnhof Stadelhofen, bei den Bahnhofshallen von Luzern und Lyon-Satolas oder den Perronüberdachungen in Lissabon zeigte er, wie durch das Zusammenklingen von Ingenieurskunst und Architektur Verkehrsbauten zu zoomorphen Meisterwerken werden können. Im Entwurf des aus den Tiefen von Ground Zero emporstrebenden WTC-Bahnhofs kann man denn auch ein Insekt mit flirrenden Flügeln oder aber eine weisse Friedenstaube sehen. Unter dieser für Calatrava typischen, formal aber bereits etwas abgenutzten Bauskulptur aus hellem Beton, Stahl und Glas wird sich dereinst eine transparente, sich bei gutem Wetter wie eine Blume öffnende Halle weiten, die all das an Luft, Raum und Klarheit bieten dürfte, was die düster lastende Penn Station den Reisenden verwehrt. Über ein Dutzend U-Bahn-Linien sowie der Path Train nach New Jersey werden an diesem lichten unterirdischen Umsteigebahnhof zusammentreffen und ein gigantisches Nervenzentrum des öffentlichen Verkehrs bilden.

Der in der Meisterung grosser Projekte erfahrene Calatrava dürfte sich in den Monaten bis zum Baubeginn Anfang 2005 mit Unterstützung der als Bauherrin fungierenden Port Authority gegen allfällige Änderungswünsche gewiss besser durchsetzen können als Libeskind, zumal sein Entwurf jüngst von George Pataki und Michael Bloomberg ebenso enthusiastisch begrüsst wurde wie von der Bevölkerung und den Medien (NZZ 24. 1. 04). Damit besteht die Chance, dass auf Ground Zero doch noch ein Werk aus einem Guss entstehen wird: ein tief in die Erde hineinreichender, aber von Tageslicht durchfluteter Verkehrstempel, der nach der Fertigstellung im Jahr 2009 den ihn umgebenden Wolkenkratzern durchaus die Show stehlen könnte. Wohl nicht ganz zu Unrecht: Denn für die Metropolen der Zukunft wird ein attraktiver und effizienter öffentlicher Verkehr immer wichtiger. Und dieser sollte - wie schon einmal im 19. Jahrhundert - durchaus mit imposanten Monumenten auf sich aufmerksam machen können.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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