Bauwerk

Paternoster Square - Umgestaltung
Allies & Morrison, Whitfield & Partners, Eric Parry Architects, MacCormac Jamieson Pritchard, Sheppard Robson - London (GB) - 2004

Im Schatten von Christopher Wren

Schauplatz London

Ende des Architekturstreits um den Paternoster Square

10. Februar 2004 - Georges Waser
Bevor sie im Jahr 2008 ihren dreihundertsten Geburtstag feiert, soll die Londoner St.- Pauls-Kathedrale eine aufwendige Restaurierung erfahren. Einen neuen Look erhielt bereits jetzt der anliegende Paternoster Square - allerdings erst nach einer Kontroverse, zu der Prinz Charles vor sechzehn Jahren den Anstoss gegeben hatte, indem er moderne Architekten der Vergewaltigung britischer Stadtzentren beschuldigte.

Zwar wurde 1666, nachdem das Grosse Feuer die Londoner City in einen Aschenhaufen verwandelt hatte, der grandiose Plan des Architekten Christopher Wren zum Wiederaufbau der Stadt nicht ausgeführt. Doch mit 51 unter seiner Aufsicht neu entstandenen Kirchen sollte Wren das Weichbild Londons dann trotzdem prägen - insbesondere mit seinem Hauptwerk, der mit St. Peter in Rom wetteifernden St.-Pauls-Kathedrale. Drei Jahrhunderte lang dominierte die gewaltige Kuppel des 1708 vollendeten Sakralbaus die Silhouette der City: Jahrhunderte, in denen ein Baustil den andern ablöste, von Queen Anne über Georgian und Regency bis hin zu Victorian und Edwardian. Auch als London von der deutschen Luftwaffe bombardiert wurde, blieb die Kirche das Wahrzeichen in einem Trümmerfeld. Auf der Höhe von Ludgate Hill wirkt sie heute noch imposant. Ihr Hintergrund allerdings, die City mit ihren neuzeitlichen Betonklötzen, ist längst über die Kathedrale hinausgewachsen.


Der Kreuzzug von Prinz Charles

Mit einem Architekturwettbewerb zur Umgestaltung des auf der Nordseite der Kathedrale liegenden Paternoster Square begann 1987 eine Debatte, die in den neunziger Jahren zur Leidensgeschichte werden sollte. Als Sieger des Wettbewerbs, an dem sich unter anderen Richard Rogers, Norman Foster, James Stirling und Richard MacCormac beteiligt hatten, waren Arup Associates mit Plänen für Bürobauten und Geschäfte hervorgegangen. Kaum waren die Entwürfe in der St.-Pauls-Kathedrale dem Publikum zugänglich, schwang sich Prinz Charles zum «Kreuzritter in Sachen Architektur» auf: Er äusserte sich beleidigend zum Arup-Projekt und brachte es zustande, dass dieses verworfen und bei John Simpson - einem Günstling des Prinzen - neue Pläne in Auftrag gegeben wurden. Doch auch diese Entwürfe stiessen auf Widerstand, entsprachen sie doch, wie es die Presse formulierte, mit ihrem Disneyland-Look der von Charles über alles geliebten «Bimbo-Architecture».

So scheiterten schliesslich auch Simpson und Charles trotz Versuchen, ihr Projekt durch Änderungen zu retten. Wie Simpson aber sollten noch andere Architekten kommen und gehen. Bis William Whitfield mit neuen Plänen beauftragt und diese jetzt endlich verwirklicht wurden, standen der Paternoster Square mit seinen schäbigen Bauten aus den sechziger Jahren und mit ihm die unmittelbare Nachbarschaft der St.-Pauls-Kathedrale zum Schandfleck verurteilt da. Erschwerend hatte sich übrigens auch ausgewirkt, dass das Gelände seit 1985 sozusagen im Eiltempo immer wieder den Besitzer wechselte - erst hiess dieser Stanhope, dann Mountleigh, dann Cisneros, dann Greycoat und letztlich Mitsubishi, woraus hervorgeht, dass am Paternoster Square neben einheimischen auch eine venezolanische und eine japanische Organisation spekulierten. Der bei jedem Verkauf höher werdende Preis bedeutete aber auch, dass es den jeweiligen neuen Besitzer, dachte dieser an einen Profit, nach Plänen mit grösseren Bauten verlangen musste.

Zu der Verwandlung des Paternoster Square haben schliesslich neben William Whitfield auch die Architekten MacCormac, Eric Parry & Allies sowie Morrison beigetragen. Und wenn auch die Architekturbeilagen der englischen Zeitungen das Resultat bisher mehrheitlich negativ kommentierten: Der Square, das heisst der freie Raum ebenso wie der bauliche Rahmen, beeindruckt sowohl durch das verwendete Material - Portland-Stein, Granit, Marmor, Schiefer sowie Bronze - als auch durch die farbliche Komposition. Die Arkaden, Sitzgelegenheiten, ja das auf eine korinthische Säule hinlaufende Muster der Gehfläche wirken gefällig, und gelegentlich vermag eine Sicht auf die St.-Pauls-Kathedrale zu überraschen, bedienten sich die Architekten doch theatralischer Tricks. Und dennoch, wo immer sich der Betrachter hinstellt: Es bleibt der erste Eindruck, dass nicht alles stimmt. Dieser Eindruck hat mit dem Massstab zu tun; indem rings um den Paternoster Square zu gedrängt gebaut wurde, ging das Gefühl für den richtigen Abstand zu der gewaltigen Kathedrale verloren. Weiter ist es auch unglücklich, dass sich über der wohl schönsten Arkade der ganzen Anlage ein Gebäude erhebt, das an die Architektur im faschistischen Italien erinnert.


Gefällig - und doch nicht ganz richtig

Einst hatten in der anliegenden Paternoster Row der Dramatiker William Shakespeare und nach ihm der Dichter John Milton mit Manuskripten in der Hand herumgestanden. Der daraus entstandenen Tradition des Buchhandels war der Paternoster Square bis ins 20. Jahrhundert hinein verpflichtet geblieben: In vielen der hier domizilierten kleinen Läden arbeiteten Buchhändler - so waren denn unter dem, was im Zweiten Weltkrieg die Luftwaffe auf der Nordseite der St.-Pauls-Kathedrale zerstörte, auch fünf Millionen Bücher gewesen. Doch wenn auch der neue Paternoster Square mit engen Strässchen ringsum ein Tribut an die Vergangenheit darstellen soll, so ist er dies einzig in der Form und nicht mit dem Gehalt, sind doch in den jetzigen Bauten Finanzinstitute einquartiert, wie sie sich allenthalben in der City of London finden. Und was andere Traditionen anbetrifft, so schlägt in der St.-Pauls- Kathedrale der anglikanische Kult nicht mehr die Wellen von einst, und sogar königliche Hochzeiten sind seltener geworden. Beständig blieb, wie es sich der Architekt mit seiner Grabinschrift wünschte, mit dem monumentalen Bauwerk das Andenken an Christopher Wren. Si monumentum requiris, circumspice - im übertragenen Sinne: «Wenn du sein Andenken suchst, schau um dich.» Hätte diese Inschrift Prinz Charles bei seinem «Kreuzzug in Sachen Architektur» zu motivieren vermocht, wäre dem Paternoster Square wohl die Leidensgeschichte erspart geblieben.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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