Bauwerk
Europäische Zentralbank - Wettbewerb
Coop Himmelb(l)au, 54f architekten+ingenieure, T. R. Hamzahl & Yeang, ASP Schweger Assoziierte - Frankfurt / Main (D) - 2003
Doppelturm und Grossmarkthalle
Das neue EZB-Hochhaus wird das Gesicht des Frankfurter Ostend verändern
Auf dem Areal der Frankfurter Grossmarkthalle entsteht der neue Hauptsitz der Europäischen Zentralbank (EZB). Damit rückt der modellhafte Hallenbau von 1928 in den Schatten eines eigenwillig geformten Gebäudekomplexes. Nach den Plänen von Coop Himmelb(l)au wird ein Zwillingsturm den Altbau überragen und die Einbeziehung des Frankfurter Ostend in die Banken-City optisch sichtbar werden lassen.
25. Februar 2005 - Gabriele Detterer
Ein Kahlschlag hat die Frankfurter Grossmarkthalle wieder ins rechte Licht gerückt. Im vergangenen Dezember wurde das Areal radikal entrümpelt, so dass sich nun die 1928 errichtete Markthalle als Einzelbau auf einem freien Gelände erhebt - entblösst von allem Nebensächlichen und Nachgeordneten. Jetzt kann die Halle ein letztes Mal ihre wahre Grösse beweisen, bevor sie im Zuge der Umnutzung des Geländes zu einem «kleinen» Baustein der neu zu gestaltenden Stadtlandschaft im Frankfurter Ostend reduziert wird. Auf einer Länge von über zweihundert Metern erstreckt sich der Hallenbau parallel zum Mainufer. Zwei verklinkerte Kopfbauten - Bürogebäude und Kühlhaus - umklammern die Halle und halten die Überlänge des umbauten Raums zusammen. Rational klar, technisch kühn konstruierte der Frankfurter Stadtbaudirektor Martin Elsaesser (1884-1957) das Bauwerk. Je fünf Tonnengewölbe überdachen die pfeilerlose, in drei Abschnitte gegliederte Verkaufshalle. Schräg gestellte Balken stützen die Deckenkonstruktion und umrahmen den Innenraum trapezförmig.
Hochhaus und Gemüsekirche
Im «neuen Frankfurt» der Moderne mit seinen Modellsiedlungen und Modellbauten musste Elsaessers expressive Konzeption überraschen. Angeregt durch die ungewohnt erhabene Umhüllung des Warenumschlagplatzes, gaben die Frankfurter der Halle den Übernamen «Gemüsekirche». Das klingt spöttisch, macht aber zugleich deutlich, dass man den Koloss von Anfang an fest und dauerhaft wie einen Sakralbau im städtischen Raum verortet sah. Seit 1972 stand die Grossmarkthalle unter Denkmalschutz. Damit waren einer künftigen baulichen Anpassung an einen zeitgemässen Marktbetrieb enge Grenzen gesetzt. Nachdem in den neunziger Jahren eine grundlegende Modernisierung unausweichlich geworden war, kam statt eines Umbaus nur eine Verlagerung des Standorts in Frage. Im Juni 2004 bezogen die Engroshändler das neue Grosshandelszentrum in Kalbach. Damit verschwanden die Tagelöhner, die vor den Toren der Halle auf Beschäftigung warteten, ebenso wie die Lastwagen, die mit frischer Ware zur Nachtzeit über die Hanauer Landstrasse zum Grossmarkt donnerten. Es ist Ruhe eingekehrt - die Stille vor einem gewaltigen Sprung in die Zukunft: Denn der Lebensmittelhandelsplatz soll in einen Bankenplatz der Euro-Länder umgewandelt werden.
Die Planung hierfür begann im November 2002. Die Eigentümerin des Grossmarktareals, die Europäische Zentralbank (EZB), schrieb einen internationalen Wettbewerb für die Gestaltung des neuen «Daches» der nationalen EU- Zentralbanken aus. Gegen die Entwürfe renommierter Architekten wie Behnisch, Foster, Gehry, Kohn Pedersen Fox, MVRDV, Miralles, OMA, Perrault, Rogers, SOM u. a. setzte sich das Projekt von Coop Himmelb(l)au durch und warf im Finale eine an Lissitzkys «Wolkenbügel» erinnernde Gebäudebrücke (Schweger) und ein Ensemble aus minimalisierten Einzelbauten (54f Architekten mit Hamzah & Yeang) aus dem Rennen. Nach den Plänen der Wiener Protagonisten einer «schrägen» Architektur soll ein in sich gedrehter, polygonaler Doppelturm die alte Markthalle überschatten. Mit einem Sockel, dem «Groundscraper», geerdet und dem «Skyscraper» himmelwärts strebend, wird der künftige, 180 Meter hohe EZB-Turm Frankfurts Ostend städtebaulich an die City anbinden und zur Revitalisierung des Stadtteils beim Osthafen beitragen.
Seit der Wiederentdeckung der urbanisierten Flusslandschaft rund um die Hanauer Landstrasse hat sich in dem lange vernachlässigten Ostteil der Stadt viel getan. Stillgelegte Industrie- und Lagerflächen wurden in einen neuen Nutzungsplan eingebunden, Wohnraum und Büros, Lifestyle-Shops und Szeneklubs entstanden und verringerten das extreme West-Ost-Gefälle der Mainmetropole. Schon lange vor dem Erwerb der Grossmarkthalle durch die EZB wurde das unmittelbar im Westen angrenzende Industriegebiet saniert. Von der mit Wohnblocks bebauten Uferzone schweift der Blick über den Fluss zu Hans Kollhoffs markantem, gotisch angehauchtem Klinkerhochhaus «Main Plaza» (2001). Aufgewertet werden soll das Ostend durch die Ansiedlung von Dienstleistungsbetrieben sowie Kultur- und Bildungsinstituten. An der Sonnemannstrasse wird im März das «Bildungszentrum Ostend» eröffnet, in welchem eine Berufsschule, ein Abendgymnasium, die Volkshochschule, das Konservatorium und die Erweiterung der Bankenakademie Platz finden. Schräg gegenüber liefert die Baustelle von Grossmarkthalle und EZB anschaulichen Unterrichtsstoff zum Strukturwandel und zur EU, aber auch einen Blick in kommende Zeiten.
Umlagerte Moderne
Alt und Neu können sich durchaus vertragen. Gleichwohl stellt sich die Frage, wie viel Freiraum und Denkmalschutz einem intakten Monument der lokalen Architekturgeschichte, die im Frankfurter Stadtbild nur noch in Resten erhalten ist, gebührt. Betrachtet man die imposante Markthalle, dann erweist sich der ursprüngliche Plan von Coop Himmelb(l)au, den Altbau dem Neubau einzuverleiben, als ein wenig sensibler Umgang mit der Geschichte. Die Architekten wurden denn auch gebeten, den Entwurf zu modifizieren. Nach dem revidierten Plan soll der «Groundscraper» eine Distanz von mindestens 26 Metern zur Grossmarkthalle einhalten. Der geplante Zukunftsbau umlagert damit das Monument der Moderne immer noch ganz schön dicht! Vom Main aus betrachtet, wird nur ein Teil des die Längsachse rhythmisierenden Tonnengewölbes der Halle sichtbar bleiben und knapp über dem Neubau letzte Wellen schlagen. Wie auch immer die Auflagen des Denkmalschutzes und die projektierten baulichen Interventionen harmonisiert werden: Der künftige Eyecatcher ist in jedem Fall das neue Wahrzeichen des Ostend, der EZB-Wolkenkratzer. Weit ausserhalb der City-Skyline positioniert, wird der eigenwillige Outsider für Aufsehen sorgen!
Architektur müsse leuchten, brennen, schmerzen, stechen und fetzen, forderten Wolf D. Prix und Helmut Swiczinky, die Gründer von Coop Himmelb(l)au, zu Beginn der achtziger Jahre und schickten sich an, den propagierten «Aufbruch» baulich umzusetzen. Gemessen an diesem Ideal erweist sich das Frankfurter Projekt der Wiener Provokateure als realitätsbezogener Kompromiss: Optisch eindrucksvoll, führt das dynamisch- skulpturale Design des Doppelhochhauses Gegensätzliches zusammen - ganz im Sinne der EZB-Philosophie von «Teamwork» und «interaktiver Kommunikation» verbindet ein gläsernes Atrium die beiden Türme und schönt die Aufspaltung des Baukörpers.
Vom Jahre 2006 an soll der auf rund 500 Millionen Euro veranschlagte Zwillingsturm in die Höhe wachsen und als mächtiges Zeichen das östliche Mainufer überragen. Das bedeutet aber nicht, dass die komplexe Geschichte der Grossmarkthalle vergessen wird. Noch erhaltene Gleisanlagen führen in die Vergangenheit zurück, sie erinnern an ein dunkles Kapitel: Während des Nationalsozialismus trieb die Gestapo Frankfurter Juden im Keller der Halle zusammen, bevor die Entrechteten in Waggons gepfercht und in die Todeslager transportiert wurden. Die EZB hat angekündigt, einen Architekturwettbewerb für die Errichtung einer Stätte zum Gedenken an die Opfer des Terrorregimes auszuschreiben.
Das Historische Museum Frankfurt an der Saalgasse 19 dokumentiert die Geschichte der Grossmarkthalle und die prämierten Entwürfe des EZB-Wettbewerbs bis zum 20. März.
Hochhaus und Gemüsekirche
Im «neuen Frankfurt» der Moderne mit seinen Modellsiedlungen und Modellbauten musste Elsaessers expressive Konzeption überraschen. Angeregt durch die ungewohnt erhabene Umhüllung des Warenumschlagplatzes, gaben die Frankfurter der Halle den Übernamen «Gemüsekirche». Das klingt spöttisch, macht aber zugleich deutlich, dass man den Koloss von Anfang an fest und dauerhaft wie einen Sakralbau im städtischen Raum verortet sah. Seit 1972 stand die Grossmarkthalle unter Denkmalschutz. Damit waren einer künftigen baulichen Anpassung an einen zeitgemässen Marktbetrieb enge Grenzen gesetzt. Nachdem in den neunziger Jahren eine grundlegende Modernisierung unausweichlich geworden war, kam statt eines Umbaus nur eine Verlagerung des Standorts in Frage. Im Juni 2004 bezogen die Engroshändler das neue Grosshandelszentrum in Kalbach. Damit verschwanden die Tagelöhner, die vor den Toren der Halle auf Beschäftigung warteten, ebenso wie die Lastwagen, die mit frischer Ware zur Nachtzeit über die Hanauer Landstrasse zum Grossmarkt donnerten. Es ist Ruhe eingekehrt - die Stille vor einem gewaltigen Sprung in die Zukunft: Denn der Lebensmittelhandelsplatz soll in einen Bankenplatz der Euro-Länder umgewandelt werden.
Die Planung hierfür begann im November 2002. Die Eigentümerin des Grossmarktareals, die Europäische Zentralbank (EZB), schrieb einen internationalen Wettbewerb für die Gestaltung des neuen «Daches» der nationalen EU- Zentralbanken aus. Gegen die Entwürfe renommierter Architekten wie Behnisch, Foster, Gehry, Kohn Pedersen Fox, MVRDV, Miralles, OMA, Perrault, Rogers, SOM u. a. setzte sich das Projekt von Coop Himmelb(l)au durch und warf im Finale eine an Lissitzkys «Wolkenbügel» erinnernde Gebäudebrücke (Schweger) und ein Ensemble aus minimalisierten Einzelbauten (54f Architekten mit Hamzah & Yeang) aus dem Rennen. Nach den Plänen der Wiener Protagonisten einer «schrägen» Architektur soll ein in sich gedrehter, polygonaler Doppelturm die alte Markthalle überschatten. Mit einem Sockel, dem «Groundscraper», geerdet und dem «Skyscraper» himmelwärts strebend, wird der künftige, 180 Meter hohe EZB-Turm Frankfurts Ostend städtebaulich an die City anbinden und zur Revitalisierung des Stadtteils beim Osthafen beitragen.
Seit der Wiederentdeckung der urbanisierten Flusslandschaft rund um die Hanauer Landstrasse hat sich in dem lange vernachlässigten Ostteil der Stadt viel getan. Stillgelegte Industrie- und Lagerflächen wurden in einen neuen Nutzungsplan eingebunden, Wohnraum und Büros, Lifestyle-Shops und Szeneklubs entstanden und verringerten das extreme West-Ost-Gefälle der Mainmetropole. Schon lange vor dem Erwerb der Grossmarkthalle durch die EZB wurde das unmittelbar im Westen angrenzende Industriegebiet saniert. Von der mit Wohnblocks bebauten Uferzone schweift der Blick über den Fluss zu Hans Kollhoffs markantem, gotisch angehauchtem Klinkerhochhaus «Main Plaza» (2001). Aufgewertet werden soll das Ostend durch die Ansiedlung von Dienstleistungsbetrieben sowie Kultur- und Bildungsinstituten. An der Sonnemannstrasse wird im März das «Bildungszentrum Ostend» eröffnet, in welchem eine Berufsschule, ein Abendgymnasium, die Volkshochschule, das Konservatorium und die Erweiterung der Bankenakademie Platz finden. Schräg gegenüber liefert die Baustelle von Grossmarkthalle und EZB anschaulichen Unterrichtsstoff zum Strukturwandel und zur EU, aber auch einen Blick in kommende Zeiten.
Umlagerte Moderne
Alt und Neu können sich durchaus vertragen. Gleichwohl stellt sich die Frage, wie viel Freiraum und Denkmalschutz einem intakten Monument der lokalen Architekturgeschichte, die im Frankfurter Stadtbild nur noch in Resten erhalten ist, gebührt. Betrachtet man die imposante Markthalle, dann erweist sich der ursprüngliche Plan von Coop Himmelb(l)au, den Altbau dem Neubau einzuverleiben, als ein wenig sensibler Umgang mit der Geschichte. Die Architekten wurden denn auch gebeten, den Entwurf zu modifizieren. Nach dem revidierten Plan soll der «Groundscraper» eine Distanz von mindestens 26 Metern zur Grossmarkthalle einhalten. Der geplante Zukunftsbau umlagert damit das Monument der Moderne immer noch ganz schön dicht! Vom Main aus betrachtet, wird nur ein Teil des die Längsachse rhythmisierenden Tonnengewölbes der Halle sichtbar bleiben und knapp über dem Neubau letzte Wellen schlagen. Wie auch immer die Auflagen des Denkmalschutzes und die projektierten baulichen Interventionen harmonisiert werden: Der künftige Eyecatcher ist in jedem Fall das neue Wahrzeichen des Ostend, der EZB-Wolkenkratzer. Weit ausserhalb der City-Skyline positioniert, wird der eigenwillige Outsider für Aufsehen sorgen!
Architektur müsse leuchten, brennen, schmerzen, stechen und fetzen, forderten Wolf D. Prix und Helmut Swiczinky, die Gründer von Coop Himmelb(l)au, zu Beginn der achtziger Jahre und schickten sich an, den propagierten «Aufbruch» baulich umzusetzen. Gemessen an diesem Ideal erweist sich das Frankfurter Projekt der Wiener Provokateure als realitätsbezogener Kompromiss: Optisch eindrucksvoll, führt das dynamisch- skulpturale Design des Doppelhochhauses Gegensätzliches zusammen - ganz im Sinne der EZB-Philosophie von «Teamwork» und «interaktiver Kommunikation» verbindet ein gläsernes Atrium die beiden Türme und schönt die Aufspaltung des Baukörpers.
Vom Jahre 2006 an soll der auf rund 500 Millionen Euro veranschlagte Zwillingsturm in die Höhe wachsen und als mächtiges Zeichen das östliche Mainufer überragen. Das bedeutet aber nicht, dass die komplexe Geschichte der Grossmarkthalle vergessen wird. Noch erhaltene Gleisanlagen führen in die Vergangenheit zurück, sie erinnern an ein dunkles Kapitel: Während des Nationalsozialismus trieb die Gestapo Frankfurter Juden im Keller der Halle zusammen, bevor die Entrechteten in Waggons gepfercht und in die Todeslager transportiert wurden. Die EZB hat angekündigt, einen Architekturwettbewerb für die Errichtung einer Stätte zum Gedenken an die Opfer des Terrorregimes auszuschreiben.
Das Historische Museum Frankfurt an der Saalgasse 19 dokumentiert die Geschichte der Grossmarkthalle und die prämierten Entwürfe des EZB-Wettbewerbs bis zum 20. März.
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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