Bauwerk
Bundesarbeitsgericht Deutschland
Weinmiller Großmann Architekten PartGmbB - Erfurt (D) - 1999
Subtiles Spiel mit Innen und Aussen
Gesine Weinmillers Deutsches Bundesarbeitsgericht in Erfurt
Einen «hässlichen Klotz» nannten viele in Erfurt den strengen Entwurf der Berliner Architektin Gesine Weinmiller für den Neubau des Deutschen Bundesarbeitsgerichts. Dabei ist ihr mit einer raffinierten Fassade, disziplinierter Innengestaltung und einer ganzen Reihe architektonischer Überraschungen ein vornehmes und lebendiges Gebäude im Stil der Neuen Einfachheit gelungen.
24. November 1999 - Falk Jaeger
Man sollte meinen, die lange Abstinenz von wohlgestalteter Architektur müsse die plattenbaugeschädigten Ostdeutschen für qualitätvolles Bauen empfänglich gemacht haben. Doch überall in den neuen deutschen Bundesländern kämpfen Stadtbauräte und engagierte Architekten Seite an Seite wie gegen Windmühlenflügel, um anspruchsvolle Baukunst zu realisieren. Selbst der dritte Aufguss zweitklassiger Postmoderne findet im Osten mehr Anklang als eine seriöse Neomoderne oder gar Avantgardearchitektur. In der thüringischen Landeshauptstadt Erfurt, der die Föderalismuskommission des Deutschen Bundestags das bisher in Kassel beheimatete Bundesarbeitsgericht zugesprochen hatte, wurde das Neubauprojekt von der Bevölkerung als «hässlicher Klotz» bezeichnet. Vor allem die Lokalpresse schürte den Unmut gegen den vermeintlich monumentalen Entwurf mit polemischen Artikeln und öffnete ihre Leserbriefspalten für geharnischte Unmutsäusserungen. Doch der Bauherr liess sich nicht beirren und realisierte den Entwurf der Berliner Architektin Gesine Weinmiller in unmittelbarer Nachbarschaft der Zitadelle auf dem Petersberg - am Ende wohl doch nicht zum Schaden der Erfurter oder ihrer Stadt.
Ein Tempel über der Stadt
Wie ein Parthenon steht der Neubau da, ernst, statuarisch, sein Umfeld auf dem Glacis der barocken Stadtbefestigung beherrschend. Er verkörpert nicht die domestizierte Postmoderne, mit der seit der Wende die Erfurter Innenstadt rasch aufgefüllt wurde, nicht die gläserne High-Tech- Mode, wie sie seit kurzem am Fuss des Petersbergs anzutreffen ist. Man fühlt sich durch die karge Kombination von Sichtbeton und Naturstein an neuere spanische Architektur erinnert, an Livio Vacchini oder andere Schweizer Vertreter der Neuen Einfachheit.
Angebote macht der Bau für den, der sehen kann und will. Für den Spaziergänger etwa, der von der Zitadelle her kommt, einer alten Bruchsteinmauer folgt, durch einen abgezirkelten Hain wandelt, das Gerichtsgebäude und ein Wasserbecken umrundet, aus dem rätselhafte Mauern aufsteigen.
Subtil spielt der Bau, dessen Fassade sich im Raster der raumhohen französischen Fenster aufzulösen scheint, mit Innen und Aussen. umgibt sich mit raumhohen französischen Fenstern. Die individuell zu öffnenden Lüftungsflügel verbergen sich hinter hohlen Natursteingewänden, die als «Taschen» auch den Sonnenschutz aufnehmen. Der Theumarer Schiefer wurde «sklypiert», das heisst, ihm wurde mit feinen, horizontal gesägten Rillen zu einer lebendigen Oberfläche verholfen. «Gestört» wird das gleichförmige Fensterraster durch die gläsernen Sonnenblenden, die elektrisch aus den Taschen gefahren werden können. Sie sind mit einem Buchstabenraster bedruckt, das, wie es sich bei genauerem Hinsehen herausstellt, aus den endlos wiederholten ersten Sätzen des Grundgesetzes besteht: «Die Würde des Menschen ist unantastbar . . .»
Obgleich das Gebäude durch die Fenster ringsum zugänglich scheint, ist der Zutritt verwehrt. Der Besucher hat sich selbstverständlich am zentralen, gesicherten Eingang auszuweisen. Wie bei einem Tempelbezirk erfolgt der Zugang nach Durchschreiten eines Tores erst im westlichen Innenhof, der die Eingangssituation räumlich überraschend reizvoll formuliert. Vier «Gerichtslinden» im Karree und die «Weltachse», eine drei Geschosse hohe Stapelstele von Jürgen Partenheimer, schmücken den gepflasterten Hof. In der Achse öffnet sich dann der Eingang. Die Angestellten erreichen von hier aus die verschiedenen Treppenhäuser. Prozessteilnehmer und Besucher werden geradeaus in das zentrale Foyer geleitet; Jurastudenten erklimmen die Stiege im eichengetäfelten Treppenhaus und besuchen die fast das gesamte erste Obergeschoss einnehmende grösste arbeitsrechtliche Bibliothek Deutschlands.
Ordnung und Eleganz
Eine überaus klare Nutzungsstruktur und die präzis geordneten Grundrisse der zwei Lichthöfe umfangenden Bürotrakte bestätigen den äusseren Eindruck eines disziplinierten, auch distinguierten Hauses, dem eine gewisse Eleganz eigen ist: die Eleganz eines vornehmen Kleides, das weder durch extravaganten Wurf noch durch vorlaute Farben auffallen muss und doch durch Material, Schnitt und Farbe eine vollkommene Erscheinung vermittelt. Gestalterische Minimierung der Details im Sinne Mies van der Rohes wird überall als Gestaltungsprinzip deutlich, etwa im östlichen Lichthof, dem «Bibliothekshof». Hier galt es, eine gestalterische Lösung für die zur Erhellung des grossen Foyers dienenden Oberlichter zu finden.
Üblicherweise kommen vulgäre Plexiglaskuppeln aus dem Katalog zum Einsatz. Die Architektin hat statt dessen präzise, milchglasgedeckte Tableaus entwickelt, die fast skulpturalen Charakter haben und wunderbar mit dem spartanisch- edel wirkenden japanischen Garten harmonieren, den die Gartenkünstler aus dem Atelier des kürzlich verstorbenen Dieter Kienast gestalteten. In der Treppenhalle, in den Foyers und in den vier Verhandlungssälen erzeugen Eichenpaneele und Natursteinböden aus blassgrünem Tessiner Gneis eine vornehme Atmosphäre, die einem Bundesgericht sicher angemessen ist. Die Farbe kommt durch die hochrangige Kunst unter anderem von Remy Zaugg, Veronika Kellendorfer, Katharina Grosse und Ian Hamilton Finlay ins Haus.
Wenn auch das Gebäude monolithisch blockhaft geformt ist und durch Öffnungen und seitliche Loggienhöfe kaum variiert wird, erfährt es doch durch den raffinierten geschossweisen Wechsel der Fensteröffnungen, den Versatz der Betonskelettrahmen und die unterschiedlichen Stellungen der Sonnenblenden eine subtile, doch um so stärker physisch erlebbare Rhythmik und Lebendigkeit, deren Ursache erst auf den zweiten Blick erkennbar wird. Als herrischer «Klotz» oder «Block», wie der flüchtige Blick auf das Modell befürchten liess, wirkt der realisierte Entwurf durch diese feinsinnige Fassade mitnichten. Doch auch der wohlkalkulierte, dezent-effektvolle Einsatz der Materialwirkung hebt das in den Kontext der Neuen Einfachheit der neunziger Jahre einzuordnende Bauwerk in einen hohen Rang.
Falk Jaeger
Ein Tempel über der Stadt
Wie ein Parthenon steht der Neubau da, ernst, statuarisch, sein Umfeld auf dem Glacis der barocken Stadtbefestigung beherrschend. Er verkörpert nicht die domestizierte Postmoderne, mit der seit der Wende die Erfurter Innenstadt rasch aufgefüllt wurde, nicht die gläserne High-Tech- Mode, wie sie seit kurzem am Fuss des Petersbergs anzutreffen ist. Man fühlt sich durch die karge Kombination von Sichtbeton und Naturstein an neuere spanische Architektur erinnert, an Livio Vacchini oder andere Schweizer Vertreter der Neuen Einfachheit.
Angebote macht der Bau für den, der sehen kann und will. Für den Spaziergänger etwa, der von der Zitadelle her kommt, einer alten Bruchsteinmauer folgt, durch einen abgezirkelten Hain wandelt, das Gerichtsgebäude und ein Wasserbecken umrundet, aus dem rätselhafte Mauern aufsteigen.
Subtil spielt der Bau, dessen Fassade sich im Raster der raumhohen französischen Fenster aufzulösen scheint, mit Innen und Aussen. umgibt sich mit raumhohen französischen Fenstern. Die individuell zu öffnenden Lüftungsflügel verbergen sich hinter hohlen Natursteingewänden, die als «Taschen» auch den Sonnenschutz aufnehmen. Der Theumarer Schiefer wurde «sklypiert», das heisst, ihm wurde mit feinen, horizontal gesägten Rillen zu einer lebendigen Oberfläche verholfen. «Gestört» wird das gleichförmige Fensterraster durch die gläsernen Sonnenblenden, die elektrisch aus den Taschen gefahren werden können. Sie sind mit einem Buchstabenraster bedruckt, das, wie es sich bei genauerem Hinsehen herausstellt, aus den endlos wiederholten ersten Sätzen des Grundgesetzes besteht: «Die Würde des Menschen ist unantastbar . . .»
Obgleich das Gebäude durch die Fenster ringsum zugänglich scheint, ist der Zutritt verwehrt. Der Besucher hat sich selbstverständlich am zentralen, gesicherten Eingang auszuweisen. Wie bei einem Tempelbezirk erfolgt der Zugang nach Durchschreiten eines Tores erst im westlichen Innenhof, der die Eingangssituation räumlich überraschend reizvoll formuliert. Vier «Gerichtslinden» im Karree und die «Weltachse», eine drei Geschosse hohe Stapelstele von Jürgen Partenheimer, schmücken den gepflasterten Hof. In der Achse öffnet sich dann der Eingang. Die Angestellten erreichen von hier aus die verschiedenen Treppenhäuser. Prozessteilnehmer und Besucher werden geradeaus in das zentrale Foyer geleitet; Jurastudenten erklimmen die Stiege im eichengetäfelten Treppenhaus und besuchen die fast das gesamte erste Obergeschoss einnehmende grösste arbeitsrechtliche Bibliothek Deutschlands.
Ordnung und Eleganz
Eine überaus klare Nutzungsstruktur und die präzis geordneten Grundrisse der zwei Lichthöfe umfangenden Bürotrakte bestätigen den äusseren Eindruck eines disziplinierten, auch distinguierten Hauses, dem eine gewisse Eleganz eigen ist: die Eleganz eines vornehmen Kleides, das weder durch extravaganten Wurf noch durch vorlaute Farben auffallen muss und doch durch Material, Schnitt und Farbe eine vollkommene Erscheinung vermittelt. Gestalterische Minimierung der Details im Sinne Mies van der Rohes wird überall als Gestaltungsprinzip deutlich, etwa im östlichen Lichthof, dem «Bibliothekshof». Hier galt es, eine gestalterische Lösung für die zur Erhellung des grossen Foyers dienenden Oberlichter zu finden.
Üblicherweise kommen vulgäre Plexiglaskuppeln aus dem Katalog zum Einsatz. Die Architektin hat statt dessen präzise, milchglasgedeckte Tableaus entwickelt, die fast skulpturalen Charakter haben und wunderbar mit dem spartanisch- edel wirkenden japanischen Garten harmonieren, den die Gartenkünstler aus dem Atelier des kürzlich verstorbenen Dieter Kienast gestalteten. In der Treppenhalle, in den Foyers und in den vier Verhandlungssälen erzeugen Eichenpaneele und Natursteinböden aus blassgrünem Tessiner Gneis eine vornehme Atmosphäre, die einem Bundesgericht sicher angemessen ist. Die Farbe kommt durch die hochrangige Kunst unter anderem von Remy Zaugg, Veronika Kellendorfer, Katharina Grosse und Ian Hamilton Finlay ins Haus.
Wenn auch das Gebäude monolithisch blockhaft geformt ist und durch Öffnungen und seitliche Loggienhöfe kaum variiert wird, erfährt es doch durch den raffinierten geschossweisen Wechsel der Fensteröffnungen, den Versatz der Betonskelettrahmen und die unterschiedlichen Stellungen der Sonnenblenden eine subtile, doch um so stärker physisch erlebbare Rhythmik und Lebendigkeit, deren Ursache erst auf den zweiten Blick erkennbar wird. Als herrischer «Klotz» oder «Block», wie der flüchtige Blick auf das Modell befürchten liess, wirkt der realisierte Entwurf durch diese feinsinnige Fassade mitnichten. Doch auch der wohlkalkulierte, dezent-effektvolle Einsatz der Materialwirkung hebt das in den Kontext der Neuen Einfachheit der neunziger Jahre einzuordnende Bauwerk in einen hohen Rang.
Falk Jaeger
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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