Bauwerk

Österreichische Nationalbibliothek - Neugestaltung Foyer und Tiefspeicher
Alessandro Alverà, Sepp Müller - Wien (A) - 1999

Spröde Askese, barocke Pracht

Ein multifunktionale Foyer und ein Tiefspeicher mit einer Kapazität von 6700 Fachmetern: so bieten sich die Räumlichkeiten unter dem Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek nach der Neugestaltung durch Alessandro Alverà und Sepp Müller dar.

18. September 1999 - Walter Zschokke
Der Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek ist wohl den meisten Kulturinteressierten ein Begriff; viele haben ihn gesehen und vielleicht die Zahl der dort aufgestellten Bücher zu schätzen versucht. Auch wenn – nach offiziellen Angaben – zirka 190.000 Bände in den barocken Regalen aufgereiht sind, reichte der Raum schon lange nicht mehr aus, um die umfangreichen Bestände zu fassen. Daher dienten die darunterliegende erdgeschoßige Halle und auch die Untergeschoße als Bücherspeicher.

Diese Substruktionen stammen offenbar bereits aus dem 17.Jahrhundert und wurden in den Entwurf einbezogen, den Johann Bernhard Fischer von Erlach (1656 bis 1723) am Ende seiner Lebenszeit konzipierte. Ob der Vorbestand als Reithalle, Remise oder Pferdestall gedient hatte, ist unklar. Jedenfall waren die Fundamente im lehmigen Untergrund den erhöhten Pressungen durch den von Joeph Emanuel Fischer weitergeführten und erst 1735 vollendeten Kuppelbau nicht gewachsen.

Hofbaumeister Nicolaus Pacassi (1716 bis 1790) ließ daher schon Mitte des 18.Jahrhunderts Verstärkungspfeiler hochziehen, die vom Keller durch Erdgeschoß und Prunksaal führen und die Kuppel stützen. Heutigen Augen wird es schwerfallen, den gestalterisch integrierten Eingriff zu erkennen. Die Kuppel elbst wurde an der Basis mit einer Umgürtung versehen, wie die damals zur Vertärkung elbst am Petersdom erforderlich war. Eine Verbesserung des Zugangs zum Prunksaal erfolgte zu Beginn des 20.Jahrhundert durch den Einbau eines kleinen Vestibüls an der südöstlichen Stirnseite. Friedrich Ohmann zeichnet für den Entwurf verantwortlich. Zehntausende sind seither durch das kleine Kuppelrund zur barocken Prachtstiege geschritten, um den Prunksaal zu besuchen.

Der Bau des neuen Bücherpeichers im Burggarten und die verwaltungsrechtliche Umstrukturierung der Österreichischen Nationalbibliothek zur Teilrechtsfähigkeit schufen die Voraussetzungen für eine Neugestaltung des Erdgeschoßes. Das Konzept sah in den tonnenüberwölbten Räumlichkeiten ein multifunktionales Foyer vor, während in den drei Untergeschoßen die Sammlung von Inkunabeln, alten und wertvollen Drucken untergebracht werden sollte. Dieser Tiefspeicher weist eine Kapazität von 6700 Fachmetern auf, wie der Leiter die er Abteilung, Gerhard Wilhelm, ausführt. Davon sind 5300 Fachmeter für den heutigen Bestand, der 220.000 Bände beträgt, genutzt. Für weitere 50.000 Bände steht Reserveraum bereit. Die Sammlung umfaßt die Bestände seit Einführung des Buchdrucks im 15.Jahrhundert bis 1850, dem Ende der ausschließlichen Verwendung der Handpresse.

Die alten Gestelle wurden wiederverwendet, nur die hölzernen Fachbretter mußten durch solche aus Blech ersetzt werden, um die potentielle Brandlast zu reduzieren. Auf stählernen Gitterrosten aus den dreißiger Jahren bewegt sich der staunende Besucher in den mehrgeschoßigen Abteilungen des klimatisierten Tiefspeichers.

Man muß kein Büchernarr sein,um zwischen diesen Regalen und den zahllosen ledernen Buchrücken Ehrfurcht zu empfinden. Das konzentrierte Wissen und die kulturelle Leistung von Generationen finden hier ihr geordnetes Gedächtnis .Beruhigt nimmt man daher zur Kenntnis ,daß eine Brandchutzanlage existiert, die mit dem Löschgas Energen einen Brandherd im Keim ersticken würde. Ein Aufzugsschacht, der an der Südwestecke in die mächtigen Mauern geschrämt wurde, verbindet nun die drei unterirdischen mit fünf oberirdischen Geschoßen.

Erst diese Neuorganisation des Tiefspeichers befreite den Erdgeschoßraum von den Regalen, sodaß man nun als Normalbesucher darin herumspazieren kann. Der Architekt Alessandro Alverà erarbeitete den konzeptionellen Entwurf des neuen Foyers, während Architekt Sepp Müller und sein Mitarbeiter Stephan Seehof mit Planung und örtlicher Bauaufsicht betraut waren.

Der Eingang, bisher in einer Ecke des Josefsplatzes, liegt neu in der Mitte der Fassade, an logischer Stelle in dem von der Prunksaalkuppel gekrönten Risalit. Ein halbelliptischer Vorraum vermittelt zur zentralen Halle, deren Boden auf dem ursprünglichen Niveau, das etwa einen Meter unter jenem der heutigen Platzfläche liegt, belassen wurde.

Ein komplexes System von Stufen und rollstuhlgängigen Rampen erlaubt den Zugang zu den Seitenflügeln, ohne daß die architektonisch zentrierende Wirkung der Absenkung verlorengeht. Daß zu diesem Zweck die Pfeiler der Pacassischen Stützkonstruktion perforiert werden mußten, ist heute nicht mehr zu spüren, weil deren abschnürende Wirkung durch die seitlichen Passagen relativiert wurde, was den Raum insgesamt aufwertet.

Der nordwestliche Seitenflügel ist als Saal für festliche Anlässe, Konzerte und als Ausstellungsort eingerichtet. Als einziger Raumschmuck findet sich an der Stirnwand der blinde Kamin aus barocker Zeit, in dessen pylonartigem Aufsatz ein römischer Grabstein als Spolie eingeetzt ist. Von kräftiger Wirkung ist der Steinboden aus (rotem) Adneter Marmor mit eingesetzten Quadraten aus Untersberger Kalkstein. Das Muster entstammt dem darüberliegenden Prunksaal, nur wurden Hell und Dunkel vertauscht.

Der südwestliche Seitenflügel enthält eine kürzere Halle, in der die Portierloge und ein Shop die Zugangsachse zur Prachtstiege flankieren. Als vermittelnder Raum folgt Friedrich Ohmanns Vestibül. Das erneuerte Erdgechoß gewinnt nun eigenständige Qualität, und die räumliche Abfolge des Zugangs zum Prunksaal wird aufgewertet.

Im Gegensatz zu letzterem wird jedoch jede Prachtentfaltung vermieden; vielmehr ist die profane Gewölbekonstruktion glatt geputzt und geweißt, sodaß nach dem spröden Pathos des Verzichts die barocke Pracht ihre Wirkung entfalten kann. Da und dort finden sich kleine gestalterisch-intellektuelle Spitzfindigkeiten, die auf den räumlich-hi torischen Kontext Bezug nehmen. Sie zeugen von der intensiven Gedankenarbeit, die an das heute so einfach erscheinende, komplexe Bauwerk gewendet wurde.

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