Bauwerk

GLA - Headquarter
Foster and Partners - London (GB) - 1999

Die Strahlkraft der Technik

Wie schaut ein Rathaus für das 21. Jahrhundert aus? Londons neue Stadtregierung suchte eine Lösung des Spagats aus Sparsamkeit und demokratischer Symbolik. Die Problematik spiegelt sich in den beiden Entwürfen von Norman Foster für die „Greater London Authority“ wider.

30. August 1999 - Gert Walden
Parteipolitisch war es opportun und ideologisch leicht zu rechtfertigen. Also löste Maggie Thatcher mit neoliberalem Elan zu Beginn der 80er Jahre das „Greater London Council“ (GLC) zwecks „Entbürokratisierung“ auf, um einen der Ankerplätze der Labour Party gleich mit zu beseitigen. Das Gebäude des GLC an der Themse wurde an die Japaner verkauft und es konnte dann schon vorkommen, dass mangels Koordination Straßen gebaut wurden, die keine Fortsetzung über die Bezirksgrenzen hinaus fanden.

Nicht zuletzt das Desaster bei der Docklands-Erschließung überzeugte auch den strammsten Wirtschaftsliberalen von der Einrichtung einer übergeordneten Koordinationsstelle für das Stadtgebiet von London. Die Regierung Blair drückte ein entsprechendes Gesetz zur Etablierung der „Greater London Authority“ (GLA) samt Bürgermeister und Ratsversammlung durch. Allein das alte Rathaus war unwiederbringlich futsch, ein gebautes Zeichen für „New Labour“ angesagt. Den marktwirtschaftlichen Aspekt bei der Wahl des Standortes mussten die Nadelstreif-Sozialisten ebenfalls berücksichtigen.

Als Ort bot sich das Immobilien-Entwicklungsgebiet südwestlich der Tower Bridge an, wo kostengünstig und stadtwirksam die neue Londoner Autorität signalisiert werden kann. Auch passte der Ort in das Gesamtkonzept einer Revitalisierung der Themseufer. Wie in vielen anderen Städten sind gerade im Bereich oberhalb der Tower Bridge die Uferbereiche zu einer „Ungegend“ verkommen, die Themse selbst ist zu einem größeren Industriekanal degeneriert. Neben dem Rathaus, dessen Bau im günstigsten Fall im Spätherbst begonnen wird, ist die neue Tate Gallery des schweizerischen Architektenteams Herzog & De Meuron in Planung, wie auch eine neue Fußgängerbrücke die Themseufer verbinden soll.

Nach einem Wettbewerb im Frühjahr, welchen Norman Foster gegen die ernsthafte Konkurrenz von Alsop und Störmer gewonnen hatte, begann eine heftige, aber durchaus niveauvolle Debatte um den Express-Entwurf für das neue Rathaus (sechs Wochen Planungszeit) - Bild rechts unten - des großbritischen Star-Architekten. Dieser wurde mit einer „Fechtmaske“ oder einem „Zyklopenauge“ verglichen, das sich ziemlich aggressiv der Stadt zuwendet. Solche Vergleiche treffen nicht nur aus semantischer Sicht. Die schräg versetzten Etagen des Objekts sind mit einer fast halbkreisförmigen Scheibe als signifikante Großform abgedeckt.

Fosters Erstentwurf ist ein Solitär in allen Aspekten der Architektur und den Verwendungszweck betreffend ein nahezu autistisches Statement. Seine selbstgenügsame Geometrie sollte relativiert werden durch ein Höchstmaß an transparenten Baumaterialien. Was allerdings bei einem zehnstöckigen Gebäude kaum funktionieren kann. Durch die normative Kraft des Faktischen verwandelt sich also die symbolische Aussage des Gebäudes - die Kontrolle einer demokratischen Institution von außen - in das, was die Benützer schätzen: Eine Aussichtsplattform mit bestem Panorama auf die triste Nachkriegsszenerie an den beiden Themseufern. Oder in Umdrehung der Architekten-Intention: „Big Parliament is watching you“.

Das Eindimensionale eines solchen Konzepts, das sich im zweiten Entwurf - Bilder links - gemildert fortsetzt, eröffnet mehr Fragen in Bezug auf die Symbolfähigkeit von Architektur in einer demokratischen Gesellschaft. Norman Foster setzt auf das Elementare dieses gesellschaftlichen Systems: die den meisten Menschen verständliche Perfektion der Technik und ihre formale Umsetzung durch die Geometrie. Gedankliche Sollbruchstellen sind nicht vorgesehen, der repräsentative Anspruch der Institution wird nicht hinterfragt. Hier an der Themse will Norman Foster eine ideale Heimat für den Menschen der Moderne schaffen. Und dort lassen sich alle politischen Inhalte ansiedeln. Giuseppe Terragnis Casa del Fascio in Como oder die Athener US-Botschaft von Walter Gropius sind nur zwei Beispiele, um diese Kompatibilität zu illustrieren.

Wie weit sich der britische Architekt von der 60er-Jahre-Vorstellung, den Menschen zum Handlungssubjekt der Baukunst zu machen, entfernt hat, zeigte der Erstentwurf des Solitärs. Das medial transportierte Unbehagen fand seinen Niederschlag beim Zweitentwurf, der nun zur Begutachtung bei den Planungsbehörden des Bezirks zur öffentlichen Einsichtnahme aufliegt. London lässt sich das neue Rathaus etwas kosten. Trotz der nach außen hin bescheiden wirkenden, weil technizistischen Architektur kommen die 21.600 Quadratmeter auf rund 840 Mio. S (61,045 EURO). Also rund 40.000 S pro Quadratmeter.

An dem grundsätzlichen Anspruch und der baulichen Konzeption hat sich kaum etwas geändert. Die zehn Etagen des Gebäudes präsentieren sich als ein Nutzungsmix von Büroräumen, einer großen öffentlich zugänglichen Eingangshalle und den Räumen für das Stadtparlament im fünften bis siebten Stockwerk. Darüber befinden sich die Zimmer des Londoner Bürgermeisters und dann der „demokratische“ Abschluss, wie wir ihn schon vom Berliner Reichstag kennen: Ein zweigeschoßiger Raum für das Wählervolk, genannt „London's Living Room“, mit dazugehöriger Aussichtsplattform, so dass das „Amtshaus“ etwas vom Normalbürger durchlüftet wird. Schlussfolgerung aus dem Raumprogramm: seit den Tagen des liberalen Bürgertums hat sich am Nutzungskonzept für Rathäuser wenig geändert. Statt der Besuchergalerie gibt es nun den Living Room. Stilistisch wurde die geschwätzige Neugotik (Wiener Rathausmann) durch die abstrahierende Neumoderne abgelöst. Nur formal hat sich zwischen Erst- und Zweitentwurf etwas getan.

Allen durchgehenden Plattformen ist nun der nach unten ausschwingende Luftraum vorgelagert, den eine zarte Stahlkonstruktion begrenzt. Der Pragmatiker Norman Foster - im Juni vom Sir zum Lord promoviert - hat die harte Kontur des Erstentwurfs entschärft. Die Plastizität der Hülle wirkt ruhiger, weil eben nicht 1:1 aus der Geometrie abgeleitet. „Flucht nach hinten“ oder „Bauch statt Kuppel“ möchte man meinen, wenn man die schmeichelweiche Neigung des Objekts weg von der Themse betrachtet.

Nachdem also auch Norman Foster am überzogenen Anspruch einer aussagekräftigen „demokratischen“ Architektur scheitern musste, stellt sich nun die Frage, was seine Architektur zu leisten vermag. Das Gebäude ist immer noch eine signifikante städtebauliche Figur am südlichen Themseufer. Die aufgespannte Konstruktion wird - wie schon bei Fosters ITN-Headquarter - die Dramatik des atlantischen Wetterwechsels reflektieren. Und bei Nacht werden dann sanft die Lichter der Greater London Authority von der Strahlkraft der Demokratie künden. Wie weit sich das Gebäude zum Identifikationsträger für ebendieses politische System entwickelt, wird erst die Zukunft zeigen und ganz wesentlich werden vor allem die Menschen dazu beitragen, die in ihm agieren. Fosters Präsentation des Elementaren mit den Mitteln einer unbestrittenen Technik und der Geometrie bildet dafür den Hintergrund. []


Londons Rathaus in Norman Fosters zweiter Fassung:
Der Saal für die Abgeordneten (o.) wird - ähnlich wie beim Berliner Reichstag - von einem Rampengeflecht verziert.
Der „Bauch“ des durchgehenden Luftraumes schwingt
nach unten aus und ergibt eine insgesamt sanfte
Physignomie für das Gebäude.
Grafiken: Foster and Partners

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