Bauwerk
Psychiatrische Klinik
Devanthéry & Lamunière - Yverdon (CH) - 2003
Rote Psychiatrie
Eine Klinik von Devanthéry & Lamunière in Yverdon
4. Juni 2004 - Olivier Aebischer
In Befestigungsanlagen des Mittelalters diente meist einer der grossen Türme als Ort der Verwahrung. Dort wurden neben Personen, die als kriminell galten, auch geisteskranke Menschen eingesperrt - «versorgt», wie das heutzutage im Schweizerdeutschen heisst. Das Haus, das jene Menschen aufzunehmen hat, die psychisch krank sind, ist bis in die Gegenwart immer ein besonderes, oft sehr markantes Gebäude geblieben, das seit dem Klassizismus mehr oder weniger ausgeprägte Analogien zu Spital, Hotel oder eben auch Gefängnis aufweist. Eine wesentliche Veränderung erfuhr der Ort der psychisch Kranken, indem man diesen im Laufe der Zeit aus dem Zentrum verbannte, bevorzugt auf einen abgelegenen Hügel, wo das Klinikum nicht selten zusätzlich von Garten und Mauer abgeschirmt wurde.
Dies galt auch für die psychiatrische Klinik in Yverdon-les-Bains im Kanton Waadt, die während des letzten Jahrhunderts als «Bellevue» auf dem Montélaz in Betrieb war. Behandlung und Bedürfnisse der Psychiatrie haben sich inzwischen dahingehend verändert, dass Menschen mit einer psychischen Störung nicht mehr auf unbestimmte Zeit in einer «Irrenanstalt» untergebracht werden, sondern sich nur noch während einer kurzen Dauer in der Klinik zur Behandlung aufhalten und auch dort möglichst keine Einschränkung in ihrer Bewegungsfreiheit erfahren sollen. Diese Auffassung der «dédramatisation» in der Behandlung von psychisch Kranken hat das Centre de Psychiatrie du Nord Vaudois in Yverdon wieder in die Stadt zurückgebracht. Allerdings nicht in ein Wohnquartier, sondern ins Industriegebiet zwischen Stadtzentrum und See. An diesem Ort, wo früher der Schreibmaschinenbauer Hermes produzierte und sich heute zunehmend die Alternativkultur einrichtet, hat das Genfer Büro Devanthéry & Lamunière eine psychiatrische Klinik für 56 Patienten gebaut, die sich laut den Architekten auf den Typus des Hotels oder der Pension bezieht.
Trotzdem scheint der Komplex - zumindest auf den ersten Blick - gewisse formale Ähnlichkeiten mit einer Festung aufzuweisen. Das vierstöckige, H-förmige Gebäude könnte denn auch ursprünglich eine Burg gewesen sein, die in der Folge zu einem Palais umgestaltet worden ist. Verfügt es doch über zwei asymmetrisch organisierte Flügel, die über einen zweigeschossigen Mitteltrakt mit Hochhof miteinander verbunden sind. Ein Beispiel für den Veredelungsprozess des Gebäudes wären die «goldenen» Rahmen von Türen und Fenstern, die in Wirklichkeit aus anodisiertem Aluminium bestehen. Die vertikal gehaltenen Fenster erinnern an Türen, doch stört kein Balkon, noch nicht einmal ein Sims die monolithische Einheit der rötlichen Fassade.
Anders als diese starkfarbige Hülle wäre diejenige einer Burg grau, und Grau ist vielen die Farbe der Tristesse. Das Schwarz, das Daniele Marques jüngst für den Beton des Schulhauses «Villa Thérèse» in Freiburg gebrauchte, entspricht hingegen traditionell der Melancholie, was für die Klinik kaum in Frage gekommen wäre. Die Rotton-Pigmente - von Dunkelviolett über Bräunlichrot zu hellem Orange -, die Devanthéry & Lamunière ihrem Beton beimischten, gehen bei näherem Hinsehen wie die Farben verschiedener Gesteinsschichten eines geologischen Aufschlusses fliessend ineinander über und strahlen erdige Wärme aus, wirken in keinem Moment aggressiv, eher noch verspielt. Derweil «Rot» freilich auch als Warnfarbe verstanden werden könnte.
Ebenfalls leicht gegensätzlich wirkt die Ästhetik der kühlen Strenge, die hier auf beispielhafte Weise ihren Ausdruck findet. Sie könnte als abweisend oder ehrfurchtgebietend wahrgenommen werden, gilt aber in unseren Tagen fast schon wieder als herzliche, einladende Geste, da klare Linien, farbige Flächen und einfache Formen Auge und Geist eher beruhigen, als dass sie einen in Aufruhr oder in einen Zustand der Beklemmung versetzen würden. Weit davon entfernt, solch unangenehme Empfindungen auszulösen, wirkt die grosszügige, ebenfalls vornehmlich in Rot gehaltene Empfangshalle mit Rezeption und Lounge tatsächlich einladend. Erst im Pflegebereich herrscht klinisches Weiss vor. Die Patientenzimmer wiederum sind bei Tag in ein dezent blaues Licht getaucht, was vor allem aufgrund der blau gefärbten Fussböden zustande kommt.
Der Komplementärkontrast von Grün zum roten Gebäude ist in Form von einigen Rasenstreifen um die Klinik herum zwar vorhanden, aber selbst der Boden aus Hartbeton im Hof, den die beiden Flügel auf der der Strasse abgewandten Seite einschliessen, lässt auf Schritt und Tritt rot sehen. In der jugendlichen Umgangssprache hatten die Fahrzeuge, die einen abholen und in die psychiatrische Klinik einliefern konnten, immer eine grelle Farbe: Meist wurde mit dem «gelben Wagen» gedroht. Gut möglich, dass der markante rote Bau den Sprachgebrauch in Yverdon verändern wird; gut möglich aber auch, dass das auffällige Haus und die dazugehörigen Menschen zu einem ganz normalen Phänomen des bisweilen grauen Alltags werden.
Dies galt auch für die psychiatrische Klinik in Yverdon-les-Bains im Kanton Waadt, die während des letzten Jahrhunderts als «Bellevue» auf dem Montélaz in Betrieb war. Behandlung und Bedürfnisse der Psychiatrie haben sich inzwischen dahingehend verändert, dass Menschen mit einer psychischen Störung nicht mehr auf unbestimmte Zeit in einer «Irrenanstalt» untergebracht werden, sondern sich nur noch während einer kurzen Dauer in der Klinik zur Behandlung aufhalten und auch dort möglichst keine Einschränkung in ihrer Bewegungsfreiheit erfahren sollen. Diese Auffassung der «dédramatisation» in der Behandlung von psychisch Kranken hat das Centre de Psychiatrie du Nord Vaudois in Yverdon wieder in die Stadt zurückgebracht. Allerdings nicht in ein Wohnquartier, sondern ins Industriegebiet zwischen Stadtzentrum und See. An diesem Ort, wo früher der Schreibmaschinenbauer Hermes produzierte und sich heute zunehmend die Alternativkultur einrichtet, hat das Genfer Büro Devanthéry & Lamunière eine psychiatrische Klinik für 56 Patienten gebaut, die sich laut den Architekten auf den Typus des Hotels oder der Pension bezieht.
Trotzdem scheint der Komplex - zumindest auf den ersten Blick - gewisse formale Ähnlichkeiten mit einer Festung aufzuweisen. Das vierstöckige, H-förmige Gebäude könnte denn auch ursprünglich eine Burg gewesen sein, die in der Folge zu einem Palais umgestaltet worden ist. Verfügt es doch über zwei asymmetrisch organisierte Flügel, die über einen zweigeschossigen Mitteltrakt mit Hochhof miteinander verbunden sind. Ein Beispiel für den Veredelungsprozess des Gebäudes wären die «goldenen» Rahmen von Türen und Fenstern, die in Wirklichkeit aus anodisiertem Aluminium bestehen. Die vertikal gehaltenen Fenster erinnern an Türen, doch stört kein Balkon, noch nicht einmal ein Sims die monolithische Einheit der rötlichen Fassade.
Anders als diese starkfarbige Hülle wäre diejenige einer Burg grau, und Grau ist vielen die Farbe der Tristesse. Das Schwarz, das Daniele Marques jüngst für den Beton des Schulhauses «Villa Thérèse» in Freiburg gebrauchte, entspricht hingegen traditionell der Melancholie, was für die Klinik kaum in Frage gekommen wäre. Die Rotton-Pigmente - von Dunkelviolett über Bräunlichrot zu hellem Orange -, die Devanthéry & Lamunière ihrem Beton beimischten, gehen bei näherem Hinsehen wie die Farben verschiedener Gesteinsschichten eines geologischen Aufschlusses fliessend ineinander über und strahlen erdige Wärme aus, wirken in keinem Moment aggressiv, eher noch verspielt. Derweil «Rot» freilich auch als Warnfarbe verstanden werden könnte.
Ebenfalls leicht gegensätzlich wirkt die Ästhetik der kühlen Strenge, die hier auf beispielhafte Weise ihren Ausdruck findet. Sie könnte als abweisend oder ehrfurchtgebietend wahrgenommen werden, gilt aber in unseren Tagen fast schon wieder als herzliche, einladende Geste, da klare Linien, farbige Flächen und einfache Formen Auge und Geist eher beruhigen, als dass sie einen in Aufruhr oder in einen Zustand der Beklemmung versetzen würden. Weit davon entfernt, solch unangenehme Empfindungen auszulösen, wirkt die grosszügige, ebenfalls vornehmlich in Rot gehaltene Empfangshalle mit Rezeption und Lounge tatsächlich einladend. Erst im Pflegebereich herrscht klinisches Weiss vor. Die Patientenzimmer wiederum sind bei Tag in ein dezent blaues Licht getaucht, was vor allem aufgrund der blau gefärbten Fussböden zustande kommt.
Der Komplementärkontrast von Grün zum roten Gebäude ist in Form von einigen Rasenstreifen um die Klinik herum zwar vorhanden, aber selbst der Boden aus Hartbeton im Hof, den die beiden Flügel auf der der Strasse abgewandten Seite einschliessen, lässt auf Schritt und Tritt rot sehen. In der jugendlichen Umgangssprache hatten die Fahrzeuge, die einen abholen und in die psychiatrische Klinik einliefern konnten, immer eine grelle Farbe: Meist wurde mit dem «gelben Wagen» gedroht. Gut möglich, dass der markante rote Bau den Sprachgebrauch in Yverdon verändern wird; gut möglich aber auch, dass das auffällige Haus und die dazugehörigen Menschen zu einem ganz normalen Phänomen des bisweilen grauen Alltags werden.
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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