Bauwerk
Donation Albers-Honegger
Annette Gigon / Mike Guyer - Mouans-Sartoux (F) - 2003
Fünfzehn Räume bilden einen Turm
Ein Neubau von Gigon Guyer für den Espace de l'Art concret in Mouans-Sartoux
Die Zürcher Architekten Annette Gigon und Mike Guyer gelten seit dem Kirchner- Museum in Davos als Protagonisten des zeitgenössischen Museumsbaus. Nahe der Côte d'Azur haben sie nun einen faszinierenden Neubau für die von Gottfried Honegger und Sybil Albers zusammengetragene Sammlung konkreter Kunst errichtet.
30. Juni 2004 - Hubertus Adam
Am Ende des Rundgangs, der sich als kontinuierlicher Aufstieg durch fünfzehn Ausstellungsräume und über sechs Ebenen erweist, findet sich das einzige Objekt, das nicht eigentlich ein Kunstwerk ist: ein Pyritkristall, versehen mit der Beischrift «L'univers est écrit en langage mathématique». Dass sich in der reinen Form mehr offenbart als die ideale Geometrie, ist das Credo jener Kunstrichtung, für die Theo van Doesburg 1930 den Begriff «Art concret» geprägt hat. Nichts sei konkreter, nichts wirklicher als eine Linie, eine Farbe, eine Fläche, und basierend auf den heroischen Kunstströmungen des beginnenden 20. Jahrhunderts, dem Suprematismus Malewitschs ebenso wie dem niederländischen Stijl, postulierte van Doesburg eine universelle Sprache als Grundlage einer neuen Kultur. In der Schweiz können Max Bill und Richard Paul Lohse als Hauptvertreter der konkreten Kunst gelten. Doch so sehr diese auch den Humus der Schweizer Kunst nach 1945 bildete, so sehr sollten Differenzen an die Stelle von Gemeinsamkeiten treten. Der Streit um die Interpretationshoheit führte zu Diadochenkämpfen, und die Intention des 1917 geborenen Künstlers Gottfried Honegger, seine eigene Sammlung konkreter Kunst zu einem umfassenden Stiftungsmuseum auszubauen, scheiterte am Widerstand der Berufskollegen oder ihrer Erben.
Architektur und Natur
Daher präsentiert Honegger, der zur zweiten Generation der Schweizer Konkreten zählt, die gemeinsam mit Sybil Albers-Barrier aufgebaute Kollektion seit 1990 in seiner südfranzösischen Wahlheimat. Domizil des Espace de l'Art concret ist das im Kern aus dem beginnenden 16. Jahrhundert stammende Schloss des unweit von Cannes gelegenen Städtchens Mouans-Sartoux. Dieses schien mit seiner ungewöhnlichen Dreiecksform und den runden Ecktürmen wie geschaffen für die geometrischen Werke der Konkreten. Indes erwiesen sich die Räumlichkeiten auf Dauer als zu klein, und nachdem 1998 durch Marc Bariani ein «Atelier pédagogique» errichtet worden war, konnte für die Sammlung am vergangenen Wochenende ein Neubau der Zürcher Architekten Annette Gigon und Mike Guyer eingeweiht werden. Möglich geworden war der aus einem zweistufigen Architekturwettbewerb hervorgegangene Bau, weil Honegger und Albers- Barrier ihre Kollektion als Donation Albers- Honegger im Jahr 2000 an den französischen Staat übertragen hatten und dieser dafür den Neubau finanzierte.
Beim neuen Gebäude handelt es sich um ein vertikales Museum in Form eines Turms, der nordwestlich des Schlosses so am Hang placiert wurde, dass er von weitem gesehen schier unendlich zwischen den Bäumen aufragt, während das Volumen vom Park her villenartig wirkt und die Traufhöhe der Schlosstürme respektiert. Das Gelbgrün des Sichtbetonkörpers harmoniert mit der mediterranen Vegetation, bleibt aber erkennbar artifiziell. Immer wieder haben sich Gigon Guyer mit der Interferenz von Architektur und Natur beschäftigt: Beim Kirchner-Museum in Davos benutzten sie Glas in verschiedener Gestalt, das wie eine Transformation von Eiskristallen wirkt; die Betonkuben der Sammlung Oskar Reinhart in Winterthur wirken durch Beimischung von Pigmenten wie Sedimente; und beim 2003 fertig gestellten Ausbildungszentrum Appisberg oberhalb von Männedorf wählten die Architekten gemeinsam mit dem Künstler Harald Müller ein giftiges Grellgrün, das die Farben von Rasen und Blumen erst ins rechte Licht setzt.
Ausstellung auf sechs Ebenen
Der Grundriss des Museumsneubaus in Mouans-Sartoux ist annähernd quadratisch - doch Ausstülpungen, die sich in alle Richtungen erstrecken, machen aus dem aufragenden Kubus ein plastisches Volumen, das sich mit der Umgebung verzahnt. Von der Basis aus schrauben sich diese Annexe im Uhrzeigersinn empor: Die Zufahrt zu den tief liegenden Depots befindet sich im Norden. Dann folgt im Osten der Eingang zum Auditorium, im Süden das Foyer und schliesslich Richtung Westen eine zweigeschossige Auskragung der Ausstellungsbereiche. Die Idee der das Hauptvolumen erweiternden Formen wird auch auf der Ebene des Dachs verfolgt, aus dem die Oberlichter des überhohen letzten Saales wie ein Belvedere hervortreten.
Man betritt das neue Gebäude vom Park aus ungefähr in mittlerer Höhe durch den Annex des Foyers, der als brückenartiger Körper den Hang überspannt. Hier stehen Kasse und Verkaufstresen, doch mit Joseph Kosuths Lichtinstallation «These are the facts of the case» (1989) dient der Raum auch als Ausstellungsfläche. Um den Gebäudekern sind - jeweils um ein halbes Geschoss versetzt - die Ausstellungsebenen organisiert. Diese Split-Level-Lösung hat zur Folge, dass sich die drei der Sammlungspräsentation vorbehaltenen Etagen in sechs Ebenen gliedern. Vom Foyer aus steigt man rechts ein halbes Geschoss hinab in einen Raum mit Werken Honeggers und der Pariser Künstlerin Aurelie Nemours. Nach links hingegen führt der Weg durch die weiteren Geschosse bis in die hohe Oberlichthalle mit dem «Swiss Alpine Circle» von Richard Long. Der Parcours gibt mit Ausschnitten aus der 500 Werke umfassenden Schenkung Albers-Honegger - weitere Exponate sind im Château zu sehen - einen guten Überblick über die Entwicklung konkreter Kunst, wobei «Vorläufer» fehlen. Reeditionen von Möbeln Rietvelds können Arbeiten aus dem Umkreis des Stijl nicht ersetzen. Werke von Bill, Arp und Lohse stehen für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, Objekte von Carl André, Sol LeWitt und Donald Judd für den amerikanischen Minimalismus, Arbeiten von Olivier Mosset, Adrian Schiess, John Armleder oder Renée Levi für die jüngere Schweizer Kunst. Die Sicht auf das, was konkret ist und was nicht, ist massgeblich von Gottfried Honegger bestimmt; zweifellos wären längst nicht alle der vertretenen Künstler mit dem Etikett einverstanden.
Bauaufgabe Museum
Gigon Guyer haben für ein überaus persönliches Museum einen eindrücklichen Rahmen geschaffen. Die einzelnen Räume zeigen sich reduziert: grauer Boden, weisse Wände und Decken, geschosshohe Durchgänge, Leuchtstoffröhren als künstliche Lichtquellen. Aber die Architekten haben sich bewusst von der parasakralen Aura des «White Cube» ferngehalten. Hinsichtlich ihrer Proportionen sind die Räume bescheiden, aber nicht eng; es handelt sich eher um Zimmer denn um Säle. Dieser Eindruck wird durch die grossen zweigeteilten Fenster noch verstärkt, die Ausblicke in den Park und die Umgebung ermöglichen und deren unterschiedliche Anordnung die Fassade lebendig werden lässt. - Mit dem Kirchner-Museum haben Gigon Guyer 1992 eine Inkunabel der neuen Schweizer Museumsarchitektur geschaffen; das Kunstmuseum und die Erweiterung der Sammlung Oskar Reinhart in Winterthur, das Liner-Museum in Appenzell und das Museum Varusschlacht im niedersächsischen Kalkriese zeugen von ihrer kontinuierlichen Auseinandersetzung mit dieser Bauaufgabe. Bei aller formalen Zurückhaltung ist ihnen mit dem Turm in Mouans-Sartoux erneut ein Gebäude gelungen, das mit repetitiven Elementen eine faszinierende räumliche Vielfalt entstehen lässt.
Publikation: Espace de l'Art concret. Donation Albers- Honegger - Konkrete Kunst. Schenkung Albers-Honegger. Isthme Editions, Paris 2004. 288 S., Euro 40.-.
Architektur und Natur
Daher präsentiert Honegger, der zur zweiten Generation der Schweizer Konkreten zählt, die gemeinsam mit Sybil Albers-Barrier aufgebaute Kollektion seit 1990 in seiner südfranzösischen Wahlheimat. Domizil des Espace de l'Art concret ist das im Kern aus dem beginnenden 16. Jahrhundert stammende Schloss des unweit von Cannes gelegenen Städtchens Mouans-Sartoux. Dieses schien mit seiner ungewöhnlichen Dreiecksform und den runden Ecktürmen wie geschaffen für die geometrischen Werke der Konkreten. Indes erwiesen sich die Räumlichkeiten auf Dauer als zu klein, und nachdem 1998 durch Marc Bariani ein «Atelier pédagogique» errichtet worden war, konnte für die Sammlung am vergangenen Wochenende ein Neubau der Zürcher Architekten Annette Gigon und Mike Guyer eingeweiht werden. Möglich geworden war der aus einem zweistufigen Architekturwettbewerb hervorgegangene Bau, weil Honegger und Albers- Barrier ihre Kollektion als Donation Albers- Honegger im Jahr 2000 an den französischen Staat übertragen hatten und dieser dafür den Neubau finanzierte.
Beim neuen Gebäude handelt es sich um ein vertikales Museum in Form eines Turms, der nordwestlich des Schlosses so am Hang placiert wurde, dass er von weitem gesehen schier unendlich zwischen den Bäumen aufragt, während das Volumen vom Park her villenartig wirkt und die Traufhöhe der Schlosstürme respektiert. Das Gelbgrün des Sichtbetonkörpers harmoniert mit der mediterranen Vegetation, bleibt aber erkennbar artifiziell. Immer wieder haben sich Gigon Guyer mit der Interferenz von Architektur und Natur beschäftigt: Beim Kirchner-Museum in Davos benutzten sie Glas in verschiedener Gestalt, das wie eine Transformation von Eiskristallen wirkt; die Betonkuben der Sammlung Oskar Reinhart in Winterthur wirken durch Beimischung von Pigmenten wie Sedimente; und beim 2003 fertig gestellten Ausbildungszentrum Appisberg oberhalb von Männedorf wählten die Architekten gemeinsam mit dem Künstler Harald Müller ein giftiges Grellgrün, das die Farben von Rasen und Blumen erst ins rechte Licht setzt.
Ausstellung auf sechs Ebenen
Der Grundriss des Museumsneubaus in Mouans-Sartoux ist annähernd quadratisch - doch Ausstülpungen, die sich in alle Richtungen erstrecken, machen aus dem aufragenden Kubus ein plastisches Volumen, das sich mit der Umgebung verzahnt. Von der Basis aus schrauben sich diese Annexe im Uhrzeigersinn empor: Die Zufahrt zu den tief liegenden Depots befindet sich im Norden. Dann folgt im Osten der Eingang zum Auditorium, im Süden das Foyer und schliesslich Richtung Westen eine zweigeschossige Auskragung der Ausstellungsbereiche. Die Idee der das Hauptvolumen erweiternden Formen wird auch auf der Ebene des Dachs verfolgt, aus dem die Oberlichter des überhohen letzten Saales wie ein Belvedere hervortreten.
Man betritt das neue Gebäude vom Park aus ungefähr in mittlerer Höhe durch den Annex des Foyers, der als brückenartiger Körper den Hang überspannt. Hier stehen Kasse und Verkaufstresen, doch mit Joseph Kosuths Lichtinstallation «These are the facts of the case» (1989) dient der Raum auch als Ausstellungsfläche. Um den Gebäudekern sind - jeweils um ein halbes Geschoss versetzt - die Ausstellungsebenen organisiert. Diese Split-Level-Lösung hat zur Folge, dass sich die drei der Sammlungspräsentation vorbehaltenen Etagen in sechs Ebenen gliedern. Vom Foyer aus steigt man rechts ein halbes Geschoss hinab in einen Raum mit Werken Honeggers und der Pariser Künstlerin Aurelie Nemours. Nach links hingegen führt der Weg durch die weiteren Geschosse bis in die hohe Oberlichthalle mit dem «Swiss Alpine Circle» von Richard Long. Der Parcours gibt mit Ausschnitten aus der 500 Werke umfassenden Schenkung Albers-Honegger - weitere Exponate sind im Château zu sehen - einen guten Überblick über die Entwicklung konkreter Kunst, wobei «Vorläufer» fehlen. Reeditionen von Möbeln Rietvelds können Arbeiten aus dem Umkreis des Stijl nicht ersetzen. Werke von Bill, Arp und Lohse stehen für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, Objekte von Carl André, Sol LeWitt und Donald Judd für den amerikanischen Minimalismus, Arbeiten von Olivier Mosset, Adrian Schiess, John Armleder oder Renée Levi für die jüngere Schweizer Kunst. Die Sicht auf das, was konkret ist und was nicht, ist massgeblich von Gottfried Honegger bestimmt; zweifellos wären längst nicht alle der vertretenen Künstler mit dem Etikett einverstanden.
Bauaufgabe Museum
Gigon Guyer haben für ein überaus persönliches Museum einen eindrücklichen Rahmen geschaffen. Die einzelnen Räume zeigen sich reduziert: grauer Boden, weisse Wände und Decken, geschosshohe Durchgänge, Leuchtstoffröhren als künstliche Lichtquellen. Aber die Architekten haben sich bewusst von der parasakralen Aura des «White Cube» ferngehalten. Hinsichtlich ihrer Proportionen sind die Räume bescheiden, aber nicht eng; es handelt sich eher um Zimmer denn um Säle. Dieser Eindruck wird durch die grossen zweigeteilten Fenster noch verstärkt, die Ausblicke in den Park und die Umgebung ermöglichen und deren unterschiedliche Anordnung die Fassade lebendig werden lässt. - Mit dem Kirchner-Museum haben Gigon Guyer 1992 eine Inkunabel der neuen Schweizer Museumsarchitektur geschaffen; das Kunstmuseum und die Erweiterung der Sammlung Oskar Reinhart in Winterthur, das Liner-Museum in Appenzell und das Museum Varusschlacht im niedersächsischen Kalkriese zeugen von ihrer kontinuierlichen Auseinandersetzung mit dieser Bauaufgabe. Bei aller formalen Zurückhaltung ist ihnen mit dem Turm in Mouans-Sartoux erneut ein Gebäude gelungen, das mit repetitiven Elementen eine faszinierende räumliche Vielfalt entstehen lässt.
Publikation: Espace de l'Art concret. Donation Albers- Honegger - Konkrete Kunst. Schenkung Albers-Honegger. Isthme Editions, Paris 2004. 288 S., Euro 40.-.
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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