Bauwerk
Deutscher Pavillon Weltausstellung Brüssel
Egon Eiermann, Sep Ruf - Brüssel (B) - 1958
Die Haltung der Zurückhaltung
Der deutsche Pavillon von Egon Eiermann und Sep Ruf auf der Weltausstellung in Brüssel
Mit dem deutschen Beitrag zur Brüsseler Weltausstellung gelang den Architekten Egon Eiermann und Sep Ruf 1958 nicht nur ein formalästhetisches Meisterwerk, das zu den Glanzstücken ihres jeweiligen Œuvre gehört, sondern auch ein bemerkenswertes Stück architektonischer Diplomatie. Ihr international gelobter Pavillon ist in jeder Hinsicht als gebaute Antithese zur faschistischen Repräsentationsarchitektur lesbar.
25. September 2004 - Mathias Remmele
Es war, wenn man es recht bedenkt, eine ungemein grossmütige Geste der belgischen Regierung, die Bundesrepublik Deutschland 1954, nur gerade neun Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und des Völkermords, zur Teilnahme an der für das Jahr 1958 geplanten Weltausstellung nach Brüssel einzuladen. In der provisorischen Hauptstadt Bonn war man sich der politischen Dimension dieser Geste wohl bewusst. Der in Aussicht gestellte erste internationale Auftritt nach der Befreiung vom Naziregime bot der jungen Bundesrepublik die Chance, sich wieder als demokratischer Staat und normales Mitglied der Völkergemeinschaft zu präsentieren. Zugleich aber schien der heikle Charakter dieser symbolträchtigen Mission die Verantwortlichen zu verunsichern. Erst nach einem Jahr wurde die Einladung offiziell angenommen, und die Vorbereitungen konnten beginnen.
Transparenz
In Brüssel stand den Planern ein landschaftlich reizvolles, parkartiges Gelände mit altem Baumbestand zur Verfügung. Mit dem Entwurf der Ausstellungsbauten betraute man nach einem Auswahlverfahren die Architekten Egon Eiermann aus Karlsruhe und Sep Ruf aus München, die zunächst eigenständige Vorprojekte eingereicht hatten. Ihr jeweiliger Anteil an der gemeinsamen Planung ist relativ eindeutig: Während Rufs Beitrag vor allem in der für den Gesamteindruck des Projektes wesentlichen städtebaulichen Konzeption liegt, zeichnete Eiermann für die Fassadengestaltung, die Detaillierung und die Möblierung der Gebäude verantwortlich, soweit diese nicht zur Ausstellung selbst gehörte.
Die Ausstellungsbauten bestanden aus insgesamt acht separaten Pavillons auf jeweils quadratischem Grundriss, die durch offene, aber überdeckte Stege miteinander verbunden waren. Die unterschiedlich dimensionierten, flachgedeckten Baukörper (vier kleine und vier grössere) enthielten jeweils zwei bzw. drei Geschosse und wurden so auf dem Grundstück verteilt, dass eine zentral gelegene, hofartige Platzanlage entstand, deren Gestaltung der Gartenarchitekt Walter Rossow übernahm. Alle Gebäude waren im Grund- und im Aufriss auf ein einheitliches Rastermass bezogen und als Stahlkonstruktionen mit weit auskragenden Deckenplatten ausgeführt. Die von den Gebäudekanten zurückversetzten Wände bestanden vollständig aus Glas, wobei zwischen Decken und Glaswänden jeweils ein horizontaler Spalt blieb, um die natürliche Durchlüftung der Räume zu ermöglichen. Die äusserste Fassadenschicht bildete ein filigranes Stabwerk aus weiss gestrichenen Stahlstangen, hinter denen bei Bedarf Sonnenschutzstoren heruntergelassen werden konnten - ein typisches Element Eiermannscher Fassadengestaltung.
Über die politische Dimension ihres Brüsseler Planungsauftrages waren sich Eiermann und Ruf von Anfang an im Klaren. Für sie bestand die Herausforderung darin, nach den schrecklichen Ereignissen der jüngeren Geschichte den «richtigen Ton zu treffen», um den politischen und kulturellen Paradigmenwechsel in Deutschland zum Ausdruck zu bringen. Die formale Reduktion, eine Gestaltung nach dem Motto «Weglassen und noch mal weglassen», bot sich dafür als Königsweg an. Als Leitbild kam allenfalls der Miessche Barcelona-Pavillon von 1929 in Frage. Als explizites Gegenbild aber stand der Pavillon fest, den Eiermanns Studienkollege und Gegenspieler Albert Speer 1937 für die Nazis in Paris errichtet hatte. Von diesem neuklassizistischen Monstrum, das wie kaum ein zweites Gebäude die «Baukunst des Dritten Reiches» verkörperte, galt es sich abzusetzen.
Fast scheint es, als hätten Eiermann und Ruf planmässig sämtliche Gestaltungsprinzipien, die dem Speerschen Pavillon zugrunde lagen, in Brüssel in ihr Gegenteil verkehrt: Dominierte in Paris die Vertikale, betonte man in Brüssel die Horizontale. Gab sich der Speer-Bau weitgehend verschlossen, realisierten Eiermann und Ruf ein Maximum an Transparenz. Hatte der mit Natursteinplatten verkleidete Bau in Paris voluminös und schwer gewirkt, beeindruckte der Brüsseler Komplex durch Leichtigkeit und harmonische Proportionen. Versuchte Speer mit Pomp Eindruck zu schinden, setzten Eiermann und Ruf auf nüchterne Eleganz. Verströmte der Nazi-Pavillon eine Aura von weihevollem Ernst, verbreitete der bundesrepublikanische Bau eine heiter-gelöste Stimmung. Nahm der Pariser Bau keinen Bezug zur Umgebung - ausser zum gegenüber placierten sowjetischen Pavillon, den es zu übertrumpfen galt -, so waren die Brüsseler Bauten sensibel in die Parklandschaft integriert worden.
Die Reaktionen auf den Pavillon fielen, vor allem im Ausland, durchweg positiv aus. Der «Figaro» etwa meinte, dass «die Deutschen mit einer Zartheit des Empfindens, mit einer ganz pariserischen Grazie einen Pavillon von beispielhafter Nüchternheit erbaut» haben. Mit diesem Bau sei man «zurückgekehrt vom Kolossalen in den ruhigen Garten der klugen Kinder Europas». Die Londoner «Times» bezeichnete den Pavillon als den elegantesten der ganzen Ausstellung und stellte fest, «in ihm sind alle Qualitäten der Leichtigkeit und Transparenz, die zum Stil dieser Architektur gehören, voll ausgeschöpft». Die «Architectural Review», das führende Fachblatt in Grossbritannien, nannte den westdeutschen Pavillon «the most sophisticated work of architecture in the exhibition» und lobte dabei vor allem die Eleganz der Stahlkonstruktion, die vollendet gestalteten Details, die sorgfältige Materialwahl und die Poesie der Transparenz.
Repräsentation
In Deutschland selbst war das Lob nicht ganz so einhellig. Die politisch korrekte «Haltung der Zurückhaltung», von der Ernst Johan in der Werkbundzeitschrift «Werk und Zeit» schrieb, provozierte Spötter zu der Aussage, in Brüssel sei es wohl vor allem um die Darstellung des «bundesdeutschen Musterknaben» gegangen. Die Kritik richtete sich auch gegen die Architektur, deren Formvollendung zwar anerkannt wurde, deren Reduktion aber manch einem Beobachter «zu simpel» und «phantasielos» vorkam.
Obwohl Eiermann und Ruf die Pavillonbauten bewusst demontierbar geplant hatten und lange über eine Nachnutzung diskutiert wurde, kam es am Ende - wie bei dieser Art von Ausstellungsarchitektur meist üblich - zu Abriss und Verschrottung. Einzig die Zugangsbrücke mit ihrem hohen Stahlpylon blieb erhalten. Sie fand als «Zoobrücke» in Duisburg eine neue Verwendung. Für die Architekten hat sich der Erfolg in Brüssel in der Folgezeit mehrfach ausgezahlt. Ruf konnte 1959 die amerikanische Botschaft in Bonn-Bad Godesberg entwerfen und 1963-65 den als repräsentativen Wohnsitz des Bundeskanzlers konzipierten «Kanzler-Bungalow». Eiermann wurde gar so etwas wie der inoffizielle «Baumeister der Bonner Republik». Zu seinen wichtigsten Arbeiten in diesem Zusammenhang zählen das errichtete Kanzleigebäude der deutschen Botschaft in Washington (1961-63) und das nach langem innenpolitischem Tauziehen von 1965 bis 1968 erbaute und unter dem Namen «Langer Eugen» bekannte Hochhaus für die Abgeordneten des Bundestages in Bonn, das Teil einer umfassenderen, jedoch nicht ausgeführten Planung war. Bei einem weiteren, für die internationale Repräsentation der Bundesrepublik wichtigen Bauprojekt war Eiermann, wenn auch nur indirekt, beteiligt: Bei den Münchner Olympiabauten half er als Mitglied der Wettbewerbsjury am Ende seiner Karriere mit, den visionären Entwurf von Günter Behnisch und Frei Otto durchzusetzen.
Transparenz
In Brüssel stand den Planern ein landschaftlich reizvolles, parkartiges Gelände mit altem Baumbestand zur Verfügung. Mit dem Entwurf der Ausstellungsbauten betraute man nach einem Auswahlverfahren die Architekten Egon Eiermann aus Karlsruhe und Sep Ruf aus München, die zunächst eigenständige Vorprojekte eingereicht hatten. Ihr jeweiliger Anteil an der gemeinsamen Planung ist relativ eindeutig: Während Rufs Beitrag vor allem in der für den Gesamteindruck des Projektes wesentlichen städtebaulichen Konzeption liegt, zeichnete Eiermann für die Fassadengestaltung, die Detaillierung und die Möblierung der Gebäude verantwortlich, soweit diese nicht zur Ausstellung selbst gehörte.
Die Ausstellungsbauten bestanden aus insgesamt acht separaten Pavillons auf jeweils quadratischem Grundriss, die durch offene, aber überdeckte Stege miteinander verbunden waren. Die unterschiedlich dimensionierten, flachgedeckten Baukörper (vier kleine und vier grössere) enthielten jeweils zwei bzw. drei Geschosse und wurden so auf dem Grundstück verteilt, dass eine zentral gelegene, hofartige Platzanlage entstand, deren Gestaltung der Gartenarchitekt Walter Rossow übernahm. Alle Gebäude waren im Grund- und im Aufriss auf ein einheitliches Rastermass bezogen und als Stahlkonstruktionen mit weit auskragenden Deckenplatten ausgeführt. Die von den Gebäudekanten zurückversetzten Wände bestanden vollständig aus Glas, wobei zwischen Decken und Glaswänden jeweils ein horizontaler Spalt blieb, um die natürliche Durchlüftung der Räume zu ermöglichen. Die äusserste Fassadenschicht bildete ein filigranes Stabwerk aus weiss gestrichenen Stahlstangen, hinter denen bei Bedarf Sonnenschutzstoren heruntergelassen werden konnten - ein typisches Element Eiermannscher Fassadengestaltung.
Über die politische Dimension ihres Brüsseler Planungsauftrages waren sich Eiermann und Ruf von Anfang an im Klaren. Für sie bestand die Herausforderung darin, nach den schrecklichen Ereignissen der jüngeren Geschichte den «richtigen Ton zu treffen», um den politischen und kulturellen Paradigmenwechsel in Deutschland zum Ausdruck zu bringen. Die formale Reduktion, eine Gestaltung nach dem Motto «Weglassen und noch mal weglassen», bot sich dafür als Königsweg an. Als Leitbild kam allenfalls der Miessche Barcelona-Pavillon von 1929 in Frage. Als explizites Gegenbild aber stand der Pavillon fest, den Eiermanns Studienkollege und Gegenspieler Albert Speer 1937 für die Nazis in Paris errichtet hatte. Von diesem neuklassizistischen Monstrum, das wie kaum ein zweites Gebäude die «Baukunst des Dritten Reiches» verkörperte, galt es sich abzusetzen.
Fast scheint es, als hätten Eiermann und Ruf planmässig sämtliche Gestaltungsprinzipien, die dem Speerschen Pavillon zugrunde lagen, in Brüssel in ihr Gegenteil verkehrt: Dominierte in Paris die Vertikale, betonte man in Brüssel die Horizontale. Gab sich der Speer-Bau weitgehend verschlossen, realisierten Eiermann und Ruf ein Maximum an Transparenz. Hatte der mit Natursteinplatten verkleidete Bau in Paris voluminös und schwer gewirkt, beeindruckte der Brüsseler Komplex durch Leichtigkeit und harmonische Proportionen. Versuchte Speer mit Pomp Eindruck zu schinden, setzten Eiermann und Ruf auf nüchterne Eleganz. Verströmte der Nazi-Pavillon eine Aura von weihevollem Ernst, verbreitete der bundesrepublikanische Bau eine heiter-gelöste Stimmung. Nahm der Pariser Bau keinen Bezug zur Umgebung - ausser zum gegenüber placierten sowjetischen Pavillon, den es zu übertrumpfen galt -, so waren die Brüsseler Bauten sensibel in die Parklandschaft integriert worden.
Die Reaktionen auf den Pavillon fielen, vor allem im Ausland, durchweg positiv aus. Der «Figaro» etwa meinte, dass «die Deutschen mit einer Zartheit des Empfindens, mit einer ganz pariserischen Grazie einen Pavillon von beispielhafter Nüchternheit erbaut» haben. Mit diesem Bau sei man «zurückgekehrt vom Kolossalen in den ruhigen Garten der klugen Kinder Europas». Die Londoner «Times» bezeichnete den Pavillon als den elegantesten der ganzen Ausstellung und stellte fest, «in ihm sind alle Qualitäten der Leichtigkeit und Transparenz, die zum Stil dieser Architektur gehören, voll ausgeschöpft». Die «Architectural Review», das führende Fachblatt in Grossbritannien, nannte den westdeutschen Pavillon «the most sophisticated work of architecture in the exhibition» und lobte dabei vor allem die Eleganz der Stahlkonstruktion, die vollendet gestalteten Details, die sorgfältige Materialwahl und die Poesie der Transparenz.
Repräsentation
In Deutschland selbst war das Lob nicht ganz so einhellig. Die politisch korrekte «Haltung der Zurückhaltung», von der Ernst Johan in der Werkbundzeitschrift «Werk und Zeit» schrieb, provozierte Spötter zu der Aussage, in Brüssel sei es wohl vor allem um die Darstellung des «bundesdeutschen Musterknaben» gegangen. Die Kritik richtete sich auch gegen die Architektur, deren Formvollendung zwar anerkannt wurde, deren Reduktion aber manch einem Beobachter «zu simpel» und «phantasielos» vorkam.
Obwohl Eiermann und Ruf die Pavillonbauten bewusst demontierbar geplant hatten und lange über eine Nachnutzung diskutiert wurde, kam es am Ende - wie bei dieser Art von Ausstellungsarchitektur meist üblich - zu Abriss und Verschrottung. Einzig die Zugangsbrücke mit ihrem hohen Stahlpylon blieb erhalten. Sie fand als «Zoobrücke» in Duisburg eine neue Verwendung. Für die Architekten hat sich der Erfolg in Brüssel in der Folgezeit mehrfach ausgezahlt. Ruf konnte 1959 die amerikanische Botschaft in Bonn-Bad Godesberg entwerfen und 1963-65 den als repräsentativen Wohnsitz des Bundeskanzlers konzipierten «Kanzler-Bungalow». Eiermann wurde gar so etwas wie der inoffizielle «Baumeister der Bonner Republik». Zu seinen wichtigsten Arbeiten in diesem Zusammenhang zählen das errichtete Kanzleigebäude der deutschen Botschaft in Washington (1961-63) und das nach langem innenpolitischem Tauziehen von 1965 bis 1968 erbaute und unter dem Namen «Langer Eugen» bekannte Hochhaus für die Abgeordneten des Bundestages in Bonn, das Teil einer umfassenderen, jedoch nicht ausgeführten Planung war. Bei einem weiteren, für die internationale Repräsentation der Bundesrepublik wichtigen Bauprojekt war Eiermann, wenn auch nur indirekt, beteiligt: Bei den Münchner Olympiabauten half er als Mitglied der Wettbewerbsjury am Ende seiner Karriere mit, den visionären Entwurf von Günter Behnisch und Frei Otto durchzusetzen.
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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