Bauwerk

Teatro alla Scala - Umbau
Mario Botta - Mailand (I) - 2004

Wiedergewonnen, wiederbelebt

Eröffnung des renovierten Teatro alla Scala di Milano

9. Dezember 2004 - Peter Hagmann
Es riecht nach frischer Farbe, aber es ist alles trocken - und, Hand aufs Herz, es ist wunderbar geworden. Eng wie eh und je sind die Seiteneingänge zu dem mächtigen Zuschauerraum mit seinen rund zweitausend Plätzen, doch schon dort fällt das edle, helle Parkett auf, mit dem der Boden jetzt belegt ist. Komfortabel die in schlichtem Weinrot gehaltenen Sitze; sie bieten mehr Beinfreiheit als vorher. Und dann zieht es den Blick nach oben, hin zu den sechs Galerien, für die das Haus bekannt ist; prächtig, in einer genuinen Weise theatralisch das dunkle Rot der Wandbezüge, das Gold der Stuckaturen und die Lichtwirkung der Tausende kleiner Lampen. Und besonders fällt jetzt nicht die majestätische Ehrenloge in der Mitte, sondern die reich vergoldete, stark mit Spiegeln besetzte Seitenloge von Giuseppe Piermarini auf, dem Architekten der Scala.

Neuer Klang

Das alles war am 7. Dezember, dem Tag des Mailänder Stadtheiligen Ambrosius, an dem die Scala jeweils ihre Saison eröffnet, zum ersten Mal zu bestaunen. Seit Anfang 2002 war das Teatro alla Scala in Mailand geschlossen, war der Spielbetrieb ins moderne Teatro degli Arcimboldi verlegt. In zweieinhalb Jahren Bauzeit ist das Haus unter der Federführung des Architekten Mario Botta umfassend renoviert und erweitert worden (vgl. NZZ vom 7. 12. 04). Dabei wurden auch Sünden getilgt, die bei der eiligen Wiedererrichtung des durch Bombentreffer beschädigten Theaters 1945/46 begangen worden waren. Wurde zum Beispiel jener Betonboden ersetzt, der damals kurzerhand über die Trümmer gelegt worden war - so dass der Raum jetzt wieder schwingen kann. Die Akustik, so jedenfalls ein erster Eindruck von einem Sitzplatz am seitlichen Rand des Parketts aus, ist denn auch merklich besser geworden. Geradezu üppig der Nachhall; er verleiht dem Klang ausgesprochen opulente Züge. Zugleich treten die Stimmen klar heraus; stehen die Sänger seitlich an der Rampe, wirken sie gar wie verstärkt.

Grundlegend erneuert und substanziell erweitert wurde auch der Bühnenbereich; die Scala verfügt heute über eine Seitenbühne, einen Schnürboden, eine Untermaschinerie und eine Beleuchtungsanlage modernster Bauweise. Stolz wurde das bei der Eröffnungspremiere von dem Ausstatter Pier-Luigi Pizzi vorgeführt. Ganze Reiterarmeen, undurchdringliche (und zugleich natürlich erlesen konstruierte) Gefängnistürme und steile Treppen wurden auf Podesten von der Seite her auf die Bühne gefahren. Wie von Geisterhand gesteuert, bewegte sich ein schwarzes Schiff auf den Bühnenrand zu, wo es ins Drehen geriet und schliesslich auseinander brach. Der Chor wurde jeweils auf Liften von unten heraufgestemmt, während sich von oben verspiegelte Wände herabsenkten. Nicht immer hatte das seinen Grund, aber Opernregie heisst in Italien - und auch bei Luca Ronconi, der die Eröffnungsproduktion szenisch geleitet hat - ohnehin eher Dekoration als Psychologie. Dem Gepränge, das hier mit dem Musiktheater verbunden wird, dient diese Bühne ohne Zweifel.

Dem Werk, das zur Saisoneröffnung und zur Einweihung des Hauses gegeben wurde, entsprach der technische Aufwand weniger. Aber die Wahl, die Riccardo Muti, der Musikdirektor der Scala, getroffen hatte, war in ihrer Weise stimmig. Er hatte sich für «Europa riconosciuta» entschieden, die «Festa teatrale» von Antonio Salieri, die am 3. August 1778 zur Eröffnung des Teatro alla Scala gespielt worden war, dann jedoch in den Archiven verschwand. Begreiflicherweise. Es handelt sich um ein Gelegenheitswerk eines zweitrangigen Komponisten, dessen Name heute nur noch darum bekannt ist, weil er dank seinen gesellschaftlichen Beziehungen und seiner herausragenden Stellung am Wiener Kaiserhof zum Rivalen Mozarts wurde. Reichlich schematisch berichtet das Libretto von Mattia Verazi von der Königstochter Europa, die entführt und zur Ehe gezwungen wurde und die in dem Moment, da sie den Thron ihres Vaters erben könnte, grossherzig Pflicht vor Neigung stellt. Und wenn man hört, mit welch geringer Imagination diese Geschichte in die musikalische Form der Opera seria für Kastraten gegossen worden ist, kann man auf Anhieb verstehen, warum Salieri auf Mozart so schlecht zu sprechen war.

Immerhin, aufgeführt wurde das Stück in sehr respektabler Weise. Riccardo Muti, der sich seit Jahren mit der vergessenen klassizistischen Musik aus dem späten 18. Jahrhundert beschäftigt, nahm auch die Partitur von Salieri sehr gelassen, fast statisch, und das Orchester der Scala folgte ihm mit leuchtendem, aber etwas breitem, im Inneren der Strukturen nicht sehr belebtem Klang. Untadelig die Besetzung. Die Titelrolle der Europa bewältigte Diana Damrau mit Beweglichkeit und Intonationssicherheit, während Désirée Rancatore in der Partie der Semele etwas Mühe mit den Koloraturen erkennen liess, das aber durch Ausstrahlung und Präsenz wettmachte. In den beiden Hosenrollen des Asterio und des Isseo bewährten sich Genia Kühmeier und Daniela Barcellona. Giuseppe Sabbatini wiederum, der einzige Mann in der Runde, verhalf den Ränkespielen des Egisto wenn nicht zu erfolgreichem Ende, so doch zu blendender vokaler Wirkung. Und wie es sich bei einer «Festa teatrale» gehört, gab es vor der grossen, langen Pause ein Ballett, das von Heinz Spoerli choreografiert worden war.

Ballett der Blaulichter

Am Ende, nach dem doch eher matten Beifall, war die Welt wieder ganz und gar in Ordnung. Verlagerte sich das Theater, wie es an Sant' Ambrogio Sitte ist, von der Bühne auf den Platz vor der Scala. Republikanische Garden mit Federbusch, Offiziere in dunkelblauen Capes mit rotem Innenfutter, das nicht von Heinz Spoerli geleitete Ballett der Begleitfahrzeuge mit Blaulicht, der Bürgermeister Gabriele Albertini in seiner Limousine, stürmisch begrüsst von der Menge hinter den Abschrankungen - das wird Jahr für Jahr mit Inbrunst und Verspieltheit gelebt, wie es nur hier möglich ist. Zweihundert Fotografen sollen den Anlass verfolgt haben, je einen auf zehn Besucher.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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