Bauwerk

Garten Fondation Jeantet
Domino Architectes SARL - Genf (CH) - 1998
Garten Fondation Jeantet, Foto: Jean-Michel Landecy
Garten Fondation Jeantet, Foto: Jean-Michel Landecy

Ein versunkener Hortus conclusus

Jeder Garten repräsentiert im Grunde das Wunschbild vom Garten Eden. Solange sich der Mensch den Naturmächten hilflos ausgesetzt fühlte, zog er sich gerne hinter schützende Mauern in sein irdisches Paradies zurück. In den Gartenoasen ägyptischer Gottkönige entfaltete sich ebenso wie im mittelalterlichen hortus conclusus die kultivierte, die gute Natur, während draussen die wilde, böse Natur ihr Unwesen trieb. Der Quell des Lebens, das Wasser, stand dabei immer als Teich oder Brunnen im Mittelpunkt schattiger Baum- und Blütenpracht.

1. Juli 1999 - Udo Weilacher
Wer vor dem südlichen Eingangstor der Fondation Louis Jeantet de Médicine an der verkehrsreichen Route de Florissant in Genf steht, vermutet hinter der massiven Betonwand zunächst keinen Garten. Erst ein Blick durch die schmale Fensteröffnung des Edelstahltores lässt eine versunkene Gartenoase erahnen. Wem das wehrhafte Schiebetor Einlass gewährt, den führt ein schiefergedeckter Steg zwei Meter hinunter in einen kleinen quadratischen Patio, den 4,5 Meter hohe Mauern umgeben. Das Tor schliesst sich wieder und scheint das Eindringen der säkularisierten Aussenwelt zu verhindern. Ein Klostergarten?

Dezentes Geplätscher erfüllt den 15 mal 15 Meter grossen Hof, dessen Boden mit rechteckigen schwarzen Schieferplatten belegt ist, zwischen denen sattgrünes Sternmoos wächst. Das bewegte, geordnete Gefüge der Schieferplatten erinnert an geflösste Baumstämme, die ein Fluss am Stauwehr zusammengetrieben hat. Der Boden scheint zu fliessen. Nur wo der Bauherr aus funktionalen Erwägungen nachträglich Platten einfügen liess, ist jegliche Bewegung erstarrt. Der Moosteppich zwischen den Platten verstärkt den Eindruck eines kühlen Wassergartens inmitten der Hitze der Stadt. Ringsum trennt ein Wasserkanal von einem Meter Breite wie eine Schattenfuge die mit Stahlkanten gefasste Bodenplatte von den Betonwänden. Aus regelmässig eingefügten Aussparungen der Wände fliesst Wasser glitzernd über geriffelte Edelstahleinlagen in den Wasserkanal. Kleine Scharlach-Kirschbäume breiten ihre aufrecht trichterförmig wachsenden Äste aus und entfalten in etwa vier Meter Höhe ihr sommergrünes Schattendach. Im April, wenn die Kirschbäume ihre verschwenderischen rosa Blüten zeigen, glaubt man einen japanischen Meditationsgarten zu betreten. Im Herbst kontrastiert das orange bis scharlachrote Herbstlaub mit dem Grau des schlichten «béton brut».

Das Fehlen von Sitzgelegenheiten im Patio lässt darauf schliessen, dass der Garten nicht als Ort des Verweilens geplant war. Vielmehr bildet er einen Verbindungs- und Empfangsraum für ein neues, unterirdisches Auditorium, das man vom Patio aus ebenerdig durch eine Schwingtür erreicht. Die Fondation Jeantet schrieb 1993 einen Architekturwettbewerb aus mit dem Ziel, Konzepte für den Umbau der Villa Edelstein zum neuen Stiftungsgebäude zu entwickeln. Ausserdem sollte im Untergeschoss des angrenzenden Wohngebäudes ein neues Auditorium entstehen und über einen Garten mit der Villa verbunden werden.

Das Genfer Architekturbüro Domino gewann den Wettbewerb und schloss sich für die Gestaltung der Aussenanlagen mit dem Pariser Landschaftsarchitekturbüro Agence TER von Henri Bava, Michel Hoëssler und Olivier Philippe zusammen. Da sich die Villa im städtebaulichen Kontext gegen die hohen Wohngebäude der Umgebung kaum behaupten konnte und vom ursprünglichen Villengarten offenbar nur ein kleiner Rest geblieben war, entschloss sich das Architektenteam, den Bau im Stil der italienischen Neorenaissance auf einen grossen monolithischen Betonsockel zu setzen, der die gesamte Grundstücktiefe einnimmt. Nur ein Saum von bestehenden und neu gepflanzten Bäumen sowie ein schmales Beet mit Bambus schirmen die Terrasse teilweise gegen angrenzende Wohngebäude ab.

Der Unterbau bildet nicht nur die neue Referenzebene, auf der sich die Villa selbstbewusst präsentiert. Er übernimmt auch die Funktion einer grenzbildenden Terrasse, die sich aus dem nach Süden um etwa 2,5 Meter abfallenden Gelände wie eine Schublade herausschiebt und auf das neue Auditorium hinweist. Ursprünglich sollten alle Oberflächen mit schwarzem Schiefer verkleidet werden. Aus Kostengründen wählte man schliesslich für die Seitenmauern Sichtbeton und versah nur die Bodenflächen mit einer Schieferabdeckung. Der Einblick von der Route de Florissant ins Innere des Grundstücks wird durch die gebaute Topographie verwehrt.

Ziel der Landschaftsarchitekten war es, den Garten nicht als grüne Dekoration, sondern als zentralen Bestandteil der neuen Gebäudekonstellation zu entwickeln. Der Patio wurde daher aus dem Gebäudesockel ausgestanzt. Sein Negativvolumen bezieht sich direkt auf die Proportionen der Villa, übernimmt im Grundriss die Aussenmasse des Stiftungsgebäudes. Betritt man von der Villa aus die Terrasse, hat man das Gefühl, auf einer erhöhten Bühne in der Stadt zu stehen. Von hier oben wirkt der Garten wie eine minimalistische Installation, eine abstrakte Intarsie im Bühnenboden, umrandet von zwei U-förmigen, ebenerdig eingelassenen Wasserbecken. Diese reflektieren den Himmel und inszenieren eindrucksvoll den Rand des Patios, dessen grün-schwarzer Bodenbelag durch den halbtransparenten Schleier der Baumkronen schimmert.

Zu Beginn war geplant, die Wasserbecken als grossvolumige, 4,5 Meter tiefe und 1 Meter breite Wasserreservoirs auszubilden. Dann hätte man die Innenwände perforiert, und das Wasser wäre in den Innenhof geflossen. Man verzichtete dann zwar auf das kostspielige Konzept, bildete jedoch 1,5 Meter tiefe Becken aus und liess das Wasser wie geplant durch Einkerbungen in das Innere des Senkgartens strömen. Wo sich die Wasserbecken überschneiden, führen zwei sehr schmale Treppen hinunter in den Garten. Zu diesen markanten Abgängen hat sich der Landschaftsarchitekt Henri Bava von den Ufertreppen an der Ile de la Cité in Paris inspirieren lassen. Man wollte erreichen, dass immer nur eine Person die Treppe benutzen und den Garten betreten würde. Tatsächlich bieten die Treppen gerade genügend Raum, dass man allein hinabsteigen kann, begleitet von zwei schmalen Wasserrinnen. Deren Auskleidung mit strukturiertem Edelstahl erzeugt ein lebendig glitzerndes Muster des fliessenden Wassers, ein Motiv, das man auch von den «chadars», den Kaskaden der indischen Mogulgärten, kennt.

Nachts, wenn die Bodenleuchten die Bäume und Wände von unten anstrahlen und das Wasser illuminieren, hat man das Gefühl, in eine geheimnisvolle, stille Unterwasserwelt einzutauchen. Ein städtischer Garten Eden. Der Paradiesgarten hat als Archetypus von seiner ursprünglichen Kraft nichts eingebüsst.

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