Bauwerk

Wohnbau Victoriagasse
Martin Kohlbauer - Wien (A) - 2005

Klein, aber fein

Für Blutauffrischung im dichten, grauen Grätzel hinterm Westbahnhof sorgt ein neues Heimbau-Haus von Martin Kohlbauer. Jeder Zentimeter der schmalen Parzelle ist genutzt. Hochkomprimierte Grundrisse, niedere Fensterparapete und Küchen, deren zweite Zeile im fassadengestaltenden Erkerelement sitzt, erzeugen auf wenig Fläche maximales Raumgefühl.

26. Februar 2005 - Isabella Marboe
An der Demarkationslinie des Gürtels ändert die Mariahilfer Straße ihre Atmosphäre, die Dauerhochfrequenz am Verkehrsknoten Westbahnhof verebbt schon hinterm Postamt. An der Stadtbrache aus Geleisen, Bahntrassen und Brücken zeigt Urbanität ihre Kehrseite, bisweilen schwappt das leichte Gewerbe der Felberstraße herüber. Wo die Einkaufsmeile das Prädikat „äußere“ trägt, kämpft alteingesessener Einzelhandel tapfer um Kunden und gegen das Geschäftssterben an, überm anschließenden Wohngebiet liegt der graue Staub der Verwahrlosung. Die Infrastruktur ist hier selten dicht, im Zug vom Ausbau des Westbahnhofs wird auch der Staub vom „Postareal“ schwinden.

Einen ersten positiven Impuls setzt nun das kleine, feine Haus in der Viktoriagasse 10, das Architekt Martin Kohlbauer für den Wohnbauträger Heimbau plante. Die Ausgangslage auf der winzigen 470-Quadratmeter-Parzelle war so beengt wie exponiert. Sie liegt in der Einzugsschneise der Karmeliterhofgasse, der Erker des letzten Eckhauses rahmt den Blick auf den Neubau. Er grenzt an einen niederen, alten Gewerbehof, wo die Bauordnung 13,40 Meter vorschrieb, und ein aufgestocktes Barockhaus, wo 15,40 Meter zulässig waren. Kohlbauer verzichtete mit 13,25 Meter beidseitig auf Höhe und entschied sich zur städtebaulichen Geste: Mit einem turmartig auf 17,40 Meter überhöhten Mittelteil setzt der symmetrische Baukörper ein Signal.

Die sorgfältig mit hochwertigen Materialien gestaltete Straßenfassade vermittelt Wertschätzung. Vier übereinanderliegende Erker nehmen ein charakteristisches Umgebungsmerkmal auf, betonen die Vertikale und den Eingang im Sockel. Mit hellem Feinsteinzeug verfliest, schafft er eine ruhige Verbindung zwischen ungleichen Nachbarn. Der Gemeinschaftsraum mit Nurglasfassade wäre auch als Geschäftslokal nutzbar. Horizontale Eternitplattenstreifen zwischen Fensterbändern mit Metallstangen verstärken die Turmwirkung der Mitte, zwei zarte seitliche Leichtmetall- Lamellen lassen den Baukörper vor der Dachverglasung leichter erscheinen und leiten harmonisch zum angrenzenden Gesims über.

Der ornamentale Duktus des oval eingeschnittenen Fensters in jedem Erker aus genageltem Aluminium muss nicht jedem liegen. Ihr Mehrwert für die 53-Quadradmeter- Mittelwohnung dahinter ist unermesslich: Der Erker schenkt der Küche am zentralen, komprimierten Sanitärblock eine zweite Zeile mit Ausblick und ermöglicht ermöglicht einen offenen Grundriss mit hochwertigen, hellen Räumen hinterm hohen Fensterband an der Straße im Südosten.

Hochökonomisch reduziert sich die Gemeinschaftserschließung auf einen Gang mit einläufiger Treppe und Lift. So proportioniert, dass er nicht kleinlich wirkt, teilt er das Haus in Straßen- und Hofseite. Hier hat jede Wohnung Gärtlein, Balkon oder Loggia, das Prinzip des frei um den zentralen Sanitär-und Küchenblock laufenden Grundrisses ist in jeder Einheit durchgehalten. Alle Fensterparapete sind durchgehend mit 60 Zentimeter sehr nieder, werden gern als Sitzgelegenheit genutzt und bringen viel Licht und Aussicht in den Raum. Die seitlichen Wohnungen sind durchgesteckt, vom Vorraum blickt man durch die ganze Tiefe bis zum Hof. Atelierverglasung mit Luftraum und Galerie sorgt in den zwei durchgesteckten Dachmaisonetten für eine großzügige Weite, die an Altbauhöhen herankommt. Zur hofseitigen Terrasse gesellt sich straßenseitig ein zweiter Aufstieg aufs Dach.

Zu sozialen Wohnbaukonditionen macht dieses kleine, feine Haus aus wenig Platz viel Raum. Einen passablen Hof gab die Baulücke nicht mehr her, auch das ändert sich bald: Am anschließenden Grund realisierte die Heimbau ein zweites Haus, beider Höfe werden zusammengelegt. Frischluft hinterm Westbahnhof.

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