Bauwerk

KIGA - Kindergarten
AllesWirdGut - St. Anton am Arlberg (A) - 2004
KIGA - Kindergarten, Foto: Hertha Hurnaus
KIGA - Kindergarten, Foto: Hertha Hurnaus
KIGA - Kindergarten, Foto: Hertha Hurnaus

Für die Laufkundschaft

Das Architekturbüro AllesWirdGut hat in St. Anton für Kinder gebaut.

28. Mai 2005 - Oliver Elser
Dass Kinder Raum zur Entwicklung brauchen, ist ein pädagogischer Gemeinplatz. Ab dem Moment, wo sie sich aufrichten und die ersten Schritte wagen, kann dieser Raum gar nicht groß genug sein. Es werden Rennstrecken gebraucht und Hindernisse wie Stiegen, an denen sie sich endlos hinauf- und hinunterturnen können, dass Sisyphus seine wahre Freude daran gehabt hätte.

Dass auch Architekten Raum zur Entwicklung brauchen, ist weniger selbstverständlich. Meistens regelt irgendjemand im Vorhinein, was der spätere Bau alles können soll. Raumprogramm, Kubatur, Funktionsschemata, Flächenbedarf. Als würde man für ein Kind im Säuglingsalter bereits den späteren Beruf auswählen. Zum Glück sind viele Architekten auf der Entwicklungsstufe trotziger Teenager stehen geblieben und werden nicht müde, immer wieder gegen die Regeln zu rebellieren. Manchen Gebäuden ist es auf den ersten Blick anzusehen, dass hier jemand einen eigenen Weg eingeschlagen hat. Bei anderen springt die Abweichung von der Norm nicht sofort ins Auge. Sie sind nicht unbedingt besser als die kapriziösen Allein-gegen-alle-Architekturen, nur zeigt sich immer wieder, dass die Ressourcen doch meist endlich sind: Entweder ein Gebäude spreizt sich wie ein Pfau oder es wurde in die Intelligenz des Konzepts investiert. Dass beides zusammenfällt, ist selten.

Der Kindergarten KIGA in St. Anton gehört zur Kategorie der klugen, aber nicht um Aufmerksamkeit heischenden Häuser. Mit seiner grauen Eternitfassade und der an eine Fabrik erinnernden Silhouette steht er zwar recht trotzig vor den aufgeblasenen Tirolerhaus-Mutanten seiner Nachbarschaft. Doch von außen bleibt unentschieden, ob die Architekten von AllesWirdGut hier etwas richtig hässliches oder vielleicht doch ein auf eigene Weise schönes Gegengebäude errichten wollten. Die Gemeinde jedenfalls, erzählt Karl Gitterle, der vor Ort ansässige Projektpartner, hätte sich, wenn schon so modern, dann doch aber wenigstens mehr Holz gewünscht. Aber es steckt nun einmal eine Betonkonstruktion dahinter, und daher ist der Bau außen so grau, als hätte das Budget ausgereicht, ihn in Sichtbeton auf die Wiese zu stellen. Holz kam nur an den Einfassungen der Fenster zum Einsatz und wird, da es unbehandelt ist, mit der Zeit dieselbe Farbe wie die Eternitplatten annehmen.

So richtig lustig also steht der KIGA nicht am Ortsrand. Vielleicht ein Reflex auf den Farbenwahn, der die Hersteller von allerlei Spielgerät befallen hat, die meinen, dass Kinder es gerne bunt haben. Man erinnere sich daran, dass das erste und für lange Zeit einzige schwarze Gebäude, das in Österreich entstanden ist, ebenfalls ein Kindergarten war, gebaut von Adolf Krischanitz im Jahr 1994 in Wien. Farbe, pflegen Architekten zu diesem Thema gerne zu antworten, kommt durch die Kinder ins Haus. Nun gut, der Hundertwasser-Schock sitzt eben tief.

Die wahren Qualitäten des Kindergartens in St. Anton, der mit einer anerkennenden Erwähnung beim Architekturpreis des Landes Tirol ausgezeichnet wurde, liegen im Inneren. Dort wurde nicht akzeptiert, was das Raumprogramm als Standard vorschreibt, nämlich eine Reihung von Gruppen- und Rückzugsräumen plus Gemeinschaftsflächen. Wie bereits bei früheren Projekten haben AllesWirdGut eine räumliche Extraleistung hinzugefügt, die aber keine oder nur geringe Mehrkosten verursacht. Zwischen die drei Gruppenräume wurden Wintergärten eingefügt, deren erweiterte Raumhöhe sich außen als aufgesetzte Dachdreiecke abzeichnet. Diese beiden Zusatzräume sind nicht beheizt und haben keine Wärmedämmung. Sie sind ein Energiepuffer in einem bautechnischen und ein Bewegungspuffer in einem pädagogischen Sinne.

Durch die Wintergärten gelangen die Kinder hinaus in den Garten oder können sich abseits ihrer Zuordnung in eine der drei Gruppen bewegen. Nur durch die Wintergärten wird der Kindergarten zu einem räumlich komplexen Gebilde. Denn aus den Gruppenräumen führen Stiegen in die Rückzugsbereiche, die wie Schwalbennester in die Wintergärten hineingehängt sind. In diesen Raumkabinen ist es für Erwachsene fast zu niedrig. Die Kinder hingegen haben nicht nur einen zusätzlichen Spielort. Sie können durch Bullaugen in Räume hineinsehen, die jenseits der Gruppengrenzen liegen. Ob sich die Drei- bis Sechsjährigen des Raffinements dieser Verschachtelungen bewusst sind? Vielleicht erwacht hier ja eine Sensibilität, die sie davor bewahrt, im späteren Leben die Stapelware der meisten Bauten als gottgegeben hinzunehmen.

Vieles in diesem Gebäude stellt die Verhältnisse auf den Kopf. Der zentrale Gang etwa, der an den Gruppenräumen mit ihren vorgelagerten Wasch- und WC-Bereichen entlangführt. Er befindet sich mitten in der Baumasse, ist aber durch ein umlaufendes Lichtband so hell, dass selbst an einem trüben Tag der Eindruck entsteht, im Freien zu sein. Auf der anderen Seite des Gangs liegt eine offene Küche, und jenseits davon schließt eine Aula an, die auch als Gymnastikraum genutzt wird. Es ist wieder kein kistenförmiger Raumbehälter. Aus dem Boden wächst eine Sitztreppe, Zuschauertribüne bei Theateraufführungen, die hinaufführt auf eine Bibliotheksgalerie, an die der knapp bemessene Bürobereich für die Leiterin des Kindergartens anschließt. Sie schaut auf den Eingang hinunter, aber das ist die einzige Position für Kontrollblicke in diesem ganz auf Kinderaugenhöhe entwickelten Bau.

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