Bauwerk

Zentralgebäude der BMW Werke Leipzig
Zaha Hadid Architects - Leipzig (D) - 2005
Zentralgebäude der BMW Werke Leipzig, Foto: Roland Halbe / ARTUR IMAGES
Zentralgebäude der BMW Werke Leipzig, Foto: Roland Halbe / ARTUR IMAGES
Zentralgebäude der BMW Werke Leipzig, Foto: Dennis Gilbert / ARTUR IMAGES

Fliessende Kraftströme

Zaha Hadids BMW-Zentrumsgebäude in Leipzig

Als architektonisches Ereignis angepriesen, konnte soeben im Norden von Leipzig ein neues BMW-Werk eröffnet werden. Den Akzent setzt das zentrale Verbindungsgebäude von Zaha Hadid. Fliessende organische Formen zeichnen den komplexen Bau aus.

14. Mai 2005 - Hubertus Adam
Dass die Hersteller von Automobilen auf bildkräftige Architektur setzen, ist kein neues Phänomen - man denke etwa an den von Le Corbusier bewunderten Lingotto-Bau für Fiat in Turin, die Werkshallen und Verwaltungsgebäude, die Albert Kahn und später Eero Saarinen für Ford in Detroit errichteten, oder an das Volkswagenwerk in Wolfsburg, das mit seiner Mischung aus Monumentalität und Funktionalität ein wichtiges Beispiel für den Industriebau der Nazizeit darstellt.

In den letzten Jahren indes scheinen sich die Konzerne - besonders in Deutschland - mit spektakulären Bauprojekten nachgerade übertrumpfen zu wollen. Dabei hat man erkannt, dass für den Kunden nicht allein die technischen und ästhetischen Qualitäten eines Autos zum Kaufentscheid führen, sondern auch das Image, für das eine bestimmte Marke steht. In einer Zeit, da Strategien des «Branding» für Firmen immer wichtiger werden, kommt den für das Publikum zugänglichen Bereichen bei der Autoherstellung verstärkte Bedeutung zu. Die Entwicklung begann mit der «Autostadt» in Wolfsburg, einem gleichsam um die Produktpalette des VW-Konzerns gruppierten Themenpark, und setzte sich mit der «Gläsernen Fabrik» in Dresden fort, bei der es sich um das Endmontagewerk für den «Phaethon» handelt, mit dem VW den Versuch unternimmt, in das Luxussegment vorzustossen.

Setzte VW in Wolfsburg und Dresden mit dem Büro Henn Architekten auf eine seichte Allerweltsmoderne, so entschieden sich die Konkurrenten aus Stuttgart und München für dezidiertere architektonische Haltungen. Ben van Berkel realisiert in Stuttgart-Untertürkheim derzeit das neue Mercedes-Museum, Coop Himmelb(l)au baut in München die «BMW-Welt», und ebenfalls für BMW konnte Zaha Hadid in Leipzig jetzt ein grosses Bauprojekt vollenden. Nach der Evaluierung von fünf Standorten in Deutschland, Frankreich und Tschechien entschied sich der Konzern, die fünfte Generation der 3er-Limousine zukünftig in Leipzig herzustellen; die gute Verkehrsanbindung des in Autobahnnähe am nordwestlichen Stadtrand befindlichen Geländes, aber auch die Lage Leipzigs im Zentrum Deutschlands und seine Qualitäten als kulturelles Zentrum waren ausschlaggebend für diese Wahl.

Drei Funktionsbereiche

Der Neubau eines Automobilwerks ist von Kriterien der Logistik und der betrieblichen Optimierung bestimmt, wobei in Leipzig der individualistischen, vom Käufer gewünschten Ausstattung der Fahrzeuge besonderes Augenmerk zukommt. Grundsätzlich besteht das neue Werk, das von dem Ingenieurbüro WPW aus Saarbrücken für derzeit knapp 2000 Mitarbeiter geplant wurde, aus drei Funktionsbereichen: dem Karosseriebau, der Lackiererei und dem Montagewerk. Neuartig ist die Konzeption der Montagebereiche: Die Montagebänder ziehen sich schlaufenförmig durch fingerartig ausgebildete Bauteile. Wird die Integration weiterer Montagestationen nötig, so lassen sich die Finger verlängern, ohne dass der Produktionsbetrieb ruht. Überhaupt bietet das Gelände mit seinen 200 Hektaren Fläche bauliche Erweiterungsmöglichkeiten zur Genüge.

Die grossen blechverkleideten Hallen der neuen Fabrik sind schlichte bauliche Hüllen, die sich von üblichen Gewerbebauten am Stadtrand ästhetisch nicht unterscheiden. Den eigentlichen Akzent setzt indes das «Zentrumsgebäude», das als Verbindungsbauwerk zwischen den Karosseriebau im Osten, die Lackiererei im Westen und die Montagehallen im Süden geschoben ist und sich zugleich zur Einfahrt und zu den Parkplätzen im Norden hin orientiert. In einem Präqualifikationsverfahren wurden aus Hunderten von Bewerbern 24 Büros zu einem Wettbewerb eingeladen. In der Endrunde konnte sich Zaha Hadid gegen Konkurrenten wie Barkow Leibinger, Peter Kulka, Lab Architecture, Greg Lynn, Reiser Umemoto und Ian Ritchie durchsetzen.

Komplexe Raumstrukturen

Die 1950 in Bagdad geborene Architektin, die mit dem Feuerwehrhaus für Vitra (1989-93) ihr erstes wichtiges Gebäude realisieren konnte, wurde bekannt durch explosiv wirkende Arrangements spitzer Formen und Bauteile. Deutlicher als manche ihrer dekonstruktivistischen Kollegen - etwa Daniel Libeskind - hat sie ihre Formensprache in den vergangenen Jahren verändert: Weniger das collagehafte Aufeinanderprallen bestimmt ihre heutigen Bauten als vielmehr die Idee dynamischen Fliessens. An die Stelle der gleichsam unter Überdruck stehenden Gedankenarchitekturen von einst sind komplexe Raumstrukturen von grosser Suggestivität getreten, die vergleichsweise ausgeglichen wirken. Diese Tendenz zeigt sich nun auch beim multifunktionalen Zentrumsgebäude in Leipzig. Dieses ist zunächst ein Bauwerk, das die verschiedenen Teilbereiche der Fabrik miteinander verknüpft. Als Haupteingang für die Werksangehörigen und als Empfangsgebäude ist es Schnittstelle zwischen Firma und Öffentlichkeit. Mit seinen 640 Arbeitsplätzen für Ingenieure und Werkstudenten ist es zudem der «Kopf» der Firma, umfasst aber auch andere Funktionsbereiche, etwa Restaurant, Konferenzräume und Qualitätsprüfung.

Die Förderbänder, auf denen die Karosserien zur Lackiererei und dann zur Montage schweben, waren für Hadid Ausgangspunkt einer sich verknotenden Raumstruktur, die - Lichthöfe umschliessend und zwischen die Werkshallen eingekeilt - ihre räumliche Wirkung besonders im Inneren entfaltet. Aus der Notwendigkeit, die halbfertigen Autos innerhalb des Werks zu verschieben, wird eine ununterbrochene Inszenierung. Zwischen der von den Förderbändern vorgegebenen Grundstruktur spannt Hadid ein Raumkontinuum auf zwei zum Teil gegeneinander versetzten Ebenen auf, die durch kaskadenartig abgestufte Arbeitsflächen, Rampen und Treppen miteinander verbunden sind. Die sechs riesigen Arbeitsplattformen der grossen Kaskade lassen die gewaltigen Dimensionen des Gebäudes erkennen. Überall ergeben sich Durchblicke, die sich zum Teil zu schwindelerregenden Perspektiven verengen. Alles ist miteinander verbunden, geht ineinander über. Dennoch ist es Hadid gelungen, den Raum in klare Bereiche zu gliedern, so dass sich niemals eine anonyme Atmosphäre einstellt. Beton und Stahl treffen kraftvoll aufeinander, und doch wirkt das Zentrumsgebäude, das Hadid als «Kompressionskammer» versteht, mitunter fast intim.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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