Bauwerk

Volksschule mit Dreifachturnhalle in St. Ruprecht
stingl-enge architekten, Christian Aulinger - St. Ruprecht / Raab (A) - 2004
Volksschule mit Dreifachturnhalle in St. Ruprecht, Foto: Nadine Blanchard
Volksschule mit Dreifachturnhalle in St. Ruprecht, Foto: Nadine Blanchard

Die Wiese fließt durchs Fenster

Alle reden von der Ganztagsschule. Aber welche Schulgebäude wären dafür gerüstet? Eine Untersuchung am Beispiel der neuen Volksschule im oststeirischen St. Ruprecht.

21. Mai 2005 - Karin Tschavgova
Seit dem schmählichen Abschneiden Österreichs bei der Pisa-Studie scheint es auch dem letzten traditionstreuen Sesselkleber bewusst zu sein: Eine Schulreform ist vonnöten. Über das Wie gibt es noch keinen Konsens, trotz des unbestrittenen Faktums, dass in den bei der Pisa-Studie erfolgreichen Ländern die Förderung der Kinder in Ganztagsschulen die Regel ist. Von einer Schulbau-Reform ist in den unzähligen emotionsgeladenen Diskussionsrunden und Gastkommentaren auf beiden Seiten nicht die Rede; werden die Kosten für eine derartige Umstellung thematisiert, so beschränken sich diese meist auf den Aufwand für das Lehrpersonal und die Verpflegung der Schüler. Dabei gewinnt man den Eindruck, dass die Frage nach der Notwendigkeit baulicher Umstrukturierung und neuer räumlicher Konzepte für Schulgebäude, sollte die Einführung der Ganztagsschule beschlossen werden, typisch österreichisch beantwortet wird, nach dem Motto: „Tu ma halt a bisserl improvisieren, dann wird's schon gehen.“

Die bauliche Adaptierung von Schulen wird notgedrungen nach Improvisation und Kompromiss verlangen. Die Frage ist daher, inwieweit der Schulneubau in Österreich auf eine mögliche Umstellung zum Ganztagsaufenthalt der Schüler hin konzipiert und ausgestattet wird. In der Steiermark wurde in den vergangenen Jahren nur eine äußerst kleine Anzahl an Schulen neu errichtet. Geburtenrückgang und der rigorose Sparkurs der öffentlichen Hand machen sich bemerkbar - vergleichbar vermutlich mit anderen Bundesländern. Um einem Bedarf aufgrund geänderter Lehrpläne, neuer Lehrfächer oder geringerer Schülerzahlen nachkommen zu können, werden vorrangig Schulgebäude saniert, adaptiert und mit Zubauten versehen. Nur wenn eine solche Maßnahme nicht mehr zielführend, also in erster Linie sparsam ist, wird neu gebaut.

Die Volksschule in St. Ruprecht an der Raab ist einer dieser Schulneubauten. Zur Ideenfindung wurde 1999 ein Architekturwettbewerb ausgeschrieben, an dem sich 94 Büros beteiligten (die Überschreitung des Schwellenwertes verpflichtete zur EU-weiten Ausschreibung). Das damals gerade erst gegründete Projektteam Alexandra Stingl und Christian Aulinger aus Wien konnte den Wettbewerb gewinnen. 2002 wurden die weitere Planung und Realisierung nach Unstimmigkeiten im Team von der in der Steiermark ansässigen Architektin mit Winfried Enge als neuem Partner alleine in Angriff genommen.

Der Entwurf ist maßgeblich von den topografischen und ortsräumlichen Rahmenbedingungen der Marktgemeinde geprägt, die sich entlang der Hauptstraße verdichtet als Straßendorf präsentiert, zu den gartenseitigen Rändern hin in lockerer Bebauung ausfranst und in den tiefer liegenden landwirtschaftlich genutzten Talboden übergeht. Das Grundstück liegt an der unteren Kante eines sanft fallenden Geländes und grenzt an eine Hauptschule aus den 1960er-Jahren, mit der es über einen Gang verbunden werden sollte, um den ebenfalls neu zu errichtenden Turnsaal synergetisch zu nützen. Es ist deutlich ablesbar, dass sich das neue Schulgebäude mit dem Mehrfachturnsaal an der Lage, der Ausrichtung und der Größe der Hauptschule auf der gegenüberliegenden Seite des Zufahrtsweges orientiert. Es bleibt wie dieses im Orthogonalen und nimmt seine Höhe, seine Maßstäblichkeit und sogar die Farbe seiner Fassade auf.

Der lang gestreckte Bau, der sich streng genommen aus mehreren Baukörpern zusammensetzt, ordnet sich ein, aber nicht unter. Es sind die sanft ansteigenden Streuobstwiesen, die die Verteilung der Kubaturen und damit den Gebäudecharakter noch stärker formen.

Das Schulhaus sollte durchlässig sein, um die „Ausdehnung“ der Landschaft von den hauseigenen Gärten zu den Feldern und Wiesen am Talgrund nicht zu behindern und den optischen Eindruck zu erwecken, dass die Wiesen durch das Gebäude fließen. Um dies zu erreichen, haben die Architekten die Baumasse in vier frei stehende Kuben aufgelöst, die jeweils in zwei Geschoßen vier Räume für Klassenzimmer, Sonderklassen, das Lehrerzimmer oder die Direktion erhalten. Miteinander verbunden sind sie durch vollflächig verglaste Zwischenbereiche, die die Gangflächen beider Geschoße bilden und zugleich Pausenräume sind. Linear ergänzt werden die vier Klassenhäuser durch einen mächtigen Turnsaal an der anderen Seite des zentralen Haupteingangs. Alle konstruktiven Bauteile der vier „Kisten“ sind in Holz ausgeführt und ihre Oberflächen außen mit beschichteter sägerauer Lärche und innen weitgehend mit Eiche belegt. Ihr Grundmaß leitet sich von der Größe eines Klassenzimmers ab.

Die Klassen selbst haben mit Ausnahme eines tief sitzenden erkerartigen Fensters, das in seiner liegenden Form „nur“ kindgerecht ist, keinen direkten Ausblick in die Landschaft. Diese Introvertiertheit befremdet erst einmal, wenn man die Entwurfsmotive der Architekten gelesen hat und zudem Städter ist. Eine Erklärung bringen die sich mit dem Pausenzeichen in den lichtdurchfluteten kleinen Hallen verteilenden Kinder. Die Geschlossenheit der Klassen bedeutet Konzentration, die Helligkeit und Durchlässigkeit der Pausenräume als Kontrast dazu Entspannung, Bewegung und Ausschau.

Das additive Prinzip der abgeschlossenen Klassenhäuser und Pausenräume erfordert zwar mehr Gangaufsicht, hat jedoch wesentliche Vorteile. Die Lärmentwicklung in dieser Schule ist so gering, dass sie sicher nicht zum Burn-out-Syndrom beiträgt, unter dem viele Lehrer nicht zuletzt wegen des ständigen Lärms in Schulen leiden. Das additive Prinzip erzeugt zwar den Eindruck einer gewissen Gleichförmigkeit und Starre - alle Haupträume einschließlich der Garderobe sind gleich geformt -, erweist sich dadurch aber als äußerst anpassungsfähig und problemlos erweiterbar. Auch die Umstellung auf eine Ganztagsschule mit Essensraum wäre mit kleinen Änderungen zu bewerkstelligen. Von Vorteil ist auch, dass jedem der ebenerdigen Klassenräume eine befestigte Freifläche zugeordnet ist.

Das Konzept von Stingl, Aulinger und Enge hat im Fehlen eines großzügigen Zentralraumes vielleicht eine kleine Schwäche, aber es lässt sich ebenso deutlich wie erfreulich erkennen: Hier haben Planer mit äußerster Sorgfalt und Empathie das Thema Schule analysiert, die erkannten Prämissen mit der Besonderheit des Ortes verwoben, mit den Bedürfnissen der Nutzer in Übereinstimmung gebracht und mit Genauigkeit bis ins Detail umgesetzt.

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