Bauwerk
Neuer Zollhof
Frank O. Gehry - Düsseldorf (D) - 1999
Die gefaltete Platte
Gehrys dynamische Bauten im Düsseldorfer «Medienhafen»
Im Düsseldorfer «Medienhafen» hat Frank O. Gehry einen bautechnischen Meilenstein gesetzt. Mit seinem Neuen Zollhof präsentiert er nicht nur das «signature building» der sogenannten Meile für Medien und Kreative. Vielmehr demonstriert der siebzigjährige Kalifornier mit diesem Neubau, dass seine exaltierten Formen auch für wenig Geld in Plattenbauweise zu haben sind.
20. Mai 1999 - Johann Christoph Reidemeister
Auf der Dachterrasse mit Blick über den Düsseldorfer Hafen kriegen Thomas Rempens Worte Gewicht. Als Designer müsse er von der Form verlangen können, dass sie sich auf die Funktion beziehe, so wie zum Beispiel der Apfel, den er gerade isst, durch seine handlich-runde Form überzeugt. «Eine Birne ist schon fragwürdig. So waren wir auf der Suche nach dem Apfel.» Rempen ist nicht der Mann, der nicht bekäme, was er will. Und so müssen diese Bauherrenworte - so ungewöhnlich das auch erscheinen mag - als pointierte Beschreibung der Baukunst von Frank O. Gehry in die Architekturkritik Eingang finden. Denn von nichts weniger als dessen Neuem Zollhof im umgenutzten Düsseldorfer Hafen ist die Rede. Er füllt eine der letzten Baulücken des Gewerbeparks für Kreative, der derzeit anstelle ehemaliger Hafenspeicher im Süden der Stadt entsteht.
«Vater, Kind und Mutter»
Als Werber muss Rempen von Natur aus neugierig, muss immer auf der Suche nach verwertbaren Ideen sein. So kam er auch zu Gehry. Der erhielt einen Direktauftrag für den Bau von dessen Agentur. Für das an der Kaimauer gelegene Grundstück hat Gehry ein Ensemble aus drei Bürogebäuden erdacht, das seinen Charme aus dem Spiel mit einer Dreieinigkeit der Gegensätze bezieht. In Form und Fassade unterscheiden sich die einzelnen Teile grundsätzlich: Der kantige Bau mit hermetischer Backsteintapete wird konterkariert durch einen mittleren Bau, dessen gewellte Edelstahlhülle die Umgebung reflektiert. Gelassen überragt das Ganze ein weiss verputzter Bau mit voluminösen Rundungen. «Vater, Kind und Mutter» hat Gehry seinen Entwurf getauft, dessen verspielte Signalwirkung auch ohne diese Bezeichnung unmittelbar erfahrbar ist. Die einzelnen Bauvolumen sind nicht so spektakulär ineinandergewirbelt wie beim Guggenheim Museum in Bilbao und in ihren Proportionen nicht so sorgfältig aufeinander abgestimmt wie beim Vitra- Design-Museum in Weil. Wer den Neubau an diesem Formvokabular misst, wird enttäuscht sein.
Dennoch urteilt vorschnell, wer die glitzernde Hülle nur als Blendwerk sieht und den Bürobau dahinter für unspektakulär hält. Denn dass die Typologie des Bürobaus zu den spannenderen zählt, lässt sich ja nun wirklich nicht behaupten. Dennoch hat Gehry das Maximum aus dieser Bauaufgabe herausgeholt: Im Innern bietet sein Bau flexible Räume und funktionale Grundstrukturen, nach aussen wurde mehr als ein blosser Blickfang geschaffen. Die Gebäude stehen so weit voneinander entfernt, dass sie sich in ihrer skulpturalen Qualität frei entwickeln können. Als Nebenprodukt fallen zwischen den kurvig ausgebuchteten Gebäuden und dem Wasser öffentliche Platzsituationen ab, die zu den schönsten der Stadt zählen. Sie geben den Blick frei auf die Wasserstrassen des Hafens mit den klobigen Industriearchitekturen der Nachkriegszeit.
Um Gehrys Quantensprung in der von spiegelnden Edelstahlplatten belebten Fassadengestaltung zu erkennen, bedarf es nur eines kurzen Blicks auf die gebaute Umgebung. Aufgepinselte Rauten oder Kornähren zieren dort schlichte Putzfassaden in Grau- und Schlammtönen. Gehrys Trias ist dagegen von einer sonnigen Extrovertiertheit, die einen Hauch von Kalifornien an den Rhein bringt. Die maschinenpolierten Edelstahlpaneele geben dem Mittelbau mit jeder Lichtveränderung ein wechselndes Gesicht.
Mit demonstrativer Nachlässigkeit begegnet der Architekt dieser edlen Hülle. Sie stösst am Boden nicht auf, sondern ein unterschiedlich breiter Spalt zeigt deutlich an, dass es sich nur um einen hinterlüfteten Vorhang handelt. Das Material ist so dünn, dass es nicht nur den Gebäuderundungen nachgeformt werden konnte, sondern bereits mit unzähligen Beulen übersät ist. Die Leichtigkeit dieser Fassade besteht nicht so sehr in ihrer reflektierenden Eigenschaft, sondern darin, dass Gehry mit ihr wie mit einem Wegwerfartikel umspringt. Perforiert wird sie von Fenstern, die - angeschrägt und weit vorstehend - um die Ecke zu schauen scheinen. Das Motiv der vorstehenden Fensterbox wurde Gehrys Prager Bürogebäude «Ginger and Fred» entlehnt. Tanzten sie dort in unterschiedlichen Höhen über die Fassade, so sind sie diesmal als verbindendes Moment wie hartnäckige Pockennarben gleichmässig über die drei Gebäude verteilt.
Nachdem der Strukturwandel im Düsseldorfer Hafen bereits Erfolge zeitigt, gerät in Vergessenheit, dass es sich bei diesem Gebiet noch bis vor kurzem um einen urbanistischen Notfall handelte. Man schaute einfach nicht hin, überliess ihn sich selbst. Hier gammelten verlassene Speicherhäuser und stillgelegte Ladekräne vor sich hin. Dieses Niemandsland als eine «Meile für Medien und Kreative» neu zu beleben war - wie erwähnt - Rempens Idee. Die Stadt erkannte die Chance, mit den Namen internationaler Architektenstars das Image der Provinzialität abzulegen. Dazu trägt David Chipperfields Sichtbetonbau bei, der ein altes Silogebäude ersetzt und es dennoch in seiner Massivität und der rauhen Betonhülle wiederaufleben lässt. Auch Steven Holl plante eine Synthese aus alt und neu, so wie es sich die Stadtplaner für das ganze Gebiet wünschten. Vom ursprünglichen Entwurf blieb aber nur ein Turm übrig, der in seiner Sterilität kaum zu überzeugen vermag. Stadteinwärts steht das funkelndste Beispiel für den neuen metropolitanen Anspruch im sonst eher beschaulichen Düsseldorf: Nach dem Vorbild der Mitterrandschen «Grand Projets» hat man sich in der Landeshauptstadt eine Kleinversion der Grande Arche gegönnt. Mit scharfen Kanten schneidet sich das Glasparallelogramm 70 Meter hoch in den Himmel. Vor allem das lichtdurchflutete Innere des Bürohauses trug diesem Stadttor von Petzinka und Pink den Titel des besten Gebäudes auf der Immobilienmesse in Cannes ein.
Bautechnische Revolution
Den Projektentwicklungsfirmen im Düsseldorfer Hafen geht es primär um Objekte mit satter Rendite. Vor diesem Hintergrund muss die Architektur bewertet werden. Auch hier erhält der Neue Zollhof die Höchstnote: In Zusammenarbeit mit dem Baukonzern Philipp Holzmann hat Gehry eine kleine bautechnische Revolution zustande gebracht, die Folgen haben wird: Erstmals ist es gelungen, stark gekrümmte Freiformflächen unmittelbar in Fertigbauteilen nachzubilden. Damit ist ein kostengünstiges Verfahren gefunden, mit dem selbst die jeder Standardisierung spottenden Entwürfe Gehrys problemlos umgesetzt werden können. «Catia», eine Software aus dem Automobil- und Flugzeugbau, erlaubt es, die Modelle Gehrys mit dem Computer darzustellen. Mit ihr lassen sich auch die einzelne Wand und ihre Negativform berechnen. Letztere wird mit einer computergesteuerten Fräse aus einem Styroporblock herausgeschnitten. Anschliessend wird diese Schalform mit Beton ausgegossen. So entstehen individuelle Wandplatten, die zum Bauplatz transportiert und dort an der vorgesehenen Stelle montiert werden. Mit diesem Verfahren sind neue Wege aufgetan, Bauten unabhängig von ihrer Gestalt im Fertigbau zu realisieren. Nicht zuletzt deswegen beurteilte Philip Johnson das Gebäude als eines der besten Gehrys. Dieser Bau habe das Zeug, eine Box der Pandora zu öffnen: «Jetzt weiss jeder, dass es geht!»
Was die Form des Apfels als praktisch-handliches Vorbild angeht, hat der Bauherr bekommen, was er wollte. Wenn ihm Gehry auch ein poppiges Entrée wie bei seinem «Chiat-Day Building» im kalifornischen Venice vorenthielt, so zauberte er dennoch aus knappsten Mitteln eine einprägsame Form. Gerade diese Reduktion unterscheidet das Gebäude in Düsseldorf von den vielen «Birnen» im Werk Gehrys. Am Rhein darf man sich um eine architektonische Besonderheit bereichert fühlen.
«Vater, Kind und Mutter»
Als Werber muss Rempen von Natur aus neugierig, muss immer auf der Suche nach verwertbaren Ideen sein. So kam er auch zu Gehry. Der erhielt einen Direktauftrag für den Bau von dessen Agentur. Für das an der Kaimauer gelegene Grundstück hat Gehry ein Ensemble aus drei Bürogebäuden erdacht, das seinen Charme aus dem Spiel mit einer Dreieinigkeit der Gegensätze bezieht. In Form und Fassade unterscheiden sich die einzelnen Teile grundsätzlich: Der kantige Bau mit hermetischer Backsteintapete wird konterkariert durch einen mittleren Bau, dessen gewellte Edelstahlhülle die Umgebung reflektiert. Gelassen überragt das Ganze ein weiss verputzter Bau mit voluminösen Rundungen. «Vater, Kind und Mutter» hat Gehry seinen Entwurf getauft, dessen verspielte Signalwirkung auch ohne diese Bezeichnung unmittelbar erfahrbar ist. Die einzelnen Bauvolumen sind nicht so spektakulär ineinandergewirbelt wie beim Guggenheim Museum in Bilbao und in ihren Proportionen nicht so sorgfältig aufeinander abgestimmt wie beim Vitra- Design-Museum in Weil. Wer den Neubau an diesem Formvokabular misst, wird enttäuscht sein.
Dennoch urteilt vorschnell, wer die glitzernde Hülle nur als Blendwerk sieht und den Bürobau dahinter für unspektakulär hält. Denn dass die Typologie des Bürobaus zu den spannenderen zählt, lässt sich ja nun wirklich nicht behaupten. Dennoch hat Gehry das Maximum aus dieser Bauaufgabe herausgeholt: Im Innern bietet sein Bau flexible Räume und funktionale Grundstrukturen, nach aussen wurde mehr als ein blosser Blickfang geschaffen. Die Gebäude stehen so weit voneinander entfernt, dass sie sich in ihrer skulpturalen Qualität frei entwickeln können. Als Nebenprodukt fallen zwischen den kurvig ausgebuchteten Gebäuden und dem Wasser öffentliche Platzsituationen ab, die zu den schönsten der Stadt zählen. Sie geben den Blick frei auf die Wasserstrassen des Hafens mit den klobigen Industriearchitekturen der Nachkriegszeit.
Um Gehrys Quantensprung in der von spiegelnden Edelstahlplatten belebten Fassadengestaltung zu erkennen, bedarf es nur eines kurzen Blicks auf die gebaute Umgebung. Aufgepinselte Rauten oder Kornähren zieren dort schlichte Putzfassaden in Grau- und Schlammtönen. Gehrys Trias ist dagegen von einer sonnigen Extrovertiertheit, die einen Hauch von Kalifornien an den Rhein bringt. Die maschinenpolierten Edelstahlpaneele geben dem Mittelbau mit jeder Lichtveränderung ein wechselndes Gesicht.
Mit demonstrativer Nachlässigkeit begegnet der Architekt dieser edlen Hülle. Sie stösst am Boden nicht auf, sondern ein unterschiedlich breiter Spalt zeigt deutlich an, dass es sich nur um einen hinterlüfteten Vorhang handelt. Das Material ist so dünn, dass es nicht nur den Gebäuderundungen nachgeformt werden konnte, sondern bereits mit unzähligen Beulen übersät ist. Die Leichtigkeit dieser Fassade besteht nicht so sehr in ihrer reflektierenden Eigenschaft, sondern darin, dass Gehry mit ihr wie mit einem Wegwerfartikel umspringt. Perforiert wird sie von Fenstern, die - angeschrägt und weit vorstehend - um die Ecke zu schauen scheinen. Das Motiv der vorstehenden Fensterbox wurde Gehrys Prager Bürogebäude «Ginger and Fred» entlehnt. Tanzten sie dort in unterschiedlichen Höhen über die Fassade, so sind sie diesmal als verbindendes Moment wie hartnäckige Pockennarben gleichmässig über die drei Gebäude verteilt.
Nachdem der Strukturwandel im Düsseldorfer Hafen bereits Erfolge zeitigt, gerät in Vergessenheit, dass es sich bei diesem Gebiet noch bis vor kurzem um einen urbanistischen Notfall handelte. Man schaute einfach nicht hin, überliess ihn sich selbst. Hier gammelten verlassene Speicherhäuser und stillgelegte Ladekräne vor sich hin. Dieses Niemandsland als eine «Meile für Medien und Kreative» neu zu beleben war - wie erwähnt - Rempens Idee. Die Stadt erkannte die Chance, mit den Namen internationaler Architektenstars das Image der Provinzialität abzulegen. Dazu trägt David Chipperfields Sichtbetonbau bei, der ein altes Silogebäude ersetzt und es dennoch in seiner Massivität und der rauhen Betonhülle wiederaufleben lässt. Auch Steven Holl plante eine Synthese aus alt und neu, so wie es sich die Stadtplaner für das ganze Gebiet wünschten. Vom ursprünglichen Entwurf blieb aber nur ein Turm übrig, der in seiner Sterilität kaum zu überzeugen vermag. Stadteinwärts steht das funkelndste Beispiel für den neuen metropolitanen Anspruch im sonst eher beschaulichen Düsseldorf: Nach dem Vorbild der Mitterrandschen «Grand Projets» hat man sich in der Landeshauptstadt eine Kleinversion der Grande Arche gegönnt. Mit scharfen Kanten schneidet sich das Glasparallelogramm 70 Meter hoch in den Himmel. Vor allem das lichtdurchflutete Innere des Bürohauses trug diesem Stadttor von Petzinka und Pink den Titel des besten Gebäudes auf der Immobilienmesse in Cannes ein.
Bautechnische Revolution
Den Projektentwicklungsfirmen im Düsseldorfer Hafen geht es primär um Objekte mit satter Rendite. Vor diesem Hintergrund muss die Architektur bewertet werden. Auch hier erhält der Neue Zollhof die Höchstnote: In Zusammenarbeit mit dem Baukonzern Philipp Holzmann hat Gehry eine kleine bautechnische Revolution zustande gebracht, die Folgen haben wird: Erstmals ist es gelungen, stark gekrümmte Freiformflächen unmittelbar in Fertigbauteilen nachzubilden. Damit ist ein kostengünstiges Verfahren gefunden, mit dem selbst die jeder Standardisierung spottenden Entwürfe Gehrys problemlos umgesetzt werden können. «Catia», eine Software aus dem Automobil- und Flugzeugbau, erlaubt es, die Modelle Gehrys mit dem Computer darzustellen. Mit ihr lassen sich auch die einzelne Wand und ihre Negativform berechnen. Letztere wird mit einer computergesteuerten Fräse aus einem Styroporblock herausgeschnitten. Anschliessend wird diese Schalform mit Beton ausgegossen. So entstehen individuelle Wandplatten, die zum Bauplatz transportiert und dort an der vorgesehenen Stelle montiert werden. Mit diesem Verfahren sind neue Wege aufgetan, Bauten unabhängig von ihrer Gestalt im Fertigbau zu realisieren. Nicht zuletzt deswegen beurteilte Philip Johnson das Gebäude als eines der besten Gehrys. Dieser Bau habe das Zeug, eine Box der Pandora zu öffnen: «Jetzt weiss jeder, dass es geht!»
Was die Form des Apfels als praktisch-handliches Vorbild angeht, hat der Bauherr bekommen, was er wollte. Wenn ihm Gehry auch ein poppiges Entrée wie bei seinem «Chiat-Day Building» im kalifornischen Venice vorenthielt, so zauberte er dennoch aus knappsten Mitteln eine einprägsame Form. Gerade diese Reduktion unterscheidet das Gebäude in Düsseldorf von den vielen «Birnen» im Werk Gehrys. Am Rhein darf man sich um eine architektonische Besonderheit bereichert fühlen.
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroom
Akteure
ArchitekturBauherrschaft
Philipp Holzmann
Fotografie