Bauwerk
Wohnpark Schloss Eybesfeld
Architekturbüro Plottegg - Lebring (A) - 2003
Vom Fordern und Bereichern
Die Architektur als Erzieherin: am Beispiel eines Wohnbaus, der dem Nutzer einiges abverlangt, ihm jedoch auch jede Menge Handlungsfreiheit anbietet. Nachrichten aus der Südsteiermark.
1. Juli 2007 - Karin Tschavgova
Es war einmal in den 1980er-Jahren: Der steirische Wohnbau, versehen mit dem Attribut „experimentell“, entwickelte sich zu einem starken Standbein der örtlichen Architekturbewegung und leistete einen wesentlichen Beitrag zum guten Ruf der Architektur in der Steiermark. Es war einmal in den 1990er-Jahren: Erste steirische Geschoßwohnbauten in Holz waren eine Pioniertat, aus der das Land eine Vorreiterposition hätte entwickeln können, wäre systematisch weiter Forschung und Förderung betrieben worden. 2007 ist jeglicher Bonus verspielt, der geförderte Wohnbau ist mittelmäßig und architektonisch ohne Bedeutung. Es überrascht gar nicht, wenn die Jury in der Beurteilung des Siegerprojekts des aktuellsten großen Wohnbauwettbewerbs lapidar feststellt, dass die Qualität der Wohnungsgrundrisse keine Überraschungen birgt.
Man muss den Eindruck gewinnen, dass strukturelles Denken im Wohnungsbau hierorts kaum gefragt ist – und zwar weder bei den Architekten noch beim Land Steiermark als Fördergeber, der aktuelle Wohnbauforschung auf Ökologie und die Reduktion von Energiekennzahlen beschränkt. Von der Mehrzahl der genossenschaftlichen Bauträger ist weder Innovation noch Programmatik zu erwarten. Kein Wunder, dass nicht wenige Architekten von Rang dem derzeitigen steirischen Wohnbau ihre Gefolgschaft verweigern. Andere wiederum suchen sich Nischen, werden selbst zu Bauträgern oder versuchen, mit privaten Bauherren innovative Konzepte zu entwickeln.
Einer von ihnen ist Manfred Wolff-Plottegg. Der Architekt aus Graz und Vorstand des Instituts für Architektur und Entwerfen an der TU Wien hat schon 1991 an seiner ersten Wohnanlage in Graz-Seiersberg gezeigt, dass er den Wohnbau über die Planungsmethode, mit einem prozessualen computerunterstützten Entwurfsansatz, reformieren will. Planung und Ergebnis wurden wertgleich gesehen, Form und Funktion als Produkt von Rechenvorgängen und digitalen Transformationen, die freilich durch den Architekten interpretiert wurden. Was Plottegg in diesem kompliziert klingenden Verfahren entwickeln wollte, waren Grundrisse mit nicht determinierten Räumen, die maximale Offenheit und Freiheit garantieren sollen. Form ist das Ergebnis eines unpersönlichen Entwurfsprozesses, sagt der Architekt, und Funktion entsteht erst aus einer Interpretation der Form oder, anders gesagt, aus der Aneignung durch den Nutzer.
Prallt eine derart unorthodoxe Denkweise auf die starren Vorgaben von Wohnbauförderung und genossenschaftlicher Verwertungslogik, so ist zu erwarten, dass sie nur mit Abstrichen realisiert wird. Dennoch sind alle späteren Wohnungsgrundrisse des Architekten Weiterentwicklungen des frühen Seiersberger Prototypus.
Auf Schloss Eybesfeld in der kleinen südsteirischen Ortschaft Jöß nahe Leibnitz hat Manfred Plottegg im Zuge einer umfassenden Adaptierung von landwirtschaftlichem Gebäudebestand einiges umsetzen können. Die ursprünglich barocke Anlage in einem weitläufigen Parkareal mit Fischteichen und einem jüngst initiierten zeitgenössischen Skulpturenpark wurde nach und nach saniert, revitalisiert und punktuell mit Neubauten ergänzt. Alle bis jetzt erfolgten baulichen Maßnahmen tragen die Handschrift des Architekten, wenn auch die Ausführung durch einen Generalplaner etliche Abweichungen vom Konzept aufweist.
Das Dachgeschoß der ehemaligen Scheunen und Stallungen musste ausgebaut werden, ohne die dem Schloss zugewandten Dachflächen anzutasten. Plottegg hob die nach Westen orientierte Dachhälfte an und entwarf eine asymmetrische Schnittfigur mit Oberlichtband, die den Dachraum umfassend erhellt. Eine von Plotteggs Prämissen, die Offenheit des Grundrisses, manifestiert sich in einer klappbaren Wand aus Holz, die unterschiedliche Raumfigurationen hervorbringt und starre Abgrenzungen zwischen Koch-, Ess- und Schlafraum ersetzen soll. Die Grundrisse im Klauberhof, einem Nord-Süd-orientierten Neubau über bestehenden Fundamenten, wurden aus dem Prototyp mit geringer Tiefe entwickelt. Zwischenwände wurden weiter reduziert und durch freistehende boxenartige Trennelemente ersetzt, die Schrank, Abstellraum oder Garderobe sein können. Bei Bedarf ergänzen raumhohe Türen sie zur geschlossenen Wand. Die Reduktion interner Erschließungsflächen führt zur Maximierung der Nutzfläche innerhalb des gegebenen Rahmens.
Mehrfachzugänge vermeiden Durchgangszimmer, raumhohe Verglasungen stehen anstelle üblicher Fenster mit Parapet und Sturz. Den vorgelagerten Außenraum wertet Plottegg über durchgehende Balkone mit Sonnenschutz-Jalousien in der Brüstungsebene zum integrierten, viel genutzten Teil der Wohnfläche auf.
Ein kürzlich fertiggestellter zweigeschoßiger Riegelbau, der vom Eigentümer ob seiner üppigen Bepflanzung Glyzinienhaus genannt wird, bildet in linearem Zusammenspiel mit einem Erdwall das Tor zum Schlosspark. Auf beiden Längsseiten ist dem Bau eine etwa vier Meter tiefe Stahlkonstruktion vorgestellt – Treppen und Laubengang im Osten und eine umlaufende, offene Vorzone mit unterschiedlich großen, zugeordneten Balkonen auf der Westseite. Innerhalb der beiden Wohnungstrennwände treibt der Architekt den Reduktionsprozess der Grundrisse weiter. Nur die Sanitärräume sind als abgeschlossenes Element räumlich determiniert. Die Verweigerung detaillierter Funktionszuordnung zielt darauf, die Flächen bei Nachfrage auch anders genützt, etwa als Büros vermieten zu können. Auch das ist Nachhaltigkeit im Bauen: auf vielfältige Nutzung vorbereitet zu sein.
Dem Mieter wird bei einem offenen Konzept wie diesem einiges abverlangt. Zugleich bekommt er maximale Handlungs- und Nutzungsfreiheit. Manfred Plottegg unterzieht den Nutzer einer Erziehungsmaßnahme. Er muss sich mit dem Raum auseinandersetzen, um ihn optimal für sich besetzen zu können, und er muss Konventionen und Gewohnheiten wie das Aufhängen von Vorhängen oder das Einrichten nach Schema überdenken. Er muss Distanz und Nähe, Gemeinschaft und Intimität für sich definieren, will er etwa den Mehrwert der großzügigen, der Wohnung vorgelagerten, grün durchwachsenen Zone genießen. Aus solchermaßen Geforderten können entweder Verweigerer werden, die nichts mehr wissen wollen von „moderner Architektur“, oder Bereicherte, die erkannt haben, dass es sich lohnt, Konventionen kritisch zu hinterfragen.
Man muss den Eindruck gewinnen, dass strukturelles Denken im Wohnungsbau hierorts kaum gefragt ist – und zwar weder bei den Architekten noch beim Land Steiermark als Fördergeber, der aktuelle Wohnbauforschung auf Ökologie und die Reduktion von Energiekennzahlen beschränkt. Von der Mehrzahl der genossenschaftlichen Bauträger ist weder Innovation noch Programmatik zu erwarten. Kein Wunder, dass nicht wenige Architekten von Rang dem derzeitigen steirischen Wohnbau ihre Gefolgschaft verweigern. Andere wiederum suchen sich Nischen, werden selbst zu Bauträgern oder versuchen, mit privaten Bauherren innovative Konzepte zu entwickeln.
Einer von ihnen ist Manfred Wolff-Plottegg. Der Architekt aus Graz und Vorstand des Instituts für Architektur und Entwerfen an der TU Wien hat schon 1991 an seiner ersten Wohnanlage in Graz-Seiersberg gezeigt, dass er den Wohnbau über die Planungsmethode, mit einem prozessualen computerunterstützten Entwurfsansatz, reformieren will. Planung und Ergebnis wurden wertgleich gesehen, Form und Funktion als Produkt von Rechenvorgängen und digitalen Transformationen, die freilich durch den Architekten interpretiert wurden. Was Plottegg in diesem kompliziert klingenden Verfahren entwickeln wollte, waren Grundrisse mit nicht determinierten Räumen, die maximale Offenheit und Freiheit garantieren sollen. Form ist das Ergebnis eines unpersönlichen Entwurfsprozesses, sagt der Architekt, und Funktion entsteht erst aus einer Interpretation der Form oder, anders gesagt, aus der Aneignung durch den Nutzer.
Prallt eine derart unorthodoxe Denkweise auf die starren Vorgaben von Wohnbauförderung und genossenschaftlicher Verwertungslogik, so ist zu erwarten, dass sie nur mit Abstrichen realisiert wird. Dennoch sind alle späteren Wohnungsgrundrisse des Architekten Weiterentwicklungen des frühen Seiersberger Prototypus.
Auf Schloss Eybesfeld in der kleinen südsteirischen Ortschaft Jöß nahe Leibnitz hat Manfred Plottegg im Zuge einer umfassenden Adaptierung von landwirtschaftlichem Gebäudebestand einiges umsetzen können. Die ursprünglich barocke Anlage in einem weitläufigen Parkareal mit Fischteichen und einem jüngst initiierten zeitgenössischen Skulpturenpark wurde nach und nach saniert, revitalisiert und punktuell mit Neubauten ergänzt. Alle bis jetzt erfolgten baulichen Maßnahmen tragen die Handschrift des Architekten, wenn auch die Ausführung durch einen Generalplaner etliche Abweichungen vom Konzept aufweist.
Das Dachgeschoß der ehemaligen Scheunen und Stallungen musste ausgebaut werden, ohne die dem Schloss zugewandten Dachflächen anzutasten. Plottegg hob die nach Westen orientierte Dachhälfte an und entwarf eine asymmetrische Schnittfigur mit Oberlichtband, die den Dachraum umfassend erhellt. Eine von Plotteggs Prämissen, die Offenheit des Grundrisses, manifestiert sich in einer klappbaren Wand aus Holz, die unterschiedliche Raumfigurationen hervorbringt und starre Abgrenzungen zwischen Koch-, Ess- und Schlafraum ersetzen soll. Die Grundrisse im Klauberhof, einem Nord-Süd-orientierten Neubau über bestehenden Fundamenten, wurden aus dem Prototyp mit geringer Tiefe entwickelt. Zwischenwände wurden weiter reduziert und durch freistehende boxenartige Trennelemente ersetzt, die Schrank, Abstellraum oder Garderobe sein können. Bei Bedarf ergänzen raumhohe Türen sie zur geschlossenen Wand. Die Reduktion interner Erschließungsflächen führt zur Maximierung der Nutzfläche innerhalb des gegebenen Rahmens.
Mehrfachzugänge vermeiden Durchgangszimmer, raumhohe Verglasungen stehen anstelle üblicher Fenster mit Parapet und Sturz. Den vorgelagerten Außenraum wertet Plottegg über durchgehende Balkone mit Sonnenschutz-Jalousien in der Brüstungsebene zum integrierten, viel genutzten Teil der Wohnfläche auf.
Ein kürzlich fertiggestellter zweigeschoßiger Riegelbau, der vom Eigentümer ob seiner üppigen Bepflanzung Glyzinienhaus genannt wird, bildet in linearem Zusammenspiel mit einem Erdwall das Tor zum Schlosspark. Auf beiden Längsseiten ist dem Bau eine etwa vier Meter tiefe Stahlkonstruktion vorgestellt – Treppen und Laubengang im Osten und eine umlaufende, offene Vorzone mit unterschiedlich großen, zugeordneten Balkonen auf der Westseite. Innerhalb der beiden Wohnungstrennwände treibt der Architekt den Reduktionsprozess der Grundrisse weiter. Nur die Sanitärräume sind als abgeschlossenes Element räumlich determiniert. Die Verweigerung detaillierter Funktionszuordnung zielt darauf, die Flächen bei Nachfrage auch anders genützt, etwa als Büros vermieten zu können. Auch das ist Nachhaltigkeit im Bauen: auf vielfältige Nutzung vorbereitet zu sein.
Dem Mieter wird bei einem offenen Konzept wie diesem einiges abverlangt. Zugleich bekommt er maximale Handlungs- und Nutzungsfreiheit. Manfred Plottegg unterzieht den Nutzer einer Erziehungsmaßnahme. Er muss sich mit dem Raum auseinandersetzen, um ihn optimal für sich besetzen zu können, und er muss Konventionen und Gewohnheiten wie das Aufhängen von Vorhängen oder das Einrichten nach Schema überdenken. Er muss Distanz und Nähe, Gemeinschaft und Intimität für sich definieren, will er etwa den Mehrwert der großzügigen, der Wohnung vorgelagerten, grün durchwachsenen Zone genießen. Aus solchermaßen Geforderten können entweder Verweigerer werden, die nichts mehr wissen wollen von „moderner Architektur“, oder Bereicherte, die erkannt haben, dass es sich lohnt, Konventionen kritisch zu hinterfragen.
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