Bauwerk

Haus Nenning
Cukrowicz Nachbaur Architekten - Hittisau (A) - 2004
Haus Nenning, Foto: Hanspeter Schiess
Haus Nenning, Foto: Hanspeter Schiess
Haus Nenning, Foto: Hanspeter Schiess

So wie die Weißtanne es will

Geschichte und Gegenwart einer regionalen Besonderheit

20. September 2006 - Renate Breuß
Die Bedingungen für die Weißtanne (abies alba) sind im Bregenzerwald günstig. Auf den Flysch- und Molasseböden erreicht die Weißtanne eine Bestandsdichte von rund 60%. Gut bestockt sind die nordwestlichen Schattseiten der langgezogenen Höhenrücken des Vorderwaldes und die dazwischen liegenden feuchten Schluchten der Achen. Die Vorliebe für niederschlagsreiche und schattige Gebiete verbindet die Tanne mit der Buche. Empfindlich reagiert sie auf Luftverschmutzung und Klimaschwankungen, Ursachen für den drastischen Rückgang des Tannenbestands in Europa. Im Bregenzerwald ist es primär der Wildverbiss, der eine fehlende Verjüngung nach sich zieht.

Die Tanne schmeckt hier nicht nur dem Wild. Aus dem von der Tannenhoniglaus angezapften Saft machen die Bienen den dunklen Weißtannenhonig (erhältlich in den Sennereien), aus den Tannenwipfeln wird ein bewährtes Hausmittel gegen Husten gekocht, der Bast ist der Kaugummi der Kinder. Beim Speckselchen ist die Verwendung von Tannenzweigen Geschmackssache, genauso wie bei den Käsebrettern. Die alten Sennen und Bauern geben der Weißtanne den Vorzug, im modernen Käsekeller in Lingenau lagern 30.000 Käselaibe auf Fichtenbrettern. Was den Unterschied genau ausmacht, ist schwer zu sagen, sicher ist, dass sich der Käse auf beiden Hölzern besser entwickelt als auf Kunststoff.

Die Weißtanne ist ein Baum mit tiefen Wurzeln und hat im Bregenzerwald ihre eigene Geschichte, kulturbildend ist sie für Mensch und Landschaft. Vieles hat man immer schon so gemacht, es funktioniert, das merkt man sich, das ergibt die kulturellen Ausdrucksformen. So wurden die schattseitigen Fassaden am Bregenzerwälder Haus bewusst mit Weißtanne verbrettert, die sonnseitigen mit Fichte. Auch die Dächer waren je nach Orientierung auf einer Seite mit Tannenschindeln, auf der anderen mit Fichtenschindeln bedeckt. Dass die Tanne Feuchtigkeit und Nässe besser verkraften kann, ist über einen differenzierten Einsatz an den alten Holzbrücken (konstruktiv gemischt, seitliche Verbretterung in Weißtanne) und über die Brunnenstuben belegt. Solange diese Praktiken noch lebendig sind, weiß man meist auch noch warum. Doch die Geschichte der Weißtanne hat ihre Brüche, wenn sich Produktions- und Lebensformen ändern, Prioritäten neu gesetzt und Einsatzbereiche vergessen oder – wie die Gegenwart zeigt – erweitert werden.

Eine jahrzehntelange Diskriminierung der Weißtanne ist primär mit den herkömmlichen Mitteln der Verarbeitung verknüpft. Das widerspenstige Holz nutzte das Werkzeug stark ab, beim Flößen und Bewegen der Stämme und Balken fiel zudem ein hoher Feuchtigkeitsgehalt ins Gewicht. Schwerer ist die Weißtanne nur in frischem Zustand, nach einjähriger Lagerung sind Tanne und Fichte gleich schwer. Die Neigung zum Splittern und Reißen setzt der Anwendung ihre Grenzen. Die Weißtanne ist keine Allroundkartoffel. Sie verlangt eine genaue Materialkenntnis und viel Sorgfalt in der Bearbeitung. Wer sich auf sie einlässt und so tut, wie das Material es will, wird dafür mit umsomehr Strahlkraft belohnt. Davon sind heute Architekten, Handwerker und Bauherren überzeugt. Nicht zuletzt dank jüngster Wiederbelebungsmaßnahmen von politischer und öffentlicher Seite.

Der Inbegriff einer verfeinerten Materialisierung in Weißtanne steht nahe dem Dorfplatz in Hittisau. Das dreigeschossige Wohnhaus für die fünfköpfige Familie eines Zimmermanns zeigt sich in vornehmer Zurückhaltung, aufrecht und großzügig. Der Holzbau ist Ausdruck einer gelungenen Zusammenarbeit der Architekten cukrowicz.nachbaur mit den Bauherren Brigitte und Hermann Nenning und basiert auf einem forschenden Umgang mit traditioneller Holzkultur. Subtil fließen Themen und Elemente der unmittelbaren Umgebung in neuer Form ein, in den Fassadengliederungen und Maßstäben, im selektierten und differenzierten Materialeinsatz. Verbaut wurde ausschließlich massives und unbehandeltes Holz, im Umfang von etwa 50 Tannen und Fichten, die alle im nahen Umkreis von Hittisau – großteils im eigenen Wald am Hittisberg – gewachsen sind. Die gesamten Holzbauarbeiten wurden vom Bauherrn eigenhändig in allerhöchster Qualität verarbeitet. Dahinter steckt die Haltung eines Handwerkers, der sein Material kennt, respektiert und liebt. Wenn er ein schönes Brett in seinen Händen halte, dann arbeite er anders, sagt Hermann Nenning. Ein schönes Weißtannenbrett hat enge Jahrringe und stammt von den beiden ersten, astarmen Blöcken. Für die beanspruchten Oberflächen ist es rift-halbrift eingesägt, in Verbindungen ist es auf Gehrung gearbeitet. Die sägerauen und unbehandelten, teils geschliffenen und geölten Böden sind in Nut und Kamm verlegt, im physischen Kontakt sind sie warm und seidig. Die Kultur der Pflege lässt Wände und Decken alle paar Jahre in neuem Glanz erstrahlen, wenn die unbehandelten Oberflächen mit Bürste, Wasser und Molke gefegt werden. Dass die Weißtanne mit ihren matten, grau-violetten Farbtönen auch im Alter nicht vergilbt, vielmehr eine schieferartige Patina entwickelt, ist eine ästhetische Besonderheit.

Das Haus und seine Räume sprechen eine eigene Sprache, leicht und fließend, fast wie ein Gedicht. Dafür wurden die Architekten, die Bauherren und der Zimmermann mit nicht weniger als drei Preisen ausgezeichnet, dem Preis für Neues Bauen in den Alpen, dem Bauherrenpreis und dem Holzbaupreis. Mit der Weißtanne stehen sie auf gutem Fuß.

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Für den Beitrag verantwortlich: zuschnitt

Ansprechpartner:in für diese Seite: Kurt Zweifelzweifel[at]proholz.at

Akteure

Architektur

Bauherrschaft
Brigitte Nenning
Hermann Nenning

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