Bauwerk
Neuapostolische Kirche
smarch - Zuchwil (CH) - 2005
Das barocke Verfahren
Hase in Bronze. Dieser Hasenpreis geht nach Zuchwil bei Solothurn, wo er, der von Natur aus ein Animist ist, trotzdem zur Kirche geht, in die neuapostolische. Er ist beeindruckt von diesem Aufsehen erregenden Bau der smarch Architekten aus Bern. Er spürt, dass es auch heute noch standfeste Glaubensgebäude gibt.
11. Dezember 2005 - Benedikt Loderer
Ein seltsames Gebilde steht hinter dem Bahnhof von Solothurn an der Durchgangsstrasse. Ein Gebäudebeutel? Eine Betonzange? Eine liegende Langhalsflasche? Nein, eine neuapostolische Kirche. Ihre fliessenden, gerundeten Formen erinnern an einen Bau aus den frühen Siebzigerjahren, als die Formerfindung der späten Moderne auf ihrem Höhepunkt stand. Das auffällige Gebilde steht in der mittelländischen Agglomeration auf einem Zufallsgrundstück, das auch für ein Wohnhaus noch Platz hat. Nähert man sich von Westen, taucht die Eingangsfront mit ihrem waagrechten, hell gefassten, schwebenden Recht-eckschlitz in der Strassenachse auf, von der andern Seite sieht dies der Besucher erst im letzten Augenblick. Doch eigentlich fehlt nur der Glockenturm und das Kreuz und man würde das Aussergewöhnliche, weil es so sonderbar ist, sofort als Kirche lesen.
Wegkirche
Eine Wegkirche, so wie bei Rudolf Schwarz (auch ein Gläubiger). Draussen beginnt der Weg auf dem ausgreifenden, kirchenbreiten Vorplatz, der sich wie ein erstarrter, breiter Betonstrom vom Eingang her leicht absteigend gegen die Ankommenden wälzt. Noch hat man das Gefühl, man gehe auf einen Ausstellungsraum zu, dann betritt man das dreiseitig raumhoch verglaste Foyer. Ein kühler Ort, wo man begrüsst, herumsteht und schwatzt. Doch man ist erst darunter, noch nicht drin, denn der auskragende Schwung des Vordachs (des Flaschenhalses?) fährt mit wuchtiger Eleganz über die Köpfe hinweg und stoppt mit einem schmalen, liegenden Fenster, das aber am Foyer keinen Anteil hat. Das Foyer ist auf seiner vierten Seite ausgerundet, die senkrechte Wand löst auf und geht mit einer Kurve vom Boden in die Decke über. Hier macht der Weg eine Pause und endet an einem schwungvollen Betonfels. Aber nur kurz, denn in der Gebäudeachse liegt der Durchlass zum Kirchenraum, eine Verengung und Kanalisierung. Die Stimmung ändert sich vom Profanen zum Sakralen, niemand schwatzt mehr. Im Zugangskanal wird es dämmrig, aber die Altarwand, auf die man geradeaus blickt, leuchtet als helles Band dem Besucher entgegen. Davor steht der blockhafte, hinterleuchtete Altar. Wie schon im Foyer geht der Boden in sanftem Schwung in die Altarwand über und sie verschwindet hinter der Deckenkante. Denn von oben senkt sich die Decke dem Altar entgegen und zwischen Wand und Decke bleibt ein Abstand, in dem auf die ganze Raumbreite ein unsichtbares Oberlicht sitzt. Die Altarwand wird mit Streiflicht aus einer verborgenen Quelle belichtet, ein altes barockes Verfahren.
Das Kircheninnere ist ein abgeschlossener Bezirk, ohne Bezug nach aussen. Die neuapostolische Gemeinde ist in einem Gefäss versammelt, auf den Altar gerichtet, hier hat der Weg sein Ziel. Blickt man zurück, so schimmert das Frontfenster bläulich hinter der ansteigenden Bankbestuhlung. Hier geht es um die Verengung des Raums, das Zusammenpressen zur schmalen Schicht, nicht um Be-leuchtung. Der Raum lebt von zwei Dingen: der Lichtführung und dem Ineinanderschwung von Decke und Boden.
Das Glaubensgebäude
Dieselbe Ablesbarkeit gibt es auch an den Längsfassaden, auf denen das Bildungsgesetz des Kirchenraums nachgezeichnet
ist. Helle Bänder ziehen den Verlauf von Decke und Boden nach und fassen Binnenfelder von dunklem Waschbeton ein. Die Untersichten und das Dach hingegen bleiben Sichbetonflächen. Der auskragende Kirchenraum wird von einer gespreizten, v-förmigen Stütze über Grund gehalten, ein die Kurven als Motiv wiederholendes Betonband. Das Programm ist das einer Dorfkirche. Ein grosser Raum für den Gottesdienst, eine Sakristei (genauer Ältestenzimmer), ein Kinderhort und ein Foyer im oberen Geschoss, Unterrichtsräume, Blumenzimmer und Keller mit Infrastruktur im unteren.
Es handelt sich also um eine traditionelle Kirche, streng symmetrisch, klar gerichtet, funktionell eindeutig. Keine Mehrzweckveranstaltung, nur eine Kirche. Sie ist zeitgenössisch, doch ist sie das Gefäss unerschütterlicher Gewissheiten. Es steckt eine spürbare Kraft in diesem Kirchenbau: Man glaubt, dass die Neuapostolen glauben.
Kommentar der Jury:
Am Anfang war die Geste zweier ineinander greifender Hände. Smarch Architekten haben aus diesem Bild und einem beschränkten Budget einen Aufsehen erregenden Bau gemacht, der im Innern die Ruhe und Kontemplation bietet, die einem Sakralbau gebührt. Der Kirchenraum wirkt geborgen und in sich gekehrt, verfügt aber dank der raffinieren Lichtführung dennoch über dramaturgische Spannung. Die Jury lobt, wie konsequent Statik, Materialisierung, Lichtführung und räumlicher Ablauf aus dem anfänglichen Bild entwickelt sind und ihm auch gebaut noch entsprechen. Aussen wie innen ist dieses formale und räumliche Experiment gelungen; die Kirche ist in
ihrer durchmischten Umgebung an der Durchgangsstrasse eine Attraktion – was durchwegs positiv gemeint ist. Die Jury vergibt diesem Bau deshalb den bronzenen Hasen – auch, weil solch mutige Expressivität in der Schweiz so gut wie alleine da steht.
(Rahel Marti ersetzte den am Bau beteiligten Juror Patrick Gartmann bei der Abstimmung.)
Wegkirche
Eine Wegkirche, so wie bei Rudolf Schwarz (auch ein Gläubiger). Draussen beginnt der Weg auf dem ausgreifenden, kirchenbreiten Vorplatz, der sich wie ein erstarrter, breiter Betonstrom vom Eingang her leicht absteigend gegen die Ankommenden wälzt. Noch hat man das Gefühl, man gehe auf einen Ausstellungsraum zu, dann betritt man das dreiseitig raumhoch verglaste Foyer. Ein kühler Ort, wo man begrüsst, herumsteht und schwatzt. Doch man ist erst darunter, noch nicht drin, denn der auskragende Schwung des Vordachs (des Flaschenhalses?) fährt mit wuchtiger Eleganz über die Köpfe hinweg und stoppt mit einem schmalen, liegenden Fenster, das aber am Foyer keinen Anteil hat. Das Foyer ist auf seiner vierten Seite ausgerundet, die senkrechte Wand löst auf und geht mit einer Kurve vom Boden in die Decke über. Hier macht der Weg eine Pause und endet an einem schwungvollen Betonfels. Aber nur kurz, denn in der Gebäudeachse liegt der Durchlass zum Kirchenraum, eine Verengung und Kanalisierung. Die Stimmung ändert sich vom Profanen zum Sakralen, niemand schwatzt mehr. Im Zugangskanal wird es dämmrig, aber die Altarwand, auf die man geradeaus blickt, leuchtet als helles Band dem Besucher entgegen. Davor steht der blockhafte, hinterleuchtete Altar. Wie schon im Foyer geht der Boden in sanftem Schwung in die Altarwand über und sie verschwindet hinter der Deckenkante. Denn von oben senkt sich die Decke dem Altar entgegen und zwischen Wand und Decke bleibt ein Abstand, in dem auf die ganze Raumbreite ein unsichtbares Oberlicht sitzt. Die Altarwand wird mit Streiflicht aus einer verborgenen Quelle belichtet, ein altes barockes Verfahren.
Das Kircheninnere ist ein abgeschlossener Bezirk, ohne Bezug nach aussen. Die neuapostolische Gemeinde ist in einem Gefäss versammelt, auf den Altar gerichtet, hier hat der Weg sein Ziel. Blickt man zurück, so schimmert das Frontfenster bläulich hinter der ansteigenden Bankbestuhlung. Hier geht es um die Verengung des Raums, das Zusammenpressen zur schmalen Schicht, nicht um Be-leuchtung. Der Raum lebt von zwei Dingen: der Lichtführung und dem Ineinanderschwung von Decke und Boden.
Das Glaubensgebäude
Dieselbe Ablesbarkeit gibt es auch an den Längsfassaden, auf denen das Bildungsgesetz des Kirchenraums nachgezeichnet
ist. Helle Bänder ziehen den Verlauf von Decke und Boden nach und fassen Binnenfelder von dunklem Waschbeton ein. Die Untersichten und das Dach hingegen bleiben Sichbetonflächen. Der auskragende Kirchenraum wird von einer gespreizten, v-förmigen Stütze über Grund gehalten, ein die Kurven als Motiv wiederholendes Betonband. Das Programm ist das einer Dorfkirche. Ein grosser Raum für den Gottesdienst, eine Sakristei (genauer Ältestenzimmer), ein Kinderhort und ein Foyer im oberen Geschoss, Unterrichtsräume, Blumenzimmer und Keller mit Infrastruktur im unteren.
Es handelt sich also um eine traditionelle Kirche, streng symmetrisch, klar gerichtet, funktionell eindeutig. Keine Mehrzweckveranstaltung, nur eine Kirche. Sie ist zeitgenössisch, doch ist sie das Gefäss unerschütterlicher Gewissheiten. Es steckt eine spürbare Kraft in diesem Kirchenbau: Man glaubt, dass die Neuapostolen glauben.
Kommentar der Jury:
Am Anfang war die Geste zweier ineinander greifender Hände. Smarch Architekten haben aus diesem Bild und einem beschränkten Budget einen Aufsehen erregenden Bau gemacht, der im Innern die Ruhe und Kontemplation bietet, die einem Sakralbau gebührt. Der Kirchenraum wirkt geborgen und in sich gekehrt, verfügt aber dank der raffinieren Lichtführung dennoch über dramaturgische Spannung. Die Jury lobt, wie konsequent Statik, Materialisierung, Lichtführung und räumlicher Ablauf aus dem anfänglichen Bild entwickelt sind und ihm auch gebaut noch entsprechen. Aussen wie innen ist dieses formale und räumliche Experiment gelungen; die Kirche ist in
ihrer durchmischten Umgebung an der Durchgangsstrasse eine Attraktion – was durchwegs positiv gemeint ist. Die Jury vergibt diesem Bau deshalb den bronzenen Hasen – auch, weil solch mutige Expressivität in der Schweiz so gut wie alleine da steht.
(Rahel Marti ersetzte den am Bau beteiligten Juror Patrick Gartmann bei der Abstimmung.)
Für den Beitrag verantwortlich: hochparterre
Ansprechpartner:in für diese Seite: Roderick Hönig