Bauwerk
Wohnbau
Diener & Diener Architekten - Paris (F) - 1998
Basler Spuren in Paris
Ein Häuserpaar von Diener & Diener in Paris
Paris bemüht sich um qualitativen Architekturimport aus dem Ausland. Unmittelbar beim Cimetière du Père Lachaise konnte das Basler Architekturbüro Diener & Diener in einem Direktauftrag einen Wohnbau erstellen. Als Ikone der «Neuen Sachlichkeit» vertritt er im heterogenen Strassenbild die Position einer Deutschschweizer Architekturvorstellung.
6. November 1998 - Serge von Arx
In Paris sind die Zeiten der monumentalen, im Geist des französischen Zentralismus konzipierten Stadteingriffe einstweilen vorüber. Die Seinestadt, in den achtziger Jahren ein architektonisches Dorado, ist heute eine Architekturlandschaft im Wandel. Während zurzeit die meisten Grossprojekte französischer Provenienz im Ausland entstehen, konzentrieren sich die Architekten in Paris wieder vermehrt auf architektonische Innovation. Vor allem kleinere Arbeiten verändern abseits der grossen Strassenachsen die Metropole langsam. Hier findet man oft aber auch Architekturimport. Vor allem die Régie Immobilière de la Ville de Paris (RIVP) bemüht sich um eine architektonische Öffnung, indem sie internationale Wettbewerbe ausschreibt und auch Direktaufträge an ausländische Architekten erteilt. Nachdem die Schweiz bereits mit Aurelio Galfetti und Livio Vacchini vertreten ist, beginnen demnächst Herzog & de Meuron auf Grund eines gewonnenen Wettbewerbs an der Rue des Suisses zu bauen.
Schon jetzt aber fügt sich ein Beispiel der neuen Deutschschweizer Architektur im elften Arrondissement gleich unterhalb des Cimetière du Père Lachaise diskret in die Strassenfront ein. Mit der vor rund einem Jahr vollendeten Bebauung lieferte das Basler Architekturbüro Diener & Diener einen Beitrag an die Umgestaltung der Metropole, der in der Klarheit der Kubatur, der Präzision der Proportionen und der Strukturierung des Stadtraumes seinesgleichen sucht. Der Neubau ist das zweitletzte Gebäude an der Rue de la Roquette, der die Achse zum westlichen Haupteingang des berühmten Friedhofs bildet. Der Ort ist von der Heterogenität jener Pariser Strassenzüge geprägt, die ausserhalb von Haussmanns Fassadendiktat entstanden. Die beiden neuen Baukörper, die in ihrer einheitlichen Fassadengestaltung als ein Gebäude gelesen werden können, sind auf der Parzelle etwas zurückversetzt. In dichter Bebauung erstrecken sich die 37 Wohnungen, die für das medizinische Personal der Assistance Publique reserviert sind, an der Strassenseite über sieben bzw. acht leicht versetzte Etagen, die ab der sechsten zurückspringen.
Um der intimen Situation des Innenhofes gerecht zu werden, verringerten die Architekten die Gebäude hier auf fünf Geschosse. Im traditionellen Sockelgeschoss öffnen sich Läden mit zugehörigem Mezzanin zur Strasse hin. Langwierige Diskussionen mit der Denkmalpflege ergaben sich einerseits, weil die Architekten anstelle eines traditionellen Einzelbaus zwei autonome, in engem Dialog zueinander stehende Körper nahe zusammen auf die Parzelle stellten. Andererseits bildete jenes Merkmal den Stein des Anstosses, das sich wie ein roter Faden durch die Arbeit von Diener & Diener zieht: die Transzendierung des Gewöhnlichen. Roger Diener verwirft die auf einer Polarisierung zwischen Alt und Neu basierende Stadtvorstellung vehement als «naive Position» - er sieht sich vielmehr der Kontinuität in der Stadtentwicklung ohne prätentiöse Gesten verpflichtet.
Von der Strasse her kann man den Innenhof am Ende des schmalen, die Gebäude trennenden Spalts nur am Schattenspiel auf den fensterlosen Kalksteinwänden erahnen - ein an die Pittura metafisica erinnerndes Bild. Dort biegt der Gang in einer Querachse in den Hof ab. Auf dieser liegen sich die beiden Eingänge gegenüber und binden das Ensemble von sich ergänzenden Hof- und Gebäudefiguren zusammen. Über diesen versetzten Spalt fliesst der urbane Strassenraum in den Innenhof. Diese kontinuierliche Entwicklung verschiedener Raumzustände - ein Paradigma dezidierter Raumsequenz - setzt sich denn im Innern des Zwillingsbaus auch fort. Die einzelnen Wohnungen widerspiegeln die urbane Situation, die das Gebäude als spezifischer Ort im Stadtraum bildet. So hatten die Architekten auch keine Scheu vor langen Korridoren, die zu den einzelnen Zimmern führen: Der Wohnraum öffnet sich entweder wie eine Erweiterung des Gangs oder wird von diesem abrupt übereck erschlossen.
Den Innenhof gestaltete Dani Karavan, Entwerfer der «Axe Majeur» zwischen Paris und Cergy-Pontoise. Die Natursteinmauer des Nachbargebäudes, in grossen weissen Lettern mit einem Gedichtfragment Paul Verlaines bemalt, schliesst den Hofbereich nach hinten ab. Davor steht ein Ahorn, der zeichenhaft auf die vorüberziehenden Jahreszeiten verweist. Die übrigen drei Seiten des rechteckigen Plätzchens schmücken drei einfache geometrische Skulpturen. Mittels bunter Vorhänge und einiger Geranien hauchen die Bewohner den Hoffassaden, die die Architekten in der gleichen Kargheit wie die Strassenseite hielten, Leben ein. Diese zufälligen Farbtupfer nimmt Roger Diener bewusst in Kauf: «Sie sind Teil der Realität, die sich abbildet; das Haus muss dies ertragen.» Die freitragenden Kalksteinmauern, die beide Bauvolumen umhüllen, betonen - im Gegensatz zu den andernorts meist nur vorgehängten Steinplatten - die Authentizität der Wand.
Unter wechselndem Licht ändert der warme Naturstein aus der Gegend um Paris ständig seine Erscheinung. Im Hof mit seinen glatten Mauern wähnt man sich schon fast in einer mediterranen Umgebung. Das bei Diener & Diener immer wiederkehrende semiotische Spiel der Fenster hinterfragt die pragmatische Bedeutung des Hauses in der Stadt, ohne sich in postmoderner Selbstgefälligkeit zu verlieren. Als wären es die Augen der Häuser, verknüpfen die Fenster, aus denen weitgehend die Identität der Gebäude von Diener & Diener erwächst, Innen und Aussen. Die im Frühling an der ETH Zürich organisierte Ausstellung «Stadtansichten» war ganz diesem Thema im Schaffen von Diener & Diener gewidmet (NZZ 19. 5. 98). Obwohl die Öffnungen an der Rue de la Roquette ursprünglich grösser geplant waren und so der Persönlichkeit des Objektes vielleicht besser entsprochen hätten, bleibt die präzise Komposition der Fassaden für Paris einzigartig. Die versteckte Schönheit dieses Gebäudepaars eröffnet sich im urbanen Bilderrausch nur aufmerksamen Betrachtern. Dabei können die im Amsterdamer Hafen entstehenden Wohnbauten und die dem Baubeginn entgegensehende Schweizer Botschaft in Berlin als weitere Lehrstücke in der Dienerschen Schule der Wahrnehmung betrachtet werden.
Schon jetzt aber fügt sich ein Beispiel der neuen Deutschschweizer Architektur im elften Arrondissement gleich unterhalb des Cimetière du Père Lachaise diskret in die Strassenfront ein. Mit der vor rund einem Jahr vollendeten Bebauung lieferte das Basler Architekturbüro Diener & Diener einen Beitrag an die Umgestaltung der Metropole, der in der Klarheit der Kubatur, der Präzision der Proportionen und der Strukturierung des Stadtraumes seinesgleichen sucht. Der Neubau ist das zweitletzte Gebäude an der Rue de la Roquette, der die Achse zum westlichen Haupteingang des berühmten Friedhofs bildet. Der Ort ist von der Heterogenität jener Pariser Strassenzüge geprägt, die ausserhalb von Haussmanns Fassadendiktat entstanden. Die beiden neuen Baukörper, die in ihrer einheitlichen Fassadengestaltung als ein Gebäude gelesen werden können, sind auf der Parzelle etwas zurückversetzt. In dichter Bebauung erstrecken sich die 37 Wohnungen, die für das medizinische Personal der Assistance Publique reserviert sind, an der Strassenseite über sieben bzw. acht leicht versetzte Etagen, die ab der sechsten zurückspringen.
Um der intimen Situation des Innenhofes gerecht zu werden, verringerten die Architekten die Gebäude hier auf fünf Geschosse. Im traditionellen Sockelgeschoss öffnen sich Läden mit zugehörigem Mezzanin zur Strasse hin. Langwierige Diskussionen mit der Denkmalpflege ergaben sich einerseits, weil die Architekten anstelle eines traditionellen Einzelbaus zwei autonome, in engem Dialog zueinander stehende Körper nahe zusammen auf die Parzelle stellten. Andererseits bildete jenes Merkmal den Stein des Anstosses, das sich wie ein roter Faden durch die Arbeit von Diener & Diener zieht: die Transzendierung des Gewöhnlichen. Roger Diener verwirft die auf einer Polarisierung zwischen Alt und Neu basierende Stadtvorstellung vehement als «naive Position» - er sieht sich vielmehr der Kontinuität in der Stadtentwicklung ohne prätentiöse Gesten verpflichtet.
Von der Strasse her kann man den Innenhof am Ende des schmalen, die Gebäude trennenden Spalts nur am Schattenspiel auf den fensterlosen Kalksteinwänden erahnen - ein an die Pittura metafisica erinnerndes Bild. Dort biegt der Gang in einer Querachse in den Hof ab. Auf dieser liegen sich die beiden Eingänge gegenüber und binden das Ensemble von sich ergänzenden Hof- und Gebäudefiguren zusammen. Über diesen versetzten Spalt fliesst der urbane Strassenraum in den Innenhof. Diese kontinuierliche Entwicklung verschiedener Raumzustände - ein Paradigma dezidierter Raumsequenz - setzt sich denn im Innern des Zwillingsbaus auch fort. Die einzelnen Wohnungen widerspiegeln die urbane Situation, die das Gebäude als spezifischer Ort im Stadtraum bildet. So hatten die Architekten auch keine Scheu vor langen Korridoren, die zu den einzelnen Zimmern führen: Der Wohnraum öffnet sich entweder wie eine Erweiterung des Gangs oder wird von diesem abrupt übereck erschlossen.
Den Innenhof gestaltete Dani Karavan, Entwerfer der «Axe Majeur» zwischen Paris und Cergy-Pontoise. Die Natursteinmauer des Nachbargebäudes, in grossen weissen Lettern mit einem Gedichtfragment Paul Verlaines bemalt, schliesst den Hofbereich nach hinten ab. Davor steht ein Ahorn, der zeichenhaft auf die vorüberziehenden Jahreszeiten verweist. Die übrigen drei Seiten des rechteckigen Plätzchens schmücken drei einfache geometrische Skulpturen. Mittels bunter Vorhänge und einiger Geranien hauchen die Bewohner den Hoffassaden, die die Architekten in der gleichen Kargheit wie die Strassenseite hielten, Leben ein. Diese zufälligen Farbtupfer nimmt Roger Diener bewusst in Kauf: «Sie sind Teil der Realität, die sich abbildet; das Haus muss dies ertragen.» Die freitragenden Kalksteinmauern, die beide Bauvolumen umhüllen, betonen - im Gegensatz zu den andernorts meist nur vorgehängten Steinplatten - die Authentizität der Wand.
Unter wechselndem Licht ändert der warme Naturstein aus der Gegend um Paris ständig seine Erscheinung. Im Hof mit seinen glatten Mauern wähnt man sich schon fast in einer mediterranen Umgebung. Das bei Diener & Diener immer wiederkehrende semiotische Spiel der Fenster hinterfragt die pragmatische Bedeutung des Hauses in der Stadt, ohne sich in postmoderner Selbstgefälligkeit zu verlieren. Als wären es die Augen der Häuser, verknüpfen die Fenster, aus denen weitgehend die Identität der Gebäude von Diener & Diener erwächst, Innen und Aussen. Die im Frühling an der ETH Zürich organisierte Ausstellung «Stadtansichten» war ganz diesem Thema im Schaffen von Diener & Diener gewidmet (NZZ 19. 5. 98). Obwohl die Öffnungen an der Rue de la Roquette ursprünglich grösser geplant waren und so der Persönlichkeit des Objektes vielleicht besser entsprochen hätten, bleibt die präzise Komposition der Fassaden für Paris einzigartig. Die versteckte Schönheit dieses Gebäudepaars eröffnet sich im urbanen Bilderrausch nur aufmerksamen Betrachtern. Dabei können die im Amsterdamer Hafen entstehenden Wohnbauten und die dem Baubeginn entgegensehende Schweizer Botschaft in Berlin als weitere Lehrstücke in der Dienerschen Schule der Wahrnehmung betrachtet werden.
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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