Bauwerk
Albergo Sportivo „Paradiso“
Gio Ponti - Valmartello (I) - 1934
Der Traum vom Paradies
Gio Pontis Hotel in den Bergen des Valmartello
Der italienische Architekt Gio Ponti realisierte neben seinen vielen Mailänder Projekten ein Luxushotel im Hochgebirge: Der Albergo Sportivo Valmartello liegt inmitten unberührter Natur auf einer Höhe von 2160 Metern in der Nähe des Reschenpasses. Dieses Denkmal der italienischen Moderne und Symbol der faschistischen Okkupation Südtirols ist heute vom Verfall bedroht. Die Frage nach Erhaltung und Restaurierung wichtiger Baudenkmäler der Moderne stellt sich beim «Paradiso» besonders deutlich.
7. Dezember 1998 - Gabriele Reiterer
Im Jahre 1934 erhielt der Mailänder Architekt Gio Ponti (1891–1979) den Auftrag zu einem spektakulären Projekt. In völliger Abgeschiedenheit, am Fusse der Gletscher, umgeben von Dreitausendern sollte im Südtiroler Martelltal nach Pontis Plänen ein Alpinhotel der Superlative entstehen: der Albergo Sportivo Valmartello al Paradiso del Cevedale. Das vom italienischen Fremdenverkehrsministerium initiierte Unternehmen erfuhr unmittelbare Unterstützung durch die faschistische Partei. Das formale Raffinement des stilistisch gekonnt zwischen «Novecento» und Moderne wechselnden Architekten und Designers Ponti garantierte aber auch einen Hotelbau, der dem Lebensstil und den Vorstellungen der Vertreter des durch Mussolinis Regime gestärkten Finanz- und Industriekapitals entsprach.
Die funktionelle Zweiteilung
Dem Hotel waren verschiedene Funktionen zugedacht: die des Luxushotels als urbanem Mikrokosmos mit infrastruktureller Rundumversorgung, aber auch die eines Sporthotels für Bergtouristen und Alpinisten. Ponti entwarf einen nach Westen hin gekrümmten, dynamisch wirkenden Längsbau. Das fünfgeschossige Gebäude wird von einem steilen Pultdach abgeschlossen. Die Fassadengestaltung ist von betonter Einfachheit. Der Hauptfront ist asymmetrisch eine Terrasse vorgelagert, die den konvexen Schwung des Baukörpers betont. Haupteingang und Stiegenhaus befinden sich auf der Nordseite. Schon an der Hauptfassade ist die funktionelle Zweiteilung des kurz «Paradiso» genannten Hotels ablesbar. Der Westteil war den länger verweilenden Hausgästen vorbehalten. Hier befindet sich die Terrasse; und die Zimmer in den darüberliegenden Stockwerken verfügen über Balkone. Im Ostteil waren die Gäste der unteren Kategorien untergebracht. Die Differenzierung zwischen den verschiedenen sozialen Zielgruppen meisterte Ponti bravourös. Er führte sie bis in die Ausstattungsdetails. So gestaltete er die Gesellschaftsräume im noblen Westflügel luxuriös aus, während er für den im Untergeschoss befindlichen Gemeinschaftsraum der Alpinisten Mobiliar entwarf, das sich stark an traditionell-rustikale Regionalformen anlehnte.
Ponti, dessen Werk sich in jenen Jahren in einer entscheidenden Wende von einer neoklassizistischen hin zu einer rationalistischeren Auffassung bewegte, bewies mit dem «Paradiso» seine Fähigkeit zum geistreichen Ausdruck von Individualität. Diese findet ihre Umsetzung in der spielerisch ausgeklügelten Farbwelt der Innenraumgestaltung. Farbige Streifen und geometrische Deckenmusterungen verwandelten die Gesellschaftsräume und Gästezimmer im Westflügel trotz standardisierten Einrichtungselementen in Unikate. In den einfacheren Räumen des Osttraktes erhielten die Zimmer einen homogenen Farbanstrich. Selbstverständlich waren Vorhänge und Bettbezüge auf die Farbgebung der Zimmer abgestimmt. Das Farbenspiel setzt sich in den Aufenthaltsräumen fort. Es bildete das Erkennungszeichen des Hotels. Selbst das Werbematerial und die Hotelpostkarten wurden von Ponti als kleine Farbkunstwerke gestaltet.
Ein Prototyp als Vorläufer
Der Vorläufer für das «Paradiso» findet sich in einem Projekt Pontis, das nie zur Ausführung gelangte. 1930 war der Mailänder Architekt vom italienischen Fremdenverkehrsministerium mit einem gigantischen Projekt zur Erschliessung der Dolomiten beauftragt worden. Schwebebahnen mit einer Streckenführung von über 160 Kilometern sollten die Dolomiten zwischen Bozen und Cortina für den Tourismus erschliessen. Ponti plante nach eigenen Worten die Errichtung der grössten und beeindruckendsten Seilbahnanlage der Welt sowie ein touristisches Unternehmen der Superlative. Die Planung der infrastrukturellen Einrichtungen mit sämtlichen Stationsgebäuden der Haupt- und Nebenlinien, Hotels und Restaurantbetrieben bildete dabei die Hauptaufgabe des Architekten. Für die Hotelbauten entwarf Ponti einen variablen Prototyp. Dem Entwurfskonzept dieses Prototyps lagen Überlegungen der beliebigen Erweiterbarkeit und Orientierung an Landschaft und Klima durch eine standardisierte Architektur zugrunde, die er in der Lösung eines nuovo schema darlegte.
Bei der Planung des «Paradiso» einige Jahre später griff Ponti auf diesen Prototyp zurück. Die Parallelen sind offensichtlich, wenngleich sich das Hotel vor allem durch seine Innenraumgestaltung von Standardisierung und Typisierung entfernt. Im «Paradiso» waren die Klassen eben nicht abgeschafft. So scheint der Hotelbau ein exemplarisches Beispiel für die Ausprägung der italienischen Moderne zu sein, die nicht an den sozialen Gedanken und an ein demokratisches Bewusstsein gebunden war, sondern eine Allianz mit der faschistischen Diktatur einging. Zudem stand hinter dem Projekt ein programmatisches Anliegen: In einem gleichsam symbolischen Akt erfolgte eine steingewordene Machtdemonstration der Italianità und des neuen Regimes, das die «edlen Söhne des italienischen Volkes» verherrlichte und das kulturelle Selbstbewusstsein des faschistischen Italien demonstrierte. Noch heute weckt der Bau bei den Einheimischen widersprüchliche Erinnerungen. In einem kolonialistischen Akt implantiert, galt es als monumentales Zeichen der Okkupation: Vor der Kulisse einer atemberaubenden Bergwelt inmitten einer deutsch geprägten bäuerlichen Kulturlandschaft wurde das städtische Lebensgefühl der Herrscher zelebriert.
Kurze Blütezeit
Das «Paradiso» erlebte nur eine kurze Blütezeit. Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde das Haus geschlossen. 1943 besetzten die deutsche Wehrmacht und die SS den Bau. Nach dem Krieg wurde der Hotelbetrieb kurz wieder aufgenommen, doch 1946 ging das Hotel endgültig in Konkurs. Anfang der fünfziger Jahre erwarb ein venezianischer Reeder das «Paradiso». Damals erhielt das einst hellgrüne Hotel seinen jetzigen Anstrich in Rosso veneziano. Der neue Besitzer liess einige Umbauten vornehmen, die jedoch nie zu einem Abschluss kamen. So wurde der Bau um zwei Geschosse aufgestockt und die Terrasse erweitert. Der seit 1955 leerstehende Bau wechselte in den späten sechziger Jahren erneut den Besitzer. Seither dämmert Pontis einziger Hotelbau in den Bergen dem Verfall entgegen.
Die Frage nach Erhaltung und Restaurierung wichtiger Baudenkmäler der Moderne stellt sich beim «Paradiso» besonders deutlich. Der historisch belastete Bau erhitzt noch immer die Gemüter. Obwohl Südtirol in den letzten Jahren mit der Aufarbeitung des architektonischen Erbes der Moderne begonnen hat, würde jede Aktivität in Sachen «Paradiso» von der Öffentlichkeit vermutlich umgehend zum Politikum hochgespielt werden. Die Verantwortung für die Erhaltung kann nicht allein in privater Hand bleiben. Als zu bewahrender Teil des Kulturerbes könnte der Bau einer – von deutschstämmiger und italienischer Seite subventionierten – Neunutzung als Hotel zugeführt werden und so erneut zum Symbolträger werden. Diesmal jedoch unter einem anderen Vorzeichen: dem der Versöhnung mit der Geschichte.
Die funktionelle Zweiteilung
Dem Hotel waren verschiedene Funktionen zugedacht: die des Luxushotels als urbanem Mikrokosmos mit infrastruktureller Rundumversorgung, aber auch die eines Sporthotels für Bergtouristen und Alpinisten. Ponti entwarf einen nach Westen hin gekrümmten, dynamisch wirkenden Längsbau. Das fünfgeschossige Gebäude wird von einem steilen Pultdach abgeschlossen. Die Fassadengestaltung ist von betonter Einfachheit. Der Hauptfront ist asymmetrisch eine Terrasse vorgelagert, die den konvexen Schwung des Baukörpers betont. Haupteingang und Stiegenhaus befinden sich auf der Nordseite. Schon an der Hauptfassade ist die funktionelle Zweiteilung des kurz «Paradiso» genannten Hotels ablesbar. Der Westteil war den länger verweilenden Hausgästen vorbehalten. Hier befindet sich die Terrasse; und die Zimmer in den darüberliegenden Stockwerken verfügen über Balkone. Im Ostteil waren die Gäste der unteren Kategorien untergebracht. Die Differenzierung zwischen den verschiedenen sozialen Zielgruppen meisterte Ponti bravourös. Er führte sie bis in die Ausstattungsdetails. So gestaltete er die Gesellschaftsräume im noblen Westflügel luxuriös aus, während er für den im Untergeschoss befindlichen Gemeinschaftsraum der Alpinisten Mobiliar entwarf, das sich stark an traditionell-rustikale Regionalformen anlehnte.
Ponti, dessen Werk sich in jenen Jahren in einer entscheidenden Wende von einer neoklassizistischen hin zu einer rationalistischeren Auffassung bewegte, bewies mit dem «Paradiso» seine Fähigkeit zum geistreichen Ausdruck von Individualität. Diese findet ihre Umsetzung in der spielerisch ausgeklügelten Farbwelt der Innenraumgestaltung. Farbige Streifen und geometrische Deckenmusterungen verwandelten die Gesellschaftsräume und Gästezimmer im Westflügel trotz standardisierten Einrichtungselementen in Unikate. In den einfacheren Räumen des Osttraktes erhielten die Zimmer einen homogenen Farbanstrich. Selbstverständlich waren Vorhänge und Bettbezüge auf die Farbgebung der Zimmer abgestimmt. Das Farbenspiel setzt sich in den Aufenthaltsräumen fort. Es bildete das Erkennungszeichen des Hotels. Selbst das Werbematerial und die Hotelpostkarten wurden von Ponti als kleine Farbkunstwerke gestaltet.
Ein Prototyp als Vorläufer
Der Vorläufer für das «Paradiso» findet sich in einem Projekt Pontis, das nie zur Ausführung gelangte. 1930 war der Mailänder Architekt vom italienischen Fremdenverkehrsministerium mit einem gigantischen Projekt zur Erschliessung der Dolomiten beauftragt worden. Schwebebahnen mit einer Streckenführung von über 160 Kilometern sollten die Dolomiten zwischen Bozen und Cortina für den Tourismus erschliessen. Ponti plante nach eigenen Worten die Errichtung der grössten und beeindruckendsten Seilbahnanlage der Welt sowie ein touristisches Unternehmen der Superlative. Die Planung der infrastrukturellen Einrichtungen mit sämtlichen Stationsgebäuden der Haupt- und Nebenlinien, Hotels und Restaurantbetrieben bildete dabei die Hauptaufgabe des Architekten. Für die Hotelbauten entwarf Ponti einen variablen Prototyp. Dem Entwurfskonzept dieses Prototyps lagen Überlegungen der beliebigen Erweiterbarkeit und Orientierung an Landschaft und Klima durch eine standardisierte Architektur zugrunde, die er in der Lösung eines nuovo schema darlegte.
Bei der Planung des «Paradiso» einige Jahre später griff Ponti auf diesen Prototyp zurück. Die Parallelen sind offensichtlich, wenngleich sich das Hotel vor allem durch seine Innenraumgestaltung von Standardisierung und Typisierung entfernt. Im «Paradiso» waren die Klassen eben nicht abgeschafft. So scheint der Hotelbau ein exemplarisches Beispiel für die Ausprägung der italienischen Moderne zu sein, die nicht an den sozialen Gedanken und an ein demokratisches Bewusstsein gebunden war, sondern eine Allianz mit der faschistischen Diktatur einging. Zudem stand hinter dem Projekt ein programmatisches Anliegen: In einem gleichsam symbolischen Akt erfolgte eine steingewordene Machtdemonstration der Italianità und des neuen Regimes, das die «edlen Söhne des italienischen Volkes» verherrlichte und das kulturelle Selbstbewusstsein des faschistischen Italien demonstrierte. Noch heute weckt der Bau bei den Einheimischen widersprüchliche Erinnerungen. In einem kolonialistischen Akt implantiert, galt es als monumentales Zeichen der Okkupation: Vor der Kulisse einer atemberaubenden Bergwelt inmitten einer deutsch geprägten bäuerlichen Kulturlandschaft wurde das städtische Lebensgefühl der Herrscher zelebriert.
Kurze Blütezeit
Das «Paradiso» erlebte nur eine kurze Blütezeit. Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde das Haus geschlossen. 1943 besetzten die deutsche Wehrmacht und die SS den Bau. Nach dem Krieg wurde der Hotelbetrieb kurz wieder aufgenommen, doch 1946 ging das Hotel endgültig in Konkurs. Anfang der fünfziger Jahre erwarb ein venezianischer Reeder das «Paradiso». Damals erhielt das einst hellgrüne Hotel seinen jetzigen Anstrich in Rosso veneziano. Der neue Besitzer liess einige Umbauten vornehmen, die jedoch nie zu einem Abschluss kamen. So wurde der Bau um zwei Geschosse aufgestockt und die Terrasse erweitert. Der seit 1955 leerstehende Bau wechselte in den späten sechziger Jahren erneut den Besitzer. Seither dämmert Pontis einziger Hotelbau in den Bergen dem Verfall entgegen.
Die Frage nach Erhaltung und Restaurierung wichtiger Baudenkmäler der Moderne stellt sich beim «Paradiso» besonders deutlich. Der historisch belastete Bau erhitzt noch immer die Gemüter. Obwohl Südtirol in den letzten Jahren mit der Aufarbeitung des architektonischen Erbes der Moderne begonnen hat, würde jede Aktivität in Sachen «Paradiso» von der Öffentlichkeit vermutlich umgehend zum Politikum hochgespielt werden. Die Verantwortung für die Erhaltung kann nicht allein in privater Hand bleiben. Als zu bewahrender Teil des Kulturerbes könnte der Bau einer – von deutschstämmiger und italienischer Seite subventionierten – Neunutzung als Hotel zugeführt werden und so erneut zum Symbolträger werden. Diesmal jedoch unter einem anderen Vorzeichen: dem der Versöhnung mit der Geschichte.
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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