Bauwerk
BG und BRG Wolkersdorf
Architektur Consult - Wolkersdorf im Weinviertel (A) - 2003
Mehr Licht geht nicht
Schüler wie Lehrer verlassen das Gymnasium Wolkersdorf von Domenig-Eisenköck-Peyker nach dem Unterricht nicht, wie sonst üblich, fluchtartig - kann man einem Schulgebäude ein besseres Zeugnis ausstellen? Eine Inspektion.
31. Januar 2004 - Liesbeth Waechter-Böhm
Ein Schulhaus auf der grünen Wiese - und das im echten Wortsinn. Denn die BIG als Bauherr des Bundes hat den Wolkersdorfern ein Gymnasium an den Ortsrand, sozusagen mitten in die unberührte Natur des Weinviertels gestellt. Es ist eine sehr, sehr große Schule. Und in architektonischer Hinsicht ist sie ausgesprochen spektakulär. Ein richtiges Aha-Erlebnis im unqualifizierten Neubau-Einheitsbrei, mit dem man in dieser Region ansonsten konfrontiert wird.
Am Anfang stand, wie bei der BIG üblich, die ja praktisch keine Direktaufträge vergibt, ein Wettbewerb, in diesem Fall ein Bewerbungsverfahren. Das war im Jahr 2000. Gewonnen hat dieses Verfahren das Grazer Büro „Architektur Consult“, das sind Günter Domenig, Hermann Eisenköck und Herfried Peyker. Und dass man von diesen Architekten etwas Besonderes bekommt, liegt ja auf der Hand. Bester Beweis: Bei meiner Hausbesichtigung hat jemand ganz nebenbei erwähnt, dass weder Schüler noch Lehrer bei „Arbeitsschluss“ das Gebäude, wie sonst üblich, fluchtartig verlassen. Sie bleiben ganz gern noch ein bisschen länger da. Ein besseres Zeugnis für die Aufenthaltsqualität im neuen Haus lässt sich kaum denken.
Der Entwurf nimmt strukturell ein typisches Merkmal der Bebauung im Weinviertel auf: Hier sind die Parzellen immer ziemlich schmal und tief, dem ist der Zuschnitt der Häuser angepasst. Auch die Schule ist nach diesem Grundmuster organisiert. Die Gebäudetrakte - Erdgeschoß, zwei Ober-geschoße - sind lang und schmal und nord-südgerichtet. Ein niedriger Bauteil - Zentralgarderobe, abgesenkte Doppelturnhalle - schiebt sich aus dem Gebäude heraus und bildet eine Art Hintergrundprospekt für den vorgelagerten Parkplatz und leitet zum Haupteingang weiter.
Der ist sehr deutlich artikuliert. Denn hier greift ein Gebäudeteil mit der großen Loge für den Schulwart bis zur Straße vor und definiert so den Vorplatz. Und oben drauf sitzt der überaus signifikante Glaskörper der Bibliothek, fast 20 Meter frei auskragend, ein weithin sichtbares Ruf- und Lockzeichen.
Da ist im Umgang mit den Baukörpern wirklich etwas gelungen. Denn die verschiedenen Funktionen - immerhin 20 Stammklassen, zahlreiche spezielle Unterrichtsräume, Verwaltung, Speisesaal, große Turnhalle, Bibliothek - sind zwar sehr kompakt organisiert, das Gebäude ist aber trotzdem wunderbar gegliedert. Dadurch spürt man die gewaltige Baukörpermasse nicht. Das hätte nämlich auch fatal ausgehen können: in Form von zwei riesigen Schachteln - eine für die Schule, eine für die Turnhalle -, die dann aber jeden Maßstab gesprengt hätten.
Das Maßstabargument hört sich möglicherweise merkwürdig an, weil das Haus vorläufig ja wirklich solitär auf der grünen Wiese steht. Aber daran wird sich in Zukunft viel ändern. Weil die Stadtgemeinde hier eine Entwicklungsmöglichkeit sieht. Die Schule steht praktisch an der Verlängerung der Wolkersdorfer Hauptstraße, gar nicht so weit vom Hauptplatz entfernt. Es hat eine gewisse Logik, wenn sich das langgestreckte „Straßendorf“ Wolkersdorf entlang dieser Achse entwickelt. - Innenräumlich hat das Haus jedenfalls etwas zu bieten: Man kommt in eine glasgedeckte, dreigeschoßige Eingangs- und Stiegenhalle hinein, die einladender nicht sein könnte. Die Stahl-konstruktion für das Glasdach ist allein schon ein sehenswertes Element, die Verglasung selbst trägt der Situation Rechnung: Verspiegelte Einschlüsse in der Glashaut sorgen dafür, dass von Süden kein direkter Sonneneinfall möglich ist, die Halle kann sich also nicht unkontrolliert aufheizen. Wenn man nach Norden schaut, sieht man nach wie vor den Himmel; schaut man aber nach Süden, dann verwandelt sich die Glasdecke in eine transluzente, immer noch lichtdurchlässige, aber nicht durchsichtige Haut. Auch Glas hat eben seine Farben. Und zusätzlich gibt es an den strategisch richtigen Stellen gläserne Lüftungsklappen, die sich automatisch öffnen und für Querdurchlüftung sorgen.
Was den Gesamteindruck des Innen-bereichs dominiert, ist die Armut an Farben und an Details. Und das ist wirklich angenehm. Weiß an den Wänden und Decken, ein silbriges Grau bei den Metallteilen wie Geländern (Lochblech) oder Installations-kanälen (jeweils mit integrierter Beleuchtung, dadurch hat man sich abgehängte
Decken erspart), ein sehr heller Boden aus Kunststein. Die Türen - ein wichtiges Element in einem Haus, wo es um Einzelräume geht, die von langen Korridoren erschlossen sind - setzen einen farbigen Akzent: Sie sind „oxydrot“, das ist eine Art von Ochsenblutfarbe, sehr wohltuend. Und in den Klassen ein Eichenholz-Fußboden, der für die Gesamtwirkung ebenfalls wirklich etwas bringt.
Das ist schon toll: In den Klassen gibt es natürlich eine vorgeschriebene Parapet-höhe: Aber darüber ziehen sich Fensterbänder durch, die alles derartig offen und lichtdurchflutet erscheinen lassen, dass man sich nicht mehr wundert, wenn die Lehrer und Schüler nach dem Unterricht nicht sofort das Weite suchen. Es ist zwar die falsche Jahreszeit dafür, aber es gibt hier auch ein Freiflächen-Angebot, das seinesgleichen sucht.
Natürlich ist es vor allem architektonische Selbstverwirklichung, die Domenigs Entwurf bestimmt. Es sind seine Überlegungen zur Situation und den Anforderungen, die dem Gebäude den Stempel aufdrücken. Er hat alles transformiert in eine Bauplastik, die wirklich etwas leistet. Zum Beispiel die Turnhalle, die hätte er ja auch einfach neben die Schule hinstellen können. Er hat sie aber ins Gelände integriert, eingegraben - das ist schon allein deswegen sinnvoll, weil bis zur Höhe der notwendigen Prellwände ohnehin alles dicht sein muss - und durch eine benutzbare Abtreppung Richtung Freisportanlagen für einen architektonischen Mehrwert gesorgt.
Was dieses Gebäude so interessant macht, das ist die Umsetzung, die Trans-formierung eines baukünstlerischen Anspruchs in ganz gewöhnliche und pragmatische Verhältnisse. Schließlich geht es „nur“ um eine Schule. Aber die ist besser geworden als alles, was man sich gemeinhin unter diesem Titel erwartet. Und es ist wundervoll, dass die Menschen in der Umgebung, dass die Bevölkerung das auch erkennt. Der Schuldirektor sagt, die Akzeptanz der Architektur bei den Leuten, die dort wohnen, ist ungeheuer. Ich frage mich nur: Wenn es so ist, warum ist dann die Architektur im Weinviertel ansonsten so schlecht?
Am Anfang stand, wie bei der BIG üblich, die ja praktisch keine Direktaufträge vergibt, ein Wettbewerb, in diesem Fall ein Bewerbungsverfahren. Das war im Jahr 2000. Gewonnen hat dieses Verfahren das Grazer Büro „Architektur Consult“, das sind Günter Domenig, Hermann Eisenköck und Herfried Peyker. Und dass man von diesen Architekten etwas Besonderes bekommt, liegt ja auf der Hand. Bester Beweis: Bei meiner Hausbesichtigung hat jemand ganz nebenbei erwähnt, dass weder Schüler noch Lehrer bei „Arbeitsschluss“ das Gebäude, wie sonst üblich, fluchtartig verlassen. Sie bleiben ganz gern noch ein bisschen länger da. Ein besseres Zeugnis für die Aufenthaltsqualität im neuen Haus lässt sich kaum denken.
Der Entwurf nimmt strukturell ein typisches Merkmal der Bebauung im Weinviertel auf: Hier sind die Parzellen immer ziemlich schmal und tief, dem ist der Zuschnitt der Häuser angepasst. Auch die Schule ist nach diesem Grundmuster organisiert. Die Gebäudetrakte - Erdgeschoß, zwei Ober-geschoße - sind lang und schmal und nord-südgerichtet. Ein niedriger Bauteil - Zentralgarderobe, abgesenkte Doppelturnhalle - schiebt sich aus dem Gebäude heraus und bildet eine Art Hintergrundprospekt für den vorgelagerten Parkplatz und leitet zum Haupteingang weiter.
Der ist sehr deutlich artikuliert. Denn hier greift ein Gebäudeteil mit der großen Loge für den Schulwart bis zur Straße vor und definiert so den Vorplatz. Und oben drauf sitzt der überaus signifikante Glaskörper der Bibliothek, fast 20 Meter frei auskragend, ein weithin sichtbares Ruf- und Lockzeichen.
Da ist im Umgang mit den Baukörpern wirklich etwas gelungen. Denn die verschiedenen Funktionen - immerhin 20 Stammklassen, zahlreiche spezielle Unterrichtsräume, Verwaltung, Speisesaal, große Turnhalle, Bibliothek - sind zwar sehr kompakt organisiert, das Gebäude ist aber trotzdem wunderbar gegliedert. Dadurch spürt man die gewaltige Baukörpermasse nicht. Das hätte nämlich auch fatal ausgehen können: in Form von zwei riesigen Schachteln - eine für die Schule, eine für die Turnhalle -, die dann aber jeden Maßstab gesprengt hätten.
Das Maßstabargument hört sich möglicherweise merkwürdig an, weil das Haus vorläufig ja wirklich solitär auf der grünen Wiese steht. Aber daran wird sich in Zukunft viel ändern. Weil die Stadtgemeinde hier eine Entwicklungsmöglichkeit sieht. Die Schule steht praktisch an der Verlängerung der Wolkersdorfer Hauptstraße, gar nicht so weit vom Hauptplatz entfernt. Es hat eine gewisse Logik, wenn sich das langgestreckte „Straßendorf“ Wolkersdorf entlang dieser Achse entwickelt. - Innenräumlich hat das Haus jedenfalls etwas zu bieten: Man kommt in eine glasgedeckte, dreigeschoßige Eingangs- und Stiegenhalle hinein, die einladender nicht sein könnte. Die Stahl-konstruktion für das Glasdach ist allein schon ein sehenswertes Element, die Verglasung selbst trägt der Situation Rechnung: Verspiegelte Einschlüsse in der Glashaut sorgen dafür, dass von Süden kein direkter Sonneneinfall möglich ist, die Halle kann sich also nicht unkontrolliert aufheizen. Wenn man nach Norden schaut, sieht man nach wie vor den Himmel; schaut man aber nach Süden, dann verwandelt sich die Glasdecke in eine transluzente, immer noch lichtdurchlässige, aber nicht durchsichtige Haut. Auch Glas hat eben seine Farben. Und zusätzlich gibt es an den strategisch richtigen Stellen gläserne Lüftungsklappen, die sich automatisch öffnen und für Querdurchlüftung sorgen.
Was den Gesamteindruck des Innen-bereichs dominiert, ist die Armut an Farben und an Details. Und das ist wirklich angenehm. Weiß an den Wänden und Decken, ein silbriges Grau bei den Metallteilen wie Geländern (Lochblech) oder Installations-kanälen (jeweils mit integrierter Beleuchtung, dadurch hat man sich abgehängte
Decken erspart), ein sehr heller Boden aus Kunststein. Die Türen - ein wichtiges Element in einem Haus, wo es um Einzelräume geht, die von langen Korridoren erschlossen sind - setzen einen farbigen Akzent: Sie sind „oxydrot“, das ist eine Art von Ochsenblutfarbe, sehr wohltuend. Und in den Klassen ein Eichenholz-Fußboden, der für die Gesamtwirkung ebenfalls wirklich etwas bringt.
Das ist schon toll: In den Klassen gibt es natürlich eine vorgeschriebene Parapet-höhe: Aber darüber ziehen sich Fensterbänder durch, die alles derartig offen und lichtdurchflutet erscheinen lassen, dass man sich nicht mehr wundert, wenn die Lehrer und Schüler nach dem Unterricht nicht sofort das Weite suchen. Es ist zwar die falsche Jahreszeit dafür, aber es gibt hier auch ein Freiflächen-Angebot, das seinesgleichen sucht.
Natürlich ist es vor allem architektonische Selbstverwirklichung, die Domenigs Entwurf bestimmt. Es sind seine Überlegungen zur Situation und den Anforderungen, die dem Gebäude den Stempel aufdrücken. Er hat alles transformiert in eine Bauplastik, die wirklich etwas leistet. Zum Beispiel die Turnhalle, die hätte er ja auch einfach neben die Schule hinstellen können. Er hat sie aber ins Gelände integriert, eingegraben - das ist schon allein deswegen sinnvoll, weil bis zur Höhe der notwendigen Prellwände ohnehin alles dicht sein muss - und durch eine benutzbare Abtreppung Richtung Freisportanlagen für einen architektonischen Mehrwert gesorgt.
Was dieses Gebäude so interessant macht, das ist die Umsetzung, die Trans-formierung eines baukünstlerischen Anspruchs in ganz gewöhnliche und pragmatische Verhältnisse. Schließlich geht es „nur“ um eine Schule. Aber die ist besser geworden als alles, was man sich gemeinhin unter diesem Titel erwartet. Und es ist wundervoll, dass die Menschen in der Umgebung, dass die Bevölkerung das auch erkennt. Der Schuldirektor sagt, die Akzeptanz der Architektur bei den Leuten, die dort wohnen, ist ungeheuer. Ich frage mich nur: Wenn es so ist, warum ist dann die Architektur im Weinviertel ansonsten so schlecht?
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