Bauwerk

Ricola Marketinggebäude
Herzog & de Meuron - Laufen (CH) - 1998
Ricola Marketinggebäude, Foto: Margherita Spiluttini
Ricola Marketinggebäude, Foto: Margherita Spiluttini

Die neue Anmut

Ein Glaspavillon von Herzog & de Meuron in Laufen

7. Mai 1999 - Roman Hollenstein
Fast täglich sorgen Herzog & de Meuron zurzeit für Schlagzeilen: So konnten jüngst in Basel, Duisburg und Eberswalde bedeutende Neubauten eingeweiht werden. Andere Projekte - etwa die neue Tate Gallery in London - gehen zügig ihrer Vollendung entgegen. Gleichzeitig hört man von neuen Prestigeaufträgen wie jenem des De Young Museum in San Francisco. Bei soviel Turbulenz könnte das soeben eröffnete Marketinggebäude von Ricola in Laufen als vermeintlich kleine Nebensache leicht übersehen werden. Dabei markiert diese Miniatur einen Wendepunkt im Werk der Basler. Der zwischen Glashaus und Gartenpavillon oszillierende Bau hat in seiner Transparenz und seinem diskreten Fünfzigerjahre- Charme nämlich nichts mehr gemein mit den kargen Kisten, mit denen Herzog & de Meuron ein vorläufig letztes Mal Anfang April in Eberswalde Publikum und Fachwelt irritierte.

Das über einem trichterförmigen Grundriss errichtete Bauwerk mit dem auskragenden Efeudach ist das bis anhin anmutigste Gebäude von Herzog & de Meuron, finden in ihm doch Architektur, Natur und Kunst zu einer Einheit. Darüber hinaus ist es der erste Bau der Basler Architekten, der im Grunde nur aus Raum besteht. Jacques Herzog betont denn auch, dass sie hier vor allem «der Aussenraum, der Zwischenraum sowie die Art, wie der Raum das Haus durchdringt», interessierte. Das Gebäude mit den charakteristischen Einknickungen an Seiten, das sich in seiner Durchsichtigkeit ganz auf den von Günter Vogt gestalteten Garten und den dahinter ansteigenden Hang bezieht, hat keine definitive Form, kein sofort erkennbares Volumen. Die fast durchgängige Verglasung - nur zum Parkplatz hin sind einige mit grünen Tarnnetzen bespannte Mauerflächen auszumachen - lässt aber den Aussenraum eindringen und macht aus diesem Haus eine Art objet cache-toi.

Die breite Freitreppe, die sich für Veranstaltungen in eine theaterartige Sitzfläche umfunktionieren lässt, ist das Herzstück der promenade architecturale. Sie führt vom offenen, mit Photoporträts von Thomas Ruff geschmückten Repräsentationsraum im Erdgeschoss hinauf in die Büroetage. Glas dominiert auch dort. Es bestimmt die Beziehung zwischen den Grossraum- und Einzelbüros und der Aussenwelt. Dank riesigen Fensterflächen, die individuell aufgeschoben werden können, lässt sich die Bürolandschaft gleichsam in eine Gartenveranda verwandeln. Der Fluss des architektonisch bewusst nicht definitiv gefassten Raums wird allerdings durch die von Adrian Schiess und Rosemarie Trockel entworfenen Vorhänge gebremst. Damit wird ihre Kunst zum integralen Bestandteil der Architektur.

Dieses dritte Haus, das Herzog & de Meuron für die Kräuterbonbon-Firma Ricola gebaut hat, deutet den Abschied von der Kiste an; es weist mit seinem fliessenden Raum und dem Hang zur Entmaterialisierung aber auch voraus auf die Kramlich-Residenz in Kalifornien (die, obwohl erst projektiert, im Sommer in der MoMA-Architekturausstellung «The Unprivate House» einen wichtigen Platz einnehmen wird) und auf den Londoner Entwurf des Laban Dance Centre. Damit darf es als ebenso exemplarisches Scharniergebäude im Werk von Herzog & de Meuron bezeichnet werden wie die Ricola-Lagerhalle in Laufen, bei der sie einst über den «Bezug von Hülle und Inhalt» nachdachten und Themen wie Tragen, Lasten, tektonischer Aufbau, Schichtung und Einfachheit untersuchten. Beim 1992 fertiggestellten Ricola-Produktionshaus in Mülhausen mit seiner photographisch bedruckten Aussenhaut interessierte sie dann die «Reduzierung der Fassadenoberfläche zum Bild». Waren damals von Karl Blossfeldt photographierte Pflanzenblätter extrem vergrössert auf die Aussenhaut aufgedruckt worden, so bilden nun die vom Dach hängenden Wein- und Efeuranken und der Garten die äusserste Hülle des Gebäudes und werden so Teil einer Architektur, die - ganz anders als der «tätowierte» Betonkubus der Bibliothek von Eberswalde - die Erde nur mehr leicht zu berühren scheint.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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