Bauwerk

Science Center Phæno
Zaha Hadid Architects, Mayer Bährle - Wolfsburg (D) - 2005
Science Center Phæno, Foto: Klemens Ortmeyer

Auto-Stadt

Branding reichert Produkte mit immateriellen Werten an. Aber auch Städte profitieren von solchen symbolischen Zuweisungen und dem durch sie geprägten Image. Wie Marke und Stadt mittels Architektur in eine Wechselbeziehung treten, zeigen das Phaeno von Zaha Hadid
in Wolfsburg und das Mercedes-Benz-Museum von UN Studio in Stuttgart.

19. Mai 2006 - Christian Holl
Unter der Erosion ihrer wirtschaftlichen Basis, der Einheit von Bürgerschaft, Wohn- und Arbeitsort, beginnen Städte, wie Unternehmen zu agieren. Ortsansässige Firmen werden zu Kunden, wirtschaftliche Interessen werden mit grösserem Gewicht gegen das öffentliche Gemeinwohl abgewogen, mittels Klientelpolitik wird versucht, Unternehmen und zahlungskräftige Bewohner anzulocken. Das Image der Stadt wird zu einem Thema der Politik, Marketing ein wichtiges Handlungsfeld.

Es mag derartige Strategien und politische Programmierungen schon immer gegeben haben, doch bekommen die Strategien des Branding der Stadt innerhalb globaler Konkurrenz eine andere Dimension. Zudem verwischen sich die Grenzen zwischen den Sphären des Kommerzes und der Kultur. Factory Outlets, Vergnügungsparks, Shopping Malls einerseits – Fussgängerzonen, historische Rekonstruktionen, von kommerziellen Angeboten durchdrungene Museen andererseits: Bild und Kulisse, kommerzielle Stimulanz und kulturelle Bedeutungsebenen vermischen sich.

Es ist kein Wunder, dass davon die Wechselbeziehung zwischen Stadt und dem sie vielleicht am meisten prägenden Konsumgut, dem Automobil, nicht unberührt bleibt. Exemplarisch illustrieren dies die beiden jüngsten «automobilen» Architekturen: das Phaeno von Zaha Hadid in Wolfsburg und das Mercedes-Benz-Museum von UN Studio in Stuttgart.

Wolfsburg: Rampen, schräge Wände, Krater

Dabei ist das erste Projekt im direkten Sinne nicht einmal ein Gebäude für oder im Dienste des Automobils. Das Phaeno in Wolfsburg von Zaha Hadid, die sich im Wettbewerb unter 23 geladenen Architekten durchgesetzt hat, ist ein «Science Center», ein Wissenschaftsmuseum, das physikalische Phänomene in interaktiven Versuchsanordnungen erfahrbar macht. Es ist denn auch architektonisch eine Experimentierlandschaft, eine offene und dynamische Raumkonzeption aus Rampen, schrägen Wänden, Kratern, weichen Formen, fliessenden Linien, im Innern wie im Äusseren: Das aufgeständerte Bauwerk (aufgeständert auf jenen Kegelstümpfen, die im Innern als Krater die Raumfigur dramatisieren) ist auch in seinem Aussenraum zwischen Stadt und Gebäude als Kontinuum gedacht und aus der Überlagerung von Bewegungsrichtungen, Blickachsen und der Topografie entwickelt worden. Unter dem Haus entsteht zwischen den rauen Betonoberflächen ein besonders gestalteter, öffentlicher Raum. Hier, direkt am Bahnhof, ist das Phaeno als eine urbane Drehscheibe gedacht, in der zwei Stränge zusammenlaufen. Der eine ist die von Süden über den Mittellandkanal geführte Brücke. Sie verbindet das Phaeno mit der «Autostadt», einem Veranstaltungspark mit Ausstellungspavillons für die Marken des VW-Konzerns und einem speziellen Serviceangebot für die Kunden, die sich hier, in direkter Nachbarschaft zum Werk, ihren Neuwagen selbst abholen. Zur andern Seite hin führt eine zentrale Achse in die Stadt Wolfsburg hinein. Der Raum unter dem Phaeno ist dezidiert unhierarchisch konzipiert, der Haupteingang ist nur wenig gegenüber anderen, fast gleichwertigen Eingängen hervorgehoben. In den Kegelstümpfen finden sich die öffentlichen Funktionen, die diesen Raum beleben sollen: Restaurant, Bistro, Laden, Kiosk.

Das baukünstlerische Meisterwerk ist kein Geschenk der Stadt an ihre Bürger, sondern Ausdruck und Zuspitzung ihres Bemühens, sich von der Abhängigkeit des Autokonzerns, dem sie ihre Gründung von 1937 verdankt, zu lösen und als «Wissenschaftsstadt» ein neues Profil aufzubauen. Da passt es, dass das Phaeno das bislang grösste in selbstverdichtendem Beton errichtete Gebäude ist und ein spektakuläres, etwas aufdringliches Dachtragwerk aufweist, fächerförmig aus Rauten verschiedener Grösse dreidimensional aufgebaut, das die 6000 m² Ausstellungsfläche frei überspannt. Diese bautechnische Innovation ist die Entsprechung der demonstrativen Zukunftsorientierung der Gebäudefunktion. Tourismus, Event, Standortmarketing – dahin zielt letztlich das Kalkül der Stadt, die dafür 79 Mio. Euro investiert hat. Allerdings ist diese Emanzipation eine im gegenseitigen Einvernehmen, denn der Autokonzern arbeitet daran selbst mit: nach der «Autostadt» unter anderem mit einer eigenen Hochschule, dem MobilLifeCampus», die 2006 öffnet.

Nicht zum ersten Mal sucht der Konzern aus einem Wechselspiel von Stadt und Fabrik Profit zu ziehen. In Dresden hat man mit der «Gläsernen Manufaktur» von Henn Architekten die Produktion als musealen Akt inszeniert – und gleichzeitig das museale Potenzial der Stadt vereinnahmt: Besuchern werden Besichtigungen der kulturellen Sehenswürdigkeiten Dresdens gleich mit angeboten. Die Stadt wird zu einem ausgelagerten Exponat im als Museum inszenierten Montagewerk.

Stuttgart: Doppelhelix, Mythos und Geschichte

Etwas anders stellt sich die Sache in Stuttgart dar. Hier entstand «echte» Autoarchitektur. Das neue Firmenmuseum von Mercedes-Benz vor den Werkstoren liegt nicht im Stadtzentrum, nicht an einem Ort, an dem man die Architektur in den Dienst einer stadträumlichen Aufwertung normalerweise stellen wollte. Und doch formuliert das Museum gerade von hier aus diesen Anspruch: Zwischen aufgeständerter Bundesstrasse, Stadion, Veranstaltungshallen, Festplatz und Industrie gelegen, ist der Neubau schon jetzt Wahrzeichen und wird bereits in einem Atemzug mit der Stuttgarter Neuen Staatsgalerie genannt, das heisst als ein Gebäude, das Architekturgeschichte schreiben wird. Im städtebaulichen Zusammenhang sprechen Ben van Berkel und Caroline Bos von einem Leitton, der die zukünftige Entwicklung dirigieren könnte – noch im Museum verkörpert sich das Auto als Schrittmacher der Zukunft.

Die allgemeine Begeisterung wird im Zentrum des Hauses verständlich. Dort erwartet den Besucher ein fast bis unter das Dach reichender Raum von überwältigender Perspektive. Die beeindruckende Konstruktion aus Sichtbeton mit gekrümmten und geneigten Ebenen verdichtet sich zu einem intensiven Raumerlebnis. Auch hier wurde ein konstruktives Experiment gewagt und der Anspruch der technologischen Avantgarde mit dem der kulturellen verknüpft. Um die dem Entwurf zugrunde liegende Raumfigur der gegeneinander versetzten schraubenförmigen Raumfolgen in dieser Grösse zu realisieren, wurden grosse, gedrehte Hohlkastenträger ausgebildet, so genannte Twists, die in einer aus dem Brückenbau übernommenen Konstruktion an die Treppenkerne angeschlossen sind. Den grossen Aufwand für diese aussergewöhnliche Raumkonzeption illustriert am besten die Tatsache, dass ein Twist als Prototyp im Massstab 1:1 angefertigt werden musste.
Das räumliche Prinzip der Doppelhelix transformiert raffiniert die bereits vor dem Architekturwettbewerb formulierte Ausstellungskonzeption. Zwei Routen bieten dem Besucher zwei Optionen: Er kann den Weg durch die fünf Räume der «Collectionen» wählen, oder er hat die Möglichkeit, durch die chronologisch geordneten sieben Räume der Spirale zu gehen, die unter dem Begriff des «Mythos» stehen. Die Wahl ist aber nie endgültig. Immer wieder hat der Besucher die Möglichkeit, von der einen Route in die andere zu wechseln.

Im Gegensatz zu den Mythen sind die «Collectionen» nicht chronologisch geordnet, sondern fassen die Exponate thematisch (etwa unter «Helfer», «Lasten» oder «Reisen») zusammen. Diese Räume erfüllen eher die Aufgabe des Archivs, der Präsentation von gefüllten Schatzkammern.

Aufwändiger sind die Mythen inszeniert. Auf Podesten im Zentrum der Räume stehen die ausgewählten Exponate, die man, auf einer Rampe abwärts schreitend, umkreist, bevor man an sie herantreten kann. Sie sind durch die Ausstellungsgestaltung als Ausdruck ihrer Zeit interpretiert, werden aber auch als Objekte verstanden, die die Zeit geprägt haben – erst aus dieser Wechselbeziehung erwächst ja der Mythos. Eine «illustrierte Chronik» entlang der Wände greift die wichtigsten Ereignisse der Zeitgeschichte auf. Eine besondere Variante der Inszenierung der Marke: Indem die Geschichte des Automobils in der allgemeinen Historiografie verortet wird, erfüllt das Museum den pädagogischen Anspruch, Geschichte zu vermitteln – und Mercedes-Benz ist dabei deren selbstverständlicher Teil.
In den Mythosräumen wird der Blick nach aussen verwehrt, doch stellt sich über das offene Atrium die Verbindung der Räume untereinander her. Die Welt der exponierten und inszenierten Mythen ist die der Imagination, die durch den Alltag draussen nur gestört würde. Umgekehrt ist es in den Räumen der «Collectionen», hier ist der Blick nach aussen möglich, unter anderem auf die sechsspurige Bundesstrasse. Die Verortung in der Gegenwart macht die Geschichte, das Archiv zur Voraussetzung für die neue Entwicklung: Die alten «Helfer» stehen im Museum, die neuen sind im Einsatz. Die Strasse, die Stadt, zuvor der eigentliche und natürliche Ausstellungsort des Automobils, wird nun als Exponat ins Museum geholt.

Die Figur der Doppelhelix ist bei alldem mehr als ein besonderer Kniff, Kontinuität erfahrbar zu illustrieren, ist mehr als Raumfigur, die die Bewegung um die zur Ruhe gekommenen Exponate erzeugt. Sie ist Bild für die Fortsetzung dessen, was sich hier präsentiert. Die Helix ist eine prinzipiell weiterzudenkende Figur, ihr Anfang und ihr Ende sind willkürlich. Die erfolgreiche Geschichte der Marke, so die Botschaft, wird sich fortsetzen.

Fortsetzen wird sich auch die Verzahnung zwischen Kultur und Kommerz – gerade mit dem Automobil als seinem Hauptakteur. In München steht die «BMW Welt» von Coop Himmelb(l)au kurz vor der Fertigstellung, und auch in Stuttgart ist das nächste Automuseum bereits in Planung: 2007 soll das Porsche-Museum nach Plänen von Delugan Meissl eröffnet werden.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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