Bauwerk
Kepler-Gymnasium/Sepp-Glaser-Sporthalle
Ernst Spycher - Freiburg im Breisgau (D) - 1997
Eine Seh-Schule
Schulhausneubau von Ernst Spycher in Freiburg i. Br.
6. Februar 1998 - Werner Jacob
Die zwischen Schwarzwald und Rhein gelegene Stadt Freiburg i. Br. setzt seit den achtziger Jahren auf Expansion. Für den prognostizierten Bevölkerungszuwachs reichten die vorhandenen Verdichtungsräume in aufgelassenen Militär- und Gewerbezonen nicht aus. Also projektierte man einen neuen Stadtteil: Auf dem einstigen „Rieselfeld“, mit 78 Hektaren eines der grössten Neustadtprojekte Deutschlands seit den siebziger Jahren, sollen bis zum Jahr 2005 etwa 3000 Wohnungen entstehen. Entsprechend derzeit gültigen Erkenntnissen der Urbanistik sollen die 12 000 bis 15 000 Einwohner hier in einer weitgehend autarken Stadt leben. So werden auf dem einem grossen Gewerbegebiet benachbarten Rieselfeld noch einmal 1000 Arbeitsplätze geschaffen: in Gewerbe, Einzelhandel, Kultur und Bildung.
Mit dem jüngst eingeweihten Kepler-Gymnasium des Basler Architekten Ernst Spycher erhielt das Neubauviertel auch eine eigene Mittelschule, die bereits vor der Vollendung heftigen umstritten war. Menschenverachtend sei der Neubau, ein „martialisches Monster“. Selbst mit dem Faschismusvorwurf hielt man nicht zurück. Vielleicht ist es die lapidare Gelassenheit, die zum Widerspruch herausfordert. Gross, grün, grau und gerade hebt sich das Schulhaus aus seiner Umgebung. Im rechten Winkel umgrenzen das eigentliche Lehrgebäude und die über eine Umfassungsmauer angebundene Sporthalle einen vom angrenzenden Wohngebiet separierten Pausenhof. Beinahe 90 Meter lang ist die Schaufront, vier Etagen hoch, flach gedeckt und gekleidet in ein bald sumpfgrün schimmerndes, bald echsengrau spröde wirkendes Klinkergewand. - Senkrechte, Gerade, rechter Winkel, Diagonale sind Spychers Alphabet. Gleichförmig aneinandergereiht, blicken die hohen Fensteröffnungen aus der Lochfassade. Diese wird von einem leicht vorspringenden Dachgesims gefasst.
Der virtuosen Modulation entspricht das souveräne Arrangement der Grossform. Die Masse des Unterrichtstrakts organisiert und dynamisiert Spycher in einem mäandernden Gebäudefluss. U-förmig umschliesst dieser im Westen eine Art Cour d'honneur. Darüber schwebt ein rhombisch perforiertes Flugdach. Es beschattet das Entrée. Dieses führt in ein offenes Foyer, das Aula und zentrales Stiegenhaus in einem ist. Als wären sie Kulissen zu M. C. Eschers Vexierräumen, erschliessen zwei labyrinthische Treppenläufe die in jeder Etage ringsumlaufenden Galerien. Eine fixe Folie verschleiert das opake Glas der flachen Laterne, die den gesamten Hallenraum überfängt. Die Folge ist an trüben Tagen Tristesse im Treppenhaus. Gerade hier, wo Sichtbeton sein graues Regiment führt, könnte mehr Helligkeit die sorgfältig verarbeiteten, von Spycher favorisierten „gewöhnlichen Materialien“ in ihrer verhaltenen Farbigkeit, ihrem Charme der Einfachheit in ein günstigeres Licht setzen. Die einfachen Stahlprofile der verglasten Laubengänge, die naturbelassenen Holzfenster und Wandpaneele, die „anständig nüchternen“ Werksteingewände sind Insignien eines kostengünstigen, rationellen Bauens, das industrielle Vorprodukte nutzt und dabei gleichwohl ästhetisch anspruchsvolle Lösungen hervorbringt.
Spychers Gymnasium setzt ein Zeichen: Klar und übersichtlich, analog der Sachlogik des Schulbetriebs, ist der Raumplan organisiert. Ausgeführt in einer Sprache des „Elementaren“, wie sie Mies van der Rohe bereits 1924 postulierte: „Baukunst ist zusammengefasster Zeitwille. Gestaltet die Form aus dem Wesen der Aufgabe mit den Mitteln unserer Zeit.“ Die Schönheit des Rationalen freilich scheint sich dem Clin d'oeil zu verschliessen. Doch wirkt die Spychersche Lehranstalt seit dem herbstlichen Unterrichtsbeginn nachgerade als Seh-Schule zur Einübung in architektonisches Schauen: Die hohen Wogen der Verstörung jedenfalls, ausgelöst vom aufgeregten Suchen nach Vertrautem, werden allmählich geglättet durch die stille Qualität.
Mit dem jüngst eingeweihten Kepler-Gymnasium des Basler Architekten Ernst Spycher erhielt das Neubauviertel auch eine eigene Mittelschule, die bereits vor der Vollendung heftigen umstritten war. Menschenverachtend sei der Neubau, ein „martialisches Monster“. Selbst mit dem Faschismusvorwurf hielt man nicht zurück. Vielleicht ist es die lapidare Gelassenheit, die zum Widerspruch herausfordert. Gross, grün, grau und gerade hebt sich das Schulhaus aus seiner Umgebung. Im rechten Winkel umgrenzen das eigentliche Lehrgebäude und die über eine Umfassungsmauer angebundene Sporthalle einen vom angrenzenden Wohngebiet separierten Pausenhof. Beinahe 90 Meter lang ist die Schaufront, vier Etagen hoch, flach gedeckt und gekleidet in ein bald sumpfgrün schimmerndes, bald echsengrau spröde wirkendes Klinkergewand. - Senkrechte, Gerade, rechter Winkel, Diagonale sind Spychers Alphabet. Gleichförmig aneinandergereiht, blicken die hohen Fensteröffnungen aus der Lochfassade. Diese wird von einem leicht vorspringenden Dachgesims gefasst.
Der virtuosen Modulation entspricht das souveräne Arrangement der Grossform. Die Masse des Unterrichtstrakts organisiert und dynamisiert Spycher in einem mäandernden Gebäudefluss. U-förmig umschliesst dieser im Westen eine Art Cour d'honneur. Darüber schwebt ein rhombisch perforiertes Flugdach. Es beschattet das Entrée. Dieses führt in ein offenes Foyer, das Aula und zentrales Stiegenhaus in einem ist. Als wären sie Kulissen zu M. C. Eschers Vexierräumen, erschliessen zwei labyrinthische Treppenläufe die in jeder Etage ringsumlaufenden Galerien. Eine fixe Folie verschleiert das opake Glas der flachen Laterne, die den gesamten Hallenraum überfängt. Die Folge ist an trüben Tagen Tristesse im Treppenhaus. Gerade hier, wo Sichtbeton sein graues Regiment führt, könnte mehr Helligkeit die sorgfältig verarbeiteten, von Spycher favorisierten „gewöhnlichen Materialien“ in ihrer verhaltenen Farbigkeit, ihrem Charme der Einfachheit in ein günstigeres Licht setzen. Die einfachen Stahlprofile der verglasten Laubengänge, die naturbelassenen Holzfenster und Wandpaneele, die „anständig nüchternen“ Werksteingewände sind Insignien eines kostengünstigen, rationellen Bauens, das industrielle Vorprodukte nutzt und dabei gleichwohl ästhetisch anspruchsvolle Lösungen hervorbringt.
Spychers Gymnasium setzt ein Zeichen: Klar und übersichtlich, analog der Sachlogik des Schulbetriebs, ist der Raumplan organisiert. Ausgeführt in einer Sprache des „Elementaren“, wie sie Mies van der Rohe bereits 1924 postulierte: „Baukunst ist zusammengefasster Zeitwille. Gestaltet die Form aus dem Wesen der Aufgabe mit den Mitteln unserer Zeit.“ Die Schönheit des Rationalen freilich scheint sich dem Clin d'oeil zu verschliessen. Doch wirkt die Spychersche Lehranstalt seit dem herbstlichen Unterrichtsbeginn nachgerade als Seh-Schule zur Einübung in architektonisches Schauen: Die hohen Wogen der Verstörung jedenfalls, ausgelöst vom aufgeregten Suchen nach Vertrautem, werden allmählich geglättet durch die stille Qualität.
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroom