Bauwerk

Literaturhaus Frankfurt
Mäckler Architekten - Frankfurt / Main (D) - 2005
Literaturhaus Frankfurt, Foto: Barbara Staubach / ARTUR IMAGES
Literaturhaus Frankfurt, Foto: Barbara Staubach / ARTUR IMAGES

Der Porzellanpalast am Mainufer

Frankfurt hat seit dem letzten Herbst ein neues Literaturhaus

Im vergangenen Oktober ist das Frankfurter Literaturhaus aus der schmucken Patriziervilla im Westend in die wiederaufgebaute Alte Stadtbibliothek am Mainufer umgezogen. Während sich der neue Standort bewährt, müssen an dem prachtvollen Haus noch Mängel in der Akustik behoben werden.

25. Januar 2006 - Roman Bucheli
Manchmal fügt sich auf wundersame Weise eins zum anderen. Da residierte - einerseits - an der Bockenheimer Landstrasse, mitten in Frankfurts Westend, seit 14 Jahren das Literaturhaus in einer Gründerzeitvilla. Diese war zwar hübsch anzuschauen, auch wenn sie zwischen all den neueren und höheren Bauten gedrungener wirkt, als sie ist. Bei mehr als hundert Besuchern indessen geriet das Haus schnell an seine Belastungsgrenzen, während die Luft schon bei geringerer Belegung dick wurde und die Akustik ohnehin fast alle Wünsche offen liess. Ausserdem bezahlte man eine exorbitante Jahresmiete.

Rekonstruktion

Da standen - anderseits - am Mainufer im Ostend die Überreste der in den Bombenangriffen zwischen Dezember 1943 und März 1944 fast vollständig zerstörten Alten Stadtbibliothek: ein Säulenportikus, der gerade noch die einstige Pracht dieses 1820 nach den Plänen des Frankfurter Stadtbaumeisters Johann Friedrich Hess erbauten klassizistischen Juwels erahnen liess. Lange hatte man in Frankfurt darüber gestritten, was mit der Ruine geschehen soll: ob sie als Mahnmal erhalten oder wiederaufgebaut werden soll. Schliesslich entschied sich die Stadt 2000 für den Wiederaufbau und fand in der Hertie-Stiftung eine Gönnerin, die den grösseren Teil der Kosten zu übernehmen bereit war. Unter der Bedingung indessen, dass die Stadt das Haus einer kulturellen Institution zur Verfügung stelle.

Und so kam also eins zum andern, die Alte Stadtbibliothek wurde wiederaufgebaut, und die Literatur erhielt ein neues altes Haus. Indessen konnte sich der Frankfurter Architekt Christoph Mäckler bei dem Wiederaufbau lediglich auf historische Fotografien und Grundrisse stützen. Immerhin wurden neben der Fassade auch das Vestibül, das Treppenhaus sowie der (erst 1891 eingebaute) Lesesaal im Obergeschoss im originalen Zustand rekonstruiert. Im Übrigen richtete man sich beim Innenausbau nach den Bedürfnissen des Literaturhauses.

Durch den wuchtigen, schon von weitem in strahlendem Weiss über den Main leuchtenden Säulenportikus betritt man das Literaturhaus. Links vom mit Säulen bestandenen Vestibül befindet sich der grosse, etwa 200 Besucher fassende Lesesaal, rechts das Restaurant. Ein breiter Treppenaufgang mit himmelblauer Decke führt ins Obergeschoss, wo sich neben Büroräumen und kleineren Sälen das rund 120 Personen fassende Lesekabinett mit Galerie befindet. Aus Kostengründen musste der Architekt darauf verzichten, die für das Schmuckstück des Hauses geplante - und in historischen Aufnahmen dokumentierte - Holztäferung einzubauen.

Freilich hatte sich die Sparsamkeit schon in der einstigen Bibliothek gerächt. Denn kaum war 1825 das mehrmals zur Kosteneinsparung redimensionierte Gebäude fertig, erwies es sich auch schon als zu klein. Bald war in der Bibliothek kein Bücherregal mehr leer, und an den Seitenfassaden mussten die Fenster zugemauert werden, um noch ein paar zusätzliche Regalmeter zu gewinnen. Die Raumnot ist heute im Literaturhaus zwar kein Problem; eher scheint es, als sei man noch nicht ganz in die neuen Räume hineingewachsen. Schwierigkeiten indessen bietet die Akustik. Der Nachhall ist so stark, dass man sich in den Räumen selber beim Reden zuhören kann. Einstweilen behilft man sich mit Vorhängen, schalldämmenden Matten und Tüchern. Das ist weniger schön als eine Holztäferung, aber schafft fürs Erste, wenn auch notdürftig und nicht vollends, Abhilfe.

«Porzellanpalast» nennt Maria Gazzetti, die Leiterin des Frankfurter Literaturhauses, ihr neues Domizil. Und ja, sie müssten erst lernen, sich darin zu bewegen. Bei den Autorinnen und Autoren sei das Echo mehrheitlich positiv. Kaum jemand trauere der Bockenheimer Villa nach - und die Besucher hätten das Gebäude ohnehin im Sturm erobert. Als im vergangenen Oktober das Haus festlich eröffnet worden sei, habe man sich des Andranges kaum erwehren können.

Schöne Aussichten

Ausserdem zeige sich nun, dass der neue Standort im Gegensatz zum Westend auch am Wochenende äusserst gut besucht sei. Die am Mainufer promenierenden Frankfurter kämen dann jeweils sehr zahlreich ins Haus. Man werde daher das Programm darauf auszurichten versuchen.

Schliesslich bieten die 2500 Quadratmeter Bruttogeschossfläche die Möglichkeit zu vermehrten Ausstellungen. Im vergangenen Herbst waren unter dem Titel «Blicke nach Osten» Fotografien von Barbara Klemm zu sehen. Im März folgt eine Bild- und Wortinstallation zu Heiner Müller, die dessen Witwe Brigitte Maria Mayer einrichten wird, und im Sommer wird eine Robert-Walser-Ausstellung zu sehen sein. «Schöne Aussicht 2» lautet die neue Adresse des Literaturhauses. Schöne Aussichten sind es in der Tat, die sich einem in dem Haus bieten: von aussen wie von innen - zumal jedoch für die Literatur.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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