Bauwerk

Olympiagelände OAKA
Santiago Calatrava - Athen (GR) - 2004

Sinnliche Hommage an die Schwerelosigkeit

Die Rückkehr der Olympischen Spiele in deren Ursprungsland hat Athen architektonisch beflügelt. Unverkennbar und meisterhaft hat der Architekt und Ingenieur Santiago Calatrava das Olympiagelände für die Sommerspiele 2004 ins kollektive Bewusstsein gerückt und der Stadt damit einen ersten Schimmer weltstädtischer Eleganz geschenkt.

28. Januar 2006 - Evelyn C. Frisch
Athen ist keine Metropole der Superlative. Trotz Lärm, Abgasgestank und öden Vorstädten hat sich dieser Stadtmoloch jedoch einen eigenen Charme des Unvollkommenen und Lebendigen bewahrt. Nun hat Athen die Herausforderung gemeistert, auch zeitgenössische Architektur von Weltformat zu schaffen. Gerade die bisherige Unberührtheit von internationalen Architekturgrössen, hat dem Werk des Architekten Santiago Calatrava eine so imposante Wirkung verschafft.

Drei Jahre vor der Eröffnung der Olympischen Sommerspiele hatte Santiago Calatrava anlässlich einer Ausstellung seiner Skulpturen in der Nationalgalerie in Athen den griechischen Kulturminister von seinem Genie überzeugt. Im gleichen Jahr erhielt er den Auftrag für den Ausbau und die Erneuerung des Olympiageländes. Die Zeit war knapp berechnet. Bis Juni 2002 dauerte die Entwurfsphase, Anfang 2003 begannen die Bauarbeiten und rechtzeitig zur
Eröffnung 2004, waren die Arbeiten abgeschlossen.

Byzantinische Formsuche

Der Planung zugrunde liegt ein klassisch anmutender Masterplan, dessen Rückgrad eine Achse zwischen den beiden Wahrzeichen, dem Olympiastadion und dem Velodrom, bildet. Die Agora ist ein schattenspendender Wandelgang, der halbkreisförmig entlang einer Wasserfläche verläuft. Sie besteht aus 99 hohen und niedrigeren Bogen aus Rundrohrstahl. Die Agora begrenzt die zentrale „Plaza of the Nations“, eine Art halbrundes, offenes Amphitheater. Den Platz schliesst die „Nations Wall“ ab, eine bewegliche Raumskulptur aus frei schwebenden, weissen Rechteckstahlrohren. Eine Mechanik versetzt die Wand in stetige Wellenbewegungen.

Das Olympiastadion

Wie eine zarte Handbewegung legt sich das grösste Glasdach der Welt, die Überdachung des Olympiastadions, über eine Arena, die 80'000 Besucher fasst . 17'000 Tonnen Stahl schweben mit einer selbstverständlichen Leichtigkeit über den Köpfen der Zuschauer. Die Kräfte scheinen sich in einer kühnen Bewegung gegenseitig aufzuheben – das perfekte Gleichgewicht, Schwerelosigkeit, soweit das Auge reicht. Das Dach hat die Form von zwei Blättern und überspannt die bestehende Arena aus den 80er-Jahren ohne sie zu berühren. Die Auflager befinden sich ausserhalb der Arena. Es sind insgesamt vier gelenkige Gussteile aus Stahl.

Die Tragstruktur besteht aus zwei Bogenpaaren aus Rundrohr-Stahl, die an ihren Schneidepunkten aufliegen. An den hohe Bögen sind Stahlseile befestigt, welche die abgehängten Dachflächen aus Polykarbonat-Paneelen tragen. Die Dachflächen liegen auf den tiefer liegenden Druckbögen auf, von welchen aus in einem Abstand von 5 Metern Sekundärträger auskragen. Die Dachflächen werden zusätzlich von sekundären Abspannseilen gehalten. Die zwei blattförmigen Dachflächen kommen an deren Ende zusammen und formen ein Oval, das der ganzen Dachkonstruktion Stabilität verleiht. Diese beiden Blätter weisen ebenfalls eine leichte Schwingung auf und spenden den wohltuenden Schatten, den die Zuschauer im heissesten Monat des Jahres bitter nötig haben - überdeckt sind rund 10’000 Quadratmeter, was 95 Prozent der Sitzplätze entspricht. Die beiden Dachhälften wurden aus vorgefertigten Elementen auf Hilfskonstruktionen neben dem Stadion erreichtet und hydraulisch an ihre endgültige Position verschoben. Dafür wurden die Auflager aus Stahl mit Teflon beschichtet und in Führungsschienen gesetzt.

Das Velodrom

Der kleine Bruder des Olympiastadions ist das Velodrom. Hier ist das Dach vollständig geschlossen, vor allem für optimale Lichtverhältnisse für die Fernsehübertragung. Am Scheitel verläuft ein Lichtband aus Sonnenschutzglas. Aus akustischen Gründen wurde die Innenseite des Gewölbes in Holz ausgekleidet, im Aussenbereich mit Stahlblech gedeckt. Die Tragstruktur wird aus zwei geneigten Bogenpaaren aus Stahl gebildet, an denen wiederum Kabel zur Befestigung der Dachmuschel befestigt sind. Die ganze Konstruktion wurde aus vorgefertigten Stahlelementen errichtet und anschliessend auf Schienen über die Arena geschoben. Das Dach liegt nur an vier Punkten auf, wo die Bogen aufeinander treffen.

In der Einmaligkeit der Architektur von Santiago Calatrava kulminieren die technischen Möglichkeiten unserer Zeit und die Essenz einer seit Jahrtausenden sedimentierenden schöpferischen Formensprache. Unverkennbar bleibt die Anlehnung an vegetabile Formen und die Ausreizung der Gesetzen der Schwerkraft. Manche Kritiker mögen ihm die Überformulierung der Kraftverläufe vorwerfen – doch wer sonst kann der Funktionalität von Räumen so viel Seele einhauchen? Es ist, als ob Santiago Calatrava jedem Ort, und sei er noch so düster, eine ihm innewohnende sinnliche Intimität entlockt und sie den Menschen zugänglich macht. Fassungslos steht der Betrachter vor der Kraft und schlichten Schönheit dieser Räume.

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Für den Beitrag verantwortlich: Steeldoc

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