Bauwerk
Jüdisches Museum
Studio Daniel Libeskind - Berlin (D) - 1999
Ein Gedächtnis für die Zukunft
Zwei Jahrtausende deutsch-jüdische Geschichte in Berlin
Die Eröffnung des Jüdischen Museums wurde überschattet von den Terroranschlägen in den USA. Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges fühlen sich die Berliner mit den Amerikanern eng verbunden. So blieben viele kulturelle Einrichtungen geschlossen, auch das Jüdische Museum an den ersten beiden seiner vorgesehenen Eröffnungstage. Seit Donnerstag ist es nun allen zugänglich.
15. September 2001 - Claudia Schwartz
Ein Vierteljahrhundert dauerte es von der Idee eines Jüdischen Museums für das damalige Westberlin über das integrative Modell einer jüdischen Abteilung innerhalb des Stadtmuseums bis zur Eröffnung einer eigenständigen Institution. Durch die Wende kam dem Projekt unvermittelt eine nationale Bedeutung in der neuen alten Hauptstadt zu; aber erst in den vergangenen vier Jahren nahm es Gestalt an. Der Direktor Michael Blumenthal hat es mit weltläufiger Souveränität befördert. Der Architekt Daniel Libeskind hat es mit seiner spektakulären Architektur in die Wirklichkeit geholt. Diesen Erfolg muss man hochhalten in Anbetracht der zögerlichen Entwicklung der beiden anderen grossen Erinnerungsprojekte in der Stadt, des Holocaust-Denkmals und der Mahnstätte «Topographie des Terrors».
Seit der Einweihung des Libeskind-Baus vor zweieinhalb Jahren pilgerten 350 000 Besucher durch das leere Haus. Die expressive Architektur wurde in kurzer Zeit zum übermächtigen Symbol, so dass manche seine Funktionstüchtigkeit als Museum bezweifelten oder die Freihaltung des Hauses von Exponaten als Gleichnis für den unwiederbringlichen Verlust jüdischen Lebens forderten. Die nun eröffnete Dauerausstellung widerlegt die Einwände, wonach sich die eigenwillige Architektur mit ihrem verzerrten Grundriss und ihren intensiven Raumerlebnissen nicht als Ausstellungsgebäude eigne. Sie macht allerdings auch deutlich, dass der Bau nach einem subtilen Umgang und einer Reduktion der gestalterischen Mittel verlangt.
Man betritt das Museum durch das barocke Kollegiengebäude und gelangt über eine Treppe ins Untergeschoss, wo sich die «Achse des Holocausts» und die «Achse des Exils» kreuzen. In einer Reverenz an die Jerusalemer Gedenkstätte Yad Vashem, in der Namen gegen das Vergessen stehen, sind den Wänden die Orte der Vernichtung und der Zuflucht eingeschrieben. Dazwischen, hinter Glas, zwei, drei letzte Dinge, Spuren eines Schicksals. Der Inhalt einer Brieftasche, welche die jüdischen Nachbarn bei ihrer Deportation noch schnell vom Wagen warfen, zwei Passfotos, eine Visitenkarte; die zurückgebliebene Hausbewohnerin hat sie aufgehoben zum Gedächtnis. In der «Achse des Exils» betrachtet man die fünf Reisepässe der Irma Markus, ausgestellt zwischen 1939 und 1960 in verschiedenen Städten der Welt - Zeugnisse einer Identität, die mit Stempeln beglaubigt ist und in der Fremde doch verloren zu gehen droht.
Gute Ansätze in 13 Kapiteln
Mit dem stillen Auftakt haben sich die Ausstellungsmacher ganz nach der Architektur gerichtet. Im Weiteren legten sie diesen Willen zur Beschränkung ab. Schon dem «Memory Void», einem jener hermetischen Betonschächte, die das Gebäude durchschlagen, glaubte man, einen Inhalt geben zu müssen: Die Installation «Shalechet» (Gefallenes Laub) des israelischen Künstlers Menashe Kadishman besteht aus 10 000 Eisenscheiben am Boden: 10 000 Gesichter mit weit aufgerissenen Mündern. Das Kunstwerk wirkt geschmäcklerisch und konterkariert den von der Architektur beschworenen Verlust.
Ein wenig von der anfänglichen Zurückhaltung hätte dem Hauptteil der Schau in den beiden Obergeschossen gut getan - nicht nur in Anbetracht der sich konkurrenzierenden Exponate, sondern auch was die aussergewöhnliche Architektur anbelangt, die nun hinter all den Einbauten, eingezogenen Wänden, abgehängten Decken und unmotiviert die Räume verstellenden Treppen kaum mehr erkennbar ist. Die Ausstellung auf 3000 Quadratmetern Fläche zeichnet streng chronologisch entlang von 13 Kapiteln und anhand von 3900 Exponaten (davon rund 1600 Originale und 560 Leihgaben) die Spuren jüdischen Lebens im Kontext jüdischer und deutscher Geschichte von der Römerzeit bis heute nach.
Einen Reigen von Handschriften präsentiert der Abschnitt über das Mittelalter. «Das Buch Sinai» aus dem Jahr 1391 des Rabbiners Meir ben Baruch aus Rothenburg gibt als eines der ältesten erhaltenen Dokumente jener Zeit Einblick in die religiöse Gedankenwelt der Juden. Worms, Speyer und Mainz stehen für frühe jüdische Gemeinden. Mit Photographien ist die Geschichte der Wormser Synagoge, des ältesten jüdischen Gotteshauses in Mitteleuropa (bis zu seiner Zerstörung 1938), nacherzählt. Dabei verpasst man die Chance eines kurzen Abrisses zur Synagogenarchitektur im Allgemeinen und lässt den nach dem Krieg wieder errichteten Sakralbau lieber im raumgreifenden Hauskino als 3D-Animation durch die mittelalterliche Stadt schweben. Die kostbare vorübergehende Leihgabe des Apostolischen Museums in Rom wurde dagegen so unscheinbar zwischen andere Exponate placiert, dass man sie kaum findet: Die Abschrift (10. Jh.) eines Dekrets von Kaiser Konstantin aus dem Jahr 321 belegt die Existenz von jüdischen Bürgern im römischen Köln.
Der Wille zur Unterhaltung
Hier zeigen sich schon die Schwächen des Konzeptes, das vor allem unterhaltend und anschaulich sein will. Vieles wird kurz gestreift, ohne Akzentuierung präsentiert man eine auf die Länge ermüdende, bunte Gleichförmigkeit. In nur eineinhalb Jahren musste die Ausstellung eingerichtet werden; der aus Neuseeland berufene Projektleiter Ken Gorbey macht selbst kein Hehl daraus, dass noch einiges verbessert und vertieft werden muss.
Unverständlich ist, warum in einem Berliner Museum die jüdischen Aufklärer um Moses Mendelssohn keinen adäquaten Raum erhalten haben. Kaum deutlich wird, wie beschwerlich der Weg in die Emanzipation, Assimilation und in den Aufstieg ins Bürgertum zwischen 1870 und 1933 war. Und die Wechselbeziehung von jüdischen und nichtjüdischen Intellektuellen findet sich gerade einmal im Bonmot von Henriette Herz: «Der Geist ist ein gewaltiger Gleichmacher.» Dagegen feiert man die Berliner Kaufhauskultur, die sich mit den Namen Wertheim und Tietz und dem Kaufhaus des Westens («KaDeWe») verbindet, ausgiebig mit Leuchtschriften und aufgeblasenen Bildern. Für die Tatsache, dass sich die Juden von der bürgerlichen Gesellschaft kaum unterscheiden, gibt es eine ganze Wand, tapeziert mit anonymen Familienporträts als Zeitbildern. Nicht dargelegt wird der interne Streit zwischen Orthodoxen und Reformern. Den Zionismus vertritt das Porträt von Theodor Herzl. Für den vom Gesellschaftlichen sich zunehmend ins Ideologisch- Politische verfestigenden Antisemitismus steht, völlig unkommentiert, Julius Langbehns Werk «Rembrandt als Erzieher». Die Rolle eines Vorläufers, die Langbehns Ausrottungsjargon für die nationalsozialistische Rassenideologie spielte, wird nicht thematisiert.
Damit unterwandert die Schau letztlich ihren eigenen populären Anspruch, «für ein sehr breites Publikum» etwas Aufklärendes bieten zu wollen. Aus schlicht in die Vitrine gestellten Büchern oder gehängten Porträts - wie sie hier im Übrigen, mit wenigen Zitaten unterlegt, für das ganze jüdisch-deutsche Geistesleben herangezogen werden: eine Art name dropping - zieht der Unwissende keine Information und wohl ebenso wenig Unterhaltung. - Wie der Zickzackkurs von Libeskinds Bau die Unwägbarkeit und Vielschichtigkeit jüdischen Lebens gleichsam verinnerlicht hat, so laufen in der Ausstellung Lebenswelten, antisemitische Bedrohung, Emanzipationskurs stichwortartig nebeneinander her. Dabei findet man ein Gleichgewicht zwischen historischen Dokumenten, Zeitbildern, Judaica und den Hilfsmitteln moderner Ausstellungstechnik. Dazwischen bietet das «Museum für die ganze Familie» überall Grotten und Spielecken «nur für Kinder», wobei Letztere die Terminals des «Learning Center» im Foyer mehr faszinieren dürften. Mit der notwendigen Zurückhaltung bei den erzählerischen Mitteln werden Nationalsozialismus, Massenflucht und Massenmord sowie die Zeit nach 1945 bis hin zur jüdischen Gegenwart in Deutschland dokumentiert.
Annäherungen
In Berlin gab es schon einmal ein Jüdisches Museum. Es eröffnete an der Oranienburger Strasse 1933 nur wenige Tage vor der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler. Den Fundus für die Ausstellungen bildeten die Sammlungen der Mitglieder der Jüdischen Gemeinde, die damals als eine der bedeutendsten in Europa rund 140 000 Mitglieder zählte. Schon nach sechs Jahren kam nach dem Novemberpogrom 1938 das Ende für das erste Jüdische Museum der Stadt. 1945 lebten noch 8000 Juden in Berlin. Bald werden in ganz Deutschland wieder 100 000 Juden leben, Berlin entwickelt sich wieder zum jüdischen Zentrum und ist nach einer Erhebung des Jüdischen Weltkongresses in New York nicht zuletzt wegen der Zuwanderer aus dem Osten die prozentual am schnellsten wachsende Jüdische Gemeinschaft ausserhalb Israels.
Das neue Jüdische Museum knüpft als «Sinnbild jüdischer Kultur» an die Tradition seines Vorgängers an. Von einem Wandel in der deutsch-jüdischen Beziehung haben manche im Vorfeld der Eröffnung, etwas hochgegriffen, geredet. Von einem neuen Fokus Deutschlands auf die jüdische Geschichte kann man sprechen, weil das Museum erstmals seit 1945 eine andere Sicht auf die jüdische Geschichte zeigt, insofern die Shoah als ein Kapitel in einer langen Zeitspanne dargestellt ist und die Rolle der Juden nicht auf die der Opfer beschränkt ist. Im Übrigen kommt dem Haus als erster überregional ausgerichteter derartiger Einrichtung in Deutschland Bedeutung nicht allein als historisches Museum zu, sondern als Ort der zukünftigen Annäherung, der Toleranz lehrt im Zusammenleben verschiedener Bevölkerungsgruppen. An diesem hohen Anspruch muss sich die Ausstellung messen lassen.
Seit der Einweihung des Libeskind-Baus vor zweieinhalb Jahren pilgerten 350 000 Besucher durch das leere Haus. Die expressive Architektur wurde in kurzer Zeit zum übermächtigen Symbol, so dass manche seine Funktionstüchtigkeit als Museum bezweifelten oder die Freihaltung des Hauses von Exponaten als Gleichnis für den unwiederbringlichen Verlust jüdischen Lebens forderten. Die nun eröffnete Dauerausstellung widerlegt die Einwände, wonach sich die eigenwillige Architektur mit ihrem verzerrten Grundriss und ihren intensiven Raumerlebnissen nicht als Ausstellungsgebäude eigne. Sie macht allerdings auch deutlich, dass der Bau nach einem subtilen Umgang und einer Reduktion der gestalterischen Mittel verlangt.
Man betritt das Museum durch das barocke Kollegiengebäude und gelangt über eine Treppe ins Untergeschoss, wo sich die «Achse des Holocausts» und die «Achse des Exils» kreuzen. In einer Reverenz an die Jerusalemer Gedenkstätte Yad Vashem, in der Namen gegen das Vergessen stehen, sind den Wänden die Orte der Vernichtung und der Zuflucht eingeschrieben. Dazwischen, hinter Glas, zwei, drei letzte Dinge, Spuren eines Schicksals. Der Inhalt einer Brieftasche, welche die jüdischen Nachbarn bei ihrer Deportation noch schnell vom Wagen warfen, zwei Passfotos, eine Visitenkarte; die zurückgebliebene Hausbewohnerin hat sie aufgehoben zum Gedächtnis. In der «Achse des Exils» betrachtet man die fünf Reisepässe der Irma Markus, ausgestellt zwischen 1939 und 1960 in verschiedenen Städten der Welt - Zeugnisse einer Identität, die mit Stempeln beglaubigt ist und in der Fremde doch verloren zu gehen droht.
Gute Ansätze in 13 Kapiteln
Mit dem stillen Auftakt haben sich die Ausstellungsmacher ganz nach der Architektur gerichtet. Im Weiteren legten sie diesen Willen zur Beschränkung ab. Schon dem «Memory Void», einem jener hermetischen Betonschächte, die das Gebäude durchschlagen, glaubte man, einen Inhalt geben zu müssen: Die Installation «Shalechet» (Gefallenes Laub) des israelischen Künstlers Menashe Kadishman besteht aus 10 000 Eisenscheiben am Boden: 10 000 Gesichter mit weit aufgerissenen Mündern. Das Kunstwerk wirkt geschmäcklerisch und konterkariert den von der Architektur beschworenen Verlust.
Ein wenig von der anfänglichen Zurückhaltung hätte dem Hauptteil der Schau in den beiden Obergeschossen gut getan - nicht nur in Anbetracht der sich konkurrenzierenden Exponate, sondern auch was die aussergewöhnliche Architektur anbelangt, die nun hinter all den Einbauten, eingezogenen Wänden, abgehängten Decken und unmotiviert die Räume verstellenden Treppen kaum mehr erkennbar ist. Die Ausstellung auf 3000 Quadratmetern Fläche zeichnet streng chronologisch entlang von 13 Kapiteln und anhand von 3900 Exponaten (davon rund 1600 Originale und 560 Leihgaben) die Spuren jüdischen Lebens im Kontext jüdischer und deutscher Geschichte von der Römerzeit bis heute nach.
Einen Reigen von Handschriften präsentiert der Abschnitt über das Mittelalter. «Das Buch Sinai» aus dem Jahr 1391 des Rabbiners Meir ben Baruch aus Rothenburg gibt als eines der ältesten erhaltenen Dokumente jener Zeit Einblick in die religiöse Gedankenwelt der Juden. Worms, Speyer und Mainz stehen für frühe jüdische Gemeinden. Mit Photographien ist die Geschichte der Wormser Synagoge, des ältesten jüdischen Gotteshauses in Mitteleuropa (bis zu seiner Zerstörung 1938), nacherzählt. Dabei verpasst man die Chance eines kurzen Abrisses zur Synagogenarchitektur im Allgemeinen und lässt den nach dem Krieg wieder errichteten Sakralbau lieber im raumgreifenden Hauskino als 3D-Animation durch die mittelalterliche Stadt schweben. Die kostbare vorübergehende Leihgabe des Apostolischen Museums in Rom wurde dagegen so unscheinbar zwischen andere Exponate placiert, dass man sie kaum findet: Die Abschrift (10. Jh.) eines Dekrets von Kaiser Konstantin aus dem Jahr 321 belegt die Existenz von jüdischen Bürgern im römischen Köln.
Der Wille zur Unterhaltung
Hier zeigen sich schon die Schwächen des Konzeptes, das vor allem unterhaltend und anschaulich sein will. Vieles wird kurz gestreift, ohne Akzentuierung präsentiert man eine auf die Länge ermüdende, bunte Gleichförmigkeit. In nur eineinhalb Jahren musste die Ausstellung eingerichtet werden; der aus Neuseeland berufene Projektleiter Ken Gorbey macht selbst kein Hehl daraus, dass noch einiges verbessert und vertieft werden muss.
Unverständlich ist, warum in einem Berliner Museum die jüdischen Aufklärer um Moses Mendelssohn keinen adäquaten Raum erhalten haben. Kaum deutlich wird, wie beschwerlich der Weg in die Emanzipation, Assimilation und in den Aufstieg ins Bürgertum zwischen 1870 und 1933 war. Und die Wechselbeziehung von jüdischen und nichtjüdischen Intellektuellen findet sich gerade einmal im Bonmot von Henriette Herz: «Der Geist ist ein gewaltiger Gleichmacher.» Dagegen feiert man die Berliner Kaufhauskultur, die sich mit den Namen Wertheim und Tietz und dem Kaufhaus des Westens («KaDeWe») verbindet, ausgiebig mit Leuchtschriften und aufgeblasenen Bildern. Für die Tatsache, dass sich die Juden von der bürgerlichen Gesellschaft kaum unterscheiden, gibt es eine ganze Wand, tapeziert mit anonymen Familienporträts als Zeitbildern. Nicht dargelegt wird der interne Streit zwischen Orthodoxen und Reformern. Den Zionismus vertritt das Porträt von Theodor Herzl. Für den vom Gesellschaftlichen sich zunehmend ins Ideologisch- Politische verfestigenden Antisemitismus steht, völlig unkommentiert, Julius Langbehns Werk «Rembrandt als Erzieher». Die Rolle eines Vorläufers, die Langbehns Ausrottungsjargon für die nationalsozialistische Rassenideologie spielte, wird nicht thematisiert.
Damit unterwandert die Schau letztlich ihren eigenen populären Anspruch, «für ein sehr breites Publikum» etwas Aufklärendes bieten zu wollen. Aus schlicht in die Vitrine gestellten Büchern oder gehängten Porträts - wie sie hier im Übrigen, mit wenigen Zitaten unterlegt, für das ganze jüdisch-deutsche Geistesleben herangezogen werden: eine Art name dropping - zieht der Unwissende keine Information und wohl ebenso wenig Unterhaltung. - Wie der Zickzackkurs von Libeskinds Bau die Unwägbarkeit und Vielschichtigkeit jüdischen Lebens gleichsam verinnerlicht hat, so laufen in der Ausstellung Lebenswelten, antisemitische Bedrohung, Emanzipationskurs stichwortartig nebeneinander her. Dabei findet man ein Gleichgewicht zwischen historischen Dokumenten, Zeitbildern, Judaica und den Hilfsmitteln moderner Ausstellungstechnik. Dazwischen bietet das «Museum für die ganze Familie» überall Grotten und Spielecken «nur für Kinder», wobei Letztere die Terminals des «Learning Center» im Foyer mehr faszinieren dürften. Mit der notwendigen Zurückhaltung bei den erzählerischen Mitteln werden Nationalsozialismus, Massenflucht und Massenmord sowie die Zeit nach 1945 bis hin zur jüdischen Gegenwart in Deutschland dokumentiert.
Annäherungen
In Berlin gab es schon einmal ein Jüdisches Museum. Es eröffnete an der Oranienburger Strasse 1933 nur wenige Tage vor der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler. Den Fundus für die Ausstellungen bildeten die Sammlungen der Mitglieder der Jüdischen Gemeinde, die damals als eine der bedeutendsten in Europa rund 140 000 Mitglieder zählte. Schon nach sechs Jahren kam nach dem Novemberpogrom 1938 das Ende für das erste Jüdische Museum der Stadt. 1945 lebten noch 8000 Juden in Berlin. Bald werden in ganz Deutschland wieder 100 000 Juden leben, Berlin entwickelt sich wieder zum jüdischen Zentrum und ist nach einer Erhebung des Jüdischen Weltkongresses in New York nicht zuletzt wegen der Zuwanderer aus dem Osten die prozentual am schnellsten wachsende Jüdische Gemeinschaft ausserhalb Israels.
Das neue Jüdische Museum knüpft als «Sinnbild jüdischer Kultur» an die Tradition seines Vorgängers an. Von einem Wandel in der deutsch-jüdischen Beziehung haben manche im Vorfeld der Eröffnung, etwas hochgegriffen, geredet. Von einem neuen Fokus Deutschlands auf die jüdische Geschichte kann man sprechen, weil das Museum erstmals seit 1945 eine andere Sicht auf die jüdische Geschichte zeigt, insofern die Shoah als ein Kapitel in einer langen Zeitspanne dargestellt ist und die Rolle der Juden nicht auf die der Opfer beschränkt ist. Im Übrigen kommt dem Haus als erster überregional ausgerichteter derartiger Einrichtung in Deutschland Bedeutung nicht allein als historisches Museum zu, sondern als Ort der zukünftigen Annäherung, der Toleranz lehrt im Zusammenleben verschiedener Bevölkerungsgruppen. An diesem hohen Anspruch muss sich die Ausstellung messen lassen.
Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung
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