Bauwerk
Q19 - Einkaufsquartier Döbling
LORENZATELIERS - Wien (A) - 2005
Kuppeln wie Bullaugen
Es gibt in Wien nichts Vergleichbares. Ein Architekturspektakel, das ein ganzes Viertel aufwertet: das Einkaufszentrum Q19 in Döbling. Die Ausnahme unter den sonst üblichen Kommerztempeln.
5. November 2005
Dreißigtausend Menschen zur Eröffnung eines Einkaufszentrums. Mehr können sich Bauherren und Architekt wohl nicht erträumen. In diesem Fall war es zu viel. Auf eine solche Frequenz war das Gebäude - „Q19“ - nicht ausgerichtet. Die Katastrophe ließ auch nicht auf sich warten. Es gab einen Unfall.
So tragisch sich das anhören mag, eines wird dennoch bestätigt: die These des Architekten, dass es möglich ist, mit einem solchen Einkaufszentrum Stadtreparatur zu betreiben.
Und das Viertel um den Karl-Marx-Hof war schon die längste Zeit reparaturbedürftig. Wir sind hier zwar in Döbling, aber nicht im vornehmen Teil des Bezirks, sondern unmittelbar an der Bahn. Hier gab es einen recht heruntergekommenen Supermarkt, es gibt die längst aufgelassene Samum-Zigarettenpapierfabrik und einen „Beserlpark“, außerdem die schon erwähnte Kulisse des Karl-Marx-Hofes und gar nicht weit eine U-Bahn-Station. Trotzdem kein erstklassiger Standort für Leute vom Fach.
Aber Peter Lorenz hat sich ins Zeug gelegt. Er hat den Wienern gezeigt, was die Salzburger möglicherweise von Fuksas wissen. Und was in Tirol - Lorenz ist Tiroler - nicht zuletzt durch die (gerade auch architektonisch) legendäre MPreis-Kette gang und gäbe ist. Er hat ein wirklich tolles Einkaufszentrum gebaut. Es gibt in Wien nichts Vergleichbares. Er gibt auch sonst wo kaum Vergleichbares. Lorenz zeigt, dass Einkaufszentren eine Bauaufgabe sind, die man - architektonisch - absolut ernst nehmen muss. Die vielleicht sogar eine Art „neue Typologie“ im klassischen Architektur-Szenario darstellen.
Es ging darum, die alte, denkmalgeschützte Samum-Fabrik zu revitalisieren und einen Neubau daranzustellen. Denkmalgeschützt ist die Fabrik, weil sie von 1909 stammt und ein sehr frühes Beispiel für eine Stahlbeton-Skelettkonstruktion darstellt. Sie ist wirklich sehr schön, und sie ist sicher etwas, das im Viertel einen Identifikationspunkt darstellt. Ja, Identifikation, das ist wahrscheinlich überhaupt der Schlüsselbegriff für dieses architektonische Ereignis.
Höhenmäßig musste sich der Neubau natürlich am Bestand orientieren. Das ist aber recht raffiniert geschehen, denn zwischen Alt- und Neubau gibt es eine mehrgeschoßige Mall, zu der sich beide Bauteile hin orientieren. Diese Mall ist räumlich durchaus aufregend. Der Architekt hat „Loops“ in die Zwischendecke geschnitten, organisch geformte Öffnungen, die als Sichtverbindung zwischen unten und oben fungieren. Diese „freie“ Geste wird allerdings durch einen temperamentvollen, rasanten, streng geometrischen Schnitt im Dachbereich konterkariert. Es ist ein Pultdach, das sich so von zwei Seiten zeigt: halb in Glas, halb in Beton. Über der massiven Hälfte liegt übrigens ein Dachgarten, auf den man von den vier Parkdecks schauen kann.
Es gibt eine Tiefgarage, und es gibt - natürlich belichtete - Parkdecks. Die Zufahrt liegt an der Nordseite. Eine Zufahrt. Man muss sich also rechtzeitig entscheiden. Genau das tut aber der Übersichtlichkeit des Komplexes gut. Außerdem ist die Abfahrt von den Parkdecks bemerkenswert. Sie verläuft parallel zur Bahn und ist an die 90 Meter lang, insofern also „bequem“, wie es der Firmenphilosophie entspricht. Und sie bietet noch einmal, ein abschließendes Mal einen Ausblick auf ein spektakuläres Gebäude in einem deutlich weniger spektakulären Umfeld.
Lorenz hat seinen Bauherrn gleich zu Beginn mit Images von Schiffen konfrontiert. Gestrandeten Schiffen. Rostigen Schiffen. Und genauso steht der Neubau jetzt auch da. Breit und lang. Er hat eine ungemein signifikante Fassade aus Corten-Stahl, an der Längsseite jeweils einen runden Baukörper - die Wendelrampen zu beziehungsweise von den Parkdecks -, eine Fassade, in der Kunststoffkuppeln wie Bullaugen sitzen - kein neues Produkt, nur diesmal vertikal statt horizontal verwendet - und einen durchaus großzügigen, auch großstädtischen Vorplatz an der Ecke. Dort besteht die Fassade aus Glas - eine schlichte Pfosten-Riegel-Konstruktion - mit einer vorgeschalteten Aluminium-Lamellenschicht zur Beschattung, die auf einer Fläche von 22 mal 7,5 Metern zusätzlich als dynamischer Werbeträger (LED) fungiert.
Jetzt ist die Jahreszeit nicht ideal. Die Gastronomie, an sich zum Platz hin orientiert, spielt sich drinnen ab. Aber abends, bei Kunstlicht, bietet der segelüberspannte Haupteingang dennoch ein sehenswertes Bild. Das ist auch deswegen erwähnenswert, weil die Gestaltung einer solchen Zugangssituation eigentlich gar nichts mehr mit der tatsächlichen Nutzung zu tun hat. Sie ist ein städtebauliches Relikt, auf das wir aber nicht verzichten möchten. Sie gehört zwar zum tradierten Bild von Stadt. Wir fahren aber trotzdem mit dem Auto zu. Im alltäglichen Gebrauch geht in diesen Eingang kaum einer hinein.
Wahrscheinlich liegt aber gerade darin die wesentliche Leistung der Planung von Lorenz. Er denkt im wörtlichen Sinn grenzüberschreitend, das heißt über den Bauplatz hinaus. Seine Planung greift über die volle Breite des neuen Vorplatzes in den öffentlichen Raum hinein, und er konnte sogar die zuständigen Stellen der Stadt Wien motivieren, den angrenzenden „Beserlpark“ ein wenig in Schuss zu bringen. Das tut dieser Gegend ausgesprochen gut. Schließlich darf man nicht vergessen, dass der Karl-Marx-Hof fixer Bestandteil jeder Architekturtouristik-Route ist. Schon deswegen sollte man hier ein wenig Sorgfalt walten lassen.
Zum Kreilplatz hin bildet die alte Samum-Fabrik eine große, lange und atmosphärisch durchaus attraktive Platzwand. Da wurde sehr liebevoll - und wohl auch aufwendig - restauriert, denn der Originalputz war im Grund nicht sanierungsfähig. Nur an der Südfassade gibt es noch eine kleine Reminiszenz an die ursprüngliche Oberfläche, das hat sich das Denkmalamt ausbedungen. Reizvoll ist das Zusammentreffen von Alt- und Neubau. Die „Loops“ in der Mall trennen die beiden Bauteile, Brückenbauwerke verbinden sie. Und der Altbau öffnet sich durch eine arkadenartige Lösung zum mehrgeschoßigen Zentrum. Das ist durchaus ein räumliches Erlebnis, da merkt man, dass Architektur eine so triviale Tätigkeit wie das Einkaufen - den „Konsum“ - zu adeln vermag. Es wird ein Ereignis daraus, ein Event der kommunikativen Art.
Und darum geht es ja. Um das Freizeiterlebnis „Konsum“. Irgendwo hat man immer ein schlechtes Gewissen, wenn man sich klar macht, was hinter der Bauaufgabe Einkaufszentrum wirklich steckt. Und trotzdem ist es unverständlich, dass normalerweise so wenig Sorgfalt in die architektonische Inszenierung dieser Tätigkeit investiert wird. Eigentlich müsste es doch die Bauaufgabe unserer Tage schlechthin sein.
Das hat Lorenz auf den Punkt gebracht. Er liefert mit Q19 ein Architekturspektakel, das ausstrahlt, das für das gesamte Quartier etwas bringt. Das, was die Verkaufsspezialisten einen Magneten nennen. Aber auch etwas, das sich nicht ganz so gewöhnlich darstellt, wie die Kommerztempel es landläufig tun. Etwas, das die Gegend rund um den Karl-Marx-Hof auch jenseits der Architekturgeschichte interessant macht.
So tragisch sich das anhören mag, eines wird dennoch bestätigt: die These des Architekten, dass es möglich ist, mit einem solchen Einkaufszentrum Stadtreparatur zu betreiben.
Und das Viertel um den Karl-Marx-Hof war schon die längste Zeit reparaturbedürftig. Wir sind hier zwar in Döbling, aber nicht im vornehmen Teil des Bezirks, sondern unmittelbar an der Bahn. Hier gab es einen recht heruntergekommenen Supermarkt, es gibt die längst aufgelassene Samum-Zigarettenpapierfabrik und einen „Beserlpark“, außerdem die schon erwähnte Kulisse des Karl-Marx-Hofes und gar nicht weit eine U-Bahn-Station. Trotzdem kein erstklassiger Standort für Leute vom Fach.
Aber Peter Lorenz hat sich ins Zeug gelegt. Er hat den Wienern gezeigt, was die Salzburger möglicherweise von Fuksas wissen. Und was in Tirol - Lorenz ist Tiroler - nicht zuletzt durch die (gerade auch architektonisch) legendäre MPreis-Kette gang und gäbe ist. Er hat ein wirklich tolles Einkaufszentrum gebaut. Es gibt in Wien nichts Vergleichbares. Er gibt auch sonst wo kaum Vergleichbares. Lorenz zeigt, dass Einkaufszentren eine Bauaufgabe sind, die man - architektonisch - absolut ernst nehmen muss. Die vielleicht sogar eine Art „neue Typologie“ im klassischen Architektur-Szenario darstellen.
Es ging darum, die alte, denkmalgeschützte Samum-Fabrik zu revitalisieren und einen Neubau daranzustellen. Denkmalgeschützt ist die Fabrik, weil sie von 1909 stammt und ein sehr frühes Beispiel für eine Stahlbeton-Skelettkonstruktion darstellt. Sie ist wirklich sehr schön, und sie ist sicher etwas, das im Viertel einen Identifikationspunkt darstellt. Ja, Identifikation, das ist wahrscheinlich überhaupt der Schlüsselbegriff für dieses architektonische Ereignis.
Höhenmäßig musste sich der Neubau natürlich am Bestand orientieren. Das ist aber recht raffiniert geschehen, denn zwischen Alt- und Neubau gibt es eine mehrgeschoßige Mall, zu der sich beide Bauteile hin orientieren. Diese Mall ist räumlich durchaus aufregend. Der Architekt hat „Loops“ in die Zwischendecke geschnitten, organisch geformte Öffnungen, die als Sichtverbindung zwischen unten und oben fungieren. Diese „freie“ Geste wird allerdings durch einen temperamentvollen, rasanten, streng geometrischen Schnitt im Dachbereich konterkariert. Es ist ein Pultdach, das sich so von zwei Seiten zeigt: halb in Glas, halb in Beton. Über der massiven Hälfte liegt übrigens ein Dachgarten, auf den man von den vier Parkdecks schauen kann.
Es gibt eine Tiefgarage, und es gibt - natürlich belichtete - Parkdecks. Die Zufahrt liegt an der Nordseite. Eine Zufahrt. Man muss sich also rechtzeitig entscheiden. Genau das tut aber der Übersichtlichkeit des Komplexes gut. Außerdem ist die Abfahrt von den Parkdecks bemerkenswert. Sie verläuft parallel zur Bahn und ist an die 90 Meter lang, insofern also „bequem“, wie es der Firmenphilosophie entspricht. Und sie bietet noch einmal, ein abschließendes Mal einen Ausblick auf ein spektakuläres Gebäude in einem deutlich weniger spektakulären Umfeld.
Lorenz hat seinen Bauherrn gleich zu Beginn mit Images von Schiffen konfrontiert. Gestrandeten Schiffen. Rostigen Schiffen. Und genauso steht der Neubau jetzt auch da. Breit und lang. Er hat eine ungemein signifikante Fassade aus Corten-Stahl, an der Längsseite jeweils einen runden Baukörper - die Wendelrampen zu beziehungsweise von den Parkdecks -, eine Fassade, in der Kunststoffkuppeln wie Bullaugen sitzen - kein neues Produkt, nur diesmal vertikal statt horizontal verwendet - und einen durchaus großzügigen, auch großstädtischen Vorplatz an der Ecke. Dort besteht die Fassade aus Glas - eine schlichte Pfosten-Riegel-Konstruktion - mit einer vorgeschalteten Aluminium-Lamellenschicht zur Beschattung, die auf einer Fläche von 22 mal 7,5 Metern zusätzlich als dynamischer Werbeträger (LED) fungiert.
Jetzt ist die Jahreszeit nicht ideal. Die Gastronomie, an sich zum Platz hin orientiert, spielt sich drinnen ab. Aber abends, bei Kunstlicht, bietet der segelüberspannte Haupteingang dennoch ein sehenswertes Bild. Das ist auch deswegen erwähnenswert, weil die Gestaltung einer solchen Zugangssituation eigentlich gar nichts mehr mit der tatsächlichen Nutzung zu tun hat. Sie ist ein städtebauliches Relikt, auf das wir aber nicht verzichten möchten. Sie gehört zwar zum tradierten Bild von Stadt. Wir fahren aber trotzdem mit dem Auto zu. Im alltäglichen Gebrauch geht in diesen Eingang kaum einer hinein.
Wahrscheinlich liegt aber gerade darin die wesentliche Leistung der Planung von Lorenz. Er denkt im wörtlichen Sinn grenzüberschreitend, das heißt über den Bauplatz hinaus. Seine Planung greift über die volle Breite des neuen Vorplatzes in den öffentlichen Raum hinein, und er konnte sogar die zuständigen Stellen der Stadt Wien motivieren, den angrenzenden „Beserlpark“ ein wenig in Schuss zu bringen. Das tut dieser Gegend ausgesprochen gut. Schließlich darf man nicht vergessen, dass der Karl-Marx-Hof fixer Bestandteil jeder Architekturtouristik-Route ist. Schon deswegen sollte man hier ein wenig Sorgfalt walten lassen.
Zum Kreilplatz hin bildet die alte Samum-Fabrik eine große, lange und atmosphärisch durchaus attraktive Platzwand. Da wurde sehr liebevoll - und wohl auch aufwendig - restauriert, denn der Originalputz war im Grund nicht sanierungsfähig. Nur an der Südfassade gibt es noch eine kleine Reminiszenz an die ursprüngliche Oberfläche, das hat sich das Denkmalamt ausbedungen. Reizvoll ist das Zusammentreffen von Alt- und Neubau. Die „Loops“ in der Mall trennen die beiden Bauteile, Brückenbauwerke verbinden sie. Und der Altbau öffnet sich durch eine arkadenartige Lösung zum mehrgeschoßigen Zentrum. Das ist durchaus ein räumliches Erlebnis, da merkt man, dass Architektur eine so triviale Tätigkeit wie das Einkaufen - den „Konsum“ - zu adeln vermag. Es wird ein Ereignis daraus, ein Event der kommunikativen Art.
Und darum geht es ja. Um das Freizeiterlebnis „Konsum“. Irgendwo hat man immer ein schlechtes Gewissen, wenn man sich klar macht, was hinter der Bauaufgabe Einkaufszentrum wirklich steckt. Und trotzdem ist es unverständlich, dass normalerweise so wenig Sorgfalt in die architektonische Inszenierung dieser Tätigkeit investiert wird. Eigentlich müsste es doch die Bauaufgabe unserer Tage schlechthin sein.
Das hat Lorenz auf den Punkt gebracht. Er liefert mit Q19 ein Architekturspektakel, das ausstrahlt, das für das gesamte Quartier etwas bringt. Das, was die Verkaufsspezialisten einen Magneten nennen. Aber auch etwas, das sich nicht ganz so gewöhnlich darstellt, wie die Kommerztempel es landläufig tun. Etwas, das die Gegend rund um den Karl-Marx-Hof auch jenseits der Architekturgeschichte interessant macht.
Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum
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