Bauwerk
Central Library
Will Bruder - Phoenix (USA) - 1997
Eine urbane Oase in der Stadtwüste
1. April 1998 - Roman Hollenstein
In Downtown Phoenix, dem Herzen des «Valley of the Sun», einer der am schnellsten wachsenden Agglomerationen Nordamerikas, hat die Architektur eine andere Aufgabe als in Europa. Das weitläufige Stadtgebilde gleicht einem Palmenhain, durchsetzt mit ungezählten Bungalows, aus dem einzig bizarre Felsenriffe und Hochhauskronen als Orientierungshilfen ragen. Hier, wo Wrights Vision einer «Broadacre City» Realität geworden scheint, bestimmen Sommerhitze und Distanzen das urbane Leben und zwingen jeden gnadenlos ins Auto.
Da Phoenix nicht für Flaneure geplant ist, müssen öffentliche Bauten nicht nur weithin sichtbare Zeichen setzen, sondern auch ein soziales Umfeld erzeugen. Das weiss wohl keiner besser als der heute 52jährige Will Bruder, der 1967, nach einem Kunststudium in Milwaukee, sein heimatliches Wisconsin in Richtung Arizona verliess, um bei Paolo Soleri Architektur zu studieren. Im geistigen und geographischen Spannungsfeld zwischen Soleris Arcosanti und Wrights Taliesin West baute er sich 1975 ein Haus und machte sich zunächst mit Villen einen Namen. Nach einigen grösseren Aufträgen - darunter das Deer Valley Rock Art Center, die Kol-Ami-Synagoge in Scottsdale und zwei Quartierbibliotheken in Shopping Malls - schaffte er mit der 1997 nach acht Jahren Planungs- und Bauzeit vollendeten Phoenix Central Library elegant den Sprung in die architektonische Weltliga.
Der als Freihandbibliothek für über eine Million Bücher konzipierte Bau erhebt sich an der Central Avenue im Niemandsland zwischen den Hochhausballungen des alten Zentrums und der zwei Kilometer nördlich davon gelegenen neuen Bürocity. Künftig soll dieses Gebiet durch einen parkartigen Fussgängerboulevard zur Kulturmeile aufgewertet werden. Dieser wird dereinst parallel zur Central Avenue von der Innenstadt bis zum 500 Meter nördlich der Central Library gelegenen und jüngst vom New Yorker Architektenduo William und Tsien erweiterten Phoenix Museum of Art führen.
Bruder, der - ganz im Sinne von Soleri - nach dem Motto «client, community, context, craft and choreography» arbeitet, fragte sich zunächst, welche Bilder er mit seinem Neubau den Autofahrern und welche den Besuchern vermitteln sollte. Aus seiner Recherche resultierte eine Identifikationsfigur in der monotonen Stadtlandschaft, die nach Norden, zu den Parkplätzen hin, mit weissen Sonnensegeln die Besucher empfängt, während die auf das Stadtzentrum ausgerichtete Fassade mit ihrer abgetreppten Curtain Wall ganz diskret mit dem Aussehen eines simplen Bürohauses kokettiert. Zur Strasse und zum rückseitigen Vorplatz hin dagegen tritt die entlang der Nordsüdachse symmetrische Grossform als eine Art sanft gekurvte Serra-Plastik in Erscheinung und bietet so eine Umdeutung von Nouvels Cartier-Glasschrein in eine Burg aus Kupfer, dem Erz aus Arizonas Minen.
Am Abend, wenn durch die fein perforierten Kupferwände das hellerleuchtete Innenleben des Gebäudes scheint, vertreibt eine magische Transparenz den Eindruck der Verbunkerung. Bei Tag aber werden die rostroten Wände durch 40 Meter hohe Stahlschilde belebt, welche die beiden Eingänge markieren. Zwei Höhlenwege führen hier zum «Crystal Canyon», der das fünfgeschossige Gebäude in seiner ganzen Höhe durchschneidet und aus dem Zenit Tageslicht bis zum schwarzen Pool zuunterst in der kühlen Schlucht vordringen lässt. Von hier, wo sich die Wege kreuzen, gelangt man ebenerdig zur Information, zu den Computerplätzen, in den Theatersaal sowie in das noch einzurichtende Café.
Futuristische Lifte und ein Treppenhaus, das mit seinen opaken Glaswänden einer Noguchi-Lampe gleicht, führen vorbei an den drei mittleren Etagen mit Büros, Ausstellungs- und Lagerräumen hinauf in den 80 mal 50 Meter grossen Reading Room. Mit ihren kerzenartig sich verjüngenden, auf Bullaugenfenster zielenden Betonsäulen und dem schwebenden Dach ist diese schattige Oase eine ebenso unkonventionelle wie zeitgemässe Antwort auf Henri Labroustes filigrane Metallkonstruktion des Lesesaals der alten Bibliothèque nationale in Paris, aber auch auf das Grossraumbüro von Wrights Johnson Wax Building in Racine, Wisconsin.
Das zwischen Flugzeughangar, Kulturtempel und Bürohaus oszillierende Bibliotheksgebäude ist mit dem 120 Meter langen Mittelbau und den seitlich angehängten, kupfernen «Satteltaschen» ganz im Sinn von Kahn in dienende und bediente Räume unterteilt. Sein monolithisches Äusseres scheint entfernt Zumthor verpflichtet zu sein, die Metallkonstruktion des Daches aber lässt an die Leichtbauweise des Australiers Glenn Murcutt denken. Die Liebe zum Detail und die überlegte Wahl der Materialien verraten hingegen Scarpas Einfluss, während im kinetischen Formenspiel der Sonnensegel Bruce Goffs textile Fassadenmuster nachklingen. Das Resultat dieser anspielungsreichen Arbeitsweise ist jedoch durchaus nicht eklektisch. Vielmehr erfand Bruder - vielleicht erstmals seit den Pueblosiedlungen der Hopi-Indianer - eine auf Arizona zugeschnittene Architektur. Bei dieser stehen, fernab von jeglicher Adobe-Romantik, eine populär ausgerichtete Monumentalität sowie topographische, geologische und kulturgeschichtliche Metaphern im Mittelpunkt: vom Canyon bis zur Satteltasche.
Da Phoenix nicht für Flaneure geplant ist, müssen öffentliche Bauten nicht nur weithin sichtbare Zeichen setzen, sondern auch ein soziales Umfeld erzeugen. Das weiss wohl keiner besser als der heute 52jährige Will Bruder, der 1967, nach einem Kunststudium in Milwaukee, sein heimatliches Wisconsin in Richtung Arizona verliess, um bei Paolo Soleri Architektur zu studieren. Im geistigen und geographischen Spannungsfeld zwischen Soleris Arcosanti und Wrights Taliesin West baute er sich 1975 ein Haus und machte sich zunächst mit Villen einen Namen. Nach einigen grösseren Aufträgen - darunter das Deer Valley Rock Art Center, die Kol-Ami-Synagoge in Scottsdale und zwei Quartierbibliotheken in Shopping Malls - schaffte er mit der 1997 nach acht Jahren Planungs- und Bauzeit vollendeten Phoenix Central Library elegant den Sprung in die architektonische Weltliga.
Der als Freihandbibliothek für über eine Million Bücher konzipierte Bau erhebt sich an der Central Avenue im Niemandsland zwischen den Hochhausballungen des alten Zentrums und der zwei Kilometer nördlich davon gelegenen neuen Bürocity. Künftig soll dieses Gebiet durch einen parkartigen Fussgängerboulevard zur Kulturmeile aufgewertet werden. Dieser wird dereinst parallel zur Central Avenue von der Innenstadt bis zum 500 Meter nördlich der Central Library gelegenen und jüngst vom New Yorker Architektenduo William und Tsien erweiterten Phoenix Museum of Art führen.
Bruder, der - ganz im Sinne von Soleri - nach dem Motto «client, community, context, craft and choreography» arbeitet, fragte sich zunächst, welche Bilder er mit seinem Neubau den Autofahrern und welche den Besuchern vermitteln sollte. Aus seiner Recherche resultierte eine Identifikationsfigur in der monotonen Stadtlandschaft, die nach Norden, zu den Parkplätzen hin, mit weissen Sonnensegeln die Besucher empfängt, während die auf das Stadtzentrum ausgerichtete Fassade mit ihrer abgetreppten Curtain Wall ganz diskret mit dem Aussehen eines simplen Bürohauses kokettiert. Zur Strasse und zum rückseitigen Vorplatz hin dagegen tritt die entlang der Nordsüdachse symmetrische Grossform als eine Art sanft gekurvte Serra-Plastik in Erscheinung und bietet so eine Umdeutung von Nouvels Cartier-Glasschrein in eine Burg aus Kupfer, dem Erz aus Arizonas Minen.
Am Abend, wenn durch die fein perforierten Kupferwände das hellerleuchtete Innenleben des Gebäudes scheint, vertreibt eine magische Transparenz den Eindruck der Verbunkerung. Bei Tag aber werden die rostroten Wände durch 40 Meter hohe Stahlschilde belebt, welche die beiden Eingänge markieren. Zwei Höhlenwege führen hier zum «Crystal Canyon», der das fünfgeschossige Gebäude in seiner ganzen Höhe durchschneidet und aus dem Zenit Tageslicht bis zum schwarzen Pool zuunterst in der kühlen Schlucht vordringen lässt. Von hier, wo sich die Wege kreuzen, gelangt man ebenerdig zur Information, zu den Computerplätzen, in den Theatersaal sowie in das noch einzurichtende Café.
Futuristische Lifte und ein Treppenhaus, das mit seinen opaken Glaswänden einer Noguchi-Lampe gleicht, führen vorbei an den drei mittleren Etagen mit Büros, Ausstellungs- und Lagerräumen hinauf in den 80 mal 50 Meter grossen Reading Room. Mit ihren kerzenartig sich verjüngenden, auf Bullaugenfenster zielenden Betonsäulen und dem schwebenden Dach ist diese schattige Oase eine ebenso unkonventionelle wie zeitgemässe Antwort auf Henri Labroustes filigrane Metallkonstruktion des Lesesaals der alten Bibliothèque nationale in Paris, aber auch auf das Grossraumbüro von Wrights Johnson Wax Building in Racine, Wisconsin.
Das zwischen Flugzeughangar, Kulturtempel und Bürohaus oszillierende Bibliotheksgebäude ist mit dem 120 Meter langen Mittelbau und den seitlich angehängten, kupfernen «Satteltaschen» ganz im Sinn von Kahn in dienende und bediente Räume unterteilt. Sein monolithisches Äusseres scheint entfernt Zumthor verpflichtet zu sein, die Metallkonstruktion des Daches aber lässt an die Leichtbauweise des Australiers Glenn Murcutt denken. Die Liebe zum Detail und die überlegte Wahl der Materialien verraten hingegen Scarpas Einfluss, während im kinetischen Formenspiel der Sonnensegel Bruce Goffs textile Fassadenmuster nachklingen. Das Resultat dieser anspielungsreichen Arbeitsweise ist jedoch durchaus nicht eklektisch. Vielmehr erfand Bruder - vielleicht erstmals seit den Pueblosiedlungen der Hopi-Indianer - eine auf Arizona zugeschnittene Architektur. Bei dieser stehen, fernab von jeglicher Adobe-Romantik, eine populär ausgerichtete Monumentalität sowie topographische, geologische und kulturgeschichtliche Metaphern im Mittelpunkt: vom Canyon bis zur Satteltasche.
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