Bauwerk
Renovierung Palais des Beaux-Arts
Ibos & Vitart - Lille (F) - 1997
Ein Spiegel im Museumsgarten
1. Februar 1998 - Roman Hollenstein
Als Königliche Kunst geniesst die Architektur in Frankreich hohes Ansehen, das vorab Mitterrand gezielt zu nutzen wusste. Ihm eiferten die Herrscher in der Provinz nach, allen voran Pierre Mauroy, der Bürgermeister von Lille und einstige Premierminister. Ihm verdankt die lang vom Niedergang geprägte Metropole des Nordens ambitiöse TGV-Projekte, die als Euralille und Congrexpo Berühmtheit erlangten. Doch inzwischen ist die von Rem Koolhaas konzipierte und zusammen mit Jean Nouvel und Christian de Portzamparc realisierte Bahnhofbebauung wegen ihrer vibrierenden Türme ins Gerede gekommen.
Diese architektonischen Ikonen der frühen neunziger Jahre, die Lille zur Hochburg eines zukunftsorientierten europäischen Städtebaus hätten machen sollen, muten heute schon etwas überholt an. Das neuste Meisterwerk der Stadt wirkt denn auch wie eine demonstrative Absage an Koolhaas' megalomane Geste. Es handelt sich dabei um die Restaurierung und Erweiterung eines der schönsten französischen Kunstmuseen: des Palais des Beaux-Arts an der noblen Place de la République.
Seit Jahrzehnten dämmerte dieser Bau, 1892 im Rausch der Belle époque von Bérard & Delmas für die kostbare Sammlung flämischer und holländischer Kunst der Stadt vollendet, still vor sich hin. Doch 1990 machte sich Optimismus breit: Im Rahmen eines Wettbewerbs wurde das vorbildliche Projekt der beiden heute vierzig Jahre alten Pariser Architekten und einstigen Nouvel-Mitarbeiter Jean-Marc Ibos und Myrto Vitart für eine Renovation, Erweiterung und Öffnung des Kunstpalastes gekürt. Sie liessen Umbauten entfernen, gaben den Galerien die ursprüngliche Frische zurück, verwandelten die Kellergewölbe in eine stimmungsvolle Raumsequenz für die mittelalterliche Sammlung und versenkten im Museumsgarten, der begrenzt wird von einem Neubau für die graphische Sammlung, die Verwaltung und das Restaurant, eine von dosierbarem Oberlicht erhellte temporäre Ausstellungshalle.
Nun darf das vom Mief der Zeit befreite Museum ganz selbstverliebt mit seinem Spiegelbild auf der Fassade des neuen Hauses kokettieren. Dieses stellten die Architekten im Abstand von gut dreissig Metern der Südfassade des Palais entgegen, just an der Stelle, wo Bérard & Delmas 1895 einen nie realisierten Ergänzungsbau geplant hatten. Schaut man nun aus dem Museum auf diesen Verwaltungsbau, so täuscht dessen Glashaut dem Betrachter gleichsam eine Vision der einst geplanten Ergänzung vor.
Das gläserne Haus von Ibos und Vitart zählt nicht zu jenen stümperhaften Spiegelschränken, die seit Jahren auch Frankreichs Städte verunstalten. Vielmehr handelt es sich dabei um eine ebenso ironische wie poetische Brechung des Themas. Die Glashülle und die Geschossflächen werden von einer einzigen, leicht sichelförmigen Betonwand getragen. Diese tritt durch die Fensterfront zum Hof hin als pompejanisch rote Fläche mit goldenen Rechtecken in Erscheinung und verleiht ihm eine heitere, dynamische Atmosphäre. Sie ist mit ihrem Rot und Gold aber auch eine Anspielung auf die Altmeistergalerien des Museums und zugleich Hintergrund für die setzkastenartige Bühne, auf der man die Museumsangestellten auftreten und verschwinden sieht.
Bestehen die vom Museum abgewandten Fassaden abwechselnd aus opakem Industrie- und transparentem Fensterglas, so ist die hofseitige «Spiegelwand» mit durchsichtigem Glas verkleidet, auf dem kleine, an Strichcodes erinnernde Spiegelflächen serigraphisch aufgetragen wurden, was zusammen mit der intensiven Farbigkeit ein stark impressionistisches Bild erzeugt. Dadurch wird das neue Haus fast unsichtbar, so dass man - mit einem Blick auf das frühe Schaffen von Mario Merz - von einer «maison cache-toi» sprechen möchte.
Der mit einem Grundriss von rund sieben mal siebzig Metern extrem schmale, im Volksmund als «Klinge» bekannte Bau nimmt innerhalb der aktuellen Diskussion um eine monolithische Architektur eine besondere Stellung ein. Die minimalistische Erscheinung des Baukörpers wird von der Oberlichtverglasung des unterirdischen Ausstellungssaals aufgenommen. Dieser eignet im Kontext des ganz französisch als künstliche Natur thematisierten Hofgartens die Form eines artifiziellen Pools, denn ihre aus grossen, bruchsicheren Platten bestehende Oberfläche ist umgeben von einem Rinnsal, das der ganzen Fläche das Aussehen von Wasser verleiht.
So wird der Neubau zum zeitgenössischen Statement in diesem der älteren Kunst gewidmeten Haus und damit auch zu einem Musterbeispiel des Zusammenklangs von heutiger Architektur und Museographie. Hier wagen zwei höchst gegensätzliche Gebäude, der pompöse Beaux-Arts-Palast und die minimalistische Glaskiste, den Dialog mit der Stadt und beweisen dabei Respekt für das Bestehende. Dadurch wird die vielbeschworene Neubelebung der Stadt, die in Euralille nicht zum Tragen kommen will, erst Wirklichkeit.
Roman Hollenstein
Diese architektonischen Ikonen der frühen neunziger Jahre, die Lille zur Hochburg eines zukunftsorientierten europäischen Städtebaus hätten machen sollen, muten heute schon etwas überholt an. Das neuste Meisterwerk der Stadt wirkt denn auch wie eine demonstrative Absage an Koolhaas' megalomane Geste. Es handelt sich dabei um die Restaurierung und Erweiterung eines der schönsten französischen Kunstmuseen: des Palais des Beaux-Arts an der noblen Place de la République.
Seit Jahrzehnten dämmerte dieser Bau, 1892 im Rausch der Belle époque von Bérard & Delmas für die kostbare Sammlung flämischer und holländischer Kunst der Stadt vollendet, still vor sich hin. Doch 1990 machte sich Optimismus breit: Im Rahmen eines Wettbewerbs wurde das vorbildliche Projekt der beiden heute vierzig Jahre alten Pariser Architekten und einstigen Nouvel-Mitarbeiter Jean-Marc Ibos und Myrto Vitart für eine Renovation, Erweiterung und Öffnung des Kunstpalastes gekürt. Sie liessen Umbauten entfernen, gaben den Galerien die ursprüngliche Frische zurück, verwandelten die Kellergewölbe in eine stimmungsvolle Raumsequenz für die mittelalterliche Sammlung und versenkten im Museumsgarten, der begrenzt wird von einem Neubau für die graphische Sammlung, die Verwaltung und das Restaurant, eine von dosierbarem Oberlicht erhellte temporäre Ausstellungshalle.
Nun darf das vom Mief der Zeit befreite Museum ganz selbstverliebt mit seinem Spiegelbild auf der Fassade des neuen Hauses kokettieren. Dieses stellten die Architekten im Abstand von gut dreissig Metern der Südfassade des Palais entgegen, just an der Stelle, wo Bérard & Delmas 1895 einen nie realisierten Ergänzungsbau geplant hatten. Schaut man nun aus dem Museum auf diesen Verwaltungsbau, so täuscht dessen Glashaut dem Betrachter gleichsam eine Vision der einst geplanten Ergänzung vor.
Das gläserne Haus von Ibos und Vitart zählt nicht zu jenen stümperhaften Spiegelschränken, die seit Jahren auch Frankreichs Städte verunstalten. Vielmehr handelt es sich dabei um eine ebenso ironische wie poetische Brechung des Themas. Die Glashülle und die Geschossflächen werden von einer einzigen, leicht sichelförmigen Betonwand getragen. Diese tritt durch die Fensterfront zum Hof hin als pompejanisch rote Fläche mit goldenen Rechtecken in Erscheinung und verleiht ihm eine heitere, dynamische Atmosphäre. Sie ist mit ihrem Rot und Gold aber auch eine Anspielung auf die Altmeistergalerien des Museums und zugleich Hintergrund für die setzkastenartige Bühne, auf der man die Museumsangestellten auftreten und verschwinden sieht.
Bestehen die vom Museum abgewandten Fassaden abwechselnd aus opakem Industrie- und transparentem Fensterglas, so ist die hofseitige «Spiegelwand» mit durchsichtigem Glas verkleidet, auf dem kleine, an Strichcodes erinnernde Spiegelflächen serigraphisch aufgetragen wurden, was zusammen mit der intensiven Farbigkeit ein stark impressionistisches Bild erzeugt. Dadurch wird das neue Haus fast unsichtbar, so dass man - mit einem Blick auf das frühe Schaffen von Mario Merz - von einer «maison cache-toi» sprechen möchte.
Der mit einem Grundriss von rund sieben mal siebzig Metern extrem schmale, im Volksmund als «Klinge» bekannte Bau nimmt innerhalb der aktuellen Diskussion um eine monolithische Architektur eine besondere Stellung ein. Die minimalistische Erscheinung des Baukörpers wird von der Oberlichtverglasung des unterirdischen Ausstellungssaals aufgenommen. Dieser eignet im Kontext des ganz französisch als künstliche Natur thematisierten Hofgartens die Form eines artifiziellen Pools, denn ihre aus grossen, bruchsicheren Platten bestehende Oberfläche ist umgeben von einem Rinnsal, das der ganzen Fläche das Aussehen von Wasser verleiht.
So wird der Neubau zum zeitgenössischen Statement in diesem der älteren Kunst gewidmeten Haus und damit auch zu einem Musterbeispiel des Zusammenklangs von heutiger Architektur und Museographie. Hier wagen zwei höchst gegensätzliche Gebäude, der pompöse Beaux-Arts-Palast und die minimalistische Glaskiste, den Dialog mit der Stadt und beweisen dabei Respekt für das Bestehende. Dadurch wird die vielbeschworene Neubelebung der Stadt, die in Euralille nicht zum Tragen kommen will, erst Wirklichkeit.
Roman Hollenstein
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