Bauwerk

Warenhaus Neumann (heute „Steffl“)
Carl Appel - Wien (A) - 1950
Warenhaus Neumann (heute „Steffl“), Foto: H. Madensky

Katharsis eines Warenhauses

Ein wertvolles, aber durch respektlosen Gebrauch banalisiertes Zeugnis des Wiederaufbaus: das Warenhaus „Steffl“. Das Hauptwerk des heuer verstorbenen Architekten Carl Appel darf jedoch auf einen baldigen Wiederbelebungsversuch hoffen.

13. Dezember 1997 - Walter Chramosta
Das von Otto Wagner errichtete Warenhaus Neumann (1895/1896) in der Kärntner Straße 19 trägt am Parapet des vierten Obergeschoßes die schlicht gehaltene, aber unmißverständliche Aufschrift Metropolitan Clothing Palace. Im Wien um 1900 hat die Kärntner Straße einen solch metropolitanen Flair, daß eine englische, mit dem Begriff Palast operierende Selbstdefinition eines Geschäftes für Herrenkonfektion nicht überheblich wirkt.

Vor das Erdgeschoß und den ersten Stock setzt Otto Wagner leicht konstruierte Glasvorhänge, die als Auslagen dienen und den Passanten tiefe Blicke in den Verkaufsraum erlauben. Transparenz und Leichtigkeit markieren einerseits Wagners grundlegende Distanz zu den baukünstlerischen Beschwernissen des Historismus, andererseits den Bedeutungswandel der Kärntner Straße vom mittelalterlichen Heeres-, Pilger- und Handelsweg zur elegantesten Geschäftsstrecke Wiens.

Noch während der Weltausstellung von 1873 ist die Kärntner Straße nur etwa neun Meter breit und wird durch die hohe Verkehrsbelastung als gefährlicher Engpaß empfunden. Eine Verschiebung der westlichen Baulinie ermöglicht nahezu eine Verdoppelung der Straßenbreite, eine nach heutigen Kriterien des Denkmal- und Ensembleschutzes unfaßbar radikale Option, die auch prompt Serienabbrüche nach sich zieht. Die neue Kärntner Straße wird zu einer komfortablen Hauptachse für den Fußgänger- und Fahrverkehr.

Im April 1945 versinkt nicht nur die Wagnersche Definition einer urbanen Vitrine für Industrieprodukte in der Kriegsasche, sondern auch der ständisch geprägte Gebrauch der Kärntner Straße verschwindet. Die Alltagsrituale des Sehens und Gesehenwerdens, des Einkaufens als Akt gesellschaftlicher Repräsentation gehen mit den Menschen unwiederbringlich verloren. Die Zeit des Wiederaufbaus und der anschließende Wohlstand scheinen zwar neuerlich Voraussetzungen für eine Aneignung der Kärntner Straße als elitärer Kommerzmeile zu bieten. Aber die neuen sozialen Verhältnisse, die gewandelten kulturellen Verhaltensmuster, die Zunahme des PKW-Verkehrs, die Teilhabe Österreichs an der westlichen Konsumwelt schließen eine neue Erfolgsgeschichte der Kärntner Straße in Analogie zur alten aus.

Der Weg zur Internationalisierung und Popularisierung, auch zur Nivellierung ist vorgezeichnet. Mit der im Zuge des U-Bahn-Baus 1974 erfolgten Umgestaltung der Kärntner Straße zur Fußgängerzone werden diese Entwicklungen beschleunigt. Das Zentrum ist für Bewohner mancher Außenbezirke nun so leicht erreichbar wie ihr gewohntes Wohnumfeld. Die egalitäre Gestaltung der verkehrsberuhigten Kärntner Straße bestärkt diese Randschichten im unbefangenen Zugriff auf zentrale Räume und Einrichtungen, der vermaßte Städtetourismus tut ein übriges zur „Demokratisierung“ des Stadtraums.

Am jungen Ende dieser Entwicklung kann sich zwar die Innere Stadt als vielfältiger gewachsenes funktionales Bündel gegenüber den synthetischen Shopping-Malls an der Peripherie wieder besser behaupten, aber die Aura der Kärntner Straße ist endgültig dahin, weil die kommerziellen Eliten bereits neues Konsumverhalten an anderen, wenn auch nahen Orten ausgeprägt haben. Das von Carl Appel entworfene und unter seiner Leitung 1949 bis 1950 errichtete Warenhaus Neumann beschwört seinerzeit zwar noch einmal die gutbürgerliche Kärntner Straße, die Vermassung von Angebot und Nachfrage an diesem Ort ist aber nicht aufzuhalten gewesen.

Schreiende Billigangebote, jahrelange Leerstände und zerstörende Umbauten belegen, daß sich ohne strategischen Marketingansatz, der Objekt und Lage innig einbezieht, keine sinnvolle Überlebensstrategie entwickeln läßt. Der noch 1993 um 150 Millionen (!) Schilling abgeschlossene Umbau des „Steffl“ dokumentiert bis heute die peinliche Fehleinschätzung des Konsum-Managements die architektonischen Potentiale Appels betreffend: Anstatt dessen Konzept wieder verstärkt herauszuarbeiten, wird mit billiger Camouflage weiter in Richtung Belang- und Gesichtslosigkeit gegengesteuert. Erst für jetzt zeichnet sich unter den neuen Eigentümern ein intelligenterer Umgang mit den unstreitigen architektonischen Restqualitäten des „Steffl“ ab.

Carl Appel (1911 bis 1997) scheint 1949 die Aufgabe, wieder ein Warenhaus Neumann am Ort des Wagnerschen Baus zu errichten, auf den Leib geschneidert. Der noch nicht Vierzigjährige ist bei Kriegsende auf der Höhe seiner fachlichen Kompetenz, er kann fast auf ein Jahrzehnt baulicher Praxis, auch während des Ständestaats und des Nationalsozialismus, verweisen. Die Vertreibung des Geistigen hinterläßt zahlreiche Fehlstellen in der architektonischen und städtebaulichen Kompetenz Österreichs, wodurch ein gesellschaftlich gut verankerter Tatmensch wie Appel noch besser zur Geltung kommt. Seine Ausbildung ist fundiert: Nach einer Tischlerlehre und Architekturstudien an der Kunstgewerbeschule und an der Akademie der bildenden Künste arbeitet er schon als Student an eigenen Projekten. Sein Büro arbeitet professionell und rasch.

Die Kontinuität seiner Beschäftigung, das nie unterschrittene Mindestmaß an Qualität weisen ihn im Rückblick als einen der wirkungsvollsten Architekten der Zweiten Republik aus. Eine kürzlich von der Kammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten in Wien veranstaltete Ausstellung hat die Hauptwerke, neben dem „Steffl“ etwa das Kaufhaus Philip Haas (mit Max Fellerer und Eugen Wörle), die Verwaltungsgebäude der Steyr-Daimler-Puch AG (abgebrochen), der OMV und der Kammer der gewerblichen Wirtschaft, die Leykam AG, den Opernringhof oder das Hotel Intercontinental, wieder in das Bewußtsein der Öffentlichkeit gerückt. Damit beginnt ein wichtiger Weg zur Neubewertung der Wiener Architektur der fünfziger und sechziger Jahre, die langsam in den Rang der Schutzwürdigkeit hineinwächst.

Viele von den etwa 150 Bauten Appels sind zwar bis heute präsent, seine umfangreiche Gesamtleistung, seine damalige Wirkung sind es nicht. Für die österreichische Architekturgeschichte gilt er nicht als Vorkämpfer einer neuen Baukunst, sondern als ein planerisch und politisch hochaktiver, technisch und organisatorisch kreativer Hauptakteur der Wiederaufbauära, der eine gemäßigt moderne Baukultur, besonders in Industrie, Handel und Dienstleistung, etabliert hat.

Motoren seiner Entwurfsentscheidungen sind technische und funktionale Neuerungen, sein Credo ist es, deren Machbarkeit auszuloten, ohne die stilistisch abgesicherte Praxis der Moderne der Zwischenkriegszeit in Richtung eines Experiments zu verlassen. Gestalterische Wagnisse wären auch mit Appels hohem Realisierungstempo nicht vereinbar gewesen. Mit dem Ende der Fortschrittseuphorie in den siebziger Jahren verblaßt auch Appels Überzeugungskraft, die aus der Gewißheit gespeist war, daß das nach dem Krieg begonnene Aufbauwerk unbegrenzt fortführbar ist.

Appels Entwürfe, seine prägnanten städtebaulichen Grund- muster und eleganten Interieurs entsprechen damals dem Wunsch der Österreicher nach einer geordneten, bürgerlich bestimmten Welt. So kündet auch die Außenerscheinung des „Steffl“ von einem - maßvollen - baukörperlichen Wagnis: Appel schafft eine Zäsur in der sonst eher homogenen Fassadenflucht, indem er die Schauseite leicht einschwingt, dadurch einladend, neuartig, sachlich wirken läßt.

Die beiden ersten Obergeschoße des „Steffl“ kragen leicht aus, sind in Naturstein gerahmt und wirken wie werbende Leuchtschirme, gerade bei Nacht und aus der Entfernung. Darüber bilden sich die Verkaufsräume in Bandfenstern ab. Die Verkaufsgeschoße, etwa 20 auf 80 Meter groß, kommen wegen der Pilzdecke ohne Unterzüge aus; der Innenraum kann ohne Eingriffe in die tragende Struktur umgenutzt werden.

Das von Appel komplett entworfene Mobiliar ist längst verloren, es zielte auf eine die gehobene Konfektionsware einschließende, ruhige Gesamtwirkung eines noblen Salons ab. Auch wenn heute die Uhren des Marktes anders gehen, der architektonische Ansatz Appels, dem sehr schmalen Haus ein ausdrucksstarkes Gesicht zu geben und die innere Bespielbarkeit von Zwangspunkten möglichst zu befreien, ist nach wie vor tragfähig.

Appels Raumgerüst wird demnächst nach dem Entwurf von Matthäus Jiszda wiederbelebt und großzügig erweitert. Der Eingangsbereich zieht sich dann wieder passagenartig in die Tiefe des Hauses, die Vorderfassade wird in den Originalzustand versetzt, aber mit einem signalhaft auskragenden, gläsern-schrägen Liftturm im Sinne neuer Konkurrenzverhältnisse und Sehgewohnheiten deftiger akzentuiert. Immerhin läßt der bevorstehende Eingriff vermuten, daß hier endlich das Warenhaus - wie bei Carl Appel - als Ort gehobenen Konsums mit den Konnotationen qualitätsbewußt, maßvoll und dauerhaft verstanden, aber auch als mit der Stadt kommunizierendes Gefäß und somit als Teil ihrer Kultur verräumlicht wird.

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